Präambel VO (EU) 2020/975
DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates(1), insbesondere auf Artikel 222,
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- Die Union ist bei der Weinerzeugung weltweit führend. In den Wirtschaftsjahren 2014/2015 bis 2018/2019 belief sich die durchschnittliche Jahreserzeugung von Wein in der Union auf 167,6 Mio. Hektoliter. Das Weinwirtschaftsjahr beginnt am 1. August und endet am 31. Juli des Folgejahres. Auf die Union entfallen 45 % der Weinanbauflächen weltweit, 65 % der weltweiten Erzeugung, 60 % des weltweiten Verbrauchs und 70 % der Ausfuhren in Drittländer. Die fünf größten Weinbauländer in der Union sind in absteigender Reihenfolge der Produktionsmengen Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland und Portugal.
- (2)
- Die COVID-19-Pandemie und die umfangreichen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in den Mitgliedstaaten haben für Anbauer von Keltertrauben und Weinerzeuger zu wirtschaftlichen Störungen und damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten und Liquiditätsprobleme geführt.
- (3)
- Durch die Ausbreitung der Krankheit und die ergriffenen Maßnahmen standen weniger Arbeitskräfte zur Verfügung, wodurch es insbesondere auf den Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und der Verbringung von Keltertrauben und Wein zu Engpässen kam.
- (4)
- Die verordnete Schließung von Restaurants, Hotels und Bars sowie die Absage von Veranstaltungen und Feierlichkeiten wie Hochzeiten, Geburtstagen und Geschäftsveranstaltungen in der Union und in Drittländern haben das Gastgewerbe und die Gastronomie für mehrere Monate zum Stillstand gebracht. Zudem wurden Tourismus- und Weintourismusveranstaltungen wie Verkostungen, Messen sowie Hofverkauf und -konsum in den meisten Mitgliedstaaten seit März 2020 weitgehend unterbrochen.
- (5)
- Demzufolge haben sich die Nachfragemuster für Wein erheblich geändert. Die Verbrauchernachfrage hat sich auf den Eigenverbrauch von Wein verlagert. Obwohl sich der Eigenverbrauch bestimmter Weinbauerzeugnisse erhöht hat, konnte dies den Einbruch bei der Nachfrage im Gastgewerbe und in der Gastronomie nicht ausgleichen.
- (6)
- Die Schließung von Restaurants und anderen Gastronomiebetrieben hat zu einem Umsatzrückgang bei Weinerzeugern geführt. In Deutschland brach der Umsatz für Weinerzeuger im ersten Quartal 2020 aufgrund der fehlenden Verkäufe an Restaurants um 50 % ein. Zudem ging der Verkauf an spezialisierte Weinhandlungen, die oft höherpreisige Weine verkaufen, um 23 % zurück. Nach Schätzungen der Branche für die gesamte Union hat die Schließung von Restaurants, Bars und Hotels zwischen Mitte März und Ende Mai 2020 zu einem Rückgang der Verkaufsmenge von Wein um 30 % und einem Wertverlust von 50 % gegenüber den Verkäufen vor den Schließungen geführt.
- (7)
- Trotz der jüngsten Lockerung bestimmter Maßnahmen und der Aufhebung bestimmter Beschränkungen der Freizügigkeit, einschließlich der Wiedereröffnung von Restaurants und anderen Gastronomiebetrieben, ist nicht davon auszugehen, dass sich die Situation in den nächsten sechs Monaten wieder normalisiert. Restaurants und andere Gastronomiebetriebe müssen Vorschriften zur physischen Distanzierung einhalten, durch die die Anzahl der Gäste begrenzt ist. Zudem gibt es in vielen Mitgliedstaaten nach wie vor bestimmte Beschränkungen in Bezug auf die Anzahl der Personen bei Zusammenkünften, einschließlich privater Feierlichkeiten wie Hochzeiten, auf denen üblicherweise Wein konsumiert wird.
