Präambel eIDAS (VO (EU) 2014/910)

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 114,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1),

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren(2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung setzt Vertrauen in das Online-Umfeld voraus. Mangelndes Vertrauen führt dazu, dass Verbraucher, Unternehmen und öffentliche Verwaltungen nur zögerlich elektronische Transaktionen durchführen oder neue Dienste einführen bzw. nutzen, vor allem, wenn sie die Befürchtung hegen, dass es an Rechtssicherheit mangelt.
(2)
Diese Verordnung dient der Stärkung des Vertrauens in elektronische Transaktionen im Binnenmarkt, indem eine gemeinsame Grundlage für eine sichere elektronische Interaktion zwischen Bürgern, Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen geschaffen wird, wodurch die Effektivität öffentlicher und privater Online-Dienstleistungen, des elektronischen Geschäftsverkehrs und des elektronischen Handels in der Union erhöht wird.
(3)
Die Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(3) hat Regelungen zu elektronischen Signaturen festgelegt, ohne einen umfassenden grenz- und sektorenübergreifenden Rahmen für sichere, vertrauenswürdige und einfach zu nutzende elektronische Transaktionen zu schaffen. Die vorliegende Verordnung stärkt und erweitert die Rechtsvorschriften jener Richtlinie.
(4)
In der Mitteilung der Kommission vom 26. August 2010 „Eine Digitale Agenda für Europa” wurden die Fragmentierung des Binnenmarkts, der Mangel an Interoperabilität und die Zunahme der Cyberkriminalität als große Hemmnisse für den Erfolgszyklus der digitalen Wirtschaft benannt. In ihrem Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 mit dem Titel „Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten” betonte die Kommission überdies die Notwendigkeit, die Hauptprobleme zu lösen, die Unionsbürger davon abhalten, die Vorteile eines digitalen Binnenmarktes und grenzüberschreitender digitaler Dienste zu nutzen.
(5)
In seinen Schlussfolgerungen vom 4. Februar 2011 und vom 23. Oktober 2011 forderte der Europäische Rat die Kommission zur Schaffung eines digitalen Binnenmarkts bis 2015 auf, um durch die Erleichterung der grenzüberschreitenden Nutzung von Online-Diensten und insbesondere der sicheren elektronischen Identifizierung und Authentifizierung rasch Fortschritte in Schlüsselbereichen der digitalen Wirtschaft zu erzielen und einen vollständig integrierten digitalen Binnenmarkt zu fördern.
(6)
In seinen Schlussfolgerungen vom 27. Mai 2011 forderte der Rat die Kommission auf, zum digitalen Binnenmarkt beizutragen, indem geeignete Bedingungen für die grenzüberschreitende gegenseitige Anerkennung der Grundvoraussetzungen wie die elektronische Identifizierung, elektronische Dokumente, elektronische Signaturen und elektronische Zustelldienste sowie für interoperable elektronische Behördendienste in der gesamten Europäischen Union geschaffen werden.
(7)
Das Europäische Parlament betonte in seiner Entschließung vom 21. September 2010 zur Vollendung des Binnenmarktes für den elektronischen Handel(4), dass die Sicherheit elektronischer Dienstleistungen — insbesondere elektronischer Signaturen — wichtig ist und dass auf europäischer Ebene eine Infrastruktur öffentlicher Schlüssel (PKI — Public Key Infrastructure) geschaffen werden muss, und forderte die Kommission auf, eine Schnittstelle der europäischen Validierungsstellen (European Validation Authorities Gateway) einzurichten, um die grenzüberschreitende Interoperabilität elektronischer Signaturen zu gewährleisten und die Sicherheit von Transaktionen, die über das Internet ausgeführt werden, zu erhöhen.
(8)
Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(5) verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von einheitlichen Ansprechpartnern genannt —, um sicherzustellen, dass alle Verfahren und Formalitäten, die die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit betreffen, problemlos aus der Ferne und elektronisch über den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner oder bei der betreffenden zuständigen Behörde abgewickelt werden können. Viele Online-Dienste, die über einheitliche Ansprechpartner zugänglich sind, erfordern eine elektronische Identifizierung, eine elektronische Authentifizierung und elektronische Signaturen.
(9)
In der Regel können Bürger ihre elektronischen Identifizierungsmittel nicht verwenden, um sich in einem anderen Mitgliedstaat zu authentifizieren, weil die nationalen elektronischen Identifizierungssysteme ihres Landes in anderen Mitgliedstaaten nicht anerkannt werden. Aufgrund dieses elektronischen Hindernisses können Diensteanbieter die Vorteile des Binnenmarktes nicht vollständig ausschöpfen. Gegenseitig anerkannte elektronische Identifizierungsmittel werden die grenzüberschreitende Erbringung zahlreicher Dienstleistungen im Binnenmarkt erleichtern, und Unternehmen können grenzüberschreitend tätig werden, ohne beim Zusammenwirken mit öffentlichen Verwaltungen auf viele Hindernisse zu stoßen.
(10)
Durch die Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates(6) wird ein Netzwerk der für elektronische Gesundheitsdienste zuständigen nationalen Behörden eingerichtet. Im Hinblick auf die Verbesserung der Sicherheit und Kontinuität der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ist das Netzwerk gehalten, Leitlinien für den grenzüberschreitenden Zugang zu elektronischen Gesundheitsdaten und -diensten aufzustellen und „gemeinsame Identifizierungs- und Authentifizierungsmaßnahmen” zu unterstützen, „um die Übertragbarkeit von Daten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu erleichtern” . Die gegenseitige Anerkennung der elektronischen Identifizierung und Authentifizierung ist der Schlüssel zur Verwirklichung einer grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung der europäischen Bürger. Wenn sich Personen im Ausland behandeln lassen wollen, müssen ihre medizinischen Daten im Behandlungsland zur Verfügung stehen. Dies setzt einen soliden, sicheren und vertrauenswürdigen Rahmen für die elektronische Identifizierung voraus.
