Artikel 10 VO (EU) 2017/1939

Die Ständigen Kammern

(1) Den Vorsitz der Ständigen Kammern führt der Europäische Generalstaatsanwalt oder einer der Stellvertreter des Europäischen Generalstaatsanwalts oder ein gemäß der Geschäftsordnung der EUStA zum Vorsitzenden benannter Europäischer Staatsanwalt. Neben dem Vorsitzenden gehören den Ständigen Kammern zwei ständige Mitglieder an. Die Anzahl der Ständigen Kammern und ihre Zusammensetzung sowie die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Kammern tragen den funktionalen Bedürfnissen der EUStA angemessen Rechnung und werden gemäß der Geschäftsordnung der EUStA festgelegt.

Die Geschäftsordnung der EUStA gewährleistet eine ausgewogene Verteilung der Arbeitsbelastung auf der Grundlage einer Fallzuweisung nach dem Zufallsprinzip und legt in Ausnahmefällen Verfahren fest, die es dem Europäischen Generalstaatsanwalt ermöglichen, zu entscheiden, dass von der Fallzuweisung nach dem Zufallsprinzip abgewichen wird, sofern dies für ein ordnungsgemäßes Funktionieren der EUStA notwendig ist.

(2) Die Ständigen Kammern überwachen und leiten gemäß den Absätzen 3, 4 und 5 des vorliegenden Artikels die von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten geführten Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen. Sie gewährleisten außerdem die Koordination der Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen in grenzübergreifenden Fällen und gewährleisten die Durchführung der vom Kollegium gemäß Artikel 9 Absatz 2 getroffenen Entscheidungen.

(3) Gemäß den Bedingungen und Verfahren dieser Verordnung, gegebenenfalls nach Prüfung des vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt vorgeschlagenen Entscheidungsentwurfs, treffen die Ständigen Kammern Entscheidungen bezüglich

a)
der Anklageerhebung gemäß Artikel 36 Absätze 1, 3 und 4;
b)
der Einstellung eines Verfahrens gemäß Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben a bis g;
c)
der Anwendung eines vereinfachten Strafverfolgungsverfahrens und der Weisung an den Delegierten Europäischen Staatsanwalt, im Hinblick auf den endgültigen Abschluss des Verfahrens tätig zu werden, gemäß Artikel 40;
d)
der Verweisung eines Verfahrens an die nationalen Behörden gemäß Artikel 34 Absatz 1, 2, 3 oder 6;
e)
der Wiederaufnahme von Ermittlungen gemäß Artikel 39 Absatz 2.

(4) Soweit erforderlich, treffen die Ständigen Kammern gemäß den Bedingungen und Verfahren dieser Verordnung die folgenden Entscheidungen:

a)
dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt die Weisung zu erteilen, Ermittlungen gemäß den Bestimmungen des Artikels 26 Absätze 1 bis 4 einzuleiten, sofern noch keine Ermittlungen eingeleitet wurden;
b)
dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt die Weisung zu erteilen, das Evokationsrecht nach Artikel 27 Absatz 6 auszuüben, sofern das Verfahren noch nicht evoziert wurde;
c)
strategische Fragen oder allgemeine Angelegenheiten, die sich aus Einzelfällen ergeben, gemäß Artikel 9 Absatz 2 an das Kollegium zu verweisen;
d)
ein Verfahren gemäß Artikel 26 Absatz 3 zuzuweisen;
e)
ein Verfahren gemäß Artikel 26 Absatz 5 oder Artikel 28 Absatz 3 neu zuzuweisen;
f)
die Entscheidung eines Europäischen Staatsanwalts zu genehmigen, die Ermittlungen gemäß Artikel 28 Absatz 4 selbst durchzuführen.

(5) Die zuständige Ständige Kammer kann über den die Aufsicht über die Ermittlungen oder die Strafverfolgungsmaßnahmen führenden Europäischen Staatsanwalt in einem konkreten Verfahren dem betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt Weisungen erteilen, die im Einklang mit dem geltenden nationalen Recht stehen, sofern dies für die effiziente Durchführung der Ermittlungen oder Strafverfolgungsmaßnahmen im Interesse der Rechtspflege oder zur Gewährleistung der kohärenten Funktionsweise der EUStA notwendig ist.

(6) Die Ständige Kammer fasst Beschlüsse mit einfacher Mehrheit. Die Kammer stimmt auf Antrag eines ihrer Mitglieder ab. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Entscheidungen werden nach Beratungen der Kammern gegebenenfalls auf der Grundlage des vom betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalt vorgeschlagenen Entscheidungsentwurfs getroffen.

Die gesamte Verfahrensakte wird der zuständigen Ständigen Kammer auf Verlangen für die Vorbereitung der Entscheidungen zur Verfügung gestellt.

