Präambel RL 93/98/EWG

DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf die Artikel 57 Absatz 2, 66 und 100a,

auf Vorschlag der Kommission(1),

in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament(2),

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

1.
Die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst und das Internationale Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (Rom-Abkommen) sehen nur eine Mindestschutzdauer vor und überlassen es damit den Vertragsstaaten, die betreffenden Rechte längerfristig zu schützen. Einige Mitgliedstaaten haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Andere Mitgliedstaaten sind dem Rom-Abkommen nicht beigetreten.
2.
Diese Rechtslage und die längere Schutzdauer in einigen Mitgliedstaaten führen dazu, daß die geltenden einzelstaatlichen Vorschriften über die Schutzdauer des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte Unterschiede aufweisen, die den freien Warenverkehr sowie den freien Dienstleistungsverkehr behindern und die Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt verfälschen können. Es ist daher im Hinblick auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu harmonisieren, damit in der gesamten Gemeinschaft dieselbe Schutzdauer gilt.
3.
Die Harmonisierung darf sich nicht auf die Schutzdauer als solche erstrecken, sondern muß auch einige ihrer Modalitäten wie den Zeitpunkt, ab dem sie berechnet wird, betreffen.
4.
Die Bestimmungen dieser Richtlinie berühren nicht die Anwendung von Artikel 14 bis Absatz 2 Buchstaben b), c) und d) und Absatz 3 der Berner Übereinkunft durch die Mitgliedstaaten.
5.
Die Mindestschutzdauer, die nach der Berner Übereinkunft fünfzig Jahre nach dem Tod des Urhebers umfaßt, verfolgte den Zweck, den Urheber und die ersten beiden Generationen seiner Nachkommen zu schützen. Wegen der gestiegenen durchschnittlichen Lebenserwartung in der Gemeinschaft reicht diese Schutzdauer nicht mehr aus, um zwei Generationen zu erfassen.
6.
Einige Mitgliedstaaten haben die Schutzdauer über den Zeitraum von fünfzig Jahren nach dem Tod des Urhebers hinaus verlängert, um einen Ausgleich für die Auswirkungen der beiden Weltkriege auf die Verwertung der Werke zu schaffen.
7.
Bei der Schutzdauer der verwandten Schutzrechte haben sich einige Mitgliedstaaten für eine Schutzdauer von fünfzig Jahren nach der erlaubten Veröffentlichung oder der erlaubten öffentlichen Wiedergabe entschieden.
8.
Nach dem Standpunkt der Gemeinschaft für die Verhandlungen der Uruguay-Runde im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) sollte die Schutzdauer für die Hersteller von Tonträgern fünfzig Jahre nach der ersten Veröffentlichung betragen.
9.
Die Wahrung erworbener Rechte gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt werden. Eine Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte darf daher nicht zur Folge haben, daß der Schutz, den die Rechtsinhaber gegenwärtig in der Gemeinschaft genießen, beeinträchtigt wird. Damit sich die Auswirkungen der Übergangsmaßnahmen auf ein Mindestmaß beschränken lassen und der Binnenmarkt in der Praxis funktionieren kann, ist die Harmonisierung auf eine lange Schutzdauer auszurichten.
10.
In ihrer Mitteilung vom 17. Januar 1991 „Initiativen zum Grünbuch — Arbeitsprogramm der Kommission auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte” betont die Kommission, daß die Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte auf einem hohen Schutzniveau erfolgen müsse, da diese Rechte die Grundlage für das geistige Schaffen bilden; weiter hebt sie hervor, daß durch den Schutz dieser Rechte die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Kreativität im Interesse der Autoren, der Kulturindustrie, der Verbraucher und der ganzen Gesellschaft sichergestellt werden können.
11.
Zur Einführung eines hohen Schutzniveaus, das sowohl den Anforderungen des Binnenmarkts als auch der Notwendigkeit entspricht, ein rechtliches Umfeld zu schaffen, das die harmonische Entwicklung der literarischen und künstlerischen Kreativität in der Gemeinschaft fördert, ist die Schutzdauer folgendermaßen zu harmonisieren: siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers bzw. siebzig Jahre, nachdem das Werk erlaubterweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, für das Urheberrecht und fünfzig Jahre nach dem für den Beginn der Frist maßgebenden Ereignis für die verwandten Schutzrechte.
12.
Sammlungen sind nach Artikel 2 Absatz 5 der Berner Übereinkunft geschützt, wenn sie wegen der Auswahl und Anordnung des Stoffes geistige Schöpfungen darstellen; diese Werke sind als solche geschützt, und zwar unbeschadet der Rechte der Urheber an jedem einzelnen der Werke, die Bestandteile dieser Sammlungen sind; folglich können für die Werke in Sammlungen spezifische Schutzfristen gelten.
13.
In allen Fällen, in denen eine oder mehrere natürliche Personen als Urheber identifiziert sind, sollte sich die Schutzfrist ab ihrem Tod berechnen; die Frage der Urheberschaft an einem Werk insgesamt oder an einem Teil eines Werks ist eine Tatsachenfrage, über die gegebenenfalls die nationalen Gerichte zu entscheiden haben.
14.
Die Schutzfristen sollten entsprechend der Regelung in der Berner Übereinkunft und im Rom-Abkommen am 1. Januar des Jahres beginnen, das auf den rechtsbegründenden Tatbestand folgt.
15.