(11)
Diese Verordnung sollte unter uneingeschränkter Beachtung der Grundsätze des Schutzes personenbezogener Daten gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(7) angewandt werden. Dabei sollten im Zusammenhang mit dem durch diese Verordnung festgelegten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung bei der Authentifizierung für einen Online-Dienst nur solche Identifizierungsdaten verarbeitet werden, die dem Zweck der Gewährung des Zugangs zu diesem Online-Dienst entsprechen, dafür erforderlich sind und nicht darüber hinausgehen. Des Weiteren sollten Vertrauensdiensteanbieter und Aufsichtsstellen die in der Richtlinie 95/46/EG festgelegten Anforderungen hinsichtlich der Vertraulichkeit und der Sicherheit der Verarbeitung einhalten.
(12)
Eines der Ziele dieser Verordnung ist die Beseitigung bestehender Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Verwendung elektronischer Identifizierungsmittel, die in den Mitgliedstaaten zumindest die Authentifizierung für öffentliche Dienste ermöglichen. Diese Verordnung bezweckt keinen Eingriff in die in den Mitgliedstaaten bestehenden elektronischen Identitätsmanagementsysteme und zugehörigen Infrastrukturen. Sie soll vielmehr sicherstellen, dass beim Zugang zu Online-Diensten, die von den Mitgliedstaaten grenzüberschreitend angeboten werden, eine sichere elektronische Identifizierung und Authentifizierung möglich ist.
(13)
Den Mitgliedstaaten sollte es freigestellt bleiben, zwecks elektronischer Identifizierung eigene Mittel für den Zugang zu Online-Diensten einzuführen oder zu verwenden. Sie sollten auch selbst entscheiden können, ob sie den Privatsektor in die Bereitstellung solcher Mittel einbeziehen. Die Mitgliedstaaten sollten nicht verpflichtet sein, ihre elektronischen Identifizierungssysteme der Kommission zu notifizieren. Die Entscheidung, alle, einige oder keines der elektronischen Identifizierungssysteme der Kommission zu notifizieren, die auf nationaler Ebene zumindest für den Zugang zu öffentlichen Online-Diensten oder bestimmten Diensten verwendet werden, ist Sache der Mitgliedstaaten.
(14)
In der Verordnung müssen einige Voraussetzungen im Hinblick darauf festgelegt werden, welche elektronischen Identifizierungsmittel anerkannt werden müssen und wie die elektronischen Identifizierungssysteme notifiziert werden sollten. Diese Voraussetzungen sollen den Mitgliedstaaten helfen, das nötige Vertrauen in die elektronischen Identifizierungssysteme der anderen zu schöpfen und elektronische Identifizierungsmittel, die ihren jeweiligen notifizierten Systemen unterliegen, gegenseitig anzuerkennen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte nur dann Anwendung finden, wenn das elektronische Identifizierungssystem des notifizierenden Mitgliedstaats die Notifizierungsvoraussetzungen erfüllt und die Notifizierung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte jedoch nur für die Authentifizierung für einen Online-Dienst gelten. Der Zugang zu diesen Online-Diensten und ihre letztendliche Erbringung gegenüber dem Antragsteller sollten eng mit dem Anspruch auf solche Dienstleistungen unter den im nationalen Recht festgelegten Bedingungen verknüpft sein.
(15)
Die Pflicht zur Anerkennung elektronischer Identifizierungsmittel sollte nur in Bezug auf diejenigen Mittel gelten, deren Identitätssicherungsniveau gegenüber dem für den betreffenden Online-Dienst erforderlichen Niveau gleichwertig ist oder höher ist. Außerdem sollte diese Pflicht nur dann gelten, wenn die betreffende öffentliche Stelle für den Zugang zu diesem Online-Dienst das Sicherheitsniveau „substanziell” oder „hoch” verwendet. Den Mitgliedstaaten sollte es im Einklang mit dem Unionsrecht freistehen, elektronische Identifizierungsmittel mit niedrigerem Sicherheitsniveau für die Identität anzuerkennen.
(16)
Sicherheitsniveaus sollten den Grad der Vertrauenswürdigkeit eines elektronischen Identifizierungsmittels hinsichtlich der Feststellung der Identität einer Person beschreiben und damit Gewissheit schaffen, dass es sich bei der Person, die eine bestimmte Identität beansprucht, tatsächlich um die Person handelt, der diese Identität zugewiesen wurde. Das Sicherheitsniveau hängt vom Grad der Vertrauenswürdigkeit ab, den das elektronische Identifizierungsmittel hinsichtlich der beanspruchten oder behaupteten Identität einer Person gewährleistet, wobei Prozesse (beispielsweise Identitätsnachweis und -überprüfung, Authentifizierung), Verwaltungstätigkeiten (beispielsweise die elektronische Identifizierungsmittel ausstellende Einrichtung, Verfahren zur Ausstellung dieser Mittel) und durchgeführte technische Überprüfungen berücksichtigt werden. Es existiert eine Reihe technischer Definitionen und Beschreibungen von Sicherheitsniveaus als Ergebnis der von der Union finanzierter Großpilotprojekte, der Normung und internationaler Tätigkeiten. Insbesondere das Großpilotprojekt STORK und die ISO-Norm 29115 beziehen sich unter anderem auf die Niveaus 2, 3 und 4, die so weit wie möglich bei der Festlegung technischer Mindestanforderungen, Normen und Verfahren für die Sicherheitsniveaus „niedrig” , „substanziell” und „hoch” im Sinne dieser Verordnung berücksichtigt werden sollten, wobei die kohärente Anwendung dieser Verordnung — insbesondere hinsichtlich des Sicherheitsniveaus „hoch” in Bezug auf den Identitätsnachweis für die Ausstellung qualifizierter Zertifikate — sichergestellt werden sollte. Die festgelegten Anforderungen sollten technologieneutral sein. Es sollte möglich sein, die erforderlichen Sicherheitsanforderungen durch verschiedene Technologien zu erreichen.
(17)
