Artikel 16 VO (EU) 2019/943

Allgemeine Grundsätze für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement

(1) Netzengpässen wird mit diskriminierungsfreien marktbasierten Lösungen begegnet, von denen wirksame wirtschaftliche Signale an die Marktteilnehmer und beteiligten Übertragungsnetzbetreiber ausgehen. Netzengpässe werden mit nicht transaktionsbezogenen Methoden bewältigt, d. h. mit Methoden, bei denen nicht zwischen den Verträgen einzelner Marktteilnehmer unterschieden wird. Ergreift der Übertragungsnetzbetreiber betriebliche Maßnahmen, um sein Übertragungsnetz im Normalzustand zu halten, so muss er die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die benachbarten Regelzonen berücksichtigen und diese Maßnahmen gemäß der Verordnung (EU) 2015/1222 mit anderen betroffenen Übertragungsnetzbetreibern koordinieren.

(2) Transaktionen dürfen nur in Notfällen eingeschränkt werden, insbesondere wenn der Übertragungsnetzbetreiber schnell handeln muss und ein Redispatch oder Countertrading nicht möglich ist. Jedes diesbezügliche Verfahren muss diskriminierungsfrei angewendet werden. Abgesehen von Fällen höherer Gewalt werden Marktteilnehmer, denen Kapazitäten zugewiesen wurden, für jede solche Einschränkung entschädigt.

(3) Gemäß Artikel 37 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 42 Absatz 1 führen die regionalen Koordinierungszentren eine koordinierte Kapazitätsberechnung im Einklang mit den Absätzen 4 und 8 dieses Artikels durch.

Regionale Koordinierungszentren berechnen die zonenübergreifenden Kapazitäten unter Einhaltung der Betriebssicherheitsgrenzwerte anhand der Daten der Übertragungsnetzbetreiber einschließlich der Daten über die technische Verfügbarkeit von Entlastungsmaßnahmen, ohne den Lastabwurf miteinzubeziehen. Gelangen die regionalen Koordinierungszentren zu dem Schluss, dass diese verfügbaren Entlastungsmaßnahmen in der Kapazitätsberechnungsregion oder zwischen Kapazitätsberechnungsregionen nicht ausreichen, um unter Einhaltung der Betriebssicherheitsgrenzwerte die lineare Verlaufskurve gemäß Artikel 15 Absatz 2 oder die Mindestkapazitäten gemäß Artikel 16 Absatz 8 zu erreichen, so können sie als letztes Mittel koordinierte Maßnahmen festlegen, um die zonenübergreifenden Kapazitäten entsprechend zu verringern. Die Übertragungsnetzbetreiber dürfen von koordinierten Maßnahmen zur koordinierten Kapazitätsberechnung und zur koordinierten Sicherheitsanalyse nur gemäß Artikel 42 Absatz 2 abweichen.

Die regionalen Koordinierungszentren berichten, ab drei Monaten nachdem sie ihren Betrieb nach Artikel 35 Absatz 2 dieser Verordnung aufgenommen haben, und alle drei Monate danach, den maßgeblichen Regulierungsbehörden und ACER über Verringerungen der Kapazität und Abweichungen von koordinierten Maßnahmen gemäß Unterabsatz 2, bewerten die Fälle und unterbreiten erforderlichenfalls Empfehlungen dazu, wie diese Abweichungen in Zukunft vermieden werden können. Gelangt ACER zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für eine Abweichung gemäß diesem Absatz nicht erfüllt sind und diese Abweichung von struktureller Art ist, so übermittelt sie den maßgeblichen Regulierungsbehörden und der Kommission eine entsprechende Stellungnahme. Die zuständigen Regulierungsbehörden ergreifen gemäß Artikel 59 oder 62 der Richtlinie (EU) 2019/944 geeignete Maßnahmen gegen Übertragungsnetzbetreiber oder regionale Koordinierungszentren, wenn die Voraussetzungen für eine Abweichung nach diesem Absatz nicht erfüllt waren.

Abweichungen struktureller Art sind in einem Aktionsplan nach Artikel 14 Absatz 7 oder mittels einer Aktualisierung eines vorhandenen Aktionsplans anzugehen.

