Präambel RL 2011/7/EU

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1),

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren(2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Die Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr(3) muss in wesentlichen Punkten geändert werden. Aus Gründen der Klarheit und der Vereinfachung sollten die entsprechenden Bestimmungen neu gefasst werden.
(2)
Für die meisten Waren und Dienstleistungen erfolgen die Zahlungen im Binnenmarkt zwischen Wirtschaftsteilnehmern einerseits und zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen andererseits im Wege des Zahlungsaufschubs, wobei gemäß den Vereinbarungen der Vertragsparteien, der Lieferantenrechnung oder den gesetzlichen Bestimmungen der Leistungserbringer seinem Kunden einen gewissen Zeitraum zur Begleichung der Rechnung einräumt.
(3)
Viele Zahlungen im Geschäftsverkehr zwischen Wirtschaftsteilnehmern einerseits und zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen andererseits werden später als zum vertraglich vereinbarten oder in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegten Zeitpunkt getätigt. Trotz Lieferung der Waren oder Erbringung der Leistungen werden viele Rechnungen erst lange nach Ablauf der Zahlungsfrist beglichen. Ein derartiger Zahlungsverzug wirkt sich negativ auf die Liquidität aus und erschwert die Finanzbuchhaltung von Unternehmen. Es beeinträchtigt außerdem die Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Unternehmen, wenn der Gläubiger aufgrund eines Zahlungsverzugs Fremdfinanzierung in Anspruch nehmen muss. Das Risiko solcher Beeinträchtigungen nimmt in Zeiten eines Wirtschaftsabschwungs, wenn der Zugang zu Finanzmitteln besonders schwierig ist, erheblich zu.
(4)
Die juristische Durchsetzung von Forderungen bei Zahlungsverzug wurde bereits erleichtert durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(4), die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen(5), die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens(6) und die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen(7). Gleichwohl ist es erforderlich, ergänzende Bestimmungen festzulegen, um von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr abzuschrecken.
(5)
Die Unternehmen sollten in der Lage sein, im gesamten Binnenmarkt unter Bedingungen Handel zu treiben, die gewährleisten, dass grenzüberschreitende Geschäfte nicht größere Risiken mit sich bringen als Inlandsverkäufe. Es käme zu Wettbewerbsverzerrungen, wenn es für den Binnen- und den grenzüberschreitenden Handel Regeln gäbe, die sich wesentlich voneinander unterscheiden.
(6)
In ihrer Mitteilung vom 25. Juni 2008 mit dem Titel Vorfahrt für KMU in Europa — Der „Small Business Act” für Europa betonte die Kommission, dass für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Zugang zu Finanzierungen erleichtert und ein rechtliches und wirtschaftliches Umfeld für mehr Zahlungsdisziplin im Geschäftsleben geschaffen werden sollte. Es ist zu beachten, dass öffentlichen Stellen diesbezüglich eine besondere Verantwortung zufällt. Die Kriterien für die Definition von KMU sind in der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen(8) festgelegt.
(7)
Eine der Schwerpunktmaßnahmen in der Mitteilung der Kommission vom 26. November 2008 mit dem Titel „Europäisches Konjunkturprogramm” besteht darin, die Verwaltungslast für Unternehmen zu verringern und die unternehmerische Initiative zu fördern, indem unter anderem sichergestellt wird, dass Rechnungen — auch von KMU — über Lieferungen und Dienstleistungen grundsätzlich innerhalb eines Monats bezahlt werden, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden.
(8)
Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie sollte auf die als Entgelt für Handelsgeschäfte geleisteten Zahlungen beschränkt sein. Diese Richtlinie sollte weder Geschäfte mit Verbrauchern noch die Zahlung von Zinsen im Zusammenhang mit anderen Zahlungen, z. B. unter das Scheck- und Wechselrecht fallende Zahlungen oder Schadensersatzzahlungen einschließlich Zahlungen von Versicherungsgesellschaften, umfassen. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten befugt sein, Schulden auszuschließen, die Gegenstand eines Insolvenzverfahrens, einschließlich eines Verfahrens zur Umschuldung, sind.
(9)
Diese Richtlinie sollte den gesamten Geschäftsverkehr unabhängig davon regeln, ob er zwischen privaten oder öffentlichen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen erfolgt, da öffentliche Stellen in großem Umfang Zahlungen an Unternehmen leisten. Sie sollte deshalb auch den gesamten Geschäftsverkehr zwischen Generalunternehmern und ihren Lieferanten und Subunternehmern regeln.
(10)
Die Tatsache, dass diese Richtlinie die freien Berufe einbezieht, sollte die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichten, diese für nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Zwecke als Unternehmen oder Kaufleute zu behandeln.
(11)
