Präambel VO (EU) 2018/1881
DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission(1), insbesondere auf Artikel 131,
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- Die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 enthält spezifische Registrierungspflichten für Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender und verpflichtet diese, Daten über die von ihnen hergestellten, eingeführten oder verwendeten Stoffe zu gewinnen, damit die mit diesen Stoffen verbundenen Risiken bewertet und geeignete Risikomanagementmaßnahmen entwickelt und empfohlen werden können.
- (2)
- In ihrer Mitteilung über die zweite Überprüfung der Rechtsvorschriften zu Nanomaterialien(2) ist die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 den bestmöglichen Rahmen für das Risikomanagement von Nanomaterialien bereithält, wenn diese als Formen von Stoffen oder Gemischen auftreten; jedoch hat sich ein Bedarf an spezifischeren Vorschriften innerhalb dieses Rahmens als notwendig erwiesen.
- (3)
- Die Kommission hat eine Folgenabschätzung(3) vorgenommen und ist zu dem weiteren Schluss gelangt, dass die Registrierungspflichten und anderweitigen Verpflichtungen für Nanomaterialien präzisiert werden müssen. Für die Zwecke der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 sollte der Begriff „Nanoform” auf der Grundlage der Empfehlung der Kommission vom 18. Oktober 2011 zur Definition von Nanomaterialien bestimmt werden.
- (4)
- Da Nanoformen spezifische toxikologische Profile und Expositionsmuster aufweisen können, sind möglicherweise eine spezifische Risikobewertung und angemessene Risikomanagementmaßnahmen erforderlich.
- (5)
- Ohne die spezifisch Nanoformen betreffenden Mindeststandarddaten im technischen Dossier und im Stoffsicherheitsbericht lässt sich nicht feststellen, ob die potenziellen Risiken angemessen bewertet wurden. In die Anhänge I, III sowie VI bis XII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 sollten Erläuterungen zu den Anforderungen für die Registrierung von Stoffen mit Nanoformen und den diesbezüglichen Verpflichtungen für nachgeschaltete Anwender aufgenommen werden. Dadurch ließen sich eine klare und wirksame Umsetzung zu verhältnismäßigen Kosten und ein hohes Maß an Gesundheits- und Umweltschutz ohne nachteilige Auswirkungen auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten. Die angenommenen Änderungen für Nanoformen sollten die Durchführung und Dokumentierung von Risikobewertungen anderer Formen des registrierten Stoffes unberührt lassen, es sei denn, Nanoformen wurden implizit in die Bewertungen einbezogen.
- (6)
- Hersteller und Importeure sollten die notwendigen Informationen generieren und gegebenenfalls bewerten und im Stoffsicherheitsbericht dokumentieren, dass die Risiken, die sich aus den angegebenen Verwendungen des Stoffes mit Nanoformen, den sie herstellen bzw. einführen, ergeben, angemessen beherrscht werden. Der Klarheit halber sollte im Stoffsicherheitsbericht vermerkt sein, ob und wenn ja, welche unterschiedlichen Nanoformen unter die Risikobewertung fallen, und wie die Informationen im Bericht erfasst werden. Eine Verwendung kann die Nanoformen des Stoffes modifizieren und potenziell einer Nanoform eine andere Form geben oder eine neue Nanoform generieren. Nachgeschaltete Anwender sollten diese Informationen entlang der Lieferkette weitergeben, um sicherzustellen, dass die Verwendung im Registrierungsdossier des Herstellers oder Importeurs ordnungsgemäß erfasst ist, oder — alternativ — die betreffende Verwendung in ihrem eigenen Stoffsicherheitsbericht erfassen.
- (7)
- Da davon ausgegangen wird, dass es sich bei den meisten Nanomaterialien um Nanoformen von Phase-in-Stoffen handelt, sollten Anforderungen für die Generierung neuer toxikologischer und ökotoxikologischer Informationen über in geringen Mengen auftretende Phase-in-Stoffe festgelegt werden, um sicherzustellen, dass die Bewertungskriterien auch den erwarteten Eigenschaften von Nanoformen Rechnung tragen. Da die bestehende qualitative oder quantitative Struktur-Wirkungs-Beziehung (QSAR) und andere Instrumente bisher keine Priorisierung zulassen, sollten anstelle potenzieller toxikologischer und ökotoxikologischer Aspekte für die Nanoformen eines Stoffes die Informationen zur Unlöslichkeit zugrunde gelegt werden.
- (8)
- Bei Nanoformen sollten als Teil der Angaben zur Zusammensetzung des Stoffes unter der Rubrik „Stoffbezeichnung” bestimmt Mindestangaben zur Beschreibung gemacht werden. Partikelgröße, Form und Oberflächeneigenschaften einer Nanoform können deren toxikologisches oder ökotoxikologischen Profil, Exposition und Verhalten in der Umwelt beeinflussen.
