Präambel RL 2011/99/EU

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 82 Absatz 1 Buchstaben a und d,

auf Initiative des Königreichs Belgien, der Republik Bulgarien, der Republik Estland, des Königreichs Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Ungarn, der Republik Polen, der Portugiesischen Republik, Rumäniens, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren(1),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln.
(2)
Artikel 82 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sieht vor, dass die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht.
(3)
Gemäß dem Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger(2) sollte sich die gegenseitige Anerkennung auf alle Arten von gerichtlichen Urteilen und Entscheidungen erstrecken, die je nach Rechtsordnung strafrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Art sein können. Ferner werden die Kommission und die Mitgliedstaaten in dem Programm ersucht, zu prüfen, wie die Rechtsvorschriften und die praktischen Unterstützungsmaßnahmen zum Schutz von Opfern verbessert werden könnten. In dem Programm wird ferner darauf hingewiesen, dass für Opfer von Straftaten besondere Schutzmaßnahmen vorgesehen werden können, die innerhalb der Union wirksam sein sollten. Diese Richtlinie ist Teil eines kohärenten und umfassenden Maßnahmenpakets zu den Opferrechten.
(4)
In seiner Entschließung vom 26. November 2009 zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen fordert das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten auf, ihre nationalen Gesetze und Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen zu verbessern und Schritte gegen die Ursachen der Gewalt gegen Frauen zu ergreifen, nicht zuletzt mittels vorbeugender Maßnahmen, und fordert die Union ferner auf, das Recht auf Beistand und Unterstützung für alle Opfer von Gewalt zu gewährleisten. In seiner Entschließung vom 10. Februar 2010 zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union — 2009 unterstützt das Europäische Parlament den Vorschlag zur Einführung der Europäischen Schutzanordnung für Opfer.
(5)
In seiner Entschließung vom 10. Juni 2011 über einen Fahrplan zur Stärkung der Rechte und des Schutzes von Opfern, insbesondere in Strafverfahren, hat der Rat erklärt, dass auf Ebene der Union Maßnahmen ergriffen werden sollten, um die Rechte und den Schutz der Opfer von Straftaten zu stärken, und zugleich die Kommission aufgefordert, hierzu geeignete Vorschläge vorzulegen. In diesem Rahmen sollte ein Mechanismus eingeführt werden, der eine gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen betreffend Schutzmaßnahmen für Opfer von Straftaten zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet. Gemäß der genannten Entschließung sollte diese Richtlinie, die die gegenseitige Anerkennung von in Strafsachen getroffenen Schutzmaßnahmen betrifft, durch einen geeigneten Mechanismus für die in Zivilsachen getroffenen Maßnahmen ergänzt werden.
(6)
In einem gemeinsamen Rechtsraum ohne Binnengrenzen muss gewährleistet sein, dass der einer natürlichen Person in einem Mitgliedstaat gewährte Schutz in jedem anderen Mitgliedstaat, in den die betreffende Person umzieht oder umgezogen ist, aufrechterhalten und fortgesetzt wird. Es sollte auch gewährleistet sein, dass die legitime Wahrnehmung des Rechts der Unionsbürger, sich gemäß Artikel 3 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und gemäß Artikel 21 AEUV im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, für die Unionsbürger nicht zum Verlust des ihnen gewährten Schutzes führt.
(7)
Damit diese Ziele erreicht werden können, sollten in dieser Richtlinie Regeln festgelegt werden, wonach der Schutz aufgrund bestimmter nach dem Recht eines Mitgliedstaats ( „anordnender Staat” ) angeordneter Schutzmaßnahmen auf einen anderen Mitgliedstaat, in dem die geschützte Person sich niederlassen oder aufhalten will ( „vollstreckender Staat” ), ausgedehnt werden kann.
(8)
In dieser Richtlinie werden die unterschiedlichen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten sowie der Umstand berücksichtigt, dass wirksamer Schutz durch Schutzanordnungen gewährt werden kann, die von Behörden, die keine Strafgerichte sind, erlassen werden. Diese Richtlinie begründet weder eine Verpflichtung zur Änderung der nationalen Regelungen zur Anordnung von Schutzmaßnahmen noch eine Verpflichtung zur Einführung oder Änderung eines strafrechtlichen Systems zur Vollstreckung einer Europäischen Schutzanordnung.
