Präambel RL 2014/104/EU
DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 103 und 114,
auf Vorschlag der Europäischen Kommission,
nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,
nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1),
gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren(2),
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- Die Artikel 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind der öffentlichen Ordnung zuzurechnen und sollten in der ganzen Union wirksam angewandt werden, um zu gewährleisten, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird.
- (2)
- Für die öffentliche Rechtsdurchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV sorgt die Kommission in Ausübung der Befugnisse, die in der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates(3) vorgesehen sind. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 wurden aus den Artikeln 81 und 82 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nunmehr die inhaltlich übereinstimmenden Artikel 101 und 102 AEUV. Für die öffentliche Rechtsdurchsetzung sorgen auch die nationalen Wettbewerbsbehörden, die die in Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 angeführten Entscheidungen erlassen können. Gemäß der genannten Verordnung sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, sowohl Verwaltungsbehörden als auch Gerichte mit der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV im öffentlichen Interesse sowie mit der Erfüllung der den Wettbewerbsbehörden in der genannten Verordnung übertragenen Aufgaben zu betrauen.
- (3)
- Die Artikel 101 und 102 AEUV erzeugen in den Beziehungen zwischen Einzelpersonen unmittelbare Wirkungen und lassen für diese Einzelpersonen Rechte und Pflichten entstehen, die die nationalen Gerichte durchzusetzen haben. Die nationalen Gerichte haben daher bei der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften eine gleichermaßen wichtige Rolle zu spielen (private Rechtsdurchsetzung). In Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen schützen sie die sich aus dem Unionsrecht ergebenden subjektiven Rechte, indem sie beispielsweise den durch Zuwiderhandlungen Geschädigten Schadensersatz zuerkennen. Die volle Wirksamkeit der Artikel 101 und 102 AEUV und insbesondere die praktische Wirkung der darin festgelegten Verbote erfordern, dass jeder — seien es Einzelpersonen, einschließlich Verbraucher und Unternehmen, oder Behörden — vor nationalen Gerichten Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch eine Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen entstanden ist. Der Schadensersatzanspruch nach Unionsrecht gilt auch für Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 101 und 102 AEUV durch öffentliche Unternehmen und durch Unternehmen, denen von den Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne des Artikels 106 AEUV gewährt wurden.
- (4)
- Das nach Unionsrecht geltende Recht auf Ersatz von Schäden infolge von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union oder nationales Wettbewerbsrecht setzt voraus, dass in jedem Mitgliedstaat Verfahrensvorschriften bestehen, die gewährleisten, dass dieses Recht wirksam geltend gemacht werden kann. Die Notwendigkeit wirksamer Rechtsbehelfe ergibt sich auch aus dem Recht auf wirksamen Rechtsschutz, wie es in Artikel 19 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und in Artikel 47 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt ist. Die Mitgliedstaaten sollten wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleisten.
- (5)
- Schadensersatzklagen sind bei Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht nur eines der Elemente eines effektiven Systems der privaten Rechtsdurchsetzung und werden von alternativen Wegen der Abhilfe, wie der einvernehmlichen Streitbeilegung, und Entscheidungen im Rahmen der öffentlichen Rechtsdurchsetzung, durch die für die Parteien ein Anreiz entsteht, Entschädigung zu leisten, ergänzt.
- (6)
- Zur Sicherstellung wirksamer privater zivilrechtlicher Durchsetzungsmaßnahmen und einer wirksamen öffentlichen Rechtsdurchsetzung durch die Wettbewerbsbehörden müssen beide Instrumente zusammenwirken, damit die Wettbewerbsvorschriften höchstmögliche Wirkung entfalten. Es ist erforderlich, die Koordinierung zwischen den beiden Formen der Durchsetzung kohärent zu regeln, zum Beispiel in Bezug auf den Zugang zu Unterlagen, die sich im Besitz von Wettbewerbsbehörden befinden. Mit einer solchen Koordinierung auf Unionsebene wird auch verhindert, dass die anwendbaren Vorschriften voneinander abweichen, was das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts gefährden könnte.
- (7)
- Nach Artikel 26 Absatz 2 AEUV umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Zwischen den in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften für Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union oder nationales Wettbewerbsrecht bestehen deutliche Unterschiede. Diese Unterschiede führen zu Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen Geschädigte das ihnen aus dem AEUV erwachsende Recht auf Schadensersatz geltend machen können, und beeinträchtigen die materielle Wirksamkeit dieses Rechts. Da Geschädigte häufig den Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, als Gerichtsstand wählen, um Schadensersatz einzuklagen, führen die Unterschiede zwischen den nationalen Vorschriften zu ungleichen Ausgangsbedingungen für Schadensersatzklagen und könnten somit den Wettbewerb auf den Märkten, auf denen die Geschädigten wie auch die zuwiderhandelnden Unternehmen tätig sind, beeinträchtigen.
- (8)
- Unternehmen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen und tätig sind, unterliegen abweichenden Verfahrensvorschriften, die wesentlichen Einfluss auf den Umfang haben, in dem sie für Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht haftbar gemacht werden können. Diese uneinheitliche Durchsetzung des unionsrechtlichen Schadensersatzanspruchs kann nicht nur zu einem Wettbewerbsvorteil für einige Unternehmen führen, die gegen Artikel 101 oder 102 AEUV verstoßen haben, sondern auch von der Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr in den Mitgliedstaaten abschrecken, in denen das Recht auf Schadensersatz wirksamer durchgesetzt wird. Da die Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten geltenden Haftungsregelungen sowohl den Wettbewerb als auch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen können, ist es angebracht, diese Richtlinie auf die doppelte Rechtsgrundlage der Artikel 103 und 114 zu stützen.
- (9)
- In Anbetracht dessen, dass massive Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht oft einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, müssen die Wettbewerbsbedingungen für die im Binnenmarkt tätigen Unternehmen stärker angeglichen und die Voraussetzungen, unter denen die Verbraucher die ihnen aus dem Binnenmarkt erwachsenden Rechte ausüben können, verbessert werden. Es ist angebracht, in Bezug auf die nationalen Vorschriften für Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union und — soweit es parallel dazu angewandt wird — nationales Wettbewerbsrecht, für mehr Rechtssicherheit zu sorgen und die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu verringern. Eine Angleichung dieser Vorschriften wird dazu beitragen zu verhindern, dass sich die Unterschiede zwischen den Vorschriften der Mitgliedstaaten für Schadensersatzklagen in Wettbewerbssachen verstärken.
