Artikel 63 VO (EU) 2019/943

Neue Verbindungsleitungen

(1) Neue Gleichstromverbindungsleitungen können unter folgenden Voraussetzungen auf Antrag für eine begrenzte Dauer von Artikels 19 Absätze 2 und 3 dieser Verordnung und der Artikel 6, 43, Artikel 59 Absatz 7 und Artikel 60 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2019/944 ausgenommen werden:

a)
Durch die Investition wird der Wettbewerb in der Stromversorgung verbessert.
b)
Das mit der Investition verbundene Risiko ist so hoch, dass die Investition ohne die Gewährung einer Ausnahme nicht getätigt würde.
c)
Die Verbindungsleitung muss Eigentum einer natürlichen oder juristischen Person sein, die zumindest der Rechtsform nach von den Netzbetreibern getrennt ist, in deren Netzen die entsprechende Verbindungsleitung gebaut wird.
d)
Von den Nutzern dieser Verbindungsleitung werden Entgelte verlangt.
e)
Seit der Teilmarktöffnung gemäß Artikel 19 der Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(1) dürfen keine Anteile der Kapital- oder Betriebskosten der Verbindungsleitung über irgendeine Komponente der Entgelte für die Nutzung der Übertragungs- oder Verteilernetze, die durch diese Verbindungsleitung miteinander verbunden werden, gedeckt worden sein.
f)
Die Ausnahme darf sich nicht nachteilig auf den Wettbewerb oder das echte Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarkts oder das effiziente Funktionieren des regulierten Netzes auswirken, an das die Verbindungsleitung angeschlossen ist.

(2) Absatz 1 gilt in Ausnahmefällen auch für Wechselstromverbindungsleitungen, sofern die Kosten und die Risiken dieser Investition im Vergleich zu den Kosten und Risiken, die normalerweise bei einer Verbindung zweier benachbarter nationaler Übertragungsnetze durch eine Wechselstromverbindungsleitung auftreten, besonders hoch sind.

(3) Absatz 1 gilt auch für erhebliche Kapazitätserhöhungen bei vorhandenen Verbindungsleitungen.

(4) Die Entscheidung über die Gewährung von Ausnahmen nach den Absätzen 1, 2 und 3 wird in jedem Einzelfall von den Regulierungsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten getroffen. Eine Ausnahme kann sich auf die Gesamtkapazität oder nur einen Teil der Kapazität der neuen Verbindungsleitung oder der vorhandenen Verbindungsleitung mit erheblich erhöhter Kapazität erstrecken.

Binnen zwei Monaten ab Erhalt des Antrags auf eine Ausnahme durch die letzte betroffene Regulierungsbehörde kann ACER diesen Regulierungsbehörden eine Stellungnahme übermitteln. Die Regulierungsbehörden können ihre Entscheidung auf Grundlage dieser Stellungnahme fällen.

Bei der Entscheidung über die Gewährung einer Ausnahme wird von den Regulierungsbehörden in jedem Einzelfall der Notwendigkeit Rechnung getragen, Bedingungen für die Dauer der Ausnahme und die diskriminierungsfreie Gewährung des Zugangs zu der Verbindungsleitung aufzuerlegen. Bei der Entscheidung über diese Bedingungen werden von den Regulierungsbehörden insbesondere die neu zu schaffende Kapazität oder die Änderung der bestehenden Kapazität, der Zeitrahmen des Vorhabens und die nationalen Gegebenheiten berücksichtigt.

Vor der Gewährung einer Ausnahme entscheiden die Regulierungsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten über die Regeln und Mechanismen für das Kapazitätsmanagement und die Kapazitätsvergabe. Die Regeln für das Engpassmanagement müssen die Verpflichtung einschließen, ungenutzte Kapazitäten auf dem Markt anzubieten, und die Nutzer der Infrastruktur müssen das Recht erhalten, ihre kontrahierten Kapazitäten auf dem Sekundärmarkt zu handeln. Bei der Bewertung der in Absatz 1 Buchstaben a, b und f genannten Kriterien werden die Ergebnisse des Kapazitätsvergabeverfahrens berücksichtigt.

Haben alle betroffenen Regulierungsbehörden binnen sechs Monaten nach Eingang des Antrags eine Einigung über die Entscheidung zur Gewährung einer Ausnahme erzielt, unterrichten sie ACER über diese Entscheidung.

Die Entscheidung zur Gewährung einer Ausnahme — einschließlich der in Unterabsatz 3 genannten Bedingungen — ist ordnungsgemäß zu begründen und zu veröffentlichen.

(5) Die in Absatz 4 genannten Entscheidungen werden von ACER getroffen,

a)
wenn alle betroffenen nationalen Regulierungsbehörden binnen sechs Monaten ab dem Tag, an dem die letzte dieser Regulierungsbehörden mit dem Antrag auf eine Ausnahme befasst wurde, keine Einigung erzielen konnten oder
b)
wenn ein gemeinsamer Antrag der betroffenen nationalen Regulierungsbehörden vorliegt.

Vor ihrer Entscheidung konsultiert ACER die betroffenen Regulierungsbehörden und die Antragsteller.

(6) Ungeachtet der Absätze 4 und 5 können die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass die Regulierungsbehörde bzw. ACER ihre Stellungnahme zu dem Antrag auf Gewährung einer Ausnahme der maßgeblichen Stelle des Mitgliedstaats zur förmlichen Entscheidung vorlegt. Diese Stellungnahme wird zusammen mit der Entscheidung veröffentlicht.

