Präambel VO (EU) 2021/1199

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission(1), insbesondere auf Artikel 68 Absatz 1,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Anhang XVII Eintrag 50 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 enthält Beschränkungen in Bezug auf acht polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK)(2).
(2)
Gummigranulate werden auf Kunstrasenplätzen als Füllmaterial verwendet. In loser Form werden Granulate und Mulche aus Gummi zudem auf Spielplätzen oder im Sportbereich verwendet, etwa auf Golfplätzen, auf Leichtathletikanlagen, in Böden von Pferdesportanlagen, auf Wanderwegen oder in Schießständen. Die betreffenden Granulate und Mulche werden überwiegend aus Altreifen gewonnen. Einer der Hauptgründe für die Bedenken hinsichtlich der Verwendung von aus Altreifen gewonnenen Granulaten und Mulchen ist das Vorhandensein der acht PAK in der Matrix des Gummis. Bei Granulaten und Mulchen handelt es sich um Gemische im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, weshalb sie nicht unter den bestehenden Eintrag 50 in Anhang XVII der genannten Verordnung fallen. Die acht PAK sind in Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates(3) jedoch als karzinogen der Kategorie 1B aufgeführt. Daher wird durch Anhang XVII Eintrag 28 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 die Abgabe von Granulaten und Mulchen an die breite Öffentlichkeit beschränkt, wenn in den Gemischen die PAK BaP oder DBAhA in einer Konzentration von 100 mg/kg oder mehr oder die übrigen sechs PAK in einer Konzentration von 1000 mg/kg enthalten sind.
(3)
Zur Risikobeschreibung von Granulaten oder Mulchen, in denen die acht PAK enthalten sind, können die Konzentrationsgrenzwerte, die für die einzelnen PAK in Anhang XVII Eintrag 28 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 angegeben sind, nicht einfach nur aufaddiert werden. Unter Verwendung des Additivitätsprinzips gemäß den Leitlinien für die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008(4) und unter Berücksichtigung der relativen Anteile der verschiedenen PAK am PAK-Gehalt von Granulaten und Mulchen aus Gummi kann ein Grenzwert für die Gesamtkonzentration der acht aufgeführten PAK berechnet werden, der bei etwa 387 mg/kg liegt.(5) Das Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu (RIVM)(6) und die Europäische Chemikalienagentur (im Folgenden „Agentur” )(7) kamen im Jahr 2017 zu dem Ergebnis, dass der Konzentrationsgrenzwert für Gemische der acht PAK nach dieser Berechnung zu hoch ist, um eine sichere Abgabe der betreffenden Granulate sowie eine sichere Verwendung auf Kunstrasenplätzen zu gewährleisten. In ihrer Bewertung empfahl die Agentur eine Absenkung des Konzentrationsgrenzwerts für die acht PAK in Granulaten zur Verwendung auf Kunstrasenplätzen auf dem Wege einer Beschränkung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, da die geltenden Konzentrationsgrenzwerte als zu hoch betrachtet werden, um einen angemessenen Schutz der menschlichen Gesundheit zu gewährleisten.
(4)
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse und Bewertungen reichten die Niederlande (im Folgenden „Dossiereinreicher” ) am 17. September 2018 bei der Agentur ein Dossier nach Anhang XV(8) ein, in dem sie für Granulate, die als Füllmaterial auf Kunstrasenplätzen verwendet werden, sowie für Granulate oder Mulche, die in loser Form für Spielplätze oder den Sportbereich vorgesehen sind, eine Beschränkung der acht PAK vorschlugen.
(5)
Der Gefahren-Endpunkt, der bei diesen acht PAK für die menschliche Gesundheit die größte Besorgnis bereitet, ist Karzinogenität sowie die Fähigkeit, genotoxische Wirkungen auszulösen. Für Karzinogene, für die es keinen Schwellenwert gibt, kann keine Dosis abgeleitet werden, bei der kein theoretisches Krebsrisiko besteht. Daher sollte die Konzentration der acht PAK in Granulaten, die als Füllmaterial auf Kunstrasenplätzen verwendet werden, und in Granulaten oder Mulchen, die in loser Form für Spielplätze oder den Sportbereich vorgesehen sind, so gering wie möglich sein.
(6)
Der Dossiereinreicher ging auf verschiedene Expositionsszenarien im Zusammenhang mit der Verwendung von Granulaten auf Kunstrasenplätzen ein, wobei sowohl Arbeitnehmer berücksichtigt wurden, die Sportplätze anlegen und instand halten, als auch Personen, die auf den Anlagen Sport betreiben (Feldspieler und Torhüter im Profi- und Amateurbereich), sowie Expositionsszenarien im Zusammenhang mit in loser Form auf Spielplätzen und im Sportbereich verwendeten Granulaten oder Mulchen, denen Menschen und insbesondere Kinder ausgesetzt sein können. Die Schätzung des erhöhten Krebsrisikos wurde anhand der Probenergebnisse des RIVM vorgenommen, wobei die Gesamtkonzentration aller acht PAK zugrunde gelegt wurde, die derzeit in den aus Altreifen gewonnenen Füllmaterialien zu finden sind. Die für diese Gemische ermittelte Konzentration lag in einem Bereich zwischen 6,7 mg/kg und 21 mg/kg.
(7)
Der Dossiereinreicher wies nach, dass für Arbeitnehmer und die breite Öffentlichkeit ein erhöhtes Krebsrisiko besteht, wenn sie Gummigranulaten ausgesetzt sind, die den für Gemische berechneten Konzentrationsgrenzwert in Höhe von 387 mg/kg für die Summe der acht PAK erreichen, wohingegen die Wahrscheinlichkeit, dass die Exposition einer Person gegenüber den aufgeführten PAK Krebs auslöst, bei einer deutlich niedrigeren Konzentration als wesentlich geringer eingeschätzt wurde. Der Dossiereinreicher kam zu dem Ergebnis, dass eine Gesamtkonzentration der acht PAK zwischen 15 und 21 mg/kg in aus Altreifen gewonnenem Füllmaterial für einen Großteil der Hersteller technisch und wirtschaftlich machbar ist, und schlug einen Konzentrationsgrenzwert von 17 mg/kg vor. Den Schätzungen des Dossiereinreichers zufolge würde bei 95 % des aus Altreifen gewonnenen Füllmaterials dieser Konzentrationsgrenzwert eingehalten.
(8)
Um eine sichere Verwendung von Granulaten bzw. Mulchen zu gewährleisten und eine Substitution durch alternative Materialien zu vermeiden, die für die menschliche Gesundheit möglicherweise ebenso bedenklich sind wie recycelter Gummi oder noch bedenklicher, schlug der Dossiereinreicher vor, die Beschränkung sowohl auf Gemische aus recyceltem Gummi als auch auf Gemische aus anderen Materialien anzuwenden, unabhängig davon, ob diese aus Primärrohstoffen oder recycelten Werkstoffen bzw. aus Kunststoffen oder Naturstoffen gewonnen wurden.
(9)
Da der vom Dossiereinreicher vorgeschlagene Grenzwert in Höhe von 17 mg/kg deutlich niedriger ist als die derzeit für Granulate geltenden Grenzwerte von 100–1000 mg/kg, müssten einige Hersteller von aus Altreifen gewonnenen Granulaten infolge der Beschränkung häufiger Konformitätsprüfungen durchführen und auf schadstoffärmere Vorprodukte umsteigen oder die Herstellung von Füllmaterial einstellen. Bei sofortiger Anwendung der Beschränkung wären 5 % der derzeit hergestellten Granulate nicht länger konform. Der Dossiereinreicher schlug daher eine zwölfmonatige Übergangsfrist vor, damit die nachgeschalteten Anwender (Hersteller und Händler von Kunstrasen sowie Unternehmen, die Kunstrasen verlegen) bereits bezogene Granulate, bei denen der vorgeschlagene Grenzwert von 17 mg/kg nicht eingehalten wird, innerhalb eines begrenzten aber angemessenen Zeitraums weiterverwenden können.
(10)
Am 7. Juni 2019 nahm der Ausschuss für Risikobeurteilung der Agentur (RAC) eine Stellungnahme(9) an, in der er folgerte, dass ein PAK-Gehalt in Gummigranulaten, der dem gemäß Anhang XVII Eintrag 28 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 für Gemische berechneten Konzentrationsgrenzwert entspricht, unannehmbar ist und dass derartige Werte für Stoffe ohne Schwellenwert nicht zulässig sein sollten und sie den Arbeitnehmern und der breiten Öffentlichkeit keinen angemessenen Schutz bieten. Der RAC kam ebenfalls zu der Auffassung, dass der PAK-Gehalt gesenkt werden sollte und empfahl einen Grenzwert von 20 mg/kg für die Gesamtkonzentration der acht PAK in Gummigranulaten. Der RAC unterstrich, dass der vorgeschlagene Grenzwert von 20 mg/kg nicht auf dem geschätzten Risiko basiert, sondern lediglich eine Maßnahme zur Vermeidung besonders hoher PAK-Konzentrationen ist. Darüber hinaus wies der RAC darauf hin, dass bei einer Entscheidung für einen Wert von 17 mg/kg anstelle eines Werts von 20 mg/kg kein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der Risikominderung besteht, da — außer bei Rauchern — nicht Granulate und Mulche die größte Expositionsquelle für die breite Öffentlichkeit darstellen, sondern Nahrungsmittel und die Atemluft.
(11)
Obwohl keine ergänzenden Informationen zum Gehalt der acht PAK in Kork, thermoplastischen Elastomeren (TPE) oder Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk (EPDM) vorgelegt wurden, teilte der RAC die Auffassung des Dossiereinreichers, dass der vorgeschlagene PAK-Grenzwert für sämtliche sonstige Arten von Füllmaterialien für synthetische Untergründe gelten sollte, um einem vergleichbaren oder höheren Risiko durch unerwünschte Substitution vorzubeugen.
(12)
Aus Durchsetzungsgründen empfahl der RAC, dass die Beschränkung in Bezug auf das Inverkehrbringen von Granulaten oder Mulchen zur Verwendung als Füllmaterial auf Kunstrasenplätzen oder in loser Form auf Spielplätzen oder im Sportbereich eine besondere Kennzeichnung mit einer eindeutigen Chargennummer vorschreiben sollte. Durch eine solche Chargennummer wird die Rückverfolgbarkeit des Materials zu einer geprüften und in Verkehr gebrachten Charge ermöglicht. Darüber hinaus empfahl der RAC die Aufnahme von Definitionen für Granulate, Mulche und Füllmaterial zur Verwendung auf Kunstrasenplätzen und in loser Form auf Spielplätzen und im Sportbereich.
(13)
Am 20. September 2019 nahm der von der Agentur eingerichtete Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC) seine Stellungnahme(10) an, in der er die vorgeschlagene Beschränkung in ihrer durch den RAC geänderten Fassung als die unter Berücksichtigung ihrer sozioökonomischen Vorteile und Kosten zweckmäßigste unionsweite Maßnahme zur Minderung der ermittelten Risiken bewertete. Seitens des SEAC wurde ferner auf den präventiven Charakter der Beschränkung verwiesen.
(14)
Der SEAC befand, dass der ursprünglich für einen Konzentrationswert von 17 mg/kg angeregte zwölfmonatige Aufschub der Anwendung der im Dossier nach Anhang XV vorgeschlagenen Beschränkung auch für einen Konzentrationswert von 20 mg/kg angemessen wäre, da er allen betroffenen Akteuren die Möglichkeit geben würde, die zur Einhaltung der Vorschriften erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.
(15)
Das Forum für den Austausch von Informationen zur Durchsetzung wurde im Rahmen des Verfahrens zur Ausarbeitung der Stellungnahme konsultiert, und seine Empfehlungen wurden berücksichtigt.
(16)
Am 12. November 2019 legte die Agentur der Kommission die Stellungnahmen des RAC und des SEAC vor. Nach Berücksichtigung des Dossiers nach Anhang XV und der Stellungnahmen des RAC und des SEAC gelangt die Kommission zu der Auffassung, dass das Inverkehrbringen oder die Verwendung von PAK-haltigen Granulaten oder Mulchen zur Verwendung als Füllmaterial auf Kunstrasenplätzen oder in loser Form auf Spielplätzen oder im Sportbereich ein unannehmbares Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt, das unionsweit angegangen werden muss. Die Kommission gelangt zu dem Schluss, dass die im Dossier nach Anhang XV vorgeschlagene Beschränkung einschließlich der vom RAC und dem SEAC vorgeschlagenen Änderungen die zweckmäßigste unionsweite Maßnahme zur Minderung der für die menschliche Gesundheit ermittelten Risiken darstellt und dass ihre sozioökonomischen Auswirkungen begrenzt sind.
(17)
Die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 gilt nicht für Abfall im Sinne der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(11). Da es auf Unionsebene keine harmonisierten Kriterien zum Ende der Abfalleigenschaft gibt, sind gemäß der genannten Richtlinie die Mitgliedstaaten dafür zuständig zu bestimmen, ob für aus Altreifen oder sonstigen Altprodukten gewonnene Granulate und Mulche das Ende der Abfalleigenschaft erreicht ist.
(18)
Den Interessenträgern sollte ausreichend Zeit eingeräumt werden, um angemessene Maßnahmen für die Einhaltung der vorgeschlagenen Beschränkung zu ergreifen. Die Anwendung der Beschränkung sollte daher um zwölf Monate verschoben werden.
(19)
Die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 sollte daher entsprechend geändert werden.
(20)
Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des gemäß Artikel 133 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 eingesetzten Ausschusses —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1.

(2)

Benzo(a)pyren (BaP), Benzo(e)pyren (BeP), Benzo(a)anthracen (BaA), Chrysen (CHR), Benzo(b)fluoranthen (BbFA), Benzo(j)fluoranthen (BjFA), Benzo(k)fluoranthen [BkFA], Dibenzo(a,h)anthracen (DBAhA).

(3)

Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. L 353 vom 31.12.2008, S. 1).

(4)

https://www.echa.europa.eu/documents/10162/23036412/clp_en.pdf

(5)

Dieser Wert sollte nicht als absoluter Wert aufgefasst werden, da er, je nach Konzentration und relativem Anteil der einzelnen PAK im aus Altreifen gewonnenen Füllmaterial, variieren kann.

(6)

https://www.rivm.nl/bibliotheek/rapporten/2017-0017.pdf

(7)

https://echa.europa.eu/documents/10162/13563/annex-xv_report_rubber_granules_en.pdf/dbcb4ee6-1c65-af35-7a18-f6ac1ac29fe4

(8)

https://www.echa.europa.eu/documents/10162/9777e99a-56fb-92da-7f0e-56fcf848cf18

(9)

https://echa.europa.eu/documents/10162/0a91bee3-3e2d-ea2d-3e33-9c9e7b9e4ec5

(10)

https://echa.europa.eu/documents/10162/53688823-bf28-7db7-b9eb-9807773b2109

(11)

Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. L 312 vom 22.11.2008, S. 3).

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