Präambel VO (EU) 2016/415

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30. November 2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern(1) ( „Grundverordnung” ), insbesondere auf Artikel 8,

zur Unterrichtung der Mitgliedstaaten,

in Erwägung nachstehender Gründe:

A.
GELTENDE MASSNAHMEN
(1)
Mit der Verordnung (EG) Nr. 2022/95(2) führte der Rat einen endgültigen Antidumpingzoll auf die Einfuhren von Ammoniumnitrat mit Ursprung in Russland ein. Nach einer Auslaufüberprüfung und einer Interimsüberprüfung führte der Rat mit der Verordnung (EG) Nr. 658/2002(3) einen endgültigen Antidumpingzoll auf die Einfuhren von Ammoniumnitrat mit Ursprung in Russland ein. Im Anschluss an eine weitere Auslaufüberprüfung und eine weitere Interimsüberprüfung führte der Rat mit der Verordnung (EG) Nr. 661/2008(4) einen endgültigen Antidumpingzoll auf die Einfuhren von Ammoniumnitrat mit Ursprung in Russland ein. Nach einer erneuten Auslaufüberprüfung führte die Kommission mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 999/2014(5) einen endgültigen Antidumpingzoll auf die Einfuhren von Ammoniumnitrat mit Ursprung in Russland ein.
(2)
Mit dem Beschluss 2008/577/EG(6) ( „Beschluss” ) nahm die Kommission eine Preisverpflichtung ( „Verpflichtung” ), unter anderem von den russischen Herstellern JSC Acron und PJSC Dorogobuzh, die zur Acron Holding Company gehören (gemeinsam als „Acron” bezeichnet), für Einfuhren von Ammoniumnitrat an, das von diesen Unternehmen hergestellt und an den ersten unabhängigen Abnehmer in der Union verkauft wird.
(3)
Mit demselben Beschluss nahm die Kommission auch eine Verpflichtung der Open Joint Stock Company (OJSC) Azot Cherkassy, Ukraine, an. Die Maßnahmen gegenüber den Einfuhren von Ammoniumnitrat mit Ursprung in der Ukraine traten am 17. Juni 2012 außer Kraft(7); damit trat am selben Tag auch die einschlägige Verpflichtung außer Kraft.
(4)
Mit dem genannten Beschluss nahm die Kommission auch eine Verpflichtung der EuroChem-Gruppe an. Mit dem Beschluss 2012/629/EU(8) widerrief die Kommission die Annahme der von der EuroChem-Gruppe angebotenen Verpflichtung wegen Undurchführbarkeit.
(5)
Die angenommene Verpflichtung von Acron umfasst drei Elemente, nämlich 1. eine Bindung der Mindestpreise an die öffentliche internationale Notierung (Indexierung), 2. eine Höchstmenge und 3. eine Verpflichtung, die unter die Verpflichtung fallende Ware nicht an dieselben Abnehmer in der Europäischen Union zu verkaufen, an die Acron andere Waren verkauft, mit Ausnahme bestimmter anderer Waren, bei denen sich Acron verpflichtet hat, sich an besondere Preisregelungen zu halten.
(6)
Wie in Erwägungsgrund 14 des Beschlusses 2008/577/EG dargelegt, war angesichts der Vertriebsstrukturen von Acron zum Zeitpunkt der Annahme der Verpflichtung die Gefahr einer Umgehung der Verpflichtung nach Ansicht der Kommission gering.
B.
GEÄNDERTE UMSTÄNDE

Acrons Geschäftsbeziehungen

(7)
Im Mai 2012 unterrichtete Acron die Kommission über seine Absicht, eine Beteiligung an einem Chemieunternehmen in der Union zu erwerben. Im August 2012 setzte Acron die Kommission über eine Änderung seiner Unternehmensstruktur in Kenntnis: Acron habe eine Minderheitsbeteiligung am betreffenden Chemieunternehmen in der Union erworben, was sich nach Angaben von Acron jedoch nicht auf die Umsetzung der Verpflichtung auswirke. Nach Prüfung der von Acron vorgelegten Belege war die Kommission ursprünglich nicht der Auffassung, dass sich die Änderung der Unternehmensstruktur von Acron auf die Umsetzung der Verpflichtung auswirkt. Aus den der Kommission inzwischen vorliegenden neuen Belegen ergibt sich jedoch, dass die Informationen, die Acron vorlegte, als es die Kommission über die Änderung seiner Unternehmensstruktur unterrichtete, unvollständig waren. Insbesondere wurde die Kommission nicht darüber informiert, dass der betreffende Unionshersteller nicht nur chemische Erzeugnisse, sondern auch Düngemittel, einschließlich Ammoniumnitrat, herstellt und verkauft. Darüber hinaus geht aus den der Kommission nunmehr vorliegenden Belegen hervor, dass Acron seine Beteiligung seit der Mitteilung an die Kommission vom August 2012 weiter ausgebaut hat.