- (10)
- Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 bestimmt Folgendes: „Wenden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten oder nationale Gerichte das nationale Wettbewerbsrecht auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels [101 Absatz 1 AEUV] an, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne dieser Bestimmung beeinträchtigen können, so wenden sie auch Artikel [101 AEUV] auf diese Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen an. Wenden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten oder nationale Gerichte das nationale Wettbewerbsrecht auf nach Artikel [102 AEUV] verbotene Missbräuche an, so wenden sie auch Artikel [102 AEUV] an.” Im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts und im Hinblick auf mehr Rechtssicherheit und stärker angeglichene Ausgangsbedingungen für Unternehmen und Verbraucher ist es angebracht, dass der Geltungsbereich dieser Richtlinie Schadensersatzklagen umfasst, die auf Zuwiderhandlungen gegen nationales Wettbewerbsrecht zurückgehen, wenn dieses nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 angewandt wird. Die Anwendung voneinander abweichender Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung für Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 AEUV und für Zuwiderhandlungen gegen Bestimmungen des nationalen Wettbewerbsrechts, die auf denselben Fall parallel zum Wettbewerbsrecht der Union angewandt werden müssen, würde sich andernfalls nachteilig auf die Position der Kläger in derselben Sache und den Umfang ihrer Ansprüche auswirken und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts behindern. Diese Richtlinie sollte Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht unberührt lassen, die nicht den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne von Artikel 101 oder 102 AEUV beeinträchtigen.
- (11)
- Da keine entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften bestehen, gelten für Schadensersatzklagen die innerstaatlichen Vorschriften und Verfahren der Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof” ) kann jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Alle nationalen Vorschriften, die die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz eines durch eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 oder 102 AEUV entstandenen Schadens einschließlich der in dieser Richtlinie nicht behandelten Aspekte (wie den Begriff des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Zuwiderhandlung und dem Schaden) betreffen, müssen dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz entsprechen. Sie sollten folglich nicht so formuliert sein oder angewandt werden, dass sie die Geltendmachung des durch den AEUV garantierten Rechts auf Schadensersatz übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen, oder weniger günstig formuliert sein oder angewandt werden als die Regeln, die auf ähnliche, innerstaatliches Recht betreffende Klagen anwendbar sind. Wenn die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht andere Voraussetzungen für Schadensersatz vorsehen, wie etwa Zurechenbarkeit, Adäquanz oder Verschulden, sollten sie diese Bedingungen beibehalten können, sofern sie mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dem Effektivitäts- und dem Äquivalenzgrundsatz und den Bestimmungen dieser Richtlinie im Einklang stehen.
- (12)
- Diese Richtlinie bestätigt erneut den gemeinschaftlichen Besitzstand in Bezug auf das Recht auf Ersatz des durch Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union verursachten Schadens — insbesondere hinsichtlich der Klagebefugnis und der Definition des Schadens im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs —, ohne der Weiterentwicklung dieses Besitzstands vorzugreifen. Jeder, der durch eine derartige Zuwiderhandlung einen Schaden erlitten hat, kann Ersatz des eingetretenen Vermögensschadens (damnum emergens) und des ihm entgangenen Gewinns (lucrum cessans) zuzüglich der Zahlung von Zinsen verlangen, unabhängig davon, ob diese Kategorien im nationalen Recht getrennt oder einheitlich definiert sind. Die Zahlung von Zinsen ist ein wesentlicher Bestandteil des Ersatzes für die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens unter Berücksichtigung des Zeitablaufs; Zinsen sollten daher ab dem Zeitpunkt, zu dem der Schaden entstanden ist, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Ersatz gezahlt worden ist, anfallen, und zwar unbeschadet der Frage, ob diese Zinsen gemäß dem nationalen Recht als Ausgleichs- oder als Verzugszinsen gelten, sowie der Frage, ob der Zeitablauf als gesonderte Kategorie (Zinsen) oder als Bestandteil der eingetretenen Vermögenseinbuße oder des entgangenen Gewinns berücksichtigt wird. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, entsprechende Bestimmungen zu erlassen.
- (13)
- Das Recht auf Schadensersatz ist für jede natürliche oder juristische Person — Verbraucher, Unternehmen wie Behörden — anerkannt, ohne Rücksicht darauf, ob eine unmittelbare vertragliche Beziehung zu dem zuwiderhandelnden Unternehmen besteht, und unabhängig von einer vorherigen Feststellung der Zuwiderhandlung durch eine Wettbewerbsbehörde. Mit dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet werden, Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes für die Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV einzuführen. Unbeschadet des Ersatzes für entgangene Geschäftsmöglichkeiten sollte der vollständige Ersatz im Rahmen dieser Richtlinie nicht zu Überkompensation führen, weder durch Strafschadensersatz noch durch Mehrfachentschädigung oder andere Arten von Schadensersatz.
- (14)
- Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen nationales Wettbewerbsrecht oder das Wettbewerbsrecht der Union erfordern in der Regel eine komplexe Analyse der zugrunde liegenden Tatsachen und wirtschaftlichen Zusammenhänge. Die für die Begründung eines Schadensersatzanspruchs erforderlichen Beweismittel befinden sich häufig ausschließlich im Besitz der gegnerischen Partei oder Dritter und sind dem Kläger nicht hinreichend bekannt und zugänglich. Das strenge rechtliche Erfordernis, dass der Kläger zu Beginn des Verfahrens im Detail alle für seinen Fall relevanten Tatsachen behaupten und dafür genau bezeichnete einzelne Beweismittel anbieten muss, kann daher die wirksame Geltendmachung des durch den AEUV garantierten Schadensersatzanspruchs übermäßig erschweren.
- (15)
- Den Beweismitteln kommt bei der Erhebung von Schadensersatzklagen wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union oder nationales Wettbewerbsrecht große Bedeutung zu. Da wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten jedoch durch eine Informationsasymmetrie gekennzeichnet sind, ist es angebracht zu gewährleisten, dass die Kläger das Recht erhalten, die Offenlegung der für ihren Anspruch relevanten Beweismittel zu erwirken, ohne konkrete einzelne Beweismittel benennen zu müssen. Um den Grundsatz der Waffengleichheit zu wahren, sollten diese Mittel auch den Beklagten in Verfahren über Schadensersatzklagen zur Verfügung stehen, damit diese die Offenlegung von Beweismitteln durch die Kläger beantragen können. Die nationalen Gerichte sollten auch die Offenlegung von Beweismitteln durch Dritte, einschließlich Behörden, anordnen können. Wenn ein nationales Gericht die Offenlegung von Beweismitteln durch die Kommission anordnen will, finden der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten (Artikel 4 Absatz 3 EUV) und — hinsichtlich Auskunftsersuchen — Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 Anwendung. Wenn nationale Gerichte die Offenlegung von Beweismitteln durch Behörden anordnen, finden die Grundsätze der Rechts- und Amtshilfe gemäß Unionsrecht oder nationalem Recht Anwendung.
