ANHANG RL 2003/32/EG

1.
RISIKOANALYSE UND RISIKOMANAGEMENT

1.1.
Begründung der Verwendung von tierischen Geweben oder Folgeerzeugnissen

Der Hersteller muss anhand seiner Gesamtstrategie der Risikoanalyse und des Risikomanagements begründen, warum er für ein bestimmtes Medizinprodukt entschieden hat, Gewebe oder Folgeerzeugnisse tierischen Ursprungs im Sinne von Artikel 1 (unter Angabe der Tier- und der Gewebearten) zu verwenden, und berücksichtigt dabei den zu erwartenden klinischen Nutzen, das etwaige Restrisiko und geeignete Alternativen.

1.2.
Bewertungsverfahren

Zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für Patienten oder Nutzer muss der Hersteller von Produkten, für die Gewebe oder Folgeerzeugnisse tierischen Ursprungs nach Ziffer 1.1 verwendet werden, eine geeignete und gut dokumentierte Strategie der Risikoanalyse und des Risikomanagements anwenden und alle wichtigen Aspekte im Zusammenhang mit TSE-Agenzien behandeln. Er muss die Gefährdung, die mit diesen Geweben oder Folgeerzeugnissen verbunden ist, ermitteln und eine Dokumentation über Maßnahmen zur Minimierung des Übertragungsrisikos und zum Nachweis der Annehmbarkeit des Restrisikos von Produkten, für die derartige Gewebe oder Folgeerzeugnisse verwendet werden, erstellen; dabei berücksichtigt er den Verwendungszweck und den Nutzen des Produkts. Die Sicherheit eines Produkts bezogen auf sein Potenzial zur Übertragung eines transmissiblen Agens hängt von den unter den Ziffern 1.2.1 bis 1.2.7 beschriebenen Faktoren ab, die zu analysieren, zu bewerten und zu behandeln sind. Die Kombination dieser Maßnahmen bestimmt die Sicherheit des Produkts. Hier sind zwei Hauptschritte zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich um:

die Auswahl von Ausgangsmaterial (Gewebe oder Folgeerzeugnisse), das im Hinblick auf eine mögliche Kontamination mit übertragbaren Agenzien (siehe 1.2.1, 1.2.2 und 1.2.3) als geeignet betrachtet wird, wobei der Weiterverarbeitung Rechnung zu tragen ist;

die Anwendung von Herstellungsverfahren, die übertragbare Agenzien aus überwachtem Ausgangsgewebe beseitigen oder inaktivieren (siehe 1.2.4).

Außerdem sind die Merkmale des Produkts und sein Verwendungszweck zu berücksichtigen (siehe 1.2.5, 1.2.6 und 1.2.7). Bei der Durchführung der Strategie der Risikoanalyse und des Risikomanagements ist den Stellungnahmen gebührend Rechnung zu tragen, die die zuständigen wissenschaftlichen Ausschüsse und gegebenenfalls der Ausschuss für Arzneispezialitäten (CPMP) abgegeben haben und deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind.

1.2.1.
Tiere, von denen das Material stammt

Das TSE-Risiko steht im Zusammenhang mit der Spezies und der Rasse des Tieres sowie der Art des Ausgangsgewebes. Da sich die TSE-Infektiosität über eine Inkubationszeit von mehreren Jahren akkumuliert, wird die Verwendung von Material jüngerer Tiere als Faktor zur Risikoreduzierung betrachtet. Risikotiere wie Falltiere, notgeschlachtete Tiere und Tiere unter TSE-Verdacht sind auszuschließen.

1.2.2.
Geografische Herkunft

Bis die Einstufung der Länder nach ihrem BSE-Status gemäß der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates(1) vom 22. Mai 2001 mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien erfolgt ist, wird bei der Bewertung des Risikos des Ursprungslandes das geografische BSE-Risiko (GBR) herangezogen. Bei dem GBR handelt es sich um einen qualitativen Indikator für die Wahrscheinlichkeit, dass in einem Land zu einem gegebenen Zeitpunkt eine präklinische oder klinische BSE-Infektion bei einem oder mehreren Rindern auftritt. Bei bestätigtem Auftreten bietet das GBR einen Hinweis auf die Infektionsstufe entsprechend der nachstehenden Tabelle:
GBR-StufeAuftreten einer klinischen oder präklinischen Infektion mit dem BSE-Erreger bei einem oder mehreren Rindern in einer geografischen Region/einem Land
IHöchst unwahrscheinlich
IIUnwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen
IIIWahrscheinlich, aber nicht bestätigt bzw. bestätigt bei niedriger Inzidenz
IVBestätigt bei hoher Inzidenz
Verschiedene Faktoren beeinflussen das geografische BSE-Infektionsrisiko, das mit der Verwendung von Rohgewebe oder Folgeerzeugnissen aus einzelnen Ländern verbunden ist. Diese werden in Artikel 2.3.13.1 Ziffer 1 des Internationalen Tiergesundheitskodexes des OIE (Internationales Tierseuchenamt) definiert, der über die Website http://www.oie.int/eng/normes/MCode/A_00067.htm zugänglich ist. Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss hat das geografische BSE-Risiko (GBR) verschiedener Drittländer und Mitgliedstaaten bewertet und wird dies unter Berücksichtigung der wichtigsten OIE-Faktoren auch noch für alle Länder tun, die eine Kategorisierung ihres BSE-Status beantragt haben.