Vorläufige Bewertung

(8)
Die Kommission hat geprüft, welche Implikationen sich aus der Faktenlage ergeben, und ist zu der Auffassung gelangt, dass ein ernst zu nehmendes Risiko von Ausgleichsgeschäften besteht. Sollte nämlich die Düngemittelproduktions- und -vertriebseinheit in der Union, an der Acron Anteile erworben hat, von ihr hergestellte Waren an dieselben Kunden verkaufen wie Acron, dann könnten die Preise für solche Geschäfte so gestaltet werden, dass sie den in der Verpflichtung festgelegten Mindesteinfuhrpreis ausgleichen. Ein derartiger Ausgleich würde jedoch bei der Überwachung nicht auffallen, da die Preisstruktur der meisten Waren, die von der Düngemittelproduktions- und -vertriebseinheit hergestellt werden, an der Acron Anteile erworben hat, anhand keiner öffentlich zugänglichen Quelle nachvollziehbar ist. Somit kann nicht geprüft werden, ob die von den Kunden gezahlten Preise dem Wert der Waren entsprechen oder ob bei der Preisgestaltung möglicherweise ein Preisnachlass als Ausgleich für die Geschäfte, die laut Verpflichtung einem Mindesteinfuhrpreis unterliegen, eingeflossen ist. Folglich wäre eine Überwachung der Verpflichtung praktisch unmöglich.
(9)
Die Kommission unterrichtete Acron entsprechend und teilte dem Unternehmen mit, dass sie angesichts der in den Erwägungsgründen 7 und 8 dargelegten Umstände der Auffassung ist, dass die Verpflichtung widerrufen werden sollte. Acron erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme.
C.
SCHRIFTLICHE STELLUNGNAHMEN UND ANHÖRUNG
(10)
Acron übermittelte schriftliche Stellungnahmen und wurde gehört. In Reaktion auf das Unterrichtungsdokument wiederholte Acron die Argumente, die es bereits vorgebracht hatte, als ihm erstmals mitgeteilt wurde, dass die Verpflichtung nicht mit seiner Beteiligung an einem Unionshersteller von Düngemitteln vereinbar sei. Den betreffenden Argumenten wurde im Unterrichtungsdokument und wird auch in dieser Verordnung Rechnung getragen.
(11)
Mehrere Parteien (die allerdings nicht Adressaten des Unterrichtungsdokuments der Kommission waren und nicht zur Stellungnahme aufgefordert wurden) übermittelten der Kommission schriftliche Stellungnahmen, in denen sie den Standpunkt von Acron unterstützten. Die betreffenden Parteien erklärten, dass sie nicht an Ausgleichsgeschäftspraktiken mit Acron beteiligt gewesen seien. Das Risiko von Ausgleichsgeschäften wird jedoch per se durch derartige Erklärungen nicht gemindert. In jedem Fall ist es gängige Praxis der Kommission, keine Preisverpflichtungen anzunehmen, wenn ein ernst zu nehmendes Risiko von Ausgleichsgeschäften besteht, unabhängig davon, ob tatsächlich ein Ausgleichsgeschäft stattgefunden hat.
(12)
Acron gab an, in gutem Glauben gehandelt zu haben, als es die Kommission nach Nummer 5.14 der Verpflichtung und gemäß der Definition des Begriffs „verbundene Person” über Änderungen seiner Unternehmensstruktur unterrichtete.
(13)
Außerdem machte Acron geltend, dass es als Finanzinvestor zu betrachten sei, der in das Unionsunternehmen investiert habe, und dass es mit seiner Beteiligung lediglich beschränkte satzungsmäßige Mitspracherechte erworben habe, weshalb es über das Unionsunternehmen keine Kontrolle im Sinne des Wettbewerbsrechts der Union ausübe.
(14)
Acron führte an, dass das Unionsrecht und das nationale Wettbewerbsrecht einen Austausch sensibler Geschäftsinformationen oder Verkaufsabsprachen mit seinen Wettbewerbern in der Union oder andernorts nicht erlaube; ohne einen solchen Informationsaustausch seien Ausgleichsgeschäfte aber gar nicht möglich.
(15)
Nach Auffassung der Kommission sollten die Vorbringen von Acron aus folgenden Gründen zurückgewiesen werden:
(16)
Erstens enthält die von Acron angebotene Verpflichtung eine Definition des Begriffs „verbundene Person” . Nach Nummer 1 der Verpflichtung ist das Halten von 5 % oder mehr der Anteile an einem anderen Unternehmen ausreichend, um das betreffende Unternehmen als „verbundene Person” zu betrachten; dabei handelt es sich um den Richtwert, der bei der Bewertung der Überwachbarkeit und Praktikabilität der Verpflichtung zugrunde gelegt werden sollte.
(17)