Die Mitgliedstaaten sollten den Privatsektor dazu ermutigen, freiwillig elektronische Identifizierungsmittel im Rahmen eines notifizierten Systems zu Identifizierungszwecken zu verwenden, wenn dies für Online-Dienste oder elektronische Transaktionen nötig ist. Durch die Möglichkeit der Verwendung solcher elektronischen Identifizierungsmittel könnte sich der Privatsektor auf eine elektronische Identifizierung und Authentifizierung stützen, die in vielen Mitgliedstaaten zumindest bei öffentlichen Diensten schon weit verbreitet ist, und Unternehmen und Bürgern würde der grenzüberschreitende Zugang zu ihren Online-Diensten erleichtert. Um die grenzüberschreitende Verwendung solcher elektronischen Identifizierungsmittel durch den Privatsektor zu erleichtern, sollten die von den einzelnen Mitgliedstaaten bereitgestellten Authentifizierungsmöglichkeiten den vertrauenden Beteiligten des Privatsektors, die außerhalb des Hoheitsgebiets dieses Mitgliedstaats niedergelassen sind, unter denselben Bedingungen zur Verfügung stehen, die für in diesem Mitgliedstaat niedergelassene vertrauende Beteiligte des Privatsektors gelten. Der notifizierende Mitgliedstaat kann folglich mit Blick auf die vertrauenden Beteiligten des Privatsektors Bedingungen für den Zugang zu den Authentifizierungsmitteln festlegen. Diese Zugangsbedingungen können angeben, dass das Authentifizierungsmittel für das notifizierte System den vertrauenden Beteiligten des Privatsektors derzeit noch nicht zur Verfügung steht.
(18)
Diese Verordnung sollte die Haftung des notifizierenden Mitgliedstaats, des das elektronische Identifizierungsmittel ausstellenden Beteiligten und des das Authentifizierungsverfahren durchführenden Beteiligten für die Nichteinhaltung der einschlägigen Pflichten aus dieser Verordnung regeln. Sie sollte jedoch im Einklang mit den nationalen Vorschriften über die Haftung angewendet werden. Daher berührt sie diese nationalen Vorschriften nicht, soweit es etwa um den Schadensbegriff oder die einschlägigen geltende Verfahrensvorschriften — einschließlich der Bestimmungen über die Beweislast — geht.
(19)
Die Sicherheit elektronischer Identifizierungssysteme ist ein wesentlicher Faktor für eine vertrauenswürdige grenzüberschreitende gegenseitige Anerkennung elektronischer Identifizierungsmittel. Die Mitgliedstaaten sollten in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Sicherheit und die Interoperabilität der elektronischen Identifizierungssysteme auf Ebene der Union zusammenarbeiten. Wann immer für elektronische Identifizierungssysteme die Verwendung bestimmter Hardware oder Software durch vertrauende Beteiligte auf nationaler Ebene erforderlich sein könnte, verlangt die grenzüberschreitende Interoperabilität, dass die Mitgliedstaaten den außerhalb ihres Hoheitsgebiets niedergelassenen vertrauenden Parteien keine solchen Anforderungen und damit verbundene Kosten auferlegen. In diesem Fall sollten innerhalb des Anwendungsbereichs des Interoperabilitätsrahmens geeignete Lösungen erörtert und entwickelt werden. Technische Anforderungen, die sich zwangsläufig aus der Spezifikation der nationalen elektronischen Identifizierungsmittel ergeben und die voraussichtlich Nachteile für die Inhaber solcher Identifizierungsmittel (z. B. Chipkarten) mit sich bringen, sind hingegen unvermeidbar.
(20)
Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten sollte die technische Interoperabilität der notifizierten elektronischen Identifizierungssysteme im Hinblick auf die Förderung eines hohen Maßes an Vertrauen und Sicherheit erleichtern, das der Höhe des Risikos angemessen ist. Der Informationsaustausch und der Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre gegenseitige Anerkennung sollten bei dieser Zusammenarbeit hilfreich sein.
(21)
Ferner sollte diese Verordnung einen allgemeinen Rechtsrahmen für die Verwendung von Vertrauensdiensten schaffen. Sie sollte aber keine allgemeine Verpflichtung zu deren Verwendung oder zur Einrichtung eines Zugangspunkts für alle bestehenden Vertrauensdienste einführen. Insbesondere sollte sie nicht die Erbringung von Vertrauensdiensten erfassen, die ausschließlich innerhalb geschlossener Systeme zwischen einem bestimmten Kreis von Beteiligten verwendet werden und keine Wirkung auf Dritte entfalten. So sollten beispielsweise die in Unternehmen oder Behördenverwaltungen eingerichteten Systeme zur Verwaltung interner Verfahren, bei denen Vertrauensdienste verwendet werden, nicht den Anforderungen dieser Verordnung unterliegen. Nur der Öffentlichkeit erbrachte Vertrauensdienste mit Wirkung gegenüber Dritten sollten den in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen unterliegen. Ferner sollte diese Verordnung keine Aspekte im Zusammenhang mit dem Abschluss und der Gültigkeit von Verträgen oder anderen rechtlichen Verpflichtungen behandeln, für die nach nationalem Recht oder Unionsrecht Formvorschriften zu erfüllen sind. Unberührt bleiben sollten ferner auch nationale Formvorschriften für öffentliche Register, insbesondere das Handelsregister und das Grundbuch.
(22)
Um ihre allgemeine grenzüberschreitende Verwendung zu fördern, sollte es in allen Mitgliedstaaten möglich sein, Vertrauensdienste in Gerichtsverfahren als Beweismittel zu verwenden. Die Rechtswirkung von Vertrauensdiensten ist jedoch durch nationales Recht festzulegen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.
(23)
Soweit die vorliegende Verordnung eine Verpflichtung zur Anerkennung eines Vertrauensdienstes schafft, kann solch ein Vertrauensdienst nur dann abgelehnt werden, wenn der Verpflichtete aus technischen Gründen, die außerhalb der unmittelbaren Kontrolle des Verpflichteten liegen, nicht in der Lage ist, den Dienst zu lesen oder zu überprüfen. Diese Verpflichtung allein sollte jedoch nicht dazu führen, dass sich eine öffentliche Stelle die für die technische Lesbarkeit aller bestehenden Vertrauensdienste erforderliche Hardware und Software beschaffen muss.
(24)
Die Mitgliedstaaten können nationale Vorschriften für Vertrauensdienste im Einklang mit dem Unionsrecht beibehalten oder einführen, soweit diese Dienste durch die vorliegende Verordnung nicht vollständig harmonisiert sind. Vertrauensdienste, die dieser Verordnung entsprechen, sollten jedoch im Binnenmarkt frei verkehren können.