(4) Den Marktteilnehmern wird die unter Einhaltung der Sicherheitsnormen für den sicheren Netzbetrieb maximale Kapazität der Verbindungsleitungen und der Übertragungsnetze, die durch die grenzüberschreitenden Kapazitäten beeinflusst werden, zur Verfügung gestellt. Countertrading und Redispatch, einschließlich grenzüberschreitendem Redispatch, werden zur Maximierung der verfügbaren Kapazitäten genutzt, um die Mindestkapazität nach Absatz 8 zu erreichen. Um eine solche Maximierung zu ermöglichen wird ein koordiniertes und diskriminierungsfreies Verfahren für grenzüberschreitende Entlastungsmaßnahmen angewandt, nachdem die Methode zur Kostenteilung bei Redispatch und Countertrading umgesetzt wurde.

(5) Die Kapazitätsvergabe erfolgt durch explizite Kapazitätsauktionen oder durch implizite Auktionen für sowohl Kapazität als auch Energie. Beide Methoden können für ein und dieselbe Verbindungsleitung gleichzeitig bestehen. Für den Intraday-Handel wird ein fortlaufendes Handelssystem verwendet, das durch Auktionen ergänzt werden kann.

(6) Im Fall von Engpässen erhalten die höchsten impliziten oder expliziten gültigen Gebote für Netzkapazität, die den höchsten Wert für die knappe Übertragungskapazität in einem bestimmten Zeitbereich bieten, den Zuschlag. Außer bei neuen Verbindungsleitungen, für die eine Ausnahme nach Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, nach Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 oder nach Artikel 63 der vorliegenden Verordnung gilt, dürfen bei den Kapazitätsvergabemethoden keine Mindestpreise festgesetzt werden.

(7) Die Kapazität ist auf sekundärer Basis frei handelbar, sofern der Übertragungsnetzbetreiber ausreichend rechtzeitig unterrichtet wird. Lehnt ein Übertragungsnetzbetreiber den Sekundärhandel (Sekundärtransaktionen) ab, so muss er dies allen Marktteilnehmern in deutlicher und transparenter Form mitteilen und erklären sowie der Regulierungsbehörde melden.

(8) Die Übertragungsnetzbetreiber dürfen die den Marktteilnehmern zur Verfügung zu stellende Verbindungskapazität nicht beschränken, um einen Engpass in ihrer eigenen Gebotszone zu beheben oder um Stromflüsse zu bewältigen, die aufgrund von Transaktionen innerhalb der Gebotszonen entstanden sind. Unbeschadet der Anwendung von Freistellungen gemäß Absatz 3 und 9 dieses Artikels und der Anwendung von Artikel 15 Absatz 2 gelten die Bestimmungen dieses Absatzes als erfüllt, wenn die folgenden Mindestwerte der verfügbaren Kapazität für den zonenübergreifenden Handel erreicht sind:

a)
Bei Grenzen, bei denen ein Ansatz der koordinierten Nettoübertragungskapazität angewandt wird, beträgt der Mindestwert 70 % der Übertragungskapazität, welche die Betriebssicherheitsgrenzwerte einhält und wegen der Ausfallvarianten einen Abzug vornimmt, die gemäß der auf der Grundlage des Artikels 18 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 angenommenen Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement ermittelt wurden.
b)
Bei Grenzen, an denen ein lastflussgestützter Ansatz angewandt wird, ist die Mindestkapazität eine bei der Kapazitätsberechnung gesetzte Grenze, die für durch zonenübergreifenden Austausch ausgelöste Lastflüsse verfügbar ist. Die Grenze beträgt 70 % der Kapazität der internen und zonenübergreifenden kritischen Netzelemente, die die Betriebssicherheitsgrenzwerte einhält, wobei Ausfallvarianten zu berücksichtigen sind, die gemäß der auf der Grundlage des Artikels 18 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 angenommenen Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement festgelegt wurden.

Die Gesamtmenge von 30 % kann auf jedem kritischen Netzelement für Zuverlässigkeitsmargen, Ringflüsse und interne Stromflüsse verwendet werden.

(9) Auf Antrag von Übertragungsnetzbetreibern einer Kapazitätsberechnungsregion können die maßgeblichen Regulierungsbehörden — sofern dies zur Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit erforderlich ist — aus vorhersehbaren Gründen eine Freistellung von Absatz 8 gewähren. Eine solche Freistellung, die nicht die Einschränkung von bereits nach Absatz 2 zugewiesenen Kapazitäten betreffen darf, wird für nicht länger als ein Jahr auf einmal, oder, soweit der Umfang der Freistellung nach dem ersten Jahr bedeutend abnimmt, für höchstens zwei Jahre erteilt. Der Umfang solchen Freistellungen darf nicht über das für die Aufrechterhaltung der betrieblichen Sicherheit erforderliche Maß hinausgehen und solche Freistellungen dürfen nicht zur Diskriminierung zwischen dem internen und dem zonenübergreifenden Austausch führen.