- (8)
- Der weltweite Tourismus, der im zweiten Quartal 2020 voraussichtlich einen Umsatzrückgang von 70 % verzeichnen wird, wird in den nächsten sechs Monaten vermutlich ebenfalls nicht ausreichend ansteigen, um den ausbleibenden Konsum in Restaurants während des Zeitraums auszugleichen, in dem die umfangreichen Ausgangsbeschränkungen galten.
- (9)
- Insgesamt wird geschätzt, dass der Weinkonsum in der Union im Wirtschaftsjahr 2019/2020 auf 108 Mio. Hektoliter sinken wird. Dies entspricht einer Verringerung des Konsums um insgesamt mehr als 8 % im Wirtschaftsjahr 2019/2020 im Vergleich zum Durchschnitt der letzten fünf Wirtschaftsjahre.
- (10)
- Ausfuhren in Drittländer sind für den Weinsektor der Union besonders wichtig. Im Jahr 2019 beliefen sich die Ausfuhren auf einen Wert von insgesamt 12,1 Mrd. EUR. Während der COVID-19-Pandemie wurden die Ausfuhren sowohl durch logistische Herausforderungen als auch durch einen Rückgang des Konsums beeinträchtigt, da auch in Drittländern Ausgangsbeschränkungen galten. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie in China hat zu einer erheblichen Überlastung der Häfen in China und anderswo sowie höheren Ausfällen bei Schiffsabfahrten geführt, die eine Knappheit der Container, einen erheblichen Anstieg der Frachtkosten und verspätete Lieferungen bei der Ausfuhr nach sich zogen. Zudem wurden die Weinausfuhren aus der Union bereits durch die gestiegenen Einfuhrzölle auf bestimmte Weinerzeugnisse aus der Union durch die Vereinigten Staaten beeinträchtigt. Seit Oktober 2019 erheben die Vereinigten Staaten, der wichtigste Weinausfuhrmarkt der Union, Wertzölle in Höhe von 25 % auf die Einfuhr nicht schäumender Weine aus der Union.
- (11)
- Insgesamt wird davon ausgegangen, dass die Weinausfuhren der Union in Drittländer im Wirtschaftsjahr 2019/2020 sowohl im Vergleich zum vorangegangenen Wirtschaftsjahr als auch im Vergleich zum Durchschnitt der letzten fünf Wirtschaftsjahre um 14 % zurückgehen werden. Im Vergleich zu Mai 2019 gingen die Ausfuhren französischer, italienischer und spanischer Weine in Drittländer im Mai 2020 erheblich zurück: Ausfuhren französischer Weine in Drittländer gingen mengenmäßig um 33 % und wertmäßig um 55 % zurück; Ausfuhren italienischer Weine in Drittländer gingen mengenmäßig um 22 % und wertmäßig um 26 % zurück; Ausfuhren spanischer Weine in Drittländer gingen mengenmäßig um 63 % und wertmäßig um 43 % zurück. Die Ausfuhren von Schaumweinen waren im selben Bezugszeitraum besonders stark betroffen. Schätzungen der Weinwirtschaft zufolge gingen im Mai 2020 die Ausfuhren von Champagner in die Vereinigten Staaten und China mengenmäßig um 64 % und wertmäßig um 55 %, die Ausfuhren von Prosecco in Drittländer mengenmäßig um 27 % und wertmäßig um 32 % und die Ausfuhren von Cava in Drittländer mengen- und wertmäßig um 40 % zurück.
- (12)
- Zudem sind aufgrund einer außerordentlich guten Ernte von 174,4 Mio. Hektolitern im Wirtschaftsjahr 2018/2019, die zu einem Anstieg der Anfangsbestände im Wirtschaftsjahr 2019/2020 im Vergleich zum Wirtschaftsjahr 2018/2019 um 14 % führten, derzeit große Mengen Wein gelagert. Nicht verkaufter Wein muss gelagert werden.
- (13)
- Aufgrund der genannten Umstände werden diese Ereignisse als Phase eines schweren Marktungleichgewichts eingestuft.
