Präambel RL 2006/46/EG

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere Artikel 44 Absatz 1,

auf Vorschlag der Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1),

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Am 21. Mai 2003 nahm die Kommission einen Aktionsplan an, der Maßnahmen zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und zur Verbesserung der Corporate Governance in der Gemeinschaft ankündigt. Als eine kurzfristige Priorität für die Gemeinschaft sollte die kollektive Verantwortung von Organmitgliedern bestätigt, die Transparenz von Transaktionen mit nahe stehenden Unternehmen und Personen und außerbilanziellen Geschäften erhöht und die Offenlegung der von den Unternehmen angewandten Unternehmensführungspraktiken verbessert werden.
(2)
Nach diesem Aktionsplan sollte als Mindestanforderung vorgeschrieben werden, dass die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane gegenüber ihrer Gesellschaft für die Aufstellung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses und des Lageberichts kollektiv verantwortlich sind. Der gleiche Grundsatz sollte auch auf Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane von Unternehmen Anwendung finden, die einen konsolidierten Abschluss erstellen. Diese Organe handeln im Rahmen der ihnen durch nationales Recht übertragenen Zuständigkeiten. Den Mitgliedstaaten sollte die Möglichkeit offen gelassen werden, darüber hinauszugehen und eine unmittelbare Rechenschaftspflicht gegenüber Aktionären oder anderen Beteiligten einzuführen. Andererseits sollten die Mitgliedstaaten davon abgehalten werden, eine Regelung zu wählen, die eine auf einzelne Organmitglieder begrenzte Verantwortung vorsieht. Jedoch sollten Gerichte oder andere Vollzugsbehörden in den Mitgliedstaaten dadurch nicht die Möglichkeit verlieren, einzelnen Organmitgliedern Sanktionen aufzuerlegen.
(3)
Die Haftung für die Aufstellung und Veröffentlichung der Jahresabschlüsse und der konsolidierten Abschlüsse sowie der Lageberichte und der konsolidierten Lageberichte unterliegt nationalem Recht. Angemessene Haftungsregelungen, wie sie von jedem Mitgliedstaat nach seinen nationalen Gesetzen und Verordnungen festgelegt werden, sollten für die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane gelten. Den Mitgliedstaaten sollte es weiterhin freistehen, den Haftungsumfang festzulegen.
(4)
Zur Förderung glaubhafter Rechnungslegungsprozesse in der gesamten Europäischen Union sollten Mitglieder desjenigen Organs eines Unternehmens, das für die Vorbereitung der Finanzberichte eines Unternehmens verantwortlich ist, die Aufgabe haben, dafür zu sorgen, dass die finanziellen Angaben im Jahresabschluss und im Lagebericht eines Unternehmens ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Lage vermitteln.
(5)
Am 27. September 2004 nahm die Kommission eine Mitteilung über die Verhinderung und die Bekämpfung von finanziellem und unternehmerischem Fehlverhalten an, die unter anderem die politischen Initiativen der Kommission hinsichtlich interner Kontrolle in Unternehmen und Verantwortung von Organmitgliedern hervorhob.
(6)
Bislang ist in der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates(3) und in der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates(4) nur die Offenlegung von Geschäften zwischen der Gesellschaft und den mit ihr verbundenen Unternehmen vorgeschrieben. Im Interesse einer Gleichstellung der Gesellschaften, deren Wertpapiere nicht zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind, und der Gesellschaften, die ihren konsolidierten Abschluss nach internationalen Rechnungslegungsstandards aufstellen, sollte die Offenlegungspflicht erweitert werden, um auch andere Arten von nahe stehenden Unternehmen und Personen, zum Beispiel Angehörige des Managements in Schlüsselpositionen des Managements und Ehegatten von Organmitgliedern, zu erfassen, allerdings nur, wenn es sich dabei um wesentliche, zu marktunüblichen Bedingungen durchgeführte Geschäfte handelt. Die Offenlegung wesentlicher, zu marktunüblichen Bedingungen durchgeführter Geschäfte mit nahe stehenden Unternehmen und Personen kann denjenigen, die mit Jahresabschlüssen arbeiten, bei der Beurteilung der Finanzlage der Gesellschaft bzw. der gesamten Unternehmensgruppe, falls die Gesellschaft zu einer solchen gehört, von Nutzen sein. Gruppeninterne Geschäfte mit nahe stehenden Unternehmen und Personen sollten bei der Erstellung konsolidierter Abschlüsse außer Betracht bleiben.
(7)
Die Definition des Begriffs „nahe stehende Unternehmen und Personen” im Sinne der internationalen Rechnungslegungsstandards, die von der Kommission gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards(5) übernommen wurden, sollte auch auf die Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG Anwendung finden.
(8)
Außerbilanzielle Geschäfte können Unternehmen Risiken aussetzen und ihnen Vorteile bringen, die für eine Einschätzung der Finanzlage des Unternehmens und, wenn das Unternehmen zu einer Gruppe gehört, der Finanzlage der gesamten Unternehmensgruppe wesentlich sind.
(9)
Außerbilanzielle Geschäfte können alle Transaktionen oder Vereinbarungen sein, die zwischen Gesellschaften und anderen Unternehmen — auch nicht rechtsfähigen Einrichtungen — abgewickelt werden und nicht in der Bilanz enthalten sind. Solche außerbilanziellen Geschäfte können mit der Errichtung oder Nutzung von Zweckgesellschaften und mit Offshore-Geschäften verbunden sein, die unter anderem wirtschaftliche, rechtliche, steuerliche oder bilanzielle Ziele verfolgen. Zu solchen außerbilanziellen Geschäften zählen beispielsweise Risiko- und Gewinnteilungsvereinbarungen oder Verpflichtungen aus Verträgen, wie z. B. Factoring, Pensionsgeschäfte, Konsignationslagervereinbarungen, Verträge mit unbedingter Zahlungsverpflichtung ( „take or pay” -Verträge), Forderungsverbriefung über gesonderte Gesellschaften oder nicht rechtsfähige Einrichtungen, Verpfändung von Aktiva, Leasingverträge, Auslagerung von Tätigkeiten u. ä. Eine ordnungsgemäße Offenlegung der wesentlichen Risiken und Vorteile von Geschäften, die nicht in der Bilanz ausgewiesen sind, sollte im Anhang zum Jahresabschluss oder zum konsolidierten Abschluss erfolgen.