(9)
Diese Richtlinie gilt für Schutzmaßnahmen, die speziell darauf abzielen, eine Person vor strafbaren Handlungen einer anderen Person zu schützen, die in irgendeiner Weise ihr Leben oder ihre physische, psychische und sexuelle Integrität beziehungsweise ihre Würde oder persönliche Freiheit gefährden können — beispielsweise durch vorbeugende Maßnahmen gegen Belästigungen jeglicher Form beziehungsweise gegen Entführungen, beharrliche Nachstellungen und andere Formen der Nötigung — und neue strafbare Handlungen zu verhindern oder die Auswirkungen vorangegangener strafbarer Handlungen zu verringern. Diese persönlichen Rechte der geschützten Person sind Ausdruck grundlegender Werte, die in allen Mitgliedstaaten anerkannt sind und denen alle Mitgliedstaaten Geltung verschaffen. Ein Mitgliedstaat ist jedoch nicht verpflichtet, eine Europäische Schutzanordnung aufgrund einer strafrechtlichen Maßnahme zu erlassen, die nicht speziell dem Schutz einer Person, sondern vorwiegend anderen Zielen dient, wie etwa der Resozialisierung des Täters. Es ist wichtig hervorzuheben, dass sich diese Richtlinie auf Schutzmaßnahmen für alle Opfer und nicht nur für die Opfer geschlechtsbezogener Gewalt bezieht und die Besonderheiten jeder betroffenen Art von Straftaten berücksichtigt werden.
(10)
Diese Richtlinie gilt für Schutzmaßnahmen in Strafsachen und erstreckt sich somit nicht auf Schutzmaßnahmen in Zivilsachen. Für die Vollstreckbarkeit einer Schutzmaßnahme gemäß dieser Richtlinie ist es nicht erforderlich, dass eine rechtskräftige Entscheidung über die Straftat ergangen ist. Auch ist unerheblich, welche ob eine straf-, zivil- oder verwaltungsrechtliche Behörde die Schutzmaßnahme anordnet. Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht dazu, ihr nationales Recht zu ändern, um Schutzmaßnahmen im Rahmen von Strafverfahren anordnen zu können.
(11)
Diese Richtlinie soll für Schutzmaßnahmen gelten, die zugunsten von Opfern oder potenziellen Opfern von Straftaten angeordnet werden. Diese Richtlinie sollte daher nicht auf Maßnahmen Anwendung finden, die zum Zwecke des Zeugenschutzes angeordnet werden.
(12)
Wird eine Schutzmaßnahme im Sinne dieser Richtlinie zum Schutz eines Angehörigen der in erster Linie geschützten Person angeordnet, so kann — sofern die Voraussetzungen dieser Richtlinie erfüllt sind — eine Europäische Schutzanordnung auch durch diesen Angehörigen beantragt und in Bezug auf diesen angeordnet werden.
(13)
Jeder Antrag auf Erlass einer Europäischen Schutzanordnung sollte unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, einschließlich der Dringlichkeit des Falls, des vorgesehenen Zeitpunkts der Ankunft der geschützten Person im Hoheitsgebiet des vollstreckenden Staats und, soweit möglich, des Risikos für die geschützte Person mit angemessener Schnelligkeit behandelt werden.
(14)
Ist gemäß dieser Richtlinie die geschützte Person oder die gefährdende Person zu unterrichten, so sollte diese Information, wenn dies sachdienlich ist, auch dem Vormund oder dem Vertreter der betroffenen Person mitgeteilt werden. Es sollte auch gebührend auf das Bedürfnis der geschützten Person, der gefährdenden Person oder des Vormunds oder ihrer Verfahrensvertreter geachtet werden, die von dieser Richtlinie vorgesehenen Informationen in einer Sprache zu erhalten, die die jeweilige Person versteht.
(15)
In den Verfahren des Erlasses und der Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung sollten die zuständigen Behörden die Bedürfnisse der Opfer, einschließlich der besonders schutzbedürftigen Personen, wie etwa Minderjährige oder Menschen mit Behinderungen, angemessen berücksichtigen.
(16)