Die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt, auf die diese Richtlinie Anwendung findet, sollte auch die Planung und Ausführung öffentlicher Bauarbeiten sowie Hoch- und Tiefbauarbeiten einschließen.
(12)
Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen und/oder langsame Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung, in der auch der Ausschluss des Rechts zur Verzinsung von verspäteten Zahlungen immer als grob nachteilige Vertragsklausel oder Praxis betrachtet wird, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. Dieser Wandel sollte auch die Einführung besonderer Bestimmungen zu Zahlungsfristen und zur Entschädigung der Gläubiger für die ihnen entstandenen Kosten einschließen, sowie auch Bestimmungen, wonach vermutet wird, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist.
(13)
Daher sollte festgelegt werden, dass die vertraglich vereinbarten Zahlungsfristen zwischen Unternehmen grundsätzlich auf 60 Kalendertage beschränkt sind. Jedoch können Unternehmen unter Umständen längere Zahlungsfristen benötigen, beispielsweise wenn sie ihren Kunden Handelskredite gewähren möchten. Die Vertragsparteien sollten daher weiterhin Zahlungsfristen von mehr als 60 Kalendertagen ausdrücklich vereinbaren können, wenn dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig ist.
(14)
Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsvorschriften der Union sollte für die Zwecke dieser Richtlinie die in der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste(9) und die in der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge(10) enthaltene Definition des Begriffs „öffentlicher Auftraggeber” gelten.
(15)
Der gesetzliche Zins für Zahlungsverzug sollte gemäß der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine(11) in Form eines einfachen Zinses auf Tagesbasis berechnet werden.
(16)
Durch diese Richtlinie sollte kein Gläubiger verpflichtet werden, Verzugszinsen zu fordern. Diese Richtlinie sollte es einem Gläubiger ermöglichen, bei Zahlungsverzug ohne eine vorherige Mahnung oder eine andere vergleichbare Mitteilung, die den Schuldner an seine Zahlungsverpflichtung erinnert, Verzugszinsen zu verlangen.
(17)
Die Zahlung eines Schuldners sollte als verspätet in dem Sinne betrachtet werden, dass ein Anspruch auf Verzugszinsen entsteht, wenn der Gläubiger zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht über den geschuldeten Betrag verfügt, vorausgesetzt, er hat seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.
(18)
Rechnungen erzeugen Zahlungsaufforderungen und sind wichtige Dokumente in der Kette der Geschäftsvorgänge für die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen, unter anderem zur Festlegung der Zahlungsfrist. Für die Zwecke dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten Systeme fördern, die Rechtssicherheit hinsichtlich des genauen Datums des Eingangs von Rechnungen bei den Schuldnern schaffen, einschließlich im Bereich der elektronischen Rechnungsstellung, in dem der Eingang von Rechnungen elektronisch nachgewiesen werden könnte und der teilweise durch die Bestimmungen über die Rechnungsstellung, die in der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(12) enthalten sind, geregelt wird.
(19)
Eine gerechte Entschädigung der Gläubiger für die aufgrund eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten ist erforderlich, um von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. In den Beitreibungskosten sollten zudem die aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Verwaltungskosten und die internen Kosten enthalten sein; für diese Kosten sollte durch diese Richtlinie ein pauschaler Mindestbetrag vorgesehen werden, der mit Verzugszinsen kumuliert werden kann. Die Entschädigung in Form eines Pauschalbetrags sollte dazu dienen, die mit der Beitreibung verbundenen Verwaltungskosten und internen Kosten zu beschränken. Eine Entschädigung für die Beitreibungskosten sollte unbeschadet nationaler Bestimmungen, nach denen ein nationales Gericht dem Gläubiger eine Entschädigung für einen durch den Zahlungsverzug eines Schuldners entstandenen zusätzlichen Schaden zusprechen kann, festgelegt werden.
(20)
Neben einem Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrages für interne Beitreibungskosten sollte der Gläubiger auch Anspruch auf Ersatz der übrigen, durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten haben. Zu diesen Kosten sollten insbesondere Kosten zählen, die dem Gläubiger durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.
(21)
Diese Richtlinie sollte das Recht der Mitgliedstaaten, höhere und daher für den Gläubiger günstigere Pauschalbeträge als Entschädigung für Beitreibungskosten festzulegen oder diese Beträge zu erhöhen — unter anderem um mit der Inflation Schritt zu halten — nicht berühren.
(22)
Diese Richtlinie sollte Raten- oder Abschlagszahlungen nicht ausschließen. Jedoch sollten sämtliche Raten oder Zahlungen nach den vereinbarten Bedingungen gezahlt werden und den in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen für Zahlungsverzug unterliegen.
