Artikel 56 RL 2009/81/EG

Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Maßnahmen für die in Artikel 55 genannten Nachprüfungsverfahren folgende Befugnisse umfassen:

a)
so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern — dazu gehören Maßnahmen, um das Vergabeverfahren oder die Durchführung jeder Entscheidung der Auftraggeber auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen —, und die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorzunehmen oder zu veranlassen, oder
b)
so schnell wie möglich, möglichst im Wege der einstweiligen Verfügung und erforderlichenfalls im Rahmen eines endgültigen Verfahrens in der Sache, andere als die unter Buchstabe a genannten Maßnahmen zu erlassen, um den festgestellten Rechtsverstoß zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern; insbesondere eine Aufforderung zur Zahlung eines bestimmten Betrags zu erlassen, falls der Verstoß nicht beseitigt oder verhindert wurde.

In beiden genannten Fällen schließen die vorgesehenen Befugnisse auch die Befugnis ein, denjenigen, die durch den Rechtsverstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuzuerkennen.

(2) Die in Absatz 1 und in den Artikeln 60 und 61 genannten Befugnisse können getrennt mehreren Stellen übertragen werden, die für das Nachprüfungsverfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten zuständig sind.

(3) Wird eine von dem Auftraggeber unabhängige Stelle in erster Instanz mit der Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung befasst, so sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass der Auftraggeber den Vertragsschluss nicht vornehmen kann, bevor die Nachprüfungsstelle eine Entscheidung über einen Antrag auf vorläufige Maßnahmen oder eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat. Diese Aussetzung endet frühestens mit Ablauf der Stillhaltefrist nach Artikel 57 Absatz 2 und Artikel 60 Absätze 4 und 5.

(4) Außer in den Fällen nach Absatz 3 dieses Artikels und Artikel 55 Absatz 6 haben die Nachprüfungsverfahren als solche nicht notwendigerweise einen automatischen Suspensiveffekt auf die betreffenden Vergabeverfahren.

(5) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Nachprüfungsstelle die voraussehbaren Folgen der vorläufigen Maßnahmen im Hinblick auf alle möglicherweise geschädigten Interessen sowie das Interesse der Allgemeinheit, insbesondere Verteidigungs- und/oder Sicherheitsinteressen, berücksichtigen kann und dass sie beschließen kann, diese Maßnahmen nicht zu ergreifen, wenn deren nachteilige Folgen die damit verbundenen Vorteile überwiegen könnten.

Die Ablehnung der vorläufigen Maßnahmen beeinträchtigt nicht die sonstigen Rechte des Antragstellers.

(6) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass bei Schadensersatzansprüchen, die auf die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung gestützt werden, diese zunächst von einer mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle aufgehoben worden sein muss.

(7) Außer in den in den Artikeln 60 bis 62 genannten Fällen richten sich die Wirkungen der Ausübung der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Befugnisse auf den nach der Zuschlagserteilung geschlossenen Vertrag nach dem einzelstaatlichen Recht.

Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadensersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss in Übereinstimmung mit Artikel 55 Absatz 6, Absatz 3 des vorliegenden Artikels oder den Artikeln 57 bis 62 die Befugnisse der Nachprüfungsstelle darauf beschränkt werden, einer durch einen Verstoß geschädigten Person Schadensersatz zuzuerkennen.

(8) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Entscheidungen der Nachprüfungsstellen wirksam durchgesetzt werden können.

(9) Eine Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist, muss ihre Entscheidung stets schriftlich begründen. Ferner ist in diesem Falle sicherzustellen, dass eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der Nachprüfungsstelle oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung oder einer Nachprüfung bei einer anderen gegenüber dem Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle unabhängigen Stelle, die ein Gericht im Sinne des Artikels 234 des Vertrags ist, gemacht werden können.

Für die Ernennung und das Ende der Amtszeit der Mitglieder dieser unabhängigen Stelle gelten bezüglich der für ihre Ernennung zuständigen Behörde, der Dauer ihrer Amtszeit und ihrer Absetzbarkeit die gleichen Bedingungen wie für Richter. Zumindest der Vorsitzende der unabhängigen Stelle muss die juristischen und beruflichen Qualifikationen eines Richters besitzen. Die Entscheidungen der unabhängigen Stelle sind in der von den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils zu bestimmenden Weise rechtsverbindlich.

(10) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die für die Nachprüfungsverfahren zuständigen Stellen ein angemessenes Maß an Vertraulichkeit von Verschlusssachen oder anderer Informationen, die in den von den Parteien übermittelten Unterlagen enthalten sind, garantieren und während des gesamten Verfahrens im Einklang mit den Verteidigungs- und/oder Sicherheitsinteressen handeln.

Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten entscheiden, dass eine spezielle Stelle die ausschließliche Zuständigkeit für die Nachprüfung von Aufträgen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit hat.

In jedem Fall können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass nur Mitglieder der Nachprüfungsstellen, die persönlich für den Umgang mit Verschlusssachen ermächtigt sind, Anträge auf Nachprüfung bearbeiten, die solche Informationen umfassen. Sie können ferner besondere Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, die die Erfassung von Anträgen auf Nachprüfung, den Eingang von Unterlagen und die Speicherung von Dateien betreffen.

Die Mitgliedstaaten legen fest, wie die Nachprüfungsstellen die Vertraulichkeit von Verschlusssachen mit der Einhaltung der Verteidigungsrechte in Einklang bringen, und gewährleisten dabei im Fall einer gerichtlichen Nachprüfung oder einer Nachprüfung durch eine Stelle, die ein Gericht im Sinne von Artikel 234 des Vertrags ist, dass das Verfahren insgesamt dem Recht auf ein faires Verfahren entspricht.

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