- (9)
- Im Interesse der Praktikabilität und der Verhältnismäßigkeit sollte es möglich sein, Nanoformen mit vergleichbaren Eigenschaften in Kategorien ähnlicher Nanoformen zusammenzufassen. Die charakteristischen Eigenschaften der verschiedenen Nanoformen innerhalb von Kategorien ähnlicher Nanoformen sollten in Wertebereichen angegeben werden, die eindeutig die Grenzen der Kategorie ähnlicher Nanoformen vorgeben. Bei der Festlegung einer Kategorie ähnlicher Nanoformen sollte begründet werden, warum sich eine Abweichung innerhalb dieser Grenzen nicht auf die Gefahrenbeurteilung, die Expositionsbewertung und die Risikobewertung der einzelnen Nanoformen innerhalb der Kategorie ähnlicher Nanoformen auswirkt.
- (10)
- Der Registrant sollte für den Sicherheitsnachweis alle verschiedenen unter die Registrierung fallenden Nanoformen berücksichtigen. Gleichermaßen sollten die Informationen über die Herstellung und die Verwendungen der unterschiedlichen Nanoformen sowie über die Exposition ihnen gegenüber zum Nachweis der Sicherheit ihrer Verwendung separat angegeben werden. Wurde eine Kategorie ähnlicher Nanoformen festgelegt, so kann diese verwendet werden, um diese Informationen für die Nanoformen innerhalb der Kategorie gemeinsam zu dokumentieren.
- (11)
- Bei gemeinsamer Dateneinreichung sollten Nanoformen oder — falls festgelegt — Kategorien von Nanoformen nach einheitlichen Regeln beschrieben werden, und die in den einzelnen Registrierungsdossiers angegebenen Nanoformen sollten den maßgeblichen Informationen im gemeinsamen Registrierungsantrag zugeordnet sein.
- (12)
- Damit die Relevanz etwaiger physikalisch-chemischer, toxikologischer und ökotoxikologischer Informationen zu den verschiedenen Nanoformen sachgemäß bewertet werden kann, sollte das Prüfmaterial angemessen beschrieben sein. Aus denselben Gründen sollten für die verschiedenen Nanoformen dokumentierte Prüfbedingungen und eine wissenschaftliche Begründung für die Relevanz und Angemessenheit des verwendeten Prüfmaterials sowie eine Dokumentation für die Relevanz und Angemessenheit von Informationen, die auf andere Weise als durch Versuche generiert wurden, angegeben werden.
- (13)
- Bei Nanoformen sollte stets die Lösungsgeschwindigkeit in Wasser sowie in relevanten biologischen und Umweltmedien berücksichtigt werden, da diese eine wichtige ergänzende Information zur Wasserlöslichkeit als grundlegende physikalisch-chemische Eigenschaft von Nanoformen darstellt, die den Ansatz für die Risikobewertung und die Prüfung vorgeben kann.
- (14)
- Der Verteilungskoeffizient Octanol/Wasser wird allgemein als Proxywert für die Adsorption oder Akkumulation herangezogen, kann auf Nanoformen aber häufig nicht angewendet werden. In solchen Fällen sollten die Prüfung der Dispersionsstabilität in den verschiedenen relevanten Prüfmedien, die diese Endpunkte signifikant beeinflusst, sowie etwaige Schätzungen der Exposition gegenüber Nanoformen berücksichtigt werden.
- (15)
- Bestimmte physikalisch-chemische Eigenschaften wie Wasserlöslichkeit oder Verteilungskoeffizient Octanol/Wasser dienen als Grundlage für bewährte QSAR- und andere Vorhersagemodelle, die sich für Abweichungen von bestimmten Datenanforderungen eignen. Da die zugrunde liegenden Annahmen möglicherweise nicht immer für Nanomaterialien gelten, sollten derartige Abweichungen für Nanoformen nur mit wissenschaftlicher Begründung angewandt werden. In spezifischen Fällen kann stattdessen die Dispersionsstabilität in den relevanten Prüfmedien herangezogen werden.
- (16)
- Um eine effiziente Bewertung der möglichen Exposition gegenüber inhalierbaren Nanoformen, insbesondere am Arbeitsplatz, zu ermöglichen, sollten für die verschiedenen Nanoformen Angaben zur Staubigkeit gemacht werden.
