Präambel RL 2010/41/EU

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 157 Absatz 3,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1),

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren(2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Mit der Richtlinie 86/613/EWG des Rates vom 11. Dezember 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit — auch in der Landwirtschaft — ausüben, sowie über den Mutterschutz(3) wird der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben oder zur Ausübung einer solchen beitragen, in den Mitgliedstaaten verwirklicht. In Bezug auf selbständige Erwerbstätige und Ehepartner von selbständigen Erwerbstätigen war die Richtlinie 86/613/EWG nicht sehr wirksam, und ihr Geltungsbereich sollte neu definiert werden, da Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und Belästigungen auch in Bereichen außerhalb der abhängigen Beschäftigung auftreten. Aus Gründen der Klarheit sollte die Richtlinie 86/613/EWG durch die vorliegende Richtlinie ersetzt werden.
(2)
In ihrer Mitteilung vom 1. März 2006 mit dem Titel „Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern” hat die Kommission angekündigt, die bestehenden, 2005 nicht überarbeiteten Rechtsvorschriften der Union zur Gleichstellung der Geschlechter zu überprüfen, um sie — falls nötig — zu aktualisieren, zu modernisieren und zu überarbeiten und so die Entscheidungsstrukturen im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter zu verbessern. Die Richtlinie 86/613/EWG gehört nicht zu den überarbeiteten Texten.
(3)
Der Rat hat die Kommission in seinen Schlussfolgerungen vom 5. und 6. Dezember 2007 zum Thema „Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern bei Arbeitsplätzen, Wachstum und sozialem Zusammenhalt” aufgefordert zu prüfen, ob die Richtlinie 86/613/EWG gegebenenfalls überarbeitet werden sollte, um die mit Mutterschaft und Vaterschaft verbundenen Rechte von selbständigen Erwerbstätigen und mitarbeitenden Ehepartnern zu gewährleisten.
(4)
Das Europäische Parlament hat die Kommission beständig dazu aufgerufen, die Richtlinie 86/613/EWG zu überarbeiten, um insbesondere den Mutterschutz von selbständig erwerbstätigen Frauen zu verstärken und die Situation von Ehepartnern von selbständigen Erwerbstätigen zu verbessern.
(5)
Das Europäische Parlament hat seinen Standpunkt in diesem Bereich bereits in seiner Entschließung vom 21. Februar 1997 zur Situation der mitarbeitenden Ehepartner von selbständigen Erwerbstätigen(4) deutlich gemacht.
(6)
In ihrer Mitteilung vom 2. Juli 2008 mit dem Titel „Eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts” hat die Kommission die Notwendigkeit unterstrichen, Maßnahmen zur Beseitigung des Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern im Unternehmertum zu ergreifen und die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf zu verbessern.
(7)
Es bestehen bereits einige Rechtsinstrumente zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, die auch selbständige Tätigkeiten abdecken, insbesondere die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit(5) und die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen(6). Daher sollte die vorliegende Richtlinie nicht für die Bereiche gelten, die bereits von den anderen Richtlinien erfasst werden.
(8)
Diese Richtlinie berührt nicht die Befugnisse der Mitgliedstaaten zur Gestaltung ihrer Sozialschutzsysteme. Die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Gestaltung ihrer Sozialschutzsysteme umfasst unter anderem Entscheidungen über die Errichtung, Finanzierung und Verwaltung dieser Systeme und der damit verbundenen Einrichtungen sowie über den Inhalt und die Bereitstellung von Leistungen, die Höhe der Beiträge und die Zugangsbedingungen.
(9)
Diese Richtlinie sollte für selbständige Erwerbstätige und deren Ehepartner oder — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — Lebenspartner gelten, wenn diese nach den Bedingungen des innerstaatlichen Rechts für gewöhnlich an der Unternehmenstätigkeit mitwirken. Die Arbeit dieser Ehepartner und — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — Lebenspartner von selbständigen Erwerbstätigen sollte im Hinblick auf eine Verbesserung ihrer Situation anerkannt werden.
(10)
Diese Richtlinie sollte nicht für Sachverhalte gelten, die bereits durch andere Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, vor allem durch die Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen(7), geregelt werden. Unter anderem behält Artikel 5 der Richtlinie 2004/113/EG in Bezug auf Versicherungsverträge und verwandte Finanzdienstleistungen weiter Gültigkeit.
(11)
Um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts zu verhindern, sollte diese Richtlinie sowohl für unmittelbare als auch für mittelbare Diskriminierungen gelten. Belästigung und sexuelle Belästigung sollten als Diskriminierung angesehen und somit verboten werden.
(12)
Diese Richtlinie sollte die Rechte und Pflichten, die aus dem Ehe- oder Familienstand nach innerstaatlichem Recht hervorgehen, nicht berühren.
(13)
Der Grundsatz der Gleichbehandlung sollte die Beziehungen zwischen selbständigen Erwerbstätigen und Dritten innerhalb des Geltungsbereichs dieser Richtlinie umfassen, jedoch nicht die Beziehungen zwischen selbständigen Erwerbstätigen und ihren Ehepartnern oder Lebenspartnern.
(14)
Im Bereich der selbständigen Erwerbstätigkeit bedeutet die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, dass es etwa in Bezug auf die Gründung, Einrichtung oder Erweiterung eines Unternehmens bzw. die Aufnahme oder Ausweitung irgendeiner anderen Form der selbständigen Tätigkeit zu keinerlei Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts kommen darf.
(15)