(7) Die Ständigen Kammern können beschließen, ihre Entscheidungsbefugnisse gemäß Absatz 3 Buchstabe a oder Buchstabe b und in letzterem Fall nur in Bezug auf die in Artikel 39 Absatz 1 Buchstaben a bis f festgelegten Vorschriften dem im Einklang mit Artikel 12 Absatz 1 die Aufsicht über das Verfahren führenden Europäischen Staatsanwalt hinsichtlich einer Straftat zu übertragen, die einen Schaden von weniger als 100000 EUR zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verursacht hat bzw. verursachen könnte, wenn eine solche Befugnisübertragung im Hinblick auf die Schwere der Straftat oder die Komplexität des Verfahrens im Einzelfall hinreichend begründet werden kann. In der Geschäftsordnung der EUStA sind Leitlinien festzulegen, damit eine kohärente Anwendung im Rahmen der EUStA gewährleistet werden kann.

Die Ständige Kammer unterrichtet den Europäischen Generalstaatsanwalt über jede Entscheidung zur Übertragung ihrer Entscheidungsbefugnisse. Nach Eingang dieser Mitteilung kann der Europäische Generalstaatsanwalt die Ständige Kammer innerhalb von drei Tagen ersuchen, ihre Entscheidung zu überprüfen, sofern der Europäische Generalstaatsanwalt der Auffassung ist, dass dies im Interesse der Gewährleistung kohärenter Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen der EUStA erforderlich ist. Ist der Europäische Generalstaatsanwalt Mitglied der jeweiligen Ständigen Kammer, so übt einer der Stellvertreter des Europäischen Generalstaatsanwalts das Recht auf Ersuchen um diese Überprüfung aus. Der die Aufsicht führende Europäische Staatsanwalt unterrichtet die Ständige Kammer über den endgültigen Abschluss des Verfahrens sowie über alle Informationen oder Umstände, die nach seinem Dafürhalten eine Neubewertung der Frage, ob eine Aufrechterhaltung der Befugnisübertragung zweckmäßig ist, erforderlich machen könnten, insbesondere unter den in Artikel 36 Absatz 3 genannten Umständen.

Die Entscheidung zur Übertragung von Entscheidungsbefugnissen kann auf Antrag eines der Mitglieder der Ständigen Kammer jederzeit aufgehoben werden; der entsprechende Beschluss wird gemäß Absatz 6 gefasst. Eine Befugnisübertragung wird aufgehoben, wenn ein Delegierter Europäischer Staatsanwalt im Einklang mit Artikel 16 Absatz 7 den Europäischen Staatsanwalt vertritt.

Zur Gewährleistung der kohärenten Anwendung des Grundsatzes der Befugnisübertragung erstattet jede Ständige Kammer dem Kollegium jährlich über die Vornahme von Befugnisübertragungen Bericht.

(8) Die Geschäftsordnung der EUStA gestattet den Ständigen Kammern, Entscheidungen im Wege eines schriftlichen Verfahrens zu treffen, das in der Geschäftsordnung der EUStA im Einzelnen festzulegen ist.

Sämtliche Entscheidungen und Weisungen, die im Einklang mit den Absätzen 3, 4, 5 und 7 getroffen bzw. erteilt werden, sind schriftlich festzuhalten und werden Teil der Verfahrensakte.

(9) Zusätzlich zu den ständigen Mitgliedern nimmt der Europäische Staatsanwalt, der die Ermittlungen oder Strafverfolgungsmaßnahmen gemäß Artikel 12 Absatz 1 beaufsichtigt, an den Beratungen der Ständigen Kammer teil. Der Europäische Staatsanwalt ist stimmberechtigt, außer bei Entscheidungen der Ständigen Kammer über eine Befugnisübertragung oder Aufhebung der Befugnisübertragung gemäß Artikel 10 Absatz 7, über eine Zuweisung und Neuzuweisung gemäß Artikel 26 Absätze 3, 4 und 5 und Artikel 27 Absatz 6 und über die Anklageerhebung nach Artikel 36 Absatz 3, wenn mehr als ein Mitgliedstaat Gerichtsbarkeit für den Fall hat, sowie in den in Artikel 31 Absatz 8 beschriebenen Fällen.

Eine Ständige Kammer kann außerdem entweder auf Antrag eines Europäischen Staatsanwalts oder eines Delegierten Europäischen Staatsanwalts oder auf eigene Initiative andere von einem Verfahren betroffene Europäische Staatsanwälte oder Delegierte Europäische Staatsanwälte ohne Stimmrecht zur Teilnahme an ihren Sitzungen einladen.

(10) Die Vorsitzenden der Ständigen Kammern halten das Kollegium im Einklang mit der Geschäftsordnung der EUStA über die gemäß diesem Artikel gefassten Beschlüsse auf dem Laufenden, damit das Kollegium seine Funktion gemäß Artikel 9 Absatz 2 ausüben kann.

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