- (16)
- Die nationalen Gerichte sollten die Möglichkeit haben, unter ihrer strengen Kontrolle — insbesondere hinsichtlich der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen — die Offenlegung von genau bezeichneten einzelnen Beweismitteln oder Kategorien von Beweismitteln auf Antrag einer Partei anzuordnen. Aus dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass die Offenlegung erst angeordnet werden kann, wenn der Kläger auf der Grundlage von ihm mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen, plausibel gemacht hat, dass der Kläger einen vom Beklagten verursachten Schaden erlitten hat. Wenn ein Antrag auf Offenlegung im Hinblick auf eine Kategorie von Beweismitteln gestellt wird, sollte diese Kategorie durch Bezugnahme auf gemeinsame Merkmale ihrer wesentlichen Elemente wie Art, Gegenstand oder Inhalt der Unterlagen, deren Offenlegung beantragt wird, Zeit, in der sie erstellt wurden, oder andere Kriterien bestimmt werden, sofern die in diese Kategorie fallenden Beweismittel im Sinne dieser Richtlinie relevant sind. Diese Kategorien sollten so genau bezeichnet werden, wie es auf der Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist.
- (17)
- Wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats ein zuständiges Gericht eines anderen Mitgliedstaats um Beweisaufnahme ersucht oder darum ersucht, in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar Beweis erheben zu dürfen, ist die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates(4) anzuwenden.
- (18)
- Relevante Beweismittel, die Geschäftsgeheimnisse oder sonstige vertrauliche Informationen enthalten, sollten zwar grundsätzlich für Schadensersatzklagen zur Verfügung stehen, jedoch müssen solche vertraulichen Informationen angemessen geschützt werden. Die nationalen Gerichte sollten daher über eine Reihe von Mitteln zum Schutz vertraulicher Informationen vor Offenlegung während des Verfahrens verfügen. Zu diesen Mitteln zählen unter anderem die Unkenntlichmachung sensibler Passagen von Dokumenten, die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Beschränkung des zur Kenntnisnahme der Beweismittel berechtigten Personenkreises und die Anweisung an Sachverständige, eine Zusammenfassung der Informationen in aggregierter oder sonstiger nichtvertraulicher Form vorzulegen. Die Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und sonstigen vertraulichen Informationen sollten die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs in der praktischen Anwendung jedoch nicht behindern.
- (19)
- Diese Richtlinie berührt weder die Möglichkeit nach dem Recht der Mitgliedstaaten, Rechtsmittel gegen die Offenlegungsanordnung einzulegen, noch die Voraussetzungen für die Einlegung derartiger Rechtsmittel.
- (20)
- Die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates(5) regelt den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission und soll der Öffentlichkeit ein größtmögliches Recht auf Zugang zu den Dokumenten dieser Organe gewähren. Dieses Recht unterliegt gleichwohl bestimmten Grenzen aus Gründen des öffentlichen oder privaten Interesses. Daraus folgt, dass die in Artikel 4 der genannten Verordnung vorgesehene Ausnahmeregelung auf einer Abwägung der in einer bestimmten Situation einander widerstreitenden Interessen beruht, nämlich der Interessen, die durch die Verbreitung der betreffenden Dokumente begünstigt würden, und derjenigen, die durch diese Verbreitung gefährdet würden. Diese Richtlinie sollte die Vorschriften und Anwendungspraxis nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 unberührt lassen.
- (21)
- Wirksamkeit und Kohärenz der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden setzen ein in der ganzen Union einheitliches Konzept für die Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten einer Wettbewerbsbehörde enthalten sind, voraus. Die Offenlegung von Beweismitteln sollte die Wirksamkeit der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Wettbewerbsbehörden nicht übermäßig beeinträchtigen. Diese Richtlinie erfasst nicht die Offenlegung interner Dokumente von Wettbewerbsbehörden oder von Korrespondenz zwischen Wettbewerbsbehörden.
- (22)
- Um den wirksamen Schutz des Rechts auf Schadensersatz zu gewährleisten, ist es nicht erforderlich, jedes zu einem Verfahren nach Artikel 101 oder 102 AEUV gehörende Schriftstück dem Kläger nur aufgrund einer von ihm geplanten Schadensersatzklage zu übermitteln, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Schadensersatzklage auf sämtliche in dieser Akte enthaltenen Beweismittel dieses Verfahrens gestützt werden müsste.
- (23)
- Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit sollte sorgfältig geprüft werden, wenn durch die Offenlegung die Untersuchungsstrategie einer Wettbewerbsbehörde dadurch durchkreuzt zu werden droht, dass aufgedeckt wird, welche Unterlagen Teil der Akten sind, oder dass die Zusammenarbeit von Unternehmen mit den Wettbewerbsbehörden negativ beeinflusst wird. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Verhinderung von Ausforschungsmaßnahmen gelten, d. h. einer nicht gezielten oder unnötig weit gefassten Suche nach Informationen, die für die Verfahrensbeteiligten wahrscheinlich nicht relevant sind. Offenlegungsanträge sollten daher nicht als verhältnismäßig angesehen werden, wenn sie sich ganz allgemein auf die Offenlegung der Unterlagen in den Akten einer Wettbewerbsbehörde zu einem bestimmten Fall oder ganz allgemein auf die Offenlegung der von einer Partei im Zusammenhang mit einem bestimmten Fall übermittelten Unterlagen beziehen. Derart weite Offenlegungsanträge wären nicht mit der Pflicht der Partei, die die Offenlegung beantragt, vereinbar, die einzelnen Beweismittel oder die Kategorien von Beweismitteln so genau wie möglich zu bezeichnen.
- (24)
- Diese Richtlinie lässt das Recht der Gerichte unberührt, nach nationalem Recht oder Unionsrecht das Interesse an einer wirksamen öffentlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen, wenn sie die Offenlegung eines beliebigen Beweismittels mit Ausnahme von Kronzeugenerklärungen oder Vergleichsausführungen anordnen.
- (25)
- Eine Ausnahme von der Offenlegung sollte für den Fall gelten, dass die Offenlegung — sofern sie angeordnet wird — die laufende Untersuchung einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union oder nationales Wettbewerbsrecht durch eine Wettbewerbsbehörde übermäßig beeinträchtigen würde. Informationen, die von einer Wettbewerbsbehörde im Laufe ihres Verfahrens zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Union oder nationalen Wettbewerbsrechts erstellt und den Parteien jenes Verfahrens übermittelt wurden (beispielsweise eine Mitteilung der Beschwerdepunkte) oder von einer Partei dieses Verfahrens ausgearbeitet wurden (beispielsweise Antworten auf Auskunftsverlangen der Wettbewerbsbehörde oder Zeugenaussagen), sollten daher in Verfahren über Schadensersatzklagen erst offengelegt werden können, nachdem die Wettbewerbsbehörde ihr Verfahren beendet hat, beispielsweise durch den Erlass eines Beschlusses gemäß Artikel 5 oder gemäß Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, mit Ausnahme von Beschlüssen über einstweilige Maßnahmen.