Gemäß Artikel 1 der Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen(4) haben die Mitgliedstaaten Computerprogramme urheberrechtlich als literarische Werke im Sinne der Berner Übereinkunft zu schützen. Die vorliegende Richtlinie harmonisiert die Schutzdauer für literarische Werke in der Gemeinschaft. Artikel 8 der Richtlinie 91/250/EWG, der nur eine vorläufige Harmonisierung der Schutzdauer für Computerprogramme vorsieht, ist daher aufzuheben.
16.
Die Artikel 11 und 12 der Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums(5) sehen unbeschadet einer weiteren Harmonisierung nur eine Mindestschutzdauer der Rechte vor. Die vorliegende Richtlinie bezweckt diese weitere Harmonisierung. Folglich ist es notwendig, diese Artikel außer Kraft treten zu lassen.
17.
Der Schutz von Fotografien ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt. Damit die Schutzdauer für fotografische Werke insbesondere bei Werken, die aufgrund ihrer künstlerischen oder professionellen Qualität im Rahmen des Binnenmarkts von Bedeutung sind, ausreichend harmonisiert werden kann, muß der hierfür erforderliche Originalitätsgrad in der vorliegenden Richtlinie festgelegt werden. Im Sinne der Berner Übereinkunft ist ein fotografisches Werk als ein individuelles Werk zu betrachten, wenn es die eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstellt, in der seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt; andere Kriterien wie z. B. Wert oder Zwecksetzung sind hierbei nicht zu berücksichtigen. Der Schutz anderer Fotografien kann durch nationale Rechtsvorschriften geregelt werden.
18.
Um Unterschiede bei der Schutzdauer für verwandte Schutzrechte zu vermeiden, ist für deren Berechnung in der gesamten Gemeinschaft ein und derselbe für den Beginn der Schutzdauer maßgebliche Zeitpunkt vorzusehen. Die Darbietung, Aufzeichnung, Übertragung, erlaubte Veröffentlichung oder erlaubte öffentliche Wiedergabe, d. h. die Mittel, mit denen ein Gegenstand eines verwandten Schutzrechts Personen in jeder geeigneten Weise generell zugänglich gemacht wird, werden für die Berechnung der Schutzdauer ungeachtet des Landes berücksichtigt, in dem die betreffende Darbietung, Aufzeichnung, Übertragung, erlaubte Veröffentlichung oder erlaubte öffentliche Wiedergabe erfolgt.
19.
Das Recht der Sendeunternehmen an ihren Sendungen, unabhängig davon, ob es sich hierbei um drahtlose oder drahtgebundene, über Kabel oder durch Satelliten vermittelte Sendungen handelt, sollte nicht zeitlich unbegrenzt währen; es ist deshalb notwendig, die Schutzdauer nur von der ersten Ausstrahlung einer bestimmten Sendung an laufen zu lassen; diese Vorschrift soll verhindern, daß eine neue Frist in den Fällen zu laufen beginnt, in denen eine Sendung mit einer vorhergehenden identisch ist.
20.
Es steht den Mitgliedstaaten frei, andere verwandte Schutzrechte beizubehalten oder einzuführen, insbesondere in bezug auf den Schutz kritischer und wissenschaftlicher Ausgaben; um die Transparenz auf Gemeinschaftsebene sicherzustellen, müssen die Mitgliedstaaten, die neue verwandte Schutzrechte einführen, dies jedoch der Kommission mitteilen.
21.
Es empfiehlt sich klarzustellen, daß sich die in dieser Richtlinie vorgesehene Harmonisierung nicht auf die Urheberpersönlichkeitsrechte erstreckt.
22.
Bei Werken, deren Ursprungsland im Sinne der Berner Übereinkunft ein Drittland ist und deren Urheber kein Gemeinschaftsangehöriger ist, sollte ein Schutzfristenvergleich angewandt werden, wobei die in der Gemeinschaft gewährte Schutzfrist die Frist nach dieser Richtlinie nicht überschreiten darf.
23.
Die in dieser Richtlinie vorgesehene Schutzdauer der verwandten Schutzrechte sollte auch für Rechtsinhaber gelten, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft sind, die jedoch aufgrund internationaler Vereinbarungen einen Schutzanspruch haben, ohne daß diese Schutzdauer die des Drittlands überschreitet, dessen Staatsangehöriger der Rechtsinhaber ist.
24.
Die Anwendung der Bestimmungen über den Schutzfristenvergleich darf nicht zur Folge haben, daß die Mitgliedstaaten mit ihren internationalen Verpflichtungen in Konflikt geraten.
25.
Damit der Binnenmarkt reibungslos funktionieren kann, sollte diese Richtlinie ab 1. Juli 1995 anwendbar sein.
26.
Den Mitgliedstaaten sollte es freistehen, Bestimmungen zu erlassen, die die Auslegung, Anpassung und weitere Erfüllung von Verträgen über die Nutzung geschützter Werke oder sonstiger Gegenstände betreffen, die vor der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verlängerung der Schutzdauer geschlossen wurden.
27.
Die Wahrung erworbener Rechte und die Berücksichtigung berechtigter Erwartungen sind Bestandteil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung. Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere vorsehen können, daß das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, die in Anwendung dieser Richtlinie wiederaufleben, unter bestimmten Umständen diejenigen Personen nicht zu Zahlungen verpflichten, die die Werke zu einer Zeit gutgläubig verwertet haben, als diese gemeinfrei waren —

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. Nr. C 92 vom 11. 4. 1992, S. 6, und

ABl. Nr. C 27 vom 13. 1. 1993, S. 7.

(2)

ABl. Nr. C 337 vom 21. 12. 1992, S. 205, und

Beschluß vom 27. Oktober 1993 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3)

ABl. Nr. C 287 vom 4. 11. 1992, S. 53.

(4)

ABl. Nr. L 122 vom 17. 5. 1991, S. 42.

(5)

ABl. L 346 vom 27. 11. 1992, S. 61.

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