(25)
Den Mitgliedstaaten sollte es freistehen, auch andere Arten von Vertrauensdiensten zusätzlich zu jenen festzulegen, die auf der in dieser Verordnung vorgesehenen abschließenden Liste der Vertrauensdienste stehen, um diese auf nationaler Ebene als qualifizierte Vertrauensdienste anzuerkennen.
(26)
Angesichts des Tempos der technologischen Veränderungen sollte diese Verordnung einen für Innovationen offenen Ansatz verfolgen.
(27)
Diese Verordnung sollte technologieneutral sein. Die von ihr ausgehenden Rechtswirkungen sollten mit allen technischen Mitteln erreicht werden können, sofern dadurch die Anforderungen dieser Verordnung erfüllt werden.
(28)
Zur Stärkung insbesondere des Vertrauens kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) und der Verbraucher in den Binnenmarkt und zur Förderung der Verwendung von Vertrauensdiensten und -produkten sollten die Begriffe „qualifizierter Vertrauensdienst” und „qualifizierter Vertrauensdiensteanbieter” eingeführt werden, um Anforderungen und Pflichten festzulegen, die sicherstellen, dass bei der Benutzung oder Bereitstellung aller qualifizierten Vertrauensdienste und -produkte ein hohes Sicherheitsniveau herrscht.
(29)
Im Einklang mit den Verpflichtungen aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates(8) gebilligt wurde, insbesondere mit Blick auf Artikel 9 des Übereinkommens, sollten behinderte Menschen in der Lage sein, Vertrauensdienste und zur Erbringung solcher Dienste verwendete Endnutzerprodukte in gleicher Weise wie andere Verbraucher zu benutzen. Daher sollten Vertrauensdienste und zur Erbringung solcher Dienste verwendete Endnutzerprodukte Personen mit Behinderungen zugänglich und nutzbar gemacht werden, wann immer dies möglich ist. In die Bewertung der Durchführbarkeit sollten auch technische und wirtschaftliche Überlegungen einfließen.
(30)
Die Mitgliedstaaten sollten eine oder mehrere Aufsichtsstellen zur Wahrnehmung der Aufsichtsaufgaben im Rahmen dieser Verordnung benennen. Ein Mitgliedstaat sollte auch aufgrund einer gegenseitigen Vereinbarung mit einem anderen Mitgliedstaat beschließen können, eine Aufsichtsstelle im Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu benennen.
(31)
Die Aufsichtsstellen sollten mit Datenschutzbehörden zusammenarbeiten, beispielsweise indem sie diese über die Ergebnisse der Überprüfungen von qualifizierten Vertrauensdiensteanbietern unterrichten, falls dem Anschein nach gegen Datenschutzvorschriften verstoßen wurde. Die Übermittlung von Informationen sollte sich insbesondere auf Sicherheitsverletzungen und auf Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten erstrecken.
(32)
Alle Vertrauensdiensteanbieter sollten gehalten sein, eine gute, den aus ihrer Tätigkeit erwachsenden Risiken angemessene Sicherheitspraxis anzuwenden und dadurch das Vertrauen der Benutzer in den Binnenmarkt zu erhöhen.
(33)
Bestimmungen über die Benutzung von Pseudonymen in Zertifikaten sollten die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, eine Identifizierung der Personen nach Unionsrecht oder nationalem Recht zu verlangen.
(34)
Alle Mitgliedstaaten sollten gemeinsame wesentliche Anforderungen an die Aufsicht beachten, damit bei qualifizierten Vertrauensdiensten überall ein vergleichbares Sicherheitsniveau besteht. Um die einheitliche Anwendung dieser Anforderungen in der gesamten Union zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten vergleichbare Verfahren schaffen und Informationen über ihre Aufsichtstätigkeit und bewährte Verfahren auf diesem Gebiet austauschen.
(35)
Alle Vertrauensdiensteanbieter sollten — insbesondere in Bezug auf Sicherheit und Haftung — den Anforderungen dieser Verordnung unterliegen, um die gebotene Sorgfalt, Transparenz und Zurechenbarkeit ihrer Tätigkeiten und Dienste zu gewährleisten. Abhängig von der Art der von den Vertrauensdiensteanbietern erbrachten Vertrauensdienste ist es jedoch angemessen im Hinblick auf diese Anforderungen zwischen qualifizierten und nichtqualifizierten Vertrauensdiensteanbietern zu unterscheiden.
(36)
Durch die Errichtung eines Aufsichtssystems für alle Vertrauensdiensteanbieter sollten gleiche Rahmenbedingungen für die Sicherheit und die Zurechenbarkeit ihrer Tätigkeiten und Dienste gewährleistet werden, um zum Schutz der Nutzer und zum Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen. Nichtqualifizierte Vertrauensdiensteanbieter sollten weniger strikten reaktiven Ex-post-Aufsichtstätigkeiten unterliegen, die durch die Art ihrer Dienste und Tätigkeiten gerechtfertigt sind. Die Aufsichtsstelle sollte daher keine generelle Verpflichtung zur Beaufsichtigung nichtqualifizierter Diensteanbieter haben. Sie sollte nur dann tätig werden, wenn sie (beispielsweise durch den nichtqualifizierten Vertrauensdiensteanbieter selbst, durch eine andere Aufsichtsstelle, durch Mitteilung eines Nutzers oder eines Geschäftspartners oder aufgrund ihrer eigenen Untersuchungen) erfährt, dass ein nichtqualifizierter Vertrauensdiensteanbieter die Anforderungen der Verordnung nicht erfüllt.
(37)
Diese Verordnung sollte die Haftung aller Vertrauensdiensteanbieter vorsehen. Insbesondere schafft sie eine Haftungsregelung, in deren Rahmen alle Vertrauensdiensteanbieter für Schäden haften sollen, die einer natürlichen oder juristischen Person aufgrund einer Nichteinhaltung der Verpflichtungen gemäß dieser Verordnung entstehen. Um die Bewertung des finanziellen Risikos zu erleichtern, das für Vertrauensdiensteanbieter entstehen könnte oder gegen das diese sich versichern sollten, erlaubt diese Verordnung den Vertrauensdiensteanbietern, die Nutzung der von ihnen angebotenen Dienste unter bestimmten Bedingungen zu beschränken und damit eine Haftung für Schäden aus einer darüber hinausgehenden Nutzung auszuschließen. Die Kunden sollten über die Beschränkungen vorab in angemessener Form unterrichtet werden. Diese Beschränkungen sollten für eine dritte Partei erkennbar sein, z. B. durch einen Hinweis auf die Beschränkungen in den Geschäfts- und Nutzungsbedingungen für den zu erbringenden Dienst oder in anderer erkennbarer Form. Für die Zwecke der Durchsetzung dieser Grundsätze sollte diese Verordnung im Einklang mit den nationalen Vorschriften über die Haftung angewendet werden. Diese nationalen Vorschriften, zum Beispiel was die Definition von Schäden, Vorsatz oder Fahrlässigkeit angeht, und die diesbezüglich geltenden Verfahrensvorschriften bleiben daher durch diese Verordnung unberührt.