(23)
Im Allgemeinen können öffentliche Stellen mit sichereren, berechenbareren und beständigeren Einkünften als Unternehmen rechnen. Ferner werden vielen öffentlichen Stellen Finanzmittel zu günstigeren Bedingungen angeboten als Unternehmen. Zugleich sind öffentliche Stellen in Bezug auf die Verwirklichung ihrer Ziele auch weniger von der Herstellung stabiler Geschäftsbeziehungen abhängig, als dies bei Unternehmen der Fall ist. Lange Zahlungsfristen und Zahlungsverzug öffentlicher Stellen für Waren und Dienstleistungen verursachen ungerechtfertigte Kosten für Unternehmen. Es ist daher angebracht, spezielle Vorschriften für Geschäftsvorgänge einzuführen, bei denen Unternehmen öffentlichen Stellen Waren liefern und Dienstleistungen für sie erbringen, die insbesondere Zahlungsfristen vorsehen sollten, die grundsätzlich 30 Kalendertage nicht überschreiten, es sei denn, im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart, und vorausgesetzt, dies ist aufgrund der besonderen Natur oder der besonderen Merkmale des Vertrags objektiv begründet, und die in keinem Fall 60 Kalendertage überschreiten.
(24)
Es sollte jedoch die besondere Situation öffentlicher Stellen berücksichtigt werden, die wirtschaftliche Tätigkeiten industrieller oder kommerzieller Natur ausüben, indem sie als öffentliches Unternehmen Waren und Dienstleistungen auf dem Markt anbieten. Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen die gesetzlich vorgesehene Zahlungsfrist auf bis zu 60 Kalendertage ausdehnen können.
(25)
Besonders problematisch im Hinblick auf den Zahlungsverzug ist in einem Großteil der Mitgliedstaaten die Situation im Gesundheitswesen. Die Gesundheitssysteme als grundlegender Bestandteil der sozialen Infrastruktur Europas müssen oft individuelle Bedürfnisse mit den verfügbaren Finanzen in Einklang bringen, da die Bevölkerung Europas altert, die Lebenserwartung steigt und die Medizin Fortschritte macht. Alle Systeme müssen die Herausforderung annehmen, bei der Gesundheitsversorgung in einer Weise Prioritäten zu setzen, dass ein Ausgleich zwischen den Bedürfnissen des einzelnen Patienten und den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen geschaffen wird. Die Mitgliedstaaten sollten daher öffentlichen Einrichtungen, die Gesundheitsdienste anbieten, bei der Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen ein gewisses Maß an Flexibilität einräumen können. Hierzu sollten die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen die gesetzlich vorgesehene Zahlungsfrist auf bis zu 60 Kalendertage ausdehnen können. Die Mitgliedstaaten sollten dennoch alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, damit der Gesundheitssektor seinen Zahlungsverpflichtungen innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfristen nachkommt.
(26)
Damit die Erfüllung der Ziele dieser Richtlinie nicht gefährdet wird, sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Höchstdauer eines Abnahme- oder Überprüfungsverfahrens im Geschäftsverkehr grundsätzlich nicht mehr als 30 Kalendertage beträgt. Dennoch sollte ein Überprüfungsverfahren 30 Kalendertage überschreiten können, beispielsweise bei besonders komplexen Verträgen, wenn dies ausdrücklich im Vertrag und in den Vergabeunterlagen vereinbart ist und sofern dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig ist.
(27)
Was ihre Finanzierung und geschäftlichen Beziehungen betrifft, befinden sich die Organe der Europäischen Union und die öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten in einer vergleichbaren Situation. Nach der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften(13) muss die Bestätigung, Genehmigung und Zahlung von Ausgaben durch die Organe der Union innerhalb der in den Durchführungsbestimmungen festgelegten Fristen erfolgen. Diese Durchführungsbestimmungen sind gegenwärtig in der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften(14) niedergelegt und bestimmen im Einzelnen die Umstände, unter denen Gläubiger, die Zahlungen zu spät erhalten, Anspruch auf Verzugszinsen haben. Im Rahmen der laufenden Überprüfung der genannten Verordnungen sollte sichergestellt werden, dass die Höchstfristen für Zahlungen der Organe der Union an die gesetzlich vorgesehenen Fristen für öffentliche Stellen gemäß dieser Richtlinie angepasst werden.
(28)
Der Missbrauch der Vertragsfreiheit zum Nachteil des Gläubigers sollte nach dieser Richtlinie verboten sein. Wenn sich demzufolge eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Hinblick auf den Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist, auf den für Verzugszinsen geltenden Zinssatz oder auf die Entschädigung für Beitreibungskosten nicht auf der Grundlage der dem Schuldner gewährten Bedingungen rechtfertigen lässt oder in erster Linie dem Zweck dient, dem Schuldner zusätzliche Liquidität auf Kosten des Gläubigers zu verschaffen, kann dies als ein Faktor gelten, der einen solchen Missbrauch darstellt. In diesem Sinne und entsprechend dem akademischen „Entwurf eines Gemeinsamen Referenzrahmens” sollte eine Vertragsklausel oder Praxis, die eine grobe Abweichung von der guten Handelspraxis darstellt und gegen den Grundsatz des guten Glaubens und der Redlichkeit verstößt, als nachteilig für den Gläubiger angesehen werden. Insbesondere sollte der vollständige Ausschluss des Anspruchs auf Zinsen immer als grob nachteilig angesehen werden, während vermutet werden sollte, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist. Nationale Vorschriften über den Vertragsabschluss oder die Gültigkeit von Vertragsbestimmungen, die für den Schuldner unbillig sind, sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben.