Vor der Gewährung einer Freistellung konsultiert die maßgebliche Regulierungsbehörde die Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten, die zu der betroffenen Kapazitätsberechnungsregion gehören. Ist eine der Regulierungsbehörden mit der vorgeschlagenen Freistellung nicht einverstanden, so entscheidet gemäß Artikel 6 Absatz 10 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2019/942 ACER über ihre Erteilung. Die Gründe für die Freistellung werden veröffentlicht.

Wird eine Freistellung gewährt, so erarbeiten und veröffentlichen die maßgeblichen Übertragungsnetzbetreiber eine Methode und Projekte für eine langfristige Lösung des Problems, gegen das mit der Freistellung vorgegangen werden soll. Die Freistellung endet mit Ablauf der Frist für die Freistellung oder sobald die Lösung angewendet wird, je nachdem, welcher Zeitpunkt der frühere ist.

(10) Die Marktteilnehmer teilen den betroffenen Übertragungsnetzbetreibern rechtzeitig vor dem maßgeblichen Betriebszeitraum mit, ob sie die zugewiesene Kapazität zu nutzen gedenken. Zugewiesene Kapazitäten, die nicht in Anspruch genommen werden, werden nach einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren wieder dem Markt zur Verfügung gestellt.

(11) Die Übertragungsnetzbetreiber saldieren, soweit technisch möglich, die auf der überlasteten Verbindungsleitung in gegenläufiger Richtung beanspruchten Kapazitäten, um diese Leitung bis zu ihrer maximalen Kapazität zu nutzen. Unter vollständiger Berücksichtigung der Netzsicherheit dürfen Transaktionen, die mit einer Entlastung verbunden sind, nicht abgelehnt werden.

(12) Die finanziellen Folgen, die sich daraus ergeben, dass die mit der Kapazitätsvergabe verbundenen Verpflichtungen nicht eingehalten werden, werden den Übertragungsnetzbetreibern oder NEMO angelastet, die dafür verantwortlich sind. Nutzen Marktteilnehmer die Kapazität, zu deren Nutzung sie sich verpflichtet haben, nicht, oder handeln sie diese Kapazität im Fall einer durch eine explizite Auktion erworbenen Kapazität nicht auf sekundärer Basis oder geben sie die Kapazität nicht rechtzeitig zurück, so verlieren diese Marktteilnehmer ihren Anspruch auf diese Kapazität und zahlen ein kostenorientiertes Entgelt. Die kostenorientierten Entgelte für die nicht erfolgte Nutzung von Kapazität müssen gerechtfertigt und angemessen sein. Kommt ein Übertragungsnetzbetreiber seiner Verpflichtung, solide Übertragungskapazität bereitzustellen, nicht nach, so muss er den Marktteilnehmer für den Verlust von Kapazitätsrechten entschädigen. Folgeverluste werden dabei nicht berücksichtigt. Die zentralen Konzepte und Methoden zur Bestimmung der Haftungsansprüche aus der nicht erfolgten Einhaltung von Verpflichtungen sind, was die finanziellen Konsequenzen betrifft, im Voraus festzulegen und von der maßgeblichen Regulierungsbehörde zu überprüfen.

(13) Bei der Zuordnung von Kosten von Entlastungsmaßnahmen auf die Übertragungsnetzbetreiber analysieren die Regulierungsbehörden, inwieweit die Stromflüsse aufgrund von Transaktionen innerhalb von Gebotszonen zu dem zwischen zwei Gebotszonen beobachteten Engpass beitragen, und sie ordnen die Kosten auf der Grundlage des jeweiligen Beitrags zum Engpass auf die Übertragungsnetzbetreiber der Gebotszonen, in denen diese Stromflüsse entstehen, zu, außer bei Kosten, die durch Stromflüsse bedingt sind, die aufgrund von Transaktionen innerhalb von Gebotszonen entstehen und unterhalb des Niveaus liegen, der ohne strukturelle Engpässe in einer Gebotszone wahrscheinlich ist.

Dieses Niveau wird von allen Übertragungsnetzbetreibern in einer Kapazitätsberechnungsregion für jede einzelne Gebotszonengrenze gemeinsam analysiert und festgelegt und unterliegt der Genehmigung aller Regulierungsbehörden in der Kapazitätsberechnungsregion.

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