(38)
Das Melden von Sicherheitsverletzungen und Sicherheitsrisikoabschätzungen ist wichtig im Hinblick auf die Übermittlung angemessener Informationen an die Betroffenen im Fall einer Sicherheitsverletzung oder eines Integritätsverlustes.
(39)
Damit die Kommission und die Mitgliedstaaten die Wirksamkeit der durch diese Verordnung eingeführten Meldeverfahren für Sicherheitsverletzungen beurteilen können, sollten die Aufsichtsstellen der Kommission und der Agentur der Europäischen Union für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) zusammengefasste Informationen hierüber übermitteln.
(40)
Damit die Kommission und die Mitgliedstaaten die Wirksamkeit der durch diese Verordnung eingeführten erweiterten Aufsichtsmechanismen beurteilen können, sollten die Aufsichtsstellen verpflichtet werden, über ihre Tätigkeit zu berichten. Dies wäre von größter Bedeutung für die Erleichterung des Austauschs guter Verfahren zwischen den Aufsichtsstellen und würde es ermöglichen, die einheitliche und effiziente Umsetzung der wesentlichen Aufsichtsanforderungen in allen Mitgliedstaaten zu überprüfen.
(41)
Zur Gewährleistung der Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit qualifizierter Vertrauensdienste und zur Stärkung des Vertrauens der Benutzer in die Kontinuität qualifizierter Vertrauensdienste sollten die Aufsichtsstellen überprüfen, dass für den Fall, dass qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter ihre Tätigkeit einstellen, Vorschriften über Einstellungskonzepte vorliegen und diese ordnungsgemäß angewandt werden.
(42)
Um die Beaufsichtigung qualifizierter Vertrauensdiensteanbieter zu erleichtern, wenn beispielsweise ein Anbieter seine Dienste in einem anderen Mitgliedstaat erbringt, in dem er keiner Aufsicht unterliegt, oder wenn sich die Rechner eines Anbieters in einem anderen Mitgliedstaat als dem seiner Niederlassung befinden, sollte ein System der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Aufsichtsstellen der Mitgliedstaaten eingerichtet werden.
(43)
Um sicherzustellen, dass die qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter und die von ihnen erbrachten Dienste den Anforderungen dieser Verordnung entsprechen, sollte eine Konformitätsbewertung durch eine Konformitätsbewertungsstelle durchgeführt werden, und die entsprechenden Konformitätsbewertungsberichte sollten der Aufsichtsstelle durch die qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter vorgelegt werden. Wann immer die Aufsichtsstelle von einem qualifizierten Vertrauensdiensteanbieter verlangt, einen Ad-hoc-Konformitätsbewertungsbericht vorzulegen, sollte sie dabei insbesondere den Grundsätzen guter Verwaltungspraxis — einschließlich der Pflicht, ihre Entscheidungen zu begründen — und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Die Aufsichtsstelle sollte daher ihre Entscheidung, eine Ad-hoc-Konformitätsbewertung zu verlangen, gebührend begründen.
(44)
Mit dieser Verordnung soll ein kohärenter Rahmen geschaffen werden, der ein hohes Maß an Sicherheit und Rechtssicherheit der Vertrauensdienste gewährleistet. Mit Blick darauf sollte die Kommission bei der Ausgestaltung der Konformitätsbewertung von Produkten und Diensten gegebenenfalls Synergien mit bestehenden einschlägigen europäischen und internationalen Systemen wie etwa der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates(9) über die Vorschriften für die Akkreditierung von Konformitätsbewertungsstellen und Marktüberwachung von Produkten anstreben.
(45)
Im Hinblick auf eine effiziente Einleitung des Verfahrens zur Aufnahme qualifizierter Vertrauensdiensteanbieter und von ihnen erbrachter qualifizierter Vertrauensdienste in die Vertrauenslisten sollte bereits im Vorfeld ein Zusammenwirken möglicher künftiger qualifizierter Vertrauensdiensteanbieter mit der zuständigen Aufsichtsstelle gefördert werden, um die gebotene Sorgfalt zu erleichtern, die zur Erbringung qualifizierter Vertrauensdienste führt.
(46)
Vertrauenslisten sind ein wesentliches Element für die Schaffung von Vertrauen unter den Marktteilnehmern, denn sie geben Auskunft über den Qualifikationsstatus des Vertrauensdiensteanbieters zum Zeitpunkt der Beaufsichtigung.
(47)
Das Vertrauen in Online-Dienste und ihre Benutzerfreundlichkeit sind entscheidend dafür, dass Anwender elektronische Dienste in vollem Umfang nutzen und sich auf solche Dienste bewusst verlassen. Es sollte daher ein EU-Vertrauenssiegel zur Kennzeichnung qualifizierter Vertrauensdienste, die von qualifizierten Vertrauensdiensteanbietern erbracht werden, eingeführt werden. Mit einem EU-Vertrauenssiegel würden qualifizierte Vertrauensdienste eindeutig von anderen Vertrauensdiensten unterschieden, wodurch ein Beitrag zur Markttransparenz geleistet würde. Die Verwendung eines EU-Vertrauenssiegels durch qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter sollte freiwillig sein und sollte zu keiner anderen Verpflichtung als den in dieser Verordnung bereits vorgesehenen Verpflichtungen führen.
(48)
Zur Gewährleistung der gegenseitigen Anerkennung elektronischer Signaturen ist zwar ein hohes Sicherheitsniveau erforderlich, dennoch sollten in bestimmten Fällen wie im Zusammenhang mit der Entscheidung 2009/767/EG der Kommission(10) auch elektronische Signaturen akzeptiert werden, die ein niedrigeres Sicherheitsniveau aufweisen.
(49)