Die Mitgliedstaaten können gemäß Artikel 157 Absatz 4 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Erleichterung der selbständigen Tätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn Maßnahmen für spezifische Vergünstigungen beibehalten oder beschließen. Grundsätzlich sollten Maßnahmen zur Gewährleistung der Gleichstellung der Geschlechter in der Praxis, wie z.B. positive Maßnahmen, nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen angesehen werden.
(16)
Es muss sichergestellt werden, dass die Bedingungen für die gemeinsame Gründung eines Unternehmens durch Ehepartner oder — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — Lebenspartner nicht restriktiver sind als die Bedingungen für die gemeinsame Gründung eines Unternehmens durch andere Personen.
(17)
In Anbetracht ihrer Beteiligung an der Tätigkeit des Familienunternehmens sollten Ehepartner oder — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — Lebenspartner von selbständigen Erwerbstätigen, die Zugang zu einem Sozialschutzsystem haben, auch sozialen Schutz in Anspruch nehmen können. Die Mitgliedstaaten sollten verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Sozialschutz im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht zu organisieren. Insbesondere ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, darüber zu entscheiden, ob die Verwirklichung dieses Sozialschutzes auf obligatorischer oder freiwilliger Basis erfolgen sollte. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass dieser Sozialschutz im Verhältnis zur Beteiligung an der Tätigkeit des selbständigen Erwerbstätigen und/oder zur Höhe des Beitrags stehen kann.
(18)
Schwangere selbständige Erwerbstätige und schwangere Ehepartnerinnen und — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — schwangere Lebenspartnerinnen von selbständigen Erwerbstätigen sind in wirtschaftlicher und körperlicher Hinsicht verletzlich; deshalb ist es notwendig, ihnen ein Recht auf Mutterschaftsleistungen zu gewähren. Die Mitgliedstaaten sind — vorbehaltlich der Einhaltung der in dieser Richtlinie festgelegten Mindestanforderungen — weiterhin dafür zuständig, diese Leistungen zu organisieren, wozu auch die Festlegung der Beitragshöhe sowie sämtlicher Modalitäten im Zusammenhang mit Leistungen und Zahlungen gehört. Insbesondere können sie festlegen, in welchem Zeitraum vor und/oder nach der Entbindung das Recht auf Mutterschaftsleistungen besteht.
(19)
Der Zeitraum, in dem selbständig erwerbstätigen Frauen sowie Ehepartnerinnen oder — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — Lebenspartnerinnen von selbständigen Erwerbstätigen Mutterschaftsleistungen gewährt werden, ähnelt der Dauer des Mutterschaftsurlaubs für Arbeitnehmerinnen, wie er derzeit auf Unionsebene gilt. Falls die Dauer des Mutterschaftsurlaubs für Arbeitnehmerinnen auf Unionsebene geändert wird, sollte die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat Bericht erstatten und prüfen, ob die Dauer der Mutterschaftsleistungen für selbständig erwerbstätige Frauen sowie Ehepartnerinnen und Lebenspartnerinnen gemäß Artikel 2 ebenfalls geändert werden sollte.
(20)
Um den Besonderheiten der selbständigen Tätigkeit Rechnung zu tragen, sollten selbständig erwerbstätige Frauen und Ehepartnerinnen oder — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — Lebenspartnerinnen von selbständigen Erwerbstätigen Zugang erhalten zu jeglichen bestehenden Diensten zur Bereitstellung einer zeitlich befristeten Vertretung, die eine Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft ermöglichen, oder zu bestehenden sozialen Diensten auf nationaler Ebene. Der Zugang zu diesen Diensten kann als Alternative zu den Mutterschaftsleistungen oder als Teil davon gelten.
(21)
Opfer von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts sollten über einen geeigneten Rechtsschutz verfügen. Um einen effektiveren Schutz zu gewährleisten, sollten Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen — wenn die Mitgliedstaaten dies beschließen — die Befugnis erhalten, sich unbeschadet der nationalen Verfahrensregeln bezüglich der Vertretung und Verteidigung vor Gericht im Namen eines Opfers oder zu seiner Unterstützung an Verfahren zu beteiligen.
(22)
Der Schutz von selbständigen Erwerbstätigen und deren Ehepartnern und — wenn und soweit sie nach innerstaatlichem Recht anerkannt sind — Lebenspartnern von selbständig Erwerbstätigen vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sollte verstärkt werden, indem in jedem Mitgliedstaat eine oder mehrere Stellen vorgesehen werden, die für die Analyse der mit Diskriminierungen verbundenen Probleme, die Prüfung möglicher Lösungen und die Bereitstellung konkreter Hilfsangebote für die Opfer zuständig sind. Bei dieser Stelle oder bei diesen Stellen kann es sich um dieselbe oder dieselben Stellen handeln, die auf nationaler Ebene die Aufgabe haben, für die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung einzutreten.
(23)
In dieser Richtlinie werden Mindestanforderungen festgelegt, weshalb es den Mitgliedstaaten freisteht, günstigere Vorschriften einzuführen oder beizubehalten.
(24)
Da das Ziel der zu ergreifenden Maßnahmen, nämlich die Gewährleistung eines einheitlichen, hohen Niveaus des Schutzes vor Diskriminierung in allen Mitgliedstaaten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 107.

(2)

Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 6. Mai 2009 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht), Standpunkt des Rates in erster Lesung vom 8. März 2010 (ABl. C 123 E vom 12.5.2010, S. 5), Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 18. Mai 2010.

(3)

ABl. L 359 vom 19.12.1986, S. 56.

(4)

ABl. C 85 vom 17.3.1997, S. 186.

(5)

ABl. L 6 vom 10.1.1979, S. 24.

(6)

ABl. L 204 vom 26.7.2006, S. 23.

(7)

ABl. L 373 vom 21.12.2004, S. 37.

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