Für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie kann eine Schutzmaßnahme im Anschluss an ein Urteil im Sinne des Rahmenbeschlusses 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen(3) oder im Anschluss an eine Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen im Sinne des Rahmenbeschlusses 2009/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung — zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union — des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft(4) angeordnet worden sein. Ist im anordnenden Staat eine Entscheidung aufgrund einer dieser Rahmenbeschlüsse ergangen, so sollte das Anerkennungsverfahren im vollstreckenden Staat entsprechend durchgeführt werden. Dies sollte jedoch nicht die Möglichkeit ausschließen, eine Europäische Schutzanordnung einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat, der Entscheidungen aufgrund dieser Rahmenbeschlüsse vollstreckt, zu übermitteln.
(17)
Gemäß Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Artikel 47 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sollte der gefährdenden Person in dem zur Anordnung einer Schutzmaßnahme führenden Verfahren oder vor Erlass einer Europäischen Schutzanordnung die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs und der Anfechtung der Schutzmaßnahme eingeräumt werden.
(18)
Um die Begehung einer Straftat oder einer neuen Straftat zum Nachteil des Opfers im vollstreckenden Staat zu verhindern, sollte in diesem Staat eine rechtliche Möglichkeit zur Anerkennung der zuvor im anordnenden Staat zugunsten des Opfers ergangenen Entscheidung bestehen und gleichzeitig vermieden, dass das Opfer im vollstreckenden Staat ein neues Verfahren anstrengen oder erneut Beweise vorlegen muss, so als ob der anordnende Staat die Entscheidung nicht erlassen hätte. Die Anerkennung der Europäischen Schutzanordnung durch den vollstreckenden Staat beinhaltet unter anderem, dass die zuständige Behörde dieses Staates innerhalb der in dieser Richtlinie vorgesehenen Grenzen das Bestehen und die Gültigkeit der im anordnenden Staat erlassenen Schutzmaßnahme akzeptiert, den in der Europäischen Schutzanordnung beschriebenen Sachverhalt anerkennt und sich der Auffassung anschließt, dass im Einklang mit ihrem nationalen Recht Schutz gewährt und aufrechterhalten werden sollte.
(19)
Diese Richtlinie enthält eine erschöpfende Aufzählung von Verboten und Beschränkungen, die, wenn sie im anordnenden Staat angeordnet wurden und in der Europäischen Schutzanordnung enthalten sind, im vollstreckenden Staat innerhalb der in dieser Richtlinie vorgesehenen Grenzen anerkannt und vollstreckt werden sollten. Andere Arten von Schutzmaßnahmen können auf nationaler Ebene bestehen, wie die Verpflichtung für die gefährdende Person, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, sofern diese Verpflichtung in nationalem Recht vorgesehen ist. Solche Maßnahmen können im anordnenden Staat im Rahmen des Verfahrens angeordnet werden, das zur Anordnung einer der Schutzmaßnahmen führt, die gemäß dieser Richtlinie die Grundlage für die Europäische Schutzanordnung sein können.
(20)
Da in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Arten von Behörden (Straf-, Zivil- oder Verwaltungsbehörden) für den Erlass und die Vollstreckung von Schutzmaßnahmen zuständig sind, ist es angebracht, bei den Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Richtlinie ein hohes Maß an Flexibilität vorzusehen. Daher muss die zuständige Behörde im vollstreckenden Staat nicht in allen Fällen die gleiche Schutzmaßnahme anwenden, wie sie im anordnenden Staat angeordnet wurde, sondern hat einen gewissen Ermessensspielraum, jegliche Maßnahme zu ergreifen, die ihres Erachtens in einem vergleichbaren Fall entsprechend ihrem nationalen Recht geeignet und angemessen ist, um der geschützten Person angesichts der im anordnenden Staat angeordneten und in der Europäischen Schutzanordnung beschriebenen Schutzmaßnahme fortdauernden Schutz zu gewähren.
(21)
Die Verbote und Beschränkungen, für die diese Richtlinie gilt, umfassen unter anderem Maßnahmen zur Beschränkung des persönlichen Kontakts oder des Kontakts mit Mitteln der Fernkommunikation zwischen der geschützten Person und der gefährdenden Person, beispielsweise durch Auferlegung bestimmter Bedingungen für diese Kontakte oder durch Anordnung von Beschränkungen des Inhalts der Kommunikation.
(22)