(7) Eine Abschrift aller Anträge auf Ausnahme wird von den Regulierungsbehörden unverzüglich nach ihrem Eingang ACER und der Kommission zur Unterrichtung übermittelt. Die Entscheidung wird zusammen mit allen für die Entscheidung maßgeblichen Informationen von den betroffenen Regulierungsbehörden oder ACER ( „meldende Stellen” ) der Kommission gemeldet. Diese Informationen können der Kommission in Form einer Zusammenfassung übermittelt werden, die der Kommission eine fundierte Entscheidung ermöglicht. Die Informationen müssen insbesondere Folgendes enthalten:

a)
eine ausführliche Angabe der Gründe, aus denen die Ausnahme gewährt oder abgelehnt wurde, einschließlich der finanziellen Informationen, auf deren Grundlage die Notwendigkeit der Ausnahme gerechtfertigt ist;
b)
eine Untersuchung bezüglich der Auswirkungen der Gewährung der Ausnahme auf den Wettbewerb und das tatsächliche Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarkts;
c)
eine Begründung der Geltungsdauer der Ausnahme sowie des Anteils an der Gesamtkapazität der jeweiligen Verbindungsleitung, für die die Ausnahme gewährt wird, und
d)
das Ergebnis der Konsultation der betroffenen Regulierungsbehörden.

(8) Die Kommission kann innerhalb eines Zeitraums von 50 Arbeitstagen ab dem Tag nach dem Eingang einer Meldung gemäß Absatz 7 beschließen, von den meldenden Stellen die Änderung oder den Widerruf der Entscheidung über die Gewährung der Ausnahme zu verlangen. Die Frist von 50 Arbeitstagen kann um weitere 50 Arbeitstage verlängert werden, wenn die Kommission zusätzliche Informationen anfordert. Diese weitere Frist beginnt am Tag nach dem Eingang der vollständigen Informationen. Die ursprüngliche Frist kann ferner mit Zustimmung sowohl der Kommission als auch der meldenden Stellen verlängert werden.

Wenn die angeforderten Informationen nicht innerhalb der in der Aufforderung der Kommission festgesetzten Frist vorgelegt werden, gilt die Meldung als widerrufen, es sei denn, diese Frist wird mit Zustimmung sowohl der Kommission als auch der meldenden Stellen vor ihrem Ablauf verlängert, oder die meldenden Stellen unterrichten die Kommission vor Ablauf der festgesetzten Frist in einer ordnungsgemäß mit Gründen versehenen Erklärung davon, dass sie die Meldung als vollständig betrachten.

Die meldenden Stellen kommen einem Beschluss der Kommission zur Änderung oder zum Widerruf der Entscheidung über die Gewährung einer Ausnahme innerhalb eines Monats nach Erhalt nach und setzen die Kommission davon in Kenntnis.

Die Kommission wahrt die Vertraulichkeit von Geschäftsinformationen.

Die von der Kommission erteilte Genehmigung einer Entscheidung zur Gewährung einer Ausnahme wird zwei Jahre nach ihrer Erteilung unwirksam, wenn mit dem Bau der Verbindungsleitung zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen worden ist, und sie wird fünf Jahre nach ihrer Erteilung unwirksam, wenn die Verbindungsleitung zu diesem Zeitpunkt nicht in Betrieb genommen worden ist, es sei denn, die Kommission entscheidet auf der Grundlage eines mit Gründen versehenen Antrags der meldenden Stellen, dass eine Verzögerung auf schwerwiegende administrative Hindernisse zurückzuführen ist, auf die die Person, der die Ausnahme gewährt wurde, keinen Einfluss hat.

(9) Beschließen die Regulierungsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten, eine Entscheidung über eine Ausnahme zu ändern, so übermitteln sie diese Entscheidung zusammen mit allen für die Entscheidung maßgeblichen Informationen unverzüglich der Kommission. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der bestehenden Ausnahme gelten die Absätze 1 bis 8 für diese Entscheidung über die Änderung einer Entscheidung über eine Ausnahme.

(10) Die Kommission kann auf Antrag oder von Amts wegen das Verfahren über einen Antrag auf Gewährung einer Ausnahme wieder aufnehmen,

a)
wenn sich — unter gebührender Berücksichtigung der berechtigten Erwartungen der Parteien und des mit der ursprünglichen Entscheidung zur Gewährung einer Ausnahme erzielten wirtschaftlichen Gleichgewichts — die tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Entscheidung wichtigen Punkt geändert haben,
b)
wenn die beteiligten Unternehmen ihre Verpflichtungen nicht einhalten oder
c)
wenn die Entscheidung auf unvollständigen, unrichtigen oder irreführenden Angaben der Parteien beruht.

(11) Die Kommission ist befugt, gemäß Artikel 68 delegierte Rechtsakte zur Ergänzung dieser Verordnung durch Verabschiedung von Leitlinien für die Anwendung der Bedingungen gemäß Absatz 1 und für die Festlegung des zur Anwendung der Absätze 4 und 7 bis 10 einzuhaltenden Verfahrens zu erlassen.

Fußnote(n):

(1)

Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. L 27 vom 30.1.1997, S. 20).

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