Diese Verordnung sollte den Grundsatz festlegen, dass einer elektronischen Signatur die Rechtswirkung nicht deshalb abgesprochen werden darf, weil sie in elektronischer Form vorliegt oder nicht alle Anforderungen einer qualifizierten elektronischen Signatur erfüllt. Die Rechtswirkung elektronischer Signaturen in den Mitgliedstaaten sollte jedoch durch nationales Recht festgelegt werden, außer hinsichtlich der in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen, dass eine qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift haben sollte.
(50)
Da zuständige Behörden in den Mitgliedstaaten derzeit zur elektronischen Unterzeichnung ihrer Dokumente unterschiedliche Formate fortgeschrittener elektronischer Signaturen verwenden, muss dafür gesorgt werden, dass die Mitgliedstaaten beim Empfang elektronisch unterzeichneter Dokumente zumindest eine gewisse Anzahl von Formaten fortgeschrittener elektronischer Signaturen technisch unterstützen können. Wenn zuständige Behörden in den Mitgliedstaaten fortgeschrittene elektronische Siegel verwenden, müsste ebenfalls dafür gesorgt werden, dass die Mitgliedstaaten zumindest eine gewisse Anzahl von Formaten fortgeschrittener elektronischer Siegel unterstützen.
(51)
Es sollte dem Unterzeichner möglich sein, qualifizierte elektronische Signaturerstellungseinheiten der Obhut eines Dritten anzuvertrauen, sofern angemessene Mechanismen und Verfahren bestehen, die sicherstellen, dass der Unterzeichner die alleinige Kontrolle über die Verwendung seiner eigenen elektronischen Signaturerstellungsdaten hat und bei der Verwendung der Einheit die Anforderungen an qualifizierte elektronische Signaturen erfüllt werden.
(52)
Die Erstellung elektronischer Fernsignaturen in einer von einem Vertrauensdiensteanbieter im Namen des Unterzeichners geführten Umgebung soll aufgrund der vielfältigen damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile ausgebaut werden. Damit elektronische Fernsignaturen tatsächlich rechtlich in gleicher Weise anerkannt werden können wie elektronische Signaturen, die vollständig in der Umgebung des Nutzers erstellt werden, sollten die Anbieter von elektronischen Fernsignaturdiensten jedoch spezielle Verfahren für die Handhabung und Sicherheitsverwaltung mit vertrauenswürdigen Systemen und Produkten anwenden, u. a. durch abgesicherte elektronische Kommunikationskanäle, um für eine vertrauenswürdige Umgebung zur Erstellung elektronischer Signaturen zu sorgen und zu gewährleisten, dass diese Umgebung unter alleiniger Kontrolle des Unterzeichners genutzt worden ist. Für qualifizierte elektronische Signaturen, die mit Einheiten zur Erstellung elektronischer Fernsignaturen erstellt werden, gelten die in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen an die Vertrauensdiensteanbieter.
(53)
Die Aussetzung qualifizierter Zertifikate ist in einer Reihe von Mitgliedstaaten etablierte Praxis von Vertrauensdiensteanbietern und unterscheidet sich vom Widerruf; sie führt zum vorübergehenden Verlust der Gültigkeit eines Zertifikats. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist die Aussetzung eines Zertifikats stets deutlich auszuweisen. Vertrauensdiensteanbieter sollten daher dafür verantwortlich sein, den Status des Zertifikats und, wenn das Zertifikat ausgesetzt ist, den genauen Zeitraum, für den das Zertifikat ausgesetzt wurde, deutlich auszuweisen. Mit dieser Verordnung sollte Vertrauensdiensteanbietern oder Mitgliedstaaten die Anwendung der Aussetzung nicht auferlegt werden, aber es sollten Transparenzvorschriften vorgesehen werden, wenn eine solche Praxis zur Verfügung steht.
(54)
Die grenzüberschreitende Interoperabilität und Anerkennung qualifizierter Zertifikate ist eine Vorbedingung für die grenzüberschreitende Anerkennung qualifizierter elektronischer Signaturen. Für qualifizierte Zertifikate sollten daher keine verbindlichen Anforderungen gelten, die über die in dieser Verordnung festgelegten hinausgehen. Auf nationaler Ebene sollte jedoch die Einbeziehung spezieller Merkmale wie etwa eindeutiger Identifikatoren in qualifizierte Zertifikate zulässig sein, sofern diese Merkmale die grenzüberschreitende Interoperabilität und Anerkennung qualifizierter Zertifikate und qualifizierter elektronischer Signaturen nicht behindern.
(55)
Eine auf internationalen Normen wie der Norm ISO 15408 und damit verbundenen Evaluierungsmethoden und Regelungen für die gegenseitige Anerkennung beruhende IT-Sicherheitszertifizierung ist ein wichtiges Instrument, um die Sicherheit qualifizierter elektronischer Signaturerstellungseinheiten zu prüfen, und sollte gefördert werden. Innovative Lösungen und Dienste wie Mobil- oder Cloud-Signierung stützen sich indes auf technische und organisatorische Lösungen für qualifizierte elektronische Signaturerstellungseinheiten, für die Sicherheitsstandards unter Umständen noch nicht zur Verfügung stehen oder die erste IT-Sicherheitszertifizierung im Gange ist. Nur wenn die Sicherheitsstandards nicht zur Verfügung stehen oder die erste IT-Sicherheitszertifizierung im Gange ist, könnte das Sicherheitsniveau solcher qualifizierter elektronischer Signaturerstellungseinheiten durch alternative Verfahren evaluiert werden. Diese Verfahren sollten mit den Standards für die IT-Sicherheitszertifizierung vergleichbar sein, soweit ihre Sicherheitsniveaus gleichwertig sind. Diese Verfahren könnten durch eine gegenseitige Begutachtung erleichtert werden.
(56)
In dieser Verordnung sollten Anforderungen an qualifizierte elektronische Signaturerstellungseinheiten festgelegt werden, mit denen die Funktionalität fortgeschrittener elektronischer Signaturen gewährleistet werden soll. Diese Verordnung sollte nicht die gesamte Systemumgebung abdecken, in der die Einheit betrieben wird. Daher sollte sich der Anwendungsbereich der Zertifizierung qualifizierter Signaturerstellungseinheiten nur auf die Hardware und die Systemsoftware erstrecken, die verwendet werden, um die in der Signaturerstellungseinheit erstellten, gespeicherten oder verarbeiteten Signaturerstellungsdaten zu verwalten und zu schützen. Wie in den einschlägigen Normen angegeben, sollte der Anwendungsbereich der Zertifizierungspflicht Signaturerstellungsanwendungen ausschließen.