1.2.3.
Art des verwendeten Ausgangsgewebes

Der Hersteller muss die Klassifizierung der Gefährdung berücksichtigen, die mit den unterschiedlichen Arten von Ausgangsgewebe einhergeht. Die Auswahl von Tiergewebe unterliegt der Kontrolle und Einzelüberprüfung durch einen Tiermediziner, und die Freigabe des Schlachtkörpers für den menschlichen Verzehr ist zu bescheinigen. Der Hersteller hat sicherzustellen, dass beim Schlachtvorgang das Risiko einer Kreuzkontaminierung ausgeschlossen ist. Der Hersteller darf keine Gewebe oder Folgeerzeugnisse tierischen Ursprungs verwenden, die als potenziell hoch TSE-infektiös eingestuft sind, es sei denn die Verwendung derartigen Materials wäre unter außergewöhnlichen Umständen erforderlich; hierbei sind ein erheblicher Nutzen für den Patienten und das Fehlen eines alternativen Ausgangsgewebes zu berücksichtigen. Außerdem sind die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1774/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Oktober 2002 mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte anzuwenden.

1.2.3.1.
Schafe und Ziegen

Basierend auf dem derzeitigen Kenntnisstand und auf der Grundlage der Titer von übertragbaren Agenzien in Geweben und Körperflüssigkeiten natürlich infizierter Schafe und Ziegen mit klinischer Scrapie wurde eine Klassifizierung der Infektiosität erstellt. Im Anhang zur Stellungnahme des Wissenschaftlichen Lenkungsausschusses vom 22. und 23. Juli 1999 (The policy of breeding and genotyping of sheep)(2) ist eine Tabelle enthalten, die in der Stellungnahme dieses Lenkungsausschusses vom 10. und 11. Januar 2002 (TSE infectivity distributed in ruminant tissues — state of knowledge December 2001)(3) weiter aktualisiert wurde. Die Klassifizierung wird gegebenenfalls vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse überarbeitet werden (beispielsweise auf der Grundlage einschlägiger Stellungnahmen der wissenschaftlichen Ausschüsse und des Ausschusses für Arzneispezialitäten (CPMP) sowie von Kommissionsmaßnahmen zur Regelung der Verwendung von Material mit TSE-Risiken). Ein Überblick über die Fundstellen der einschlägigen Dokumente/Stellungnahmen wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und nach einem entsprechenden Beschluss der Kommission in ein Verzeichnis aufgenommen.

1.2.3.2.
Rinder

Das im Verzeichnis der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 aufgeführte spezifizierte Risikomaterial (SRM) gilt als potenziell hoch TSE-infektiös.

1.2.4.
Inaktivierung oder Beseitigung von übertragbaren Agenzien

1.2.4.1. Für Produkte, die Inaktivierungs- oder Beseitigungsverfahren nicht ohne unannehmbare Beschädigung standhalten können, verlässt sich der Hersteller vornehmlich auf die Kontrolle des Ausgangsmaterials.

1.2.4.2. Macht der Hersteller in Bezug auf andere Produkte geltend, dass Herstellungsprozesse zur Beseitigung oder Inaktivierung übertragbarer Agenzien zur Verfügung stehen, so sind diese auf geeignete Weise zu dokumentieren. Entsprechende aus sachdienlichen Literaturrecherchen und Analysen gewonnene Informationen können zur Begründung der Berufung auf Inaktivierungs-/Beseitigungsfaktoren verwendet werden, sofern die in der Literatur beschriebenen spezifischen Verfahren mit denen vergleichbar sind, die für das jeweilige Medizinprodukt verwendet werden. Diese Recherchen und Analysen decken ebenfalls die verfügbaren wissenschaftlichen Stellungnahmen ab, die gegebenenfalls von wissenschaftlichen Ausschüssen der Europäischen Union abgegeben wurden. Diese Stellungnahmen dienen bei divergierenden Meinungen als Referenz. Ergibt die Literaturrecherche keine Belege, muss der Hersteller eine spezifische wissenschaftliche Inaktivierungs- und/oder Beseitigungsstudie durchführen, bei der Folgendes zu berücksichtigen ist:

die ermittelte Gefährdung, die mit dem Gewebe einhergeht;

die Bezeichnung der relevanten Agenzien, die als Modelle dienen;

die Begründung für die Wahl bestimmter Kombinationen von Agenzien, die als Modelle dienen;

die Bezeichnung der Verfahrensstufe, in der die übertragbaren Agenzien beseitigt oder inaktiviert werden;

die Berechnung der Reduktionsfaktoren.