Außerdem verweist die Kommission erneut auf die in Erwägungsgrund 8 dargelegte Problematik von Ausgleichsgeschäften. Des Weiteren kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige der Preisnotierungen (die der in der Verpflichtung vorgesehenen Mindestpreisindexierung zugrunde liegen) durch Verkäufe des verbundenen Herstellers in der Union beeinflusst werden könnten.
(18)
Acron selbst räumte ein, dass die Beteiligung an dem Unionshersteller die Mutmaßung eines Risikos von Ausgleichsgeschäften nahelege; diese Mutmaßung sei aber widerlegbar. Auf nationales Recht oder Unionsrecht gestützte wettbewerbsrechtliche Erwägungen, denen zufolge ein solches Verhalten theoretisch nicht in Acrons Interesse liegt, sind für die Bewertung der Überwachbarkeit und Praktikabilität einer Verpflichtung nicht relevant. Derartige Erwägungen mindern per se nicht das Risiko von Ausgleichsgeschäften.
(19)
Acron machte geltend, dass Ausgleichsgeschäfte weder in seinem eigenen geschäftlichen Interesse noch im geschäftlichen Interesse des verbundenen Unionsherstellers lägen. Diese Erklärung mindert per se nicht das Risiko von Ausgleichsgeschäften, zumal sich der Begriff des geschäftlichen Interesses auf abstrakter Basis nicht bewerten lässt. Zudem können nach Einschätzung der Kommission Anreize für Ausgleichsgeschäfte nicht ausgeschlossen werden, da sowohl der verbundene Unionshersteller als auch Acron in der Union nicht nur Ammoniumnitrat potenziell an dieselben Kunden verkaufen. Es wäre nicht machbar, wenn nicht gar unmöglich, derartige Verkäufe in der Union zu verfolgen. In diesem Zusammenhang ist auf die komplexe Struktur der Acron-Gruppe und der Gruppe des verbundenen Unionsherstellers hinzuweisen. Somit besteht ein ernst zu nehmendes Risiko von Ausgleichsgeschäften beim Verkauf von Ammoniumnitrat oder anderen Waren an dieselben Kunden.
(20)
Zweitens können Hersteller mit Sitz in der Union keiner Überwachung unterworfen werden, denn sie können nicht Partei einer Verpflichtung sein, da nach Artikel 8 der Grundverordnung Verpflichtungen nur von Ausführern angeboten werden können.
(21)
Drittens wäre die Überwachung einer solchen Verpflichtung — wie in den Erwägungsgründen 8 und 19 dargelegt — selbst dann unmöglich, wenn der Unionshersteller Partei der Verpflichtung sein könnte (was aber nicht der Fall ist).
(22)
Auf der Grundlage der ihr vorliegenden Belege kommt die Kommission daher zu dem Schluss, dass infolge der Änderung der Unternehmensstruktur von Acron ein ernst zu nehmendes Risiko von Ausgleichsgeschäften besteht; damit ist die Verpflichtung von Acron nicht mehr praktikabel und sollte deshalb widerrufen werden.
(23)
Schließlich schlug Acron die Einrichtung eines zusätzlichen Überwachungsmechanismus im Rahmen der Verpflichtung vor. So bot Acron an, der Kommission regelmäßig einen geprüften Bericht über die Cashflows zwischen den beiden Unternehmensgruppen vorzulegen. Ein derartiger neuer Mechanismus würde die Überwachung der Verpflichtung jedoch noch komplexer und aufwendiger gestalten, ohne die ermittelten Risiken und Probleme von Ausgleichsgeschäften zu verringern.
(24)
Keines der Vorbringen von Acron ändert die Einschätzung der Kommission, der zufolge die Überwachung der Verpflichtung nicht mehr praktikabel ist.
D.
AUFHEBUNG DES BESCHLUSSES 2008/577/EG
(25)
Daher hat die Kommission nach Artikel 8 Absatz 9 der Grundverordnung und im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der Verpflichtung, wonach sie die Verpflichtung einseitig widerrufen kann, beschlossen, dass die Annahme der von Acron angebotenen Verpflichtung widerrufen und der Beschluss 2008/577/EG der Kommission aufgehoben werden sollte. Dementsprechend sollte für die Einfuhren der betroffenen Ware, die von Acron hergestellt wurden (TARIC-Zusatzcode A532), der mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 999/2014 der Kommission eingeführte endgültige Antidumpingzoll gelten —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 343 vom 22.12.2009, S. 51.

(2)

ABl. L 198 vom 23.8.1995, S. 1.

(3)

ABl. L 102 vom 18.4.2002, S. 1.

(4)

ABl. L 185 vom 12.7.2008, S. 1.

(5)

ABl. L 280 vom 24.9.2014, S. 19.

(6)

ABl. L 185 vom 12.7.2008, S. 43.

(7)

ABl. C 171 vom 16.6.2012, S. 25.

(8)

ABl. L 277 vom 11.10.2012, S. 8.

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