(57)
Um Rechtssicherheit bezüglich der Gültigkeit der Signatur zu schaffen, müssen die Bestandteile einer qualifizierten elektronischen Signatur im Einzelnen festgelegt werden, die von dem vertrauenden Beteiligten, der die Validierung durchführt, überprüft werden sollten. Ferner dürften durch die Festlegung der Anforderungen an qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter, die einen qualifizierten Validierungsdienst für vertrauende Dritte erbringen können, welche nicht willens oder in der Lage sind, qualifizierte elektronische Signaturen selbst zu validieren, für den privaten und öffentlichen Sektor Anreize zu Investitionen in solche Dienste entstehen. Beide Elemente sollten die Validierung qualifizierter elektronischer Signaturen auf Unionsebene für alle Beteiligten einfach und bequem machen.
(58)
Erfordert eine Transaktion ein qualifiziertes elektronisches Siegel einer juristischen Person, so sollte eine qualifizierte elektronische Signatur eines befugten Vertreters der juristischen Person ebenfalls akzeptabel sein.
(59)
Elektronische Siegel sollten als Nachweis dafür dienen, dass ein elektronisches Dokument von einer juristischen Person ausgestellt wurde, und sollten den Ursprung und die Unversehrtheit des Dokuments belegen.
(60)
Vertrauensdiensteanbieter, die qualifizierte Zertifikate für elektronische Siegel erstellen, sollten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, damit sie die Identität der natürlichen Person, welche die juristische Person vertritt, für die das qualifizierte Zertifikat für elektronische Siegel bestimmt ist, feststellen können, wenn eine solche Identifizierung auf nationaler Ebene im Zusammenhang mit Gerichts- oder Verwaltungsverfahren erforderlich ist.
(61)
Diese Verordnung sollte die Langzeitbewahrung von Informationen gewährleisten, um die rechtliche Gültigkeit elektronischer Signaturen und elektronischer Siegel über lange Zeiträume zu gewährleisten und sicherzustellen, dass diese ungeachtet künftiger technologischer Veränderungen noch validiert werden können.
(62)
Um die Sicherheit qualifizierter elektronischer Zeitstempel sicherzustellen, sollte diese Verordnung die Verwendung eines fortgeschrittenen elektronischen Siegels oder einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur oder anderer gleichwertiger Methoden vorschreiben. Es ist davon auszugehen, dass im Zuge der Innovation möglicherweise neue Technologien entwickelt werden, die für Zeitstempel ein gleichwertiges Sicherheitsniveau gewährleisten können. Wann immer eine andere Methode als ein fortgeschrittenes elektronisches Siegel oder eine fortgeschrittene elektronische Signatur verwendet wird, sollte es Sache des qualifizierten Vertrauensdiensteanbieters sein, im Konformitätsbewertungsbericht darzulegen, dass eine solche Methode ein gleichwertiges Sicherheitsniveau gewährleistet und dass sie die in dieser Verordnung festgelegten Verpflichtungen erfüllt.
(63)
Elektronische Dokumente sind wichtig für die weitere Entwicklung grenzüberschreitender Transaktionen im Binnenmarkt. Diese Verordnung sollte den Grundsatz festlegen, dass einem elektronischen Dokument die Rechtswirkung nicht deshalb abgesprochen werden darf, weil es in elektronischer Form vorliegt, damit sichergestellt ist, dass eine elektronische Transaktion nicht allein deshalb verweigert werden kann, weil ein Dokument in elektronischer Form vorliegt.
(64)
Bei der Ausgestaltung der Formate fortgeschrittener elektronischer Signaturen und Siegel sollte die Kommission auf bestehenden Verfahren, Normen und Rechtsvorschriften, insbesondere dem Beschluss 2011/130/EU der Kommission(11), aufbauen.
(65)
Zusätzlich zur Authentifizierung eines von einer juristischen Person ausgestellten Dokuments können elektronische Siegel auch verwendet werden, um digitale Besitzgegenstände der juristischen Person wie z. B. Software-Code oder Server zu authentifizieren.
(66)
Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass ein Rechtsrahmen geschaffen wird, um die grenzüberschreitende Anerkennung zwischen den bestehenden nationalen rechtlichen Regelungen in Bezug auf Dienste für die Zustellung elektronischer Einschreiben zu erleichtern. Dieser Rahmen könnte Vertrauensdiensteanbietern der Union außerdem neue Marktchancen eröffnen, denn sie werden europaweit neue Dienste für die Zustellung elektronischer Einschreiben anbieten können.
(67)
Website-Authentifizierungsdienste geben dem Besucher einer Website die Sicherheit, dass hinter der Website eine echte und rechtmäßige Einrichtung steht. Diese Dienste tragen zur Vertrauensbildung in der Abwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs bei, da die Nutzer einer authentifizierten Website vertrauen werden. Die Bereitstellung und Nutzung von Website-Authentifizierungsdiensten erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis. Damit jedoch die Website-Authentifizierung zu einem Mittel wird, mit dem Vertrauen gestärkt wird, der Benutzer positivere Erfahrungen machen kann und das Wachstum im Binnenmarkt gefördert wird, sollten in dieser Verordnung Mindestanforderungen an Sicherheit und Haftung für die Anbieter und ihre Dienste festgelegt werden. Mit Blick darauf sind die Ergebnisse bestehender Initiativen unter Federführung der Branche, z. B. des Forums der Zertifizierungsstellen und Browser-Anbieter — CA/B-Forum — berücksichtigt worden. Des Weiteren sollte diese Verordnung weder die Nutzung anderer, nicht unter diese Verordnung fallender Mittel und Methoden zur Website-Authentifizierung behindern, noch die Anbieter von Website-Authentifizierungsdiensten aus Drittländern daran hindern, ihre Dienste für Kunden in der Union zu erbringen. Die Website-Authentifizierungsdienste eines Anbieters aus einem Drittland sollten allerdings nur dann als qualifiziert im Sinne dieser Verordnung anerkannt werden können, wenn eine internationale Vereinbarung zwischen der Union und dem Land, in dem der Anbieter niedergelassen ist, geschlossen wurde.