Die zuständige Behörde des vollstreckenden Staats sollte die gefährdende Person, die zuständige Behörde des anordnenden Staats und die geschützte Person von allen auf der Grundlage der Europäischen Schutzanordnung getroffenen Maßnahmen in Kenntnis setzen. In der Mitteilung an die gefährdende Person sollte dem Interesse der geschützten Person daran, dass ihre Anschrift und anderen Kontaktangaben nicht offen gelegt werden, gebührend Rechnung getragen werden. Die betreffenden Angaben sollten nicht in der Mitteilung erscheinen, sofern die Anschrift oder andere Kontaktangaben nicht in dem Verbot oder der Beschränkung enthalten sind, das beziehungsweise die der gefährdenden Person als Vollstreckungsmaßnahme auferlegt wird.
(23)
Hat die zuständige Behörde des anordnenden Staats die Europäische Schutzanordnung zurückgenommen, so sollte die zuständige Behörde des vollstreckenden Staats die von ihr zur Vollstreckung der Europäischen Schutzanordnung getroffenen Maßnahmen beenden, wobei dies so zu verstehen ist, dass die zuständige Behörde im vollstreckenden Staat — unabhängig und nach ihrem nationalen Recht — zum Schutz der betroffenen Person Schutzmaßnahmen nach ihrem nationalen Recht treffen kann.
(24)
Da diese Richtlinie Fälle regelt, in denen die geschützte Person ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, sollte der Erlass oder die Vollstreckung einer Europäischen Schutzanordnung nicht den Übergang von Befugnissen auf den vollstreckenden Staat mit sich bringen, die Hauptstrafen, ausgesetzte Strafen, alternative Strafen, Bewährungsstrafen oder Nebenstrafen beziehungsweise Sicherungsmaßregeln, die gegen die gefährdende Person verhängt wurden, betreffen, wenn die gefährdende Person sich weiterhin in dem Staat aufhält, der die Schutzmaßnahme angeordnet hat.
(25)
Gegebenenfalls sollten im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und Verfahren elektronische Mittel genutzt werden können, um die in Anwendung dieser Richtlinie angeordneten Maßnahmen durchzuführen.
(26)
Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den an der Gewährleistung des Schutzes der geschützten Person beteiligten Behörden sollte die zuständige Behörde des vollstreckenden Staats der zuständigen Behörde des anordnenden Staats jeden Verstoß gegen die im vollstreckenden Staat zur Vollstreckung der Europäischen Schutzanordnung angeordneten Maßnahmen mitteilen. Diese Mitteilung sollte die zuständige Behörde des anordnenden Staats in die Lage versetzen, unverzüglich über angemessene Reaktionen hinsichtlich der Schutzmaßnahme zu entscheiden, die der gefährdenden Person im anordnenden Staat auferlegt wurde. Diese Reaktionen können gegebenenfalls die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme anstelle der ursprünglich, als Alternative zur Untersuchungshaft oder als Folgemaßnahme zu einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe angeordneten nicht freiheitsentziehenden Maßnahme umfassen. Da eine solche Entscheidung keine neue Sanktion in Bezug auf eine neue strafbare Handlung ist, steht sie der Möglichkeit nicht entgegen, dass der vollstreckende Staat bei einem Verstoß gegen die zur Vollstreckung der Europäischen Schutzanordnung angeordneten Maßnahmen gegebenenfalls Sanktionen verhängen kann.
(27)
In Anbetracht der unterschiedlichen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten sollte die zuständige Behörde des vollstreckenden Staats in dem Fall, dass im vollstreckenden Staat in einem mit dem in der Europäischen Schutzanordnung beschriebenen Sachverhalt vergleichbaren Fall keine Schutzmaßnahme zur Verfügung steht, der zuständigen Behörde des anordnenden Staats jeden Verstoß gegen die in der Europäischen Schutzanordnung beschriebene Schutzmaßnahme melden, von dem sie Kenntnis erhält.
(28)
Um eine reibungslose Anwendung dieser Richtlinie in jedem Einzelfall zu gewährleisten, sollten die zuständigen Behörden des Anordnungs- und des vollstreckenden Staats von ihren Befugnissen im Einklang mit den Bestimmungen dieser Richtlinie Gebrauch machen und dabei dem Verbot der Doppelbestrafung (Grundsatz „ne bis in idem” ) Rechnung tragen.
(29)
Die geschützte Person sollte keine Kosten für die Anerkennung der Europäischen Schutzanordnung tragen müssen, die gegenüber einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unverhältnismäßig wären. Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die geschützte Person nach der Anerkennung der Europäischen Schutzanordnung und als unmittelbare Folge ihrer Anerkennung keine weiteren nationalen Verfahren einleiten muss, um von der zuständigen Behörde des vollstreckenden Staats eine Entscheidung über die Anordnung von Maßnahmen, die gemäß ihrem nationalen Recht in einem vergleichbaren Fall für den Schutz der geschützten Person zur Verfügung stehen, zu erwirken.
