Präambel RL 93/109/EG
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —
gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 8b Absatz 2,
auf Vorschlag der Kommission,
nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(1),
in Erwägung nachstehender Gründe:
Der Vertrag über die Europäische Union stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar. Seine Aufgabe ist es insbesondere, die Beziehungen zwischen den Völkern der Mitgliedstaaten kohärent und solidarisch zu gestalten. Zu seinen Grundzielen gehört es, den Schutz der Rechte und Interessen der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch Einführung einer Unionsbürgerschaft zu stärken.
Zu diesem Zweck wird mit den Bestimmungen des Titels II des Vertrages über die Europäische Union, durch den der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Hinblick auf die Gründung der Europäischen Gemeinschaft geändert wird, eine Unionsbürgerschaft für alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten eingeführt und ihnen daraus eine Reihe von Rechten zuerkannt.
Das in Artikel 8b Absatz 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vorgesehene aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat stellt eine Anwendung des Grundsatzes der Nichtsdiskriminierung zwischen in- und ausländischen Gemeinschaftsbürgern sowie eine Ergänzung des in Artikel 8a des EG-Vertrags festgeschriebenen Rechts auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt dar.
Artikel 8b Absatz 2 des EG-Vertrags betrifft nur die Möglichkeit der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament — unbeschadet der Durchführung von Artikel 138 Absatz 3 des EG-Vertrags, der die Einführung eines in allen Mitgliedstaaten einheitlichen Verfahrens für diese Wahlen vorsieht — und zielt vor allem darauf ab, die Bedingung der Staatsangehörigkeit, an die heute in den meisten Mitgliedstaaten die Ausübung dieser Rechte geknüpft ist, aufzuheben.
Die Anwendung von Artikel 8b Absatz 2 des EG-Vertrags setzt keine Harmonisierung der Wahlrechtsordnungen der Mitgliedstaaten voraus. Mit Rücksicht auf den in Artikel 3b Absatz 3 des EG-Vertrags festgeschriebenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf zudem der Inhalt der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften nicht über das für die Erreichung des Ziels von Artikel 8b Absatz 2 des EG-Vertrags erforderliche Maß hinausgehen.
Artikel 8b Absatz 2 des EG-Vertrags zielt darauf ab, daß alle Unionsbürger, gleich, ob sie Staatsangehörige des Mitgliedstaats ihres Wohnsitzes sind oder nicht, dort ihr aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament unter den gleichen Bedingungen ausüben können. Deshalb müssen für die Unionsbürger, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats sind, die gleichen Bedingungen, insbesondere bezüglich der Wohnsitzdauer und des Wohnsitznachweises, gelten, wie sie gegebenenfalls für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gelten.
Artikel 8b Absatz 2 des EG-Vertrags sieht das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat vor, ohne dieses an die Stelle des aktiven und passiven Wahlrechts im Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, zu setzen. Es gilt, die freie Entscheidung des Unionsbürgers bezüglich des Mitgliedstaats, in dem er sich an der Europawahl beteiligen möchte, zu respektieren, wobei ein Mißbrauch dieser Freiheit durch eine doppelte Stimmabgabe oder eine doppelte Kandidatur auszuschließen ist.
Jede Ausnahme von den allgemeinen Regeln dieser Richtlinie muß nach Artikel 8b Absatz 2 des EG-Vertrags aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaats gerechtfertigt sein, wobei jede Ausnahmeregelung auf ihren Ausnahmecharakter hin überprüft werden muß.
Solche besonderen Probleme können sich insbesondere in einem Mitgliedstaat ergeben, in dem der Anteil von Unionsbürgern im Wahlalter, die in diesem Mitgliedstaat ihren Wohnsitz haben, ohne dessen Staatsangehörigkeit zu besitzen, ganz erheblich über dem Durchschnitt liegt. Ein Anteil von 20 v. H. solcher Unionsbürger an der gesamten Wählerschaft rechtfertigt eine Ausnahmeregelung, die sich auf das Kriterium der Wohnsitzdauer stützt.
Die Unionsbürgerschaft zielt darauf ab, die Unionsbürger in ihrem Aufnahmeland besser zu integrieren; in diesem Zusammenhang entspricht es den Absichten der Verfasser des Vertrages, jede Polarisierung zwischen den Listen von in- und ausländischen Kandidaten zu vermeiden.
Dieses Risiko der Polarisierung betrifft vornehmlich einen Mitgliedstaat, in dem der Anteil der Unionsbürger im Wahlalter, die nicht seine Staatsangehörigkeit besitzen, 20 v. H. aller Unionsbürger im Wahlalter mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat übersteigt; von daher ist es wichtig, daß dieser Mitgliedstaat unter Beachtung von Artikel 8b des EG-Vertrags besondere Bestimmungen hinsichtlich der Zusammensetzung der Kandidatenlisten vorsehen kann.
Es ist zu berücksichtigen, daß in einigen Mitgliedstaaten die dort wohnenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zur Wahl des nationalen Parlaments berechtigt sind. Bestimmte Vorschriften dieser Richtlinie brauchen infolgedessen auf sie nicht angewendet zu werden —
HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. Nr. C 329 vom 6. 12. 1993.
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