In einem Abschlussbericht sind die Parameter für die Herstellung sowie die für die Effektivität des Inaktivierungs- oder Eliminierungsverfahrens kritischen Grenzen festzulegen. Auf geeignete Weise dokumentierte Verfahren sind anzuwenden, um sicherzustellen, dass die validierten Verfahrensparameter bei der Routineherstellung auch angewendet werden.

1.2.5.
Zur Herstellung einer Einheit eines Medizinprodukts erforderliche Mengen von Ausgangsgewebe oder Folgeerzeugnissen tierischen Ursprungs

Der Hersteller muss bewerten, wie viel Rohgewebe oder Folgeerzeugnisse tierischen Ursprungs für die Herstellung einer Einheit eines Medizinproduktes erforderlich ist. Ist ein Reinigungsverfahren vorgesehen, muss der Hersteller beurteilen, ob dieses möglicherweise zu einer Konzentration der übertragbaren Agenzien im tierischen Ausgangsgewebe oder in den Folgeerzeugnissen führt.

1.2.6.
Gewebe oder Folgeerzeugnisse tierischen Ursprungs, die mit Patienten und Benutzern in Kontakt kommen

Der Hersteller muss prüfen:
i)
die Menge der Gewebe oder Folgeerzeugnisse tierischen Ursprungs;
ii)
das Ausmaß des Kontakts: die Fläche, die Art (z. B. Haut, Schleimhaut, Gehirn usw.) und den Zustand (z. B. gesund oder geschädigt);
iii)
die Art der Gewebe oder Folgeerzeugnisse, die mit Patienten und/oder Benutzern in Kontakt kommen, und
iv)
die Dauer des vorgesehenen Körperkontakts (einschließlich Bioresorptionswirkung).
Dabei wird die Zahl der Medizinprodukte, die in einem bestimmten Verfahren verwendet werden könnten, berücksichtigt.

1.2.7.
Art der Verabreichung

Der Hersteller muss die in der Produktinformation empfohlene Art der Verabreichung berücksichtigen, ausgehend vom höchsten Risiko bis zum niedrigsten.

1.3.
Prüfung der Bewertung

Der Hersteller muss ein systematisches Verfahren zur Überprüfung der Informationen erstellen und unterhalten, die sich im Anschluss an die Herstellung über sein Medizinprodukt oder über ähnliche Produkte ergeben. Die Informationen werden in Bezug auf ihre etwaige Bedeutung für die Sicherheit bewertet, insbesondere daraufhin:
a)
ob eine bislang unbekannte Gefährdung gegeben ist;
b)
ob das von einer Gefährdung ausgehende geschätzte Risiko nicht mehr annehmbar ist;
c)
ob die ursprüngliche Bewertung aus anderen Gründen ungültig wird.
Trifft einer der genannten Punkte zu, werden die Ergebnisse der Bewertung als Rückmeldung in das Risikomanagementverfahren aufgenommen. Vor dem Hintergrund dieser neuen Informationen ist eine Überprüfung der entsprechenden Risikomanagementmaßnahmen für das Medizinprodukt zu erwägen (einschließlich der Begründung für die Auswahl eines Gewebes oder Folgeerzeugnisses tierischen Ursprungs). Besteht die Möglichkeit, dass sich das Restrisiko oder seine Annehmbarkeit verändert hat, so sind die Auswirkungen auf bestehende Risikokontrollmaßnahmen neu zu bewerten und zu begründen. Die Ergebnisse dieser Bewertung sind zu dokumentieren.

2.
BEWERTUNG VON MEDIZINPRODUKTEN DER KLASSE III DURCH BENANNTE STELLEN

Für Produkte, die gemäß Regel 17(4) des Anhangs IX der Richtlinie 93/42/EG der Klasse III zugeordnet sind, müssen die Hersteller den in Artikel 4 dieser Richtlinie genannten Stellen alle sachdienlichen Informationen vorlegen, damit diese eine Bewertung der aktuellen Strategie der Risikoanalyse und des Risikomanagements vornehmen können. Neue Informationen zum TSE-Risiko, die der Hersteller zusammenträgt und die für seine Produkte von Bedeutung sind, sind der benannten Stelle zur Kenntnisnahme vorzulegen. Zum Zwecke einer Zusatzgenehmigung vor der Durchführung sind der benannten Stelle alle Veränderungen der Verfahren zur Auswahl, Entnahme, Behandlung und Inaktivierung/Eliminierung zu melden, die das Ergebnis des Risikomanagementdossiers des Herstellers beeinflussen könnten.

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 147 vom 31.5.2001, S. 1.

(2)

Über die Website der Europäischen Kommission unter folgender Adresse verfügbar:

http://europa.eu.int/comm/food/fs/sc/ssc/outcome_en.html.

(3)

Über die Website der Europäischen Kommission unter folgender Adresse verfügbar:

http://europa.eu.int/comm/food/fs/sc/ssc/outcome_en.html.

(4)

Alle Produkte, die unter Verwendung von abgetöteten tierischen Geweben oder Folgeerzeugnissen hergestellt wurden, es sei denn, diese Produkte sind dazu bestimmt, nur mit unversehrter Haut in Berührung zu kommen.

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