(30)
Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, auf den sich diese Richtlinie stützt, sollten die Mitgliedstaaten unmittelbare Kontakte zwischen ihren zuständigen Behörden bei der Anwendung dieser Richtlinie so weit wie möglich fördern.
(31)
Unbeschadet der Unabhängigkeit der Justiz und der Unterschiede in der Organisation der Justiz innerhalb der Union sollten die Mitgliedstaaten erwägen, von den zuständigen Stellen für die Weiterbildung von Richtern, Staatsanwälten und Polizei- und Justizbediensteten, die an Verfahren zum Erlass oder zur Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung beteiligt sind, angemessene Schulungsmaßnahmen im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie zu verlangen.
(32)
Um die Bewertung der Anwendung dieser Richtlinie zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten der Kommission die einschlägigen Daten hinsichtlich der Anwendung der nationalen Verfahren zur Europäischen Schutzanordnung übermitteln, zumindest bezüglich der Zahl der beantragten, erlassenen und/oder anerkannten Europäischen Schutzanordnungen. In dieser Hinsicht wären auch andere Informationen, wie etwa die Art der betroffenen Straftaten, dienlich.
(33)
Diese Richtlinie sollte zum Schutz von gefährdeten Personen beitragen und damit die in diesem Bereich bereits vorhandenen Rechtsinstrumente, wie etwa die Rahmenbeschlüsse 2008/947/JI und 2009/829/JI, ergänzen, aber unberührt lassen.
(34)
Fällt eine Entscheidung zu einer Schutzmaßnahme in den Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(5), der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung(6) oder des Haager Übereinkommens von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern(7), so sollten Anerkennung und Vollstreckung der betreffenden Entscheidung im Einklang mit dem einschlägigen Rechtsinstrument erfolgen.
(35)
Die Mitgliedstaaten und die Kommission sollten, sofern angemessen, Informationen über die Europäische Schutzanordnung in bestehende Bildungs- oder Sensibilisierungsmaßnahmen zum Schutz der Opfer von Straftaten aufnehmen.
(36)
Die bei der Durchführung dieser Richtlinie zu verarbeitenden personenbezogenen Daten sollten gemäß dem Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden(8), und gemäß dem Übereinkommen des Europarates zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten von 1981 geschützt werden.
(37)
Diese Richtlinie sollte gemäß Artikel 6 EUV im Einklang mit den Grundrechten stehen, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind.
(38)
Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, bei der Umsetzung dieser Richtlinie die im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau der Vereinten Nationen von 1979 verankerten Rechte und Grundsätze zu berücksichtigen.
(39)
Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich der Schutz gefährdeter Personen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 EUV niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.
(40)
Gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat das Vereinigte Königreich mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen möchte.
(41)
Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und unbeschadet des Artikels 4 dieses Protokolls beteiligt sich Irland nicht an der Annahme dieser Richtlinie und ist weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet.
(42)
Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Richtlinie und ist weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2010 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Standpunkt des Rates in erster Lesung vom 24. November 2011 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 13. Dezember 2011 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(2)

ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.

(3)

ABl. L 337 vom 16.12.2008, S. 102.

(4)

ABl. L 294 vom 11.11.2009, S. 20.

(5)

ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1.

(6)

ABl. L 338 vom 23.12.2003, S. 1.

(7)

ABl. L 48 vom 21.2.2003, S. 3.

(8)

ABl. L 350 vom 30.12.2008, S. 60.

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