- (26)
- Kronzeugenprogramme und Vergleichsverfahren sind wichtige Instrumente für die öffentliche Rechtsdurchsetzung des Wettbewerbsrechts der Union, da sie zur Aufdeckung und effizienten Verfolgung und Sanktionierung der schwersten Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht beitragen. Ferner sind Kronzeugenprogramme für die Wirksamkeit von Schadensersatzklagen in Kartellsachen gleichermaßen wichtig, da zahlreiche Beschlüsse der Wettbewerbsbehörden in Kartellsachen auf Anträgen auf Anwendung einer Kronzeugenregelung gründen und Schadensersatzklagen in Kartellsachen in der Regel Folgeklagen dieser Beschlüsse sind. Unternehmen könnten davon abgeschreckt werden, im Rahmen von Kronzeugenprogrammen und Vergleichsverfahren mit Wettbewerbsbehörden zusammenzuarbeiten, wenn Erklärungen, mit denen sie sich selbst belasten, wie Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen, die ausschließlich zum Zwecke dieser Zusammenarbeit mit den Wettbewerbsbehörden erstellt werden, offengelegt würden. Eine solche Offenlegung würde die Gefahr bergen, dass mitwirkende Unternehmen oder ihre Führungskräfte einer zivilrechtlichen Haftung oder strafrechtlichen Verfolgung unter schlechteren Bedingungen ausgesetzt würden als die anderen Rechtsverletzer, die nicht mit den Wettbewerbsbehörden zusammenarbeiten. Um zu gewährleisten, dass Unternehmen dauerhaft bereit sind, freiwillig Kronzeugenerklärungen oder Vergleichsausführungen bei Wettbewerbsbehörden vorzulegen, sollten diese Unterlagen von der Offenlegung ausgenommen werden. Die Ausnahme sollte auch für wörtliche Zitate aus Kronzeugenerklärungen oder Vergleichsausführungen gelten, die in anderen Unterlagen enthalten sind. Die Beschränkungen für die Offenlegung von Beweismitteln sollten die Wettbewerbsbehörden nicht daran hindern, ihre Entscheidungen im Einklang mit den geltenden Vorschriften des Unionsrechts oder des nationalen Rechts zu veröffentlichen. Um zu gewährleisten, dass diese Ausnahme die Rechte der Geschädigten auf Schadensersatz nicht übermäßig beeinträchtigt, sollte sie auf diese freiwilligen und selbstbelastenden Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen beschränkt sein.
- (27)
- Mit den Vorschriften dieser Richtlinie über die Offenlegung von Unterlagen, bei denen es sich nicht um Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen handelt, wird dafür gesorgt, dass Geschädigte nach wie vor ausreichend alternative Möglichkeiten haben, Zugang zu den relevanten Beweismitteln zu erhalten, die für die Erstellung ihrer Schadensersatzklagen erforderlich sind. Die nationalen Gerichte sollten sich auf Antrag eines Klägers Zugang zu Unterlagen, in Bezug auf die die Ausnahme geltend gemacht wird, verschaffen können, um festzustellen, ob deren Inhalt nicht über die in dieser Richtlinie festgelegten Definitionen für Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen hinausgeht. Über diese Definitionen hinausgehender Inhalt sollte unter den einschlägigen Bedingungen offengelegt werden können.
- (28)
- Die nationalen Gerichte sollten im Zusammenhang mit Schadensersatzklagen jederzeit die Offenlegung von Beweismitteln anordnen können, die unabhängig von einem wettbewerbsbehördlichen Verfahren vorliegen (im Folgenden „bereits vorhandene Informationen” ).
- (29)
- Die Offenlegung von Beweismitteln durch eine Wettbewerbsbehörde sollte nur dann angeordnet werden, wenn die Beweismittel nicht mit zumutbarem Aufwand von einer anderen Partei oder von Dritten erlangt werden können.
- (30)
- Nach Artikel 15 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 können die Wettbewerbsbehörden von sich aus den nationalen Gerichten schriftliche Stellungnahmen zur Anwendung der Artikel 101 oder 102 AEUV übermitteln. Damit die öffentliche Rechtsdurchsetzung weiterhin zur Anwendung dieser Artikel beiträgt, sollten die Wettbewerbsbehörden auch die Möglichkeit haben, aus eigener Initiative Stellungnahmen an ein nationales Gericht zu übermitteln, damit die Verhältnismäßigkeit einer Offenlegung von Beweismitteln, die in den Akten der Behörden enthalten sind, im Hinblick darauf geprüft wird, welche Auswirkungen diese Offenlegung auf die Wirksamkeit der öffentlichen Rechtsdurchsetzung des Wettbewerbsrechts hätte. Die Mitgliedstaaten sollten ein System entwickeln können, wonach eine Wettbewerbsbehörde von Anträgen auf Offenlegung von Information informiert wird, wenn die Person, die die Offenlegung beantragt, oder die Person, von der die Offenlegung verlangt wird, an der Untersuchung der mutmaßlichen Zuwiderhandlung durch diese Wettbewerbsbehörde beteiligt ist, ohne dass die nationalen Rechtsvorschriften über einseitige Verfahren davon berührt werden.
- (31)
- Jede natürliche oder juristische Person, die durch Einsicht in die Akten einer Wettbewerbsbehörde Beweismittel erlangt, sollte berechtigt sein, diese für die Zwecke einer Schadensersatzklage zu verwenden, an der sie als Partei beteiligt ist. Eine solche Verwendung sollte auch natürlichen oder juristischen Personen gestattet werden, die in ihre Rechte und Pflichten eintreten, einschließlich durch Erwerb ihres Anspruchs. Falls die Beweismittel von einer juristischen Person erlangt wurden, die einer Unternehmensgruppe angehört, die für die Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV ein Unternehmen darstellt, sollte die Verwendung dieser Beweismittel auch anderen juristischen Personen gestattet sein, die demselben Unternehmen angehören.
- (32)
- Die Verwendung von Beweismitteln, die durch Einsicht in die Akten einer Wettbewerbsbehörde erlangt wurden, darf jedoch die wirksame Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Wettbewerbsbehörden nicht übermäßig beeinträchtigen. Um sicherzustellen, dass die Beschränkungen der Offenlegung nach dieser Richtlinie nicht unterwandert werden, sollte die Verwendung der in den Erwägungsgründen 24 und 25 genannten Beweismittel, welche ausschließlich durch die Einsicht in die Akten einer Wettbewerbsbehörde erlangt wurden, unter den gleichen Umständen beschränkt werden. Diese Beschränkungen sollten in Verfahren über Schadensersatzklagen entweder zu einer Unzulässigkeit des Beweismittels führen oder aber nach dem anwendbaren nationalem Recht so geschützt werden, dass gewährleistet werden kann, dass die Beschränkungen der Offenlegung derartiger Beweismittel ihre volle Wirkung entfalten. Zudem sollten Beweismittel, die bei einer Wettbewerbsbehörde erlangt wurden, kein Gegenstand des Handels werden. Die Möglichkeit, Beweismittel zu verwenden, die allein durch Einsicht in die Akten einer Wettbewerbsbehörde erlangt wurden, sollte daher auf die natürliche oder juristische Person, der ursprünglich Zugang gewährt wurde, und ihre Rechtsnachfolger beschränkt werden. Diese Beschränkung des Handelns mit Beweismitteln hindert ein nationales Gericht jedoch nicht daran, unter den in dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen die Offenlegung dieser Beweismittel anzuordnen.
- (33)
- Wenn ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird oder eine Wettbewerbsbehörde eine Untersuchung einleitet, besteht die Gefahr, dass die betroffenen Personen Beweismittel vernichten oder verbergen, die für die Substantiierung des Schadensersatzanspruchs eines Geschädigten nützlich wären. Um die Vernichtung relevanter Beweismittel zu verhindern und um zu gewährleisten, dass gerichtliche Offenlegungsanordnungen befolgt werden, sollten die nationalen Gerichte hinreichend abschreckende Sanktionen verhängen können. Bei Prozessparteien kann das Risiko, dass im Verfahren über Schadensersatzklagen für sie nachteilige Schlussfolgerungen gezogen werden, eine besonders wirksame Sanktion sein und helfen, Verzögerungen zu verhindern. Für die Verletzung der Pflichten zum Schutz vertraulicher Informationen und für die missbräuchliche Verwendung der durch die Offenlegung erlangten Informationen sollten ebenfalls Sanktionen vorgesehen werden. Sanktionen sollten auch verhängt werden können, wenn Informationen, die durch Einsicht in die Akten einer Wettbewerbsbehörde erlangt wurden, in Schadensersatzklagen missbräuchlich verwendet werden.
- (34)
- Zur Gewährleistung der Wirksamkeit und Kohärenz der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden ist ein in der ganzen Union einheitliches Konzept hinsichtlich der Wirkung bestandskräftiger Zuwiderhandlungsentscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden auf anschließende Schadensersatzklagen erforderlich. Solche Entscheidungen werden erst dann getroffen, wenn die Kommission zuvor über die in Aussicht genommene Entscheidung oder anderenfalls über jede sonstige Unterlage, der die geplante Vorgehensweise zu entnehmen ist, gemäß Artikel 11 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 unterrichtet wurde und wenn die Kommission die nationale Wettbewerbsbehörde nicht durch die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 11 Absatz 6 der genannten Verordnung von ihrer Zuständigkeit entbunden hat. Die Kommission sollte für eine konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union sorgen, indem sie den nationalen Wettbewerbsbehörden im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes Orientierungshilfen bereitstellt. Im Interesse der Rechtssicherheit, zur Vermeidung von Widersprüchen bei der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV, zur Erhöhung der Wirksamkeit und verfahrensrechtlichen Effizienz von Schadensersatzklagen und zur Förderung des Funktionierens des Binnenmarkts für Unternehmen und Verbraucher sollte die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 oder 102 AEUV in einer bestandskräftigen Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde oder einer Rechtsmittelinstanz in späteren Verfahren über Schadensersatzklagen nicht erneut verhandelt werden. Daher sollte eine solche Feststellung in einem Verfahren über Schadensersatzklagen als unwiderlegbar nachgewiesen gelten, das im Mitgliedstaat der nationalen Wettbewerbsbehörde oder der Rechtsmittelinstanz im Zusammenhang mit dieser Zuwiderhandlung angestrengt wurde. Die Wirkung der Feststellung sollte jedoch nur die Art der Zuwiderhandlung sowie ihre sachliche, persönliche, zeitliche und räumliche Dimension erfassen, so wie sie von der Wettbewerbsbehörde oder der Rechtsmittelinstanz in Ausübung ihrer bzw. seiner Zuständigkeit festgestellt wurde. Diese Grundsätze sollten auch für eine Entscheidung in Fällen gelten, in denen das Wettbewerbsrecht der Union und das nationale Wettbewerbsrecht auf denselben Fall und parallel angewandt werden, und in der ein Verstoß gegen Bestimmungen des nationalen Wettbewerbsrechts festgestellt wurde.
- (35)
- Wird eine Schadensersatzklage in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat erhoben, dessen Wettbewerbsbehörde bzw. Rechtsmittelinstanz die Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 oder 102 AEUV, die Gegenstand der Klage ist, festgestellt hat, so sollte es möglich sein, diese Feststellung in einer bestandskräftigen Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde oder der Rechtsmittelinstanz vor einem nationalen Gericht zumindest als Anscheinsbeweis dafür vorzulegen, dass eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen wurde. Die Feststellung kann gegebenenfalls zusammen mit allen anderen von den Parteien erbrachten Beweisen geprüft werden. Die Wirkung von Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden und Rechtsmittelinstanzen, in denen eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften festgestellt wird, gilt unbeschadet der Rechte und Pflichten nationaler Gerichte nach Artikel 267 AEUV.
- (36)
- Die nationalen Vorschriften über Beginn, Länge, Hemmung und Unterbrechung von Verjährungsfristen sollten die Erhebung von Schadensersatzklagen nicht übermäßig behindern. Dies ist besonders wichtig bei Klagen, die sich auf eine von einer Wettbewerbsbehörde oder einer Rechtsmittelinstanz getroffene Feststellung einer Zuwiderhandlung stützen. Eine Schadensersatzklage sollte daher noch nach einem wettbewerbsbehördlichen Verfahren zur Durchsetzung des nationalen Wettbewerbsrechts und des Wettbewerbsrechts der Union erhoben werden können. Die Verjährungsfrist sollte nicht beginnen, bevor die Zuwiderhandlung eingestellt wurde und bevor der Kläger von dem Verhalten, das die Zuwiderhandlung darstellt, von der Tatsache, dass der Kläger durch die Zuwiderhandlung einen Schaden erlitten hat und von der Identität des Rechtsverletzers, Kenntnis erlangt hat oder diese Kenntnis vernünftigerweise erwartet werden kann. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, allgemein anwendbare absolute Verjährungsfristen beizubehalten oder einzuführen, sofern die Dauer dieser absoluten Verjährungsfristen die Ausübung des Rechts auf Schadensersatz in voller Höhe nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
- (37)
- Wenn mehrere Unternehmen gemeinsam gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen — wie im Falle eines Kartells —, ist es angebracht vorzusehen, dass diese gemeinsam handelnden Rechtsverletzer gesamtschuldnerisch für den gesamten durch diese Zuwiderhandlung verursachten Schaden haften. Wenn einer der Rechtsverletzer mehr Schadensersatz gezahlt hat, als seinem Anteil entspricht, so sollte dieser einen Ausgleichsanspruch gegen die anderen gemeinsamen Rechtsverletzer haben. Die Bestimmung dieses Anteils anhand der relativen Verantwortung des betreffenden Rechtsverletzers und der einschlägigen Kriterien, wie Umsatz, Marktanteil oder Rolle in dem Kartell, ist Sache des geltenden nationalen Rechts, wobei der Effektivitäts- und der Äquivalenzgrundsatz zu beachten sind.
- (38)
- Unternehmen, die im Rahmen eines Kronzeugenprogramms mit den Wettbewerbsbehörden zusammenarbeiten, spielen eine Schlüsselrolle bei der Aufdeckung von Zuwiderhandlungen in Form von geheimen Kartellen und bei der Abstellung dieser Zuwiderhandlungen, wodurch häufig der Schaden gemindert wird, der möglicherweise im Falle einer Fortsetzung der Zuwiderhandlung entstanden wäre. Es ist daher angebracht vorzusehen, dass Unternehmen, denen von einer Wettbewerbsbehörde im Rahmen eines Kronzeugenprogramms die Geldbuße erlassen wurde, vor übermäßigen Schadensersatzansprüchen geschützt werden; dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde, in der die Zuwiderhandlung festgestellt wird, für den Kronzeugen bestandskräftig werden kann, bevor sie für die anderen Unternehmen, denen die Geldbuße nicht erlassen wurde, bestandskräftig wird, wodurch der Kronzeuge möglicherweise zum bevorzugten Ziel von Klagen wird. Es ist daher angebracht, dass der Kronzeuge grundsätzlich von der gesamtschuldnerischen Haftung für den gesamten Schaden ausgenommen wird und dass der Ausgleichsbetrag, den er gegenüber den anderen Rechtsverletzern leisten muss, nicht höher sein darf als der Schaden, den er seinen eigenen unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder, im Falle eines Einkaufskartells, seinen unmittelbaren oder mittelbaren Lieferanten verursacht hat. Soweit ein Kartell anderen als den Kunden oder Lieferanten des Rechtsverletzers Schaden verursacht hat, sollte der Ausgleichsbetrag des Kronzeugen nicht höher sein als seine relative Verantwortung für den durch das Kartell verursachten Schaden. Für die Bestimmung dieses Anteils sollten dieselben Vorschriften gelten wie für die Festlegung der Ausgleichsbeträge unter den Rechtsverletzern. Der Kronzeuge sollte anderen Geschädigten als seinen unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmern oder Lieferanten nur dann weiter in vollem Umfang haften, wenn sie von den anderen Rechtsverletzern keinen vollständigen Schadensersatz erlangen können.
- (39)
- Ein Schaden in Form einer tatsächlichen Vermögenseinbuße kann sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem Preis ergeben, der ohne die Zuwiderhandlung gezahlt worden wäre. Hat ein Geschädigter die Vermögenseinbuße dadurch verringert, dass er sie ganz oder teilweise auf seine Abnehmer abgewälzt hat, so stellt diese Vermögenseinbuße keinen Schaden mehr dar, für den die Partei, die ihn abgewälzt hat, Ersatz erhalten muss. Es ist daher grundsätzlich angebracht, dem Rechtsverletzer zu gestatten, die Abwälzung der Vermögenseinbuße als Einwendung gegen den Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Es ist angebracht vorzusehen, dass der Rechtsverletzer, soweit er die Einwendung der Schadensabwälzung geltend macht, das Vorliegen und den Umfang der Schadensabwälzung beweisen muss. Diese Beweislast sollte nicht die Möglichkeit berühren, dass der Rechtsverletzer andere als die in seinem Besitz befindlichen Beweismittel verwendet, wie beispielsweise bereits im Zuge des Verfahrens erworbene Beweismittel oder Beweismittel, die sich im Besitz von anderen Parteien oder Dritten befinden.
- (40)
- In Fällen, in denen die Schadensabwälzung zu einem verringerten Absatz und somit einem Schaden in Form eines entgangenen Gewinns geführt hat, sollte das Recht, Schadensersatz für diesen entgangenen Gewinn zu fordern, unberührt bleiben.
- (41)
- Je nach den Bedingungen, unter denen die Unternehmen tätig sind, kann es gängige Geschäftspraxis sein, Preissteigerungen auf nachgelagerte Vertriebsstufen abzuwälzen. Verbraucher oder Unternehmen, auf die die Vermögenseinbuße dementsprechend abgewälzt wurde, erleiden einen durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union oder nationales Wettbewerbsrecht verursachten Schaden. Dieser Schaden sollte von dem Rechtsverletzer ersetzt werden, wobei es sich allerdings für Verbraucher oder Unternehmen, die selbst nicht von dem Rechtsverletzer erworben haben, als besonders schwierig erweisen kann, das Ausmaß des Schadens zu belegen. Es ist daher angebracht vorzusehen, dass, wenn das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs oder die Höhe des zuzuerkennenden Schadensersatzes davon abhängt, ob oder inwieweit ein Preisaufschlag von einem unmittelbaren Abnehmer des Rechtsverletzers an einen mittelbaren Abnehmer weitergegeben wurde, davon ausgegangen wird, dass der mittelbare Abnehmer den Beweis dafür, dass der Preisaufschlag von dem unmittelbaren Abnehmer an seine Ebene weitergegeben wurde, erbracht hat, wenn er den Anscheinsbeweis dafür erbringt, dass eine solche Schadensabwälzung stattgefunden hat. Diese widerlegbare Vermutung gilt nicht, wenn der Rechtsverletzer gegenüber dem Gericht glaubhaft machen kann, dass die Vermögenseinbuße nicht oder nicht vollständig an den mittelbaren Abnehmer weitergegeben wurde. Ferner ist es angebracht festzulegen, unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass der mittelbare Abnehmer diesen Anscheinsbeweis geführt hat. Was die Ermittlung des Umfangs der Schadensabwälzung angeht, so sollten die nationalen Gerichte befugt sein zu schätzen, welcher Teil des Preisaufschlags in den bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten an die Ebene des mittelbaren Abnehmers weitergegeben wurde.
- (42)
- Die Kommission sollte für die nationalen Gerichte klare, einfache und umfassende Leitlinien dazu herausgeben, wie der Teil des auf die mittelbaren Abnehmer abgewälzten Preisaufschlags zu schätzen ist.
- (43)
- Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht betreffen häufig die Bedingungen und den Preis, zu denen Waren oder Dienstleistungen verkauft werden, und führen zu Preisaufschlägen und sonstigem Schaden für die Kunden der Rechtsverletzer. Die Zuwiderhandlung kann aber auch die Belieferung des Rechtsverletzers betreffen (zum Beispiel im Falle eines Einkaufskartells). In diesen Fällen könnte die tatsächliche Vermögenseinbuße dadurch verursacht werden, dass die Rechtsverletzer ihren Lieferanten einen niedrigeren Preis zahlen. Diese Richtlinie und insbesondere die Vorschriften über die Schadensabwälzung sollten in diesen Fällen entsprechend gelten.
- (44)
- Schadensersatzklagen können sowohl von denjenigen, die Waren oder Dienstleistungen von dem Rechtsverletzer erworben haben, als auch von Abnehmern auf einer nachgelagerten Vertriebsstufe erhoben werden. Im Interesse der Kohärenz der Urteile in im Zusammenhang stehenden Verfahren und um den Schaden zu verhindern, der dadurch entsteht, dass der durch die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union oder nationales Wettbewerbsrecht verursachte Schaden nicht vollständig ersetzt wird oder dass der Rechtsverletzer Ersatz für einen nicht erlittenen Schaden leisten muss, sollten die nationalen Gerichte befugt sein zu schätzen, welcher Anteil des Preisaufschlags in dem bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten auf die unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer abgewälzt wurde. In diesem Zusammenhang sollten die nationalen Gerichte in der Lage sein, Klagen, die im Zusammenhang stehen, und die Urteile, mit denen über diese Klagen entschieden wird, mit den nach Unions- und nationalem Recht verfügbaren verfahrens- und materiell-rechtlichen Mitteln gebührend zu berücksichtigen, insbesondere wenn darin die Schadensabwälzung als erwiesen angesehen wird. Den nationalen Gerichten sollten geeignete Verfahrensmittel, wie die Verbindung von Klagen, zur Verfügung stehen, damit gewährleistet ist, dass der Ersatz der eingetretenen Vermögenseinbuße auf keiner Vertriebsstufe den dort erlittenen Schaden in Form des Preisaufschlags auf dieser Vertriebsstufe übersteigt. Solche Mittel sollten auch bei grenzüberschreitenden Rechtssachen zur Verfügung stehen. Diese Möglichkeit, Urteile gebührend zu berücksichtigen, sollte die Grundrechte auf Verteidigung, einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren derjenigen, die nicht Partei der Gerichtsverfahren waren, sowie die Vorschriften über die Beweiskraft von in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen unberührt lassen. Klagen, die bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten anhängig sind, können im Sinne des Artikels 30 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates(6) als zusammenhängend angesehen werden. Nach jenem Artikel können später angerufene nationale Gerichte das Verfahren aussetzen oder sich für unzuständig erklären. Diese Richtlinie lässt die Rechte und Pflichten der nationalen Gerichte gemäß jener Verordnung unberührt.
- (45)
- Ein Geschädigter, der nachgewiesen hat, dass er infolge einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht einen Schaden erlitten hat, muss noch den Umfang dieses Schadens nachweisen, um Schadensersatz erhalten zu können. Die Quantifizierung eines Schadens im Rahmen von wettbewerbsrechtlichen Fällen ist in Bezug auf die Sachverhaltsfeststellung und -bewertung sehr aufwändig und erfordert unter Umständen die Anwendung komplexer ökonomischer Modelle. Dies ist häufig sehr kostspielig und bringt für die Kläger Schwierigkeiten mit sich, an die für die Substantiierung ihrer Ansprüche erforderlichen Daten zu gelangen. Die Ermittlung des Schadensumfangs in wettbewerbsrechtlichen Fällen als solche kann daher eine erhebliche Hürde darstellen, die wirksame Schadensersatzansprüche verhindert.
- (46)
- Da keine unionsrechtlichen Vorschriften über die Ermittlung des Umfangs eines durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens bestehen, ist es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die eigenen Vorschriften über die Schadensberechnung festzulegen, und Sache der Mitgliedstaaten und der nationalen Gerichte festzulegen, welche Anforderungen der Kläger beim Nachweis des Umfangs des erlittenen Schadens erfüllen muss, welche Methoden er für die Ermittlung dieses Betrags verwenden kann und welche Folgen es hat, wenn er diese Anforderungen nicht erfüllen kann. Die Anforderungen des nationalen Rechts an die Ermittlung des Schadensumfangs in wettbewerbsrechtlichen Fällen sollten jedoch weder weniger günstig sein als die Anforderungen an ähnliche innerstaatliches Recht betreffende Klagen (Äquivalenzgrundsatz), noch sollten sie die Ausübung des Unionsrechts auf Schadensersatz praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). In diesem Zusammenhang sollten Informationsasymmetrien zwischen den Parteien und die Tatsache berücksichtigt werden, dass Ermittlung des Schadensumfangs bedeutet, dass geprüft wird, wie sich der betroffene Markt entwickelt hätte, wenn die Zuwiderhandlung nicht begangen worden wäre. Diese Prüfung beinhaltet einen Vergleich mit einer per definitionem hypothetischen Situation und kann daher niemals mit letzter Genauigkeit vorgenommen werden. Es ist daher angebracht sicherzustellen, dass die nationalen Gerichte über die Befugnis verfügen, die Höhe des durch die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens zu schätzen. Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden, sofern sie darum ersucht werden, Orientierungshilfen bezüglich der Schadensberechnung bereitstellen dürfen. Um Kohärenz und Berechenbarkeit zu gewährleisten, sollte die Kommission allgemeine Orientierungshilfen auf Unionsebene bereitstellen.
- (47)
- Um die Informationsasymmetrie und einige der mit der Quantifizierung des Schadens in wettbewerbsrechtlichen Fällen verbundenen Schwierigkeiten zu beheben und um die wirksame Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu gewährleisten, ist es angebracht zu vermuten, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen einen Schaden verursachen, insbesondere durch Auswirkungen auf die Preise. Je nach Sachverhalt verursachen Kartelle Preiserhöhungen oder verhindern Preissenkungen, die ohne das Kartell eingetreten wären. Diese Vermutung sollte nicht die konkrete Höhe des Schadens erfassen. Den Rechtsverletzern sollte es erlaubt sein, diese Vermutung zu widerlegen. Es ist angebracht, diese widerlegbare Vermutung auf Kartelle zu beschränken, da diese durch ihren geheimen Charakter die Informationsasymmetrie verstärken und es dem Kläger erschweren, die für den Nachweis des Schadens erforderlichen Beweise zu beschaffen.
- (48)
- Zur Verringerung der Unsicherheit für Rechtsverletzer und Geschädigte ist eine endgültige vergleichsweise Regelung für Beklagte wünschenswert. Rechtsverletzer und Geschädigte sollten deshalb ermutigt werden, sich in einvernehmlichen Streitbeilegungsverfahren, zum Beispiel außergerichtlichen Vergleichen (einschließlich solcher, in denen ein Richter einen Vergleich als rechtsverbindlich erklären kann), Schiedsverfahren, Mediationsverfahren oder Schlichtungsverfahren auf einen Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens zu einigen. Diese einvernehmliche Streitbeilegung sollte so viele Geschädigte und Rechtsverletzer wie rechtlich möglich umfassen. Die Bestimmungen dieser Richtlinie über die einvernehmliche Streitbeilegung sollen daher die Nutzung dieser Verfahren erleichtern und ihre Wirksamkeit erhöhen.
- (49)
- Die Verjährungsfrist für die Erhebung einer Schadensersatzklage kann unter Umständen so beschaffen sein, dass die Geschädigten und die Rechtsverletzer nicht über genügend Zeit verfügen, um eine Einigung über den zu zahlenden Schadensersatz zu erzielen. Damit beide Seiten die ernsthafte Gelegenheit zu einer einvernehmlichen Streitbeilegung haben, bevor ein Verfahren vor nationalen Gerichten eingeleitet wird, müssen die Verjährungsfristen daher für die Dauer des Verfahrens der einvernehmlichen Streitbeilegung gehemmt sein.
- (50)
- Wenn die Parteien vereinbaren, eine einvernehmliche Streitbeilegung einzuleiten, nachdem wegen desselben Anspruchs eine Schadensersatzklage bei einem nationalen Gericht erhoben wurde, sollte das Gericht das bei ihm anhängige Verfahren für die Dauer des Verfahrens der einvernehmlichen Streitbeilegung aussetzen können. Wenn das nationale Gericht prüft, ob das Verfahren ausgesetzt werden soll, sollte es die Vorteile eines zügigen Verfahrens berücksichtigen.
- (51)
- Zur Förderung von Vergleichen sollte ein Rechtsverletzer, der aufgrund einer einvernehmlichen Streitbeilegung Schadensersatz leistet, gegenüber den anderen Rechtsverletzern nicht schlechter gestellt werden als ohne den Vergleich. Dies könnte der Fall sein, wenn sich vergleichende Rechtsverletzer auch nach einem Vergleich noch in vollem Umfang gesamtschuldnerisch für den durch die Zuwiderhandlung verursachten Schaden haften würden. Ein sich vergleichender Rechtsverletzer sollte daher grundsätzlich keinen Ausgleichsbetrag an die anderen, nicht am Vergleich beteiligten Rechtsverletzer zahlen müssen, wenn diese dem Geschädigten, mit dem sich der erste Rechtsverletzer vorher verglichen hat, Schadensersatz geleistet haben. Als Folge dessen sollte sich der Anspruch des Geschädigten um den Anteil des sich vergleichenden Rechtsverletzers an dem ihm entstandenen Schaden verringern, ungeachtet dessen, ob die Höhe des Vergleichsbetrags mit dem relativen Anteil an dem Schaden, den der sich vergleichende Rechtsverletzer dem sich vergleichenden Geschädigten zugefügt hat, identisch ist oder davon abweicht. Für die Bestimmung dieses relativen Anteils sollten dieselben Vorschriften gelten wie für die Festlegung der Ausgleichsbeträge unter den Rechtsverletzern. Ohne eine solche Verringerung wären die nicht am Vergleich beteiligten Rechtsverletzer in unangemessener Weise von einer vergleichsweisen Regelung betroffen, an der sie nicht als Partei beteiligt waren. Zur Gewährleistung des Rechts auf vollständigen Schadensersatz sollte in Ausnahmefällen der sich vergleichende Rechtsverletzer allerdings weiter verpflichtet sein, Schadensersatz zu leisten, wenn dies für den sich vergleichenden Geschädigten die einzige Möglichkeit ist, Schadensersatz für den verbleibenden Anspruch zu erhalten. Der verbleibende Anspruch bezieht sich auf den Anspruch des sich vergleichenden Geschädigten abzüglich des Anteils des sich vergleichenden Rechtsverletzers an dem Schaden, der dem sich vergleichenden Geschädigten durch die Zuwiderhandlung entstanden ist. Letztere Möglichkeit zur Geltendmachung von Schadensersatz gegen den sich vergleichenden Rechtsverletzer besteht nicht, wenn sie nach dem Vergleich ausdrücklich ausgeschlossen ist.
- (52)
- Es sollten Situationen vermieden werden, in denen die sich vergleichenden Rechtsverletzer einen Gesamtbetrag an Schadensersatz zahlen, der ihre relative Verantwortung für den Schaden, der durch die Zuwiderhandlung entstanden ist, übersteigt, weil sie Ausgleichsbeträge an nicht am Vergleich beteiligte Rechtsverletzer für Entschädigungen gezahlt haben, die diese an nicht am Vergleich beteiligte Geschädigte gezahlt haben. Wenn daher von vergleichenden Rechtsverletzern Ausgleichsbeträge für Schadensersatzzahlungen verlangt werden, die nicht am Vergleich beteiligte Rechtsverletzer danach an nicht am Vergleich beteiligte Geschädigte geleistet haben, sollten nationale Gerichte den bereits aufgrund des Vergleichs geleisteten Schadensersatz sowie die Tatsache berücksichtigen, dass nicht zwangsläufig alle Rechtsverletzer in materieller, zeitlicher und räumlicher Hinsicht gleichermaßen an der Zuwiderhandlung beteiligt sind.
- (53)
- Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.
- (54)
- Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich Vorschriften für Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts der Union festzulegen, um die volle Wirkung der Artikel 101 und 102 AEUV und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Unternehmen und Verbraucher zu gewährleisten, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen der erforderlichen Wirksamkeit und Kohärenz der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 EUV verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
- (55)
- In der Gemeinsamen Politischen Erklärung vom 28. September 2011 der Mitgliedstaaten und der Kommission zu erläuternden Dokumenten(7) haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, in begründeten Fällen zusätzlich zur Notifizierung ihrer Umsetzungsmaßnahmen in einem Dokument oder mehreren Dokumenten das Verhältnis zwischen den Bestandteilen einer Richtlinie und den entsprechenden Teilen innerstaatlicher Umsetzungsinstrumente zu erläutern. In Bezug auf diese Richtlinie hält der Gesetzgeber die Übermittlung derartiger Dokumente für gerechtfertigt.
- (56)
- Es ist angebracht, Bestimmungen für die zeitliche Geltung dieser Richtlinie vorzusehen —
HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 83.
- (2)
Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 17. April 2014 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 10. November 2014.
- (3)
Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1).
- (4)
Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 1).
- (5)
Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145 vom 31.5.2001, S. 43).
- (6)
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1).
- (7)
ABl. C 369 vom 17.12.2011, S. 14.
© Europäische Union 1998-2021
Tipp: Verwenden Sie die Pfeiltasten der Tastatur zur Navigation zwischen Normen.