- (14)
- Damit in dieser Zeit eines schweren Marktungleichgewichts eine Lösung für Winzer und Weinerzeuger gefunden werden kann, sollten Vereinbarungen und Beschlüsse von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, Vereinigungen von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, Vereinigungen dieser Erzeugervereinigungen, anerkannten Erzeugerorganisationen, Vereinigungen von anerkannten Erzeugerorganisationen und anerkannten Branchenverbänden im Hinblick auf die Erzeugung von Keltertrauben und Wein für einen Zeitraum von sechs Monaten vorübergehend genehmigt werden. Dazu zählen folgende Maßnahmen: i) Umwandlung und Verarbeitung, ii) Lagerung, iii) gemeinsame Absatzförderungsmaßnahmen, iv) Qualitätsanforderungen und v) vorläufige Planung der Produktion.
- (15)
- Solche Vereinbarungen und Beschlüsse könnten etwa Folgendes umfassen: i) Verarbeitung von Wein zu anderen Zwecken wie der Destillation von Wein zu Alkohol, ii) Schaffung und Ausfindigmachen von Lagerkapazitäten für die zu lagernde größere Weinmenge, iii) Förderung des Weinkonsums, iv) Vereinbarungen über Qualitätsanforderungen, die das Inverkehrbringen von Weinen auf diejenigen Weine beschränken würden, die diese Anforderungen erfüllen, und v) Planung von Maßnahmen zur Reduzierung des Umfangs künftiger Ernten.
- (16)
- Alle Vereinbarungen oder Beschlüsse sollten zeitlich befristet für einen Zeitraum von sechs Monaten genehmigt werden. Die anstehende Ernte für das Wirtschaftsjahr 2020/2021, die im August 2020 beginnt, und die näher rückenden Feierlichkeiten zum Jahresende, bei denen insbesondere hochwertige Weine und Schaumweine konsumiert und ausgeführt werden, sind die Zeiträume, in denen die genannten Maßnahmen voraussichtlich die größte Wirkung entfalten werden.
- (17)
- Gemäß Artikel 222 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 wird eine Genehmigung erteilt, sofern dies nicht das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts unterminiert und diese Vereinbarungen und Beschlüsse strikt darauf abzielen, den Sektor zu stabilisieren. Durch diese besonderen Bedingungen sind Vereinbarungen und Beschlüsse ausgeschlossen, die direkt oder indirekt zur Aufteilung von Märkten, zu unterschiedlicher Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder zur Festsetzung von Preisen führen. Erfüllen die Vereinbarungen und Beschlüsse diese Bedingungen nicht oder nicht mehr, so findet Artikel 101 Absatz 1 AEUV auf diese Vereinbarungen und Beschlüsse Anwendung.
- (18)
- Da das schwere Marktungleichgewicht die gesamte Union betrifft, sollte die in dieser Verordnung vorgesehene Genehmigung für das Gebiet der Union gelten.
- (19)
- Damit die Mitgliedstaaten beurteilen können, ob die Vereinbarungen und Beschlüsse über die Erzeugung von Keltertrauben und Wein das Funktionieren des Binnenmarktes nicht unterminieren und strikt darauf abzielen, den Weinsektor zu stabilisieren, sollten die zuständigen Behörden — einschließlich der Wettbewerbsbehörden — des Mitgliedstaats, auf den der höchste Anteil der unter diese Vereinbarungen und Beschlüsse fallenden geschätzten Erzeugungsmenge von Keltertrauben und Wein entfällt, Informationen über die geschlossenen Vereinbarungen und gefassten Beschlüsse sowie über die unter diese Vereinbarungen und Beschlüsse fallende Erzeugungsmenge von Keltertrauben und Wein und den Durchführungszeitraum erhalten.
- (20)
- Angesichts des gravierenden Marktungleichgewichts, der gelagerten Weinbestände, des Nachfragerückgangs und des Wegfalls von Ausfuhrmärkten und in der Absicht, dem Weinsektor zu helfen, sich in dem Zeitraum, in dem die COVID-19-Beschränkungen gelockert werden — d. h. bis zu den Feierlichkeiten am Jahresende und darüber hinaus — zu erholen, sollte diese Verordnung am Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft treten.
- (21)
- Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ausschusses für die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte —
HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 671.
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