- (17)
- Die besonderen Eigenschaften der Nanoform können bisweilen deren Aufnahme durch die Bakterienzellwand verhindern, weshalb der In-vitro-Genmutationsversuch an Bakterien (AMES Prüfung — B.13-14, OECD-Prüfrichtlinie 471) nicht geeignet ist. Um sicherzustellen, dass der mehrstufige Mutagenitätsversuch auch in solchen Fällen noch möglich ist, sollte auch für in geringen Mengen auftretende Stoffe mindestens ein anderer In-vitro-Mutagenitätsversuch an Säugetierzellen oder andere international anerkannte In-vitro-Prüfmethoden vorgesehen werden.
- (18)
- Wenngleich die Untersuchung kleinster Mengen auf akute Toxizität eine orale Exposition voraussetzt, wird für Nanoformen die Inhalation als besser geeigneter Expositionsweg angesehen und sollte stattdessen vorgeschrieben werden, es sei denn, eine Exposition des Menschen ist unwahrscheinlich.
- (19)
- Um Informationen über die Kurzzeittoxizität bei wiederholter Verabreichung und die subchronische Toxizität bei Inhalation zu erhalten, sollte die Untersuchung einer Nanoform stets auch eine histopathologische Bestimmung von Hirn- und Lungengewebe sowie eine Untersuchung der BAL-Flüssigkeit (bronchoalveoläre Lavage) und der Kinetik und eine angemessene Regenerationsfrist im Sinne der OECD-Prüfrichtlinie umfassen.
- (20)
- Die Verteilung einer Nanoform im Körper kann, sofern sie sich nicht rasch löst, sobald sie in den Organismus gelangt ist, das toxikologische Profil im Vergleich zu anderen Formen desselben Stoffes beeinflussen. Daher sollte für die Stoffsicherheitsbeurteilung einer Nanoform, soweit diese Beurteilung erforderlich ist, eine Bewertung des toxikokinetischen Verhaltens vorliegen. Dies dürfte die Entwicklung einer wirksamen Prüfstrategie ermöglichen oder es gestatten, Prüfstrategien auf Stoffe mit Nanoformen zuzuschneiden, um Tierversuche auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Soweit relevant, sollte der Registrant einen die vorhandenen toxikokinetischen Informationen ergänzenden Versuch vorschlagen oder kann die Europäische Chemikalienagentur (im Folgenden „die Agentur” ) gemäß Artikel 40 oder 41 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 einen solchen Versuch verlangen.
- (21)
- Für ein besseres wissenschaftliches Verständnis der Gefahr und Exposition im Zusammenhang mit einem Nanomaterial können neben den zur Bestimmung der unterschiedlichen Nanoformen verwendeten physikalisch-chemischen Eigenschaften auch bestimmte andere Eigenschaften relevant sein, wobei die erforderlichen Parameter vom jeweiligen Fall abhängen. Im Interesse der Praktikabilität und der Verhältnismäßigkeit sollten nur Registranten für Stoffe (einschließlich etwaiger Nanoformen), die in größeren Mengen als 10 Tonnen/Jahr in den Verkehr gebracht werden, diese zusätzlichen Informationen ausdrücklich berücksichtigen müssen, für den Fall, dass andere Partikeleigenschaften die von diesen Nanoformen ausgehenden Gefahren oder die Exposition gegenüber diesen Nanoformen beeinflussen.
- (22)
- Bei Abweichung von den Standarddatenanforderungen der Anhänge VII bis X der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 nach den allgemeinen Bestimmungen für Abweichungen gemäß Anhang XI Abschnitt 1 der Verordnung sollten unterschiedliche Nanoformen separat berücksichtigt werden. Bei Gruppierung von unterschiedlichen Nanoformen ist die molekularstrukturelle Ähnlichkeit allein kein Rechtfertigungsgrund für die Anwendung des Gruppierungs- oder Analogiekonzepts.
- (23)
- Die Agentur sollte in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern weitere Leitfäden für die Anwendung der Prüfmethoden und die Inanspruchnahme der Verzichtmöglichkeiten für die Standarddatenanforderungen erarbeiten, wie sie in der vorliegenden Verordnung für die Zwecke der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 vorgesehen sind.
- (24)
- Die Anhänge I, III sowie VI bis XII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 sollten daher entsprechend geändert werden.
- (25)
- Die Anwendung der Bestimmungen der vorliegenden Verordnung sollte nicht sofort rechtsverbindlich sein, um Registranten und nachgeschalteten Anwendern ausreichend Zeit für die Anpassung an die spezifischeren Anforderungen für Stoffe mit Nanoformen einzuräumen. Die Registranten sollten diese Bestimmungen jedoch bereits vor dem Termin für die Einhaltung anwenden können.
- (26)
- Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des mit Artikel 133 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 eingesetzten Ausschusses —
HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1.
- (2)
COM(2012) 572 final.
- (3)
Folgenabschätzung zu möglichen Änderungen der Anhänge der REACH-Verordnung bezüglich der Registrierung von Nanomaterialien [SWD(2018) 474].
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