(68)
Der Begriff der „juristischen Person” im Sinne der Bestimmungen über die Niederlassung im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) stellt es dem Marktteilnehmer frei, die Rechtsform zu wählen, die er für die Ausübung seiner Tätigkeit für geeignet hält. Folglich sind „juristische Personen” im Sinne des AEUV sämtliche Einrichtungen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurden oder diesem Recht unterstehen, unabhängig von ihrer Rechtsform.
(69)
Die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sollten elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste, die unter diese Verordnung fallen, zum Zweck der Verwaltungszusammenarbeit anerkennen und dabei insbesondere Nutzen aus bewährten Verfahren und den Ergebnissen laufender Projekte in den unter diese Verordnung fallenden Bereichen ziehen.
(70)
Im Hinblick auf eine flexible und zügige Vervollständigung bestimmter technischer Einzelaspekte dieser Verordnung sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV Rechtsakte in Bezug auf die Kriterien, die die für die Zertifizierung qualifizierter elektronischer Signaturerstellungseinheiten zuständigen Stellen zu erfüllen haben, zu erlassen. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Kommission im Zuge ihrer Vorbereitungsarbeit angemessene Konsultationen, auch auf der Ebene von Sachverständigen, durchführt. Bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sollte die Kommission dafür sorgen, dass die einschlägigen Dokumente dem Europäischen Parlament und dem Rat gleichzeitig, rechtzeitig und auf angemessene Weise übermittelt werden.
(71)
Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung dieser Verordnung sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden, damit sie insbesondere Kennnummern für Normen festlegen kann, deren Einhaltung die Vermutung begründet, dass bestimmte Anforderungen, die in dieser Verordnung festgelegt sind, erfüllt werden. Diese Befugnisse sollten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates(12) ausgeübt werden.
(72)
Damit ein hohes Maß an Sicherheit und Interoperabilität bei der elektronischen Identifizierung und bei den elektronischen Vertrauensdiensten herrscht, sollte die Kommission beim Erlass von delegierten Rechtsakten bzw. Durchführungsrechtsakten die von europäischen und internationalen Normungsorganisationen und -einrichtungen — insbesondere dem Europäischen Komitee für Normung (CEN), dem Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI), der Internationalen Normungsorganisation (ISO) und der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) — festgelegten Normen und technischen Spezifikationen gebührend berücksichtigen.
(73)
Aus Gründen der Rechtssicherheit und Klarheit sollte die Richtlinie 1999/93/EG aufgehoben werden.
(74)
Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit für Marktteilnehmer, die bereits qualifizierte Zertifikate verwenden, welche gemäß der Richtlinie 1999/93/EG an natürliche Personen ausgestellt wurden, ist es notwendig, für technische Zwecke einen ausreichenden Übergangszeitraum vorzusehen. Ebenso sollten Übergangsmaßnahmen für sichere Signaturerstellungseinheiten, deren Konformität gemäß der Richtlinie 1999/93/EG festgestellt wurde, sowie für Zertifizierungsdiensteanbieter, die vor dem 1. Juli 2016 qualifizierte Zertifikate ausstellen, vorgesehen werden. Schließlich ist es auch notwendig, der Kommission vor diesem Termin die Mittel zum Erlass der Durchführungsrechtsakte und delegierten Rechtsakte zur Verfügung zu stellen.
(75)
Bestehende Verpflichtungen, denen die Mitgliedstaaten nach dem Unionsrecht, insbesondere nach der Richtlinie 2006/123/EG, bereits unterliegen, werden durch die in dieser Verordnung festgelegten Fristen für die Anwendung nicht berührt.
(76)
Da die Ziele dieser Verordnung von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen des Umfangs der Maßnahmen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das für die Verwirklichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
(77)
Der Europäische Datenschutzbeauftragte ist gemäß Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates(13) angehört worden und hat am 27. September 2012 eine Stellungnahme abgegeben(14)

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 73.

(2)

Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 3. April 2014 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 23. Juli 2014.

(3)

Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (ABl. L 13 vom 19.1.2000, S. 12).

(4)

ABl. C 50 E vom 21.2.2012, S. 1.

(5)

Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376 vom 27.12.2006, S. 36).

(6)

Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (ABl. L 88 vom 4.4.2011, S. 45).

(7)

Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31).

(8)

Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 über den Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. L 23 vom 27.1.2010, S. 35).

(9)

Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates (ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 30).

(10)

Entscheidung 2009/767/EG der Kommission vom 16. Oktober 2009 über Maßnahmen zur Erleichterung der Nutzung elektronischer Verfahren über „einheitliche Ansprechpartner” gemäß der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 274 vom 20.10.2009, S. 36).

(11)

Beschluss 2011/130/EU der Kommission vom 25. Februar 2011 über Mindestanforderungen für die grenzüberschreitende Verarbeitung von Dokumenten, die gemäß der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt von zuständigen Behörden elektronisch signiert worden sind (ABl. L 53 vom 26.2.2011, S. 66).

(12)

Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13).

(13)

Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1).

(14)

ABl. C 28 vom 30.1.2013, S. 6.

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