(29)
Im Rahmen der verstärkten Anstrengungen zur Vermeidung des Missbrauchs der Vertragsfreiheit zum Nachteil der Gläubiger sollten die Organisationen, die offiziell als Vertreter von Unternehmen anerkannt sind, und Organisationen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, Unternehmen zu vertreten, die nationalen Gerichte oder die Verwaltungsbehörden anrufen können, um die Verwendung von Vertragsklauseln oder Praktiken, die dem Gläubiger gegenüber als grob nachteilig zu betrachten sind, zu beenden.
(30)
Um zur Erreichung des Ziels dieser Richtlinie beizutragen, sollten die Mitgliedstaaten die Verbreitung bewährter Praktiken, auch durch die Förderung der Veröffentlichung einer Liste derjenigen, die unverzüglich zahlen, unterstützen.
(31)
Es ist wünschenswert, dass sichergestellt ist, dass Gläubiger eine Bestimmung zum Eigentumsvorbehalt auf nichtdiskriminierender Grundlage in der Union insgesamt geltend machen können, falls der Eigentumsvorbehalt gemäß den anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, rechtswirksam ist.
(32)
Diese Richtlinie definiert den Begriff „vollstreckbarer Titel” , sie sollte jedoch weder die verschiedenen Verfahren der Zwangsvollstreckung eines solchen Titels regeln, noch die Bedingungen, unter denen die Zwangsvollstreckung eines solchen Titels eingestellt oder ausgesetzt werden kann.
(33)
Die Folgen des Zahlungsverzugs können jedoch nur abschreckend wirken, wenn sie mit Beitreibungsverfahren gekoppelt sind, die für den Gläubiger schnell und wirksam sind. Nach dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung in Artikel 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sollten diese Verfahren allen in der Union niedergelassenen Gläubigern zur Verfügung stehen.
(34)
Um die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten Anreize zur Inanspruchnahme der Mediation und anderer Formen alternativer Streitbeilegung setzen. Die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen(15) schafft bereits einen Rahmen für Mediationssysteme auf Unionsebene, insbesondere für grenzüberschreitende Streitfälle, ohne dass dessen Anwendung auf interne Mediationssysteme ausgeschlossen wird. Die Mitgliedstaaten sollten überdies die beteiligten Parteien ermutigen, freiwillige Verhaltenskodizes zu erstellen, die insbesondere darauf abzielen, zur Umsetzung dieser Richtlinie beizutragen.
(35)
Es muss gewährleistet werden, dass die Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen bei Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr innerhalb eines kurzen Zeitraums abgeschlossen werden, auch im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens und unabhängig von dem Betrag der Geldforderung.
(36)
Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Binnenmarkt, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen ihres Umfangs und ihrer Wirkung besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.
(37)
Die Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht sollte nur jene Bestimmungen betreffen, die im Vergleich zu der Richtlinie 2000/35/EG inhaltlich geändert wurden. Die Pflicht zur Umsetzung der inhaltlich unveränderten Bestimmungen ergibt sich aus der genannten Richtlinie.
(38)
Diese Richtlinie sollte die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht und für die Anwendung der Richtlinie 2000/35/EG unberührt lassen.
(39)
Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung(16) sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Union eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 42.

(2)

Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 20. Oktober 2010 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 24. Januar 2011.

(3)

ABl. L 200 vom 8.8.2000, S. 35.

(4)

ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1.

(5)

ABl. L 143 vom 30.4.2004, S. 15.

(6)

ABl. L 399 vom 30.12.2006, S. 1.

(7)

ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 1.

(8)

ABl. L 124 vom 20.5.2003, S. 36.

(9)

ABl. L 134 vom 30.4.2004, S. 1.

(10)

ABl. L 134 vom 30.4.2004, S. 114.

(11)

ABl. L 124 vom 8.6.1971, S. 1.

(12)

ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1.

(13)

ABl. L 248 vom 16.9.2002, S. 1.

(14)

ABl. L 357 vom 31.12.2002, S. 1.

(15)

ABl. L 136 vom 24.5.2008, S. 3.

(16)

ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1.

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