(10)
Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind und die ihren Sitz in der Gemeinschaft haben, sollten verpflichtet sein, in einem gesonderten, deutlich gekennzeichneten Abschnitt des Lageberichts eine jährliche Erklärung zur Unternehmensführung abzugeben. In dieser Erklärung sollten den Aktionären zumindest leicht zugängliche Schlüsselinformationen über die tatsächlich angewandten Unternehmensführungspraktiken, einschließlich einer Beschreibung der wichtigsten Merkmale der vorhandenen Risikomanagementsysteme und internen Kontrollverfahren in Bezug auf den Rechnungslegungsprozess gegeben werden. Aus der Erklärung zur Unternehmensführung sollte hervorgehen, ob die Gesellschaft neben den Unternehmensführungsvorschriften des nationalen Rechts weitere derartige Vorschriften anwendet, unabhängig davon, ob diese Vorschriften in einem für die Gesellschaft unmittelbar geltenden Unternehmensführungskodex enthalten sind oder Teil eines Kodex sind, den die Gesellschaft anwendet. Darüber hinaus kann eine Gesellschaft gegebenenfalls auch eine Analyse ökologischer und sozialer Aspekte vorlegen, sofern diese notwendig sind, um ihre Entwicklung, Leistung und Lage zu beurteilen. Gesellschaften, die einen konsolidierten Lagebericht erstellen, brauchen keine gesonderte Erklärung zur Unternehmensführung vorzulegen. Es sollten jedoch Erläuterungen zum Risikomanagement- und zum internen Kontrollsystem der Gruppe gegeben werden.
(11)
Die im Rahmen der vorliegenden Richtlinie erlassenen Maßnahmen sollten nicht zwangsläufig auf Gesellschaften oder Unternehmen der gleichen Art Anwendung finden. Die Mitgliedstaaten sollten das Recht haben, kleine Gesellschaften im Sinne des Artikels 11 der Richtlinie 78/660/EWG von den Anforderungen der vorliegenden Richtlinie in Bezug auf nahe stehende Unternehmen und Personen und außerbilanzielle Geschäfte zu befreien. Gesellschaften, die in ihren Abschlüssen bereits Geschäfte mit nahe stehenden Unternehmen und Personen gemäß den in der Europäischen Union übernommenen internationalen Rechnungslegungsstandards offen legen, sollten nicht verpflichtet sein, weitere Angaben gemäß der vorliegenden Richtlinie vorzulegen, da durch die Anwendung der internationalen Rechnungslegungsstandards bereits ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der betreffenden Gesellschaft entsteht. Die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie in Bezug auf die Erklärung zur Unternehmensführung sollten für alle Gesellschaften, einschließlich Banken, Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen, gelten, die andere Wertpapiere als an einem geregelten Markt zugelassene Aktien ausgegeben haben, soweit sie nicht von den Mitgliedstaaten befreit sind. Die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie über die Pflichten und die Haftung von Organmitgliedern sowie über Sanktionen sollten auf alle Gesellschaften, für die die Richtlinien 78/660/EWG, 86/635/EWG(6) und 91/674/EWG(7) des Rates gelten, sowie auf alle Gesellschaften, die einen konsolidierten Abschluss gemäß der Richtlinie 83/349/EWG erstellen, Anwendung finden.
(12)
Nach der Richtlinie 78/660/EWG müssen derzeit alle fünf Jahre unter anderem die Obergrenzen für Bilanzsummen und Nettoumsatzerlöse überprüft werden, die die Mitgliedstaaten bei der Entscheidung heranziehen können, welche Unternehmen von bestimmten Offenlegungsanforderungen befreit werden können. Zusätzlich zu diesen Fünfjahresprüfungen kann eine zusätzliche einmalige Anhebung dieser Schwellenwerte für Bilanzsummen und Nettoumsatzerlöse ebenfalls zweckmäßig sein. Es gibt keine Pflicht der Mitgliedstaaten, diese angehobenen Schwellenwerte anzuwenden.
(13)
Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Erleichterung grenzüberschreitender Investitionen und die Verbesserung der unionsweiten Vergleichbarkeit und des öffentlichen Vertrauens in Abschlüsse und Lageberichte durch größere und kohärentere spezifische Offenlegungen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher aufgrund des Umfangs und der Wirkungen dieser Richtlinie besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
(14)
Diese Richtlinie wahrt die vor allem mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundrechte und Grundsätze.
(15)
Gemäß Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung” (8) werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen.
(16)
Die Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/EWG sollten daher entsprechend geändert werden —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. C 294 vom 25.11.2005, S. 4.

(2)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2005 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 22. Mai 2006.

(3)

ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 157 vom 9.6.2006, S. 87).

(4)

ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/43/EG.

(5)

ABl. L 243 vom 11.9.2002, S. 1.

(6)

ABl. L 372 vom 31.12.1986, S. 1. Zuletzt geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 178 vom 17.7.2003, S. 16).

(7)

ABl. L 374 vom 31.12.1991, S. 7. Geändert durch die Richtlinie 2003/51/EG.

(8)

ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1.

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