Präambel VO (EU) 2022/1438
DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates(1), insbesondere auf Artikel 22 Absatz 3 und Artikel 78 Absatz 1 Buchstabe a,
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- In der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sind unter anderem Bestimmungen für das Verfahren sowie Kriterien für die Genehmigung von Wirkstoffen, Safenern und Synergisten festgelegt.
- (2)
- Die Kommissionsstrategie „Vom Hof auf den Tisch” für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem(2) zielt darauf ab, die Abhängigkeit und den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu verringern, unter anderem dadurch, dass das Inverkehrbringen biologischer Wirkstoffe wie Mikroorganismen erleichtert wird. Zur Umsetzung dieses Ziels bedarf es der Spezifizierung der Genehmigungskriterien für Mikroorganismen, wobei der neueste wissenschaftliche und technische Kenntnisstand, der sich beträchtlich weiterentwickelt hat, zu berücksichtigen ist.
- (3)
- Die geltenden Genehmigungsverfahren und -kriterien in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009, die der Bewertung dessen dienen, ob Wirkstoffe schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben können, beziehen sich auf die Eigenschaften von Mikroorganismen. Da es sich bei Mikroorganismen um lebende Organismen handelt, ist anders als bei chemischen Stoffen eine spezifische Herangehensweise erforderlich, um auch die aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Biologie der Mikroorganismen zu berücksichtigen, wie ihre Pathogenität und Infektiosität, die mögliche Bildung bedenklicher Metaboliten sowie die Fähigkeit der Übertragung von Genen, die antimikrobielle Resistenz bewirken, auf andere Mikroorganismen, die pathogen sind und in den Umweltkompartimenten in Europa vorkommen, wodurch die Wirksamkeit der in der Human- oder Tiermedizin verwendeten antimikrobiellen Mittel potenziell beeinträchtigt wird.
- (4)
- Der derzeitige Stand der Wissenschaft in Bezug auf Mikroorganismen ermöglicht eine bessere und spezifischere Herangehensweise an ihre Bewertung, die sich auf die biologischen und ökologischen Eigenschaften der jeweiligen Arten und gegebