Präambel RL 2021/903/EU
DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
gestützt auf die Richtlinie 2009/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Sicherheit von Spielzeug(1), insbesondere auf Artikel 46 Absatz 2,
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- Die Richtlinie 2009/48/EG enthält bestimmte Vorschriften für chemische Stoffe, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates(2) als karzinogen, mutagen oder reproduktionstoxisch eingestuft sind. In Anhang II Anlage C der Richtlinie 2009/48/EG sind spezifische Grenzwerte für chemische Stoffe festgelegt, die in Spielzeug verwendet werden, das für Kinder unter 36 Monaten bestimmt ist, bzw. in anderem Spielzeug, das dazu bestimmt ist, in den Mund genommen zu werden.
- (2)
- Anilin (CAS-Nummer 62-53-3) ist gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates(3) als karzinogen (Kategorie 2) und als mutagen (Kategorie 2) eingestuft. Gemäß Anhang II Teil III Nummer 5 Buchstabe a der Richtlinie 2009/48/EG dürfen karzinogene Stoffe der Kategorie 2 wie Anilin in Spielzeug in Einzelkonzentrationen verwendet werden, die der in der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 für die Einstufung von Gemischen, die diese Stoffe enthalten, festgelegten einschlägigen Konzentration entsprechen oder kleiner sind als diese, nämlich 1 %(4), was 10000 mg/kg ( „Gehaltsgrenzwert” ) entspricht. Derselbe Gehaltsgrenzwert gilt für mutagene Stoffe der Kategorie 2(5).
- (3)
- Der Wissenschaftliche Ausschuss „Gesundheits- und Umweltrisiken” (SCHER) vertrat in seiner Stellungnahme vom 29. Mai 2007 die Auffassung, dass Verbindungen, die karzinogen, mutagen oder reproduktionstoxisch (CMR) sind, in Spielzeug nicht enthalten sein sollten.(6) Gemäß der Schlussfolgerung des EU-Berichts über die Risikobewertung betreffend Anilin(7) müssen für die Verbraucher die mit der Verwendung von anilinhaltigen Produkten verbundenen Gesundheitsrisiken begrenzt werden. Diese Schlussfolgerung beruht auf „Bedenken hinsichtlich Mutagenität und Karzinogenität infolge der Exposition bei der Verwendung von Produkten, die Anilin enthalten, da es sich bei diesem Stoff um ein Karzinogen ohne Schwellenwert handelt” . Der Ausschuss für Risikobeurteilung der Europäischen Chemikalienagentur (RAC) wies in seiner Stellungnahme zur Beschränkung von Stoffen in Tätowierfarben und Permanent-Make-up(8) darauf hin, dass Anilin als Karzinogen ohne Schwellenwert betrachtet wird. Anilin kann daher selbst bei geringster Expositionshöhe Krebs verursachen.
- (4)
- Die Kommission hat die Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug eingesetzt, um sich bei der Ausarbeitung von Legislativvorschlägen und politischen Initiativen im Bereich der Spielzeugsicherheit beraten zu lassen. Ihre Untergruppe „Arbeitsgruppe Chemikalien in Spielzeug” (im Folgenden „Untergruppe Chemikalien” ) hat die Aufgabe, die Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug in Bezug auf chemische Stoffe, die in Spielzeug verwendet werden dürfen, zu beraten.
- (5)
- Auf der Sitzung der Untergruppe „Chemikalien” , die am 18. Februar 2015(9) stattfand, wiesen mehrere Mitglieder darauf hin, dass Anilin in gefärbten Materialien für Spielzeug wie Textilien oder Leder gefunden werden kann, wenn diese Materialien einer Prüfung der reduktiven Spaltung gemäß Anlage 10 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates(10) unterzogen werden. Das Vorhandensein von Anilin in Textilien nach der Prüfung der reduktiven Spaltung wurde in einer Studie bestätigt, die in Schweden(11) als Folgemaßnahme der Sitzung der Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug vom 8. Juni 2015 durchgeführt wurde. Bei 23 Textilproben wurde Anilin in einer roten Textilie (4 % aller Proben) in einer Konzentration von 91 mg/kg nachgewiesen. Das Vorhandensein von Anilin in Kleidung nach der Prüfung der reduktiven Spaltung wurde in einer anhand von 153 Proben durchgeführten Studie bestätigt(12). Anilin wurde in 9 Proben (6 % aller Proben) in einer Konzentration von bis zu 588 mg/kg nachgewiesen. Darüber hinaus wurde laut einer deutschen Verbraucherzeitschrift(13) Anilin in einer Fingerfarbe nach reduktiver Spaltung gefunden. Wie die Untergruppe „Chemikalien” ferner in einem Schriftverkehr mit der Kommission im Mai 2020 feststellte, könnte freies Anilin in Fingerfarben als Verunreinigung der in solchen Farben enthaltenen Farbstoffe vorhanden sein.
- (6)
- Auf der Sitzung der Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug vom 8. Juni 2015 legte Deutschland ein Positionspapier mit einer wissenschaftlichen Bewertung der toxikologischen Eigenschaften von Anilin(14) vor. Nach dieser Bewertung stellt der derzeitige Gehaltsgrenzwert für Anilin ein Risiko sowohl in Bezug auf die systemischen als auch auf die kanzerogenen Wirkungen dieses Stoffes dar. Die Untergruppe „Chemikalien” kam in ihrer Sitzung vom 26. September 2017(15) zu dem Schluss, dass eine Beschränkung für Anilin in Spielzeug auf Spielzeug und Spielzeugteile aus Textilien und Leder sowie auf Fingerfarben abzielen sollte, da bislang keine ausreichenden Informationen darüber vorliegen, ob eine Beschränkung von Anilin in Spielzeug oder Spielzeugmaterialien, die nicht aus Textilien und Leder bestehen, und keine Fingerfarben sind, notwendig ist. Ferner wies die Untergruppe darauf hin, dass der Grenzwert 30 mg/kg nach reduktiver Spaltung sein sollte. Dieser Wert ist die niedrigste Konzentration, die sich bei der Prüfung der reduktiven Spaltung verlässlich ermitteln lässt. Was die Fingerfarben betrifft, wies die Untergruppe darauf hin, dass für freies Anilin ein Grenzwert von 10 mg/kg festgelegt werden sollte, da dies die niedrigste, bei Routinetests von Fingerfarben zuverlässig nachweisbare Konzentration ist.
- (7)
- Die Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug hat auf ihrer Sitzung vom 19. Dezember 2017(16) die Festlegung eines Grenzwerts von 30 mg/kg für Anilin nach reduktiver Spaltung in Spielzeugmaterialien aus Textilien und Leder, von 30 mg/kg für Anilin nach reduktiver Spaltung in Fingerfarben sowie von 10 mg/kg für freies Anilin in Fingerfarben, wie bereits früher von der Untergruppe „Chemikalien” angegeben, geprüft.
- (8)
- Gemäß Artikel 46 Absatz 2 der Richtlinie 2009/48/EG sind die in der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates(17) festgelegten Vorschriften über die Verpackung von Lebensmitteln bei der Festlegung spezifischer Grenzwerte für Chemikalien in Anlage C jener Richtlinie zu berücksichtigen. Die Basisannahmen, die den Migrationsprüfungsmethoden gemäß Artikel 11 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 der Kommission(18) zugrunde liegen, bei der es sich um eine Einzelmaßnahme im Sinne des Artikels 5 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 handelt, in der besondere Anforderungen an die Herstellung und das Inverkehrbringen von Materialien und Gegenständen aus Kunststoff festgelegt werden, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, unterscheiden sich jedoch von den Basisannahmen für die Gehaltsgrenzwerte für Anilin in bestimmtem Spielzeug in der Richtlinie 2009/48/EG. Darüber hinaus ist es nicht möglich, Migrationsgrenzwerte mit Gehaltsgrenzwerten zu vergleichen. Daher besteht aufgrund dieser Schlussfolgerungen keine Möglichkeit, die Vorschriften über die Verpackung von Lebensmitteln bei der Festlegung von Gehaltsgrenzwerten für Anilin in Spielzeug zu berücksichtigen.
- (9)
- Angesichts der Einstufung von Anilin als CMR-Stoff, des EU-Berichts über die Risikobewertung betreffend Anilin, der Stellungnahme von RAC und SCHER, der Stellungnahmen der Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug und ihrer Untergruppe „Chemikalien” sowie der Studien über das Vorhandensein von Anilin in Textilien ist es erforderlich, einen Grenzwert für Textilmaterialien für Spielzeug und Ledermaterialien für Spielzeug von 30 mg/kg nach reduktiver Spaltung und einen Grenzwert für Anilin in Fingerfarben von 10 mg/kg als freies Anilin und von 30 mg/kg nach reduktiver Spaltung festzusetzen.
- (10)
- Die Richtlinie 2009/48/EG sollte daher entsprechend geändert werden.
- (11)
- Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ausschusses für die Sicherheit von Spielzeug —
HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. L 170 vom 30.6.2009, S. 1.
- (2)
Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. L 353 vom 31.12.2008, S. 1).
- (3)
Anhang VI Tabelle 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008.
- (4)
Anhang I Tabelle 3.6.2 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008.
- (5)
Anhang I Tabelle 3.5.2 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008.
- (6)
Wissenschaftlicher Ausschuss „Gesundheits- und Umweltrisiken” (SCHER). Reaktion des CEN auf die Stellungnahme des CSTEE zur Bewertung des CEN-Berichts über die Risikobewertung von organischen Chemikalien in Spielzeug. Angenommen am 29.5.2007.
http://ec.europa.eu/health/archive/ph_risk/committees/04_scher/docs/scher_o_056.pdf
- (7)
Europäisches Büro für chemische Stoffe, Institut für Gesundheit und Verbraucherschutz, 2004. EUR 21092 EN. Abschnitt 5.2.1.2, S. 180.
https://echa.europa.eu/documents/10162/6434698/orats_final_rar_aniline_en.pdf/0abd36ad-53de-4b0f-b258-10cf90f90493
- (8)
Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC), Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC), Stellungnahme zu einem Dossier nach Anhang XV, in dem Beschränkungen für in Tätowierfarben und Permanent-Make-up verwendete Stoffe vorgeschlagen werden. Angenommen am 20. November 2018. Anlage 2, Abschnitt 2, S. 90.
https://echa.europa.eu/documents/10162/2b4533af-f717-4bff-939b-2320fb43b462
- (9)
Register der Expertengruppen der Kommission, Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug (E01360).
https://ec.europa.eu/transparency/regexpert/index.cfm?do=groupDetail.groupDetailDoc&id=20916&no=1
- (10)
Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1).
- (11)
Sitzungsdokument der Untergruppe „Chemikalien” : EXP/WG/2015/027/Ann1, Aniline from azodye cleavage, Results from Sweden.
- (12)
Brüschweiler et al., Identification of non-regulated aromatic amines of toxicological concern which can be cleaved from azo dyes used in clothing textiles, Regulatory Toxicology and Pharmacology 69 (2014) 263–272. Zitiert in: ANEC — Position paper on aniline. April 2016. Vorgestellt in der Sitzung der Untergruppe „Chemikalien” am 1. Juni 2016 (EXP/WG/2016/027).
- (13)
Ökotest 2/2015, S. 69.
- (14)
Diskussionspapier EXP/2015/029/rev1.
- (15)
Register der Expertengruppen der Kommission, Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug (E01360).
http://ec.europa.eu/transparency/regexpert/index.cfm?do=groupDetail.groupMeeting&meetingId=4151http://ec.europa.eu/transparency/regexpert/index.cfm?do=groupDetail.groupMeeting&meetingId=4151
- (16)
Register der Expertengruppen der Kommission, Sachverständigengruppe für die Sicherheit von Spielzeug (E01360), Registerkarte „Sitzungen” .
http://ec.europa.eu/transparency/regexpert/index.cfm?do=groupDetail.groupMeeting&meetingId=1485http://ec.europa.eu/transparency/regexpert/index.cfm?do=groupDetail.groupMeeting&meetingId=1485
- (17)
Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, und zur Aufhebung der Richtlinien 80/590/EWG und 89/109/EWG (ABl. L 338 vom 13.11.2004, S. 4).
- (18)
Verordnung (EU) Nr. 10/2011 der Kommission vom 14. Januar 2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (ABl. L 12 vom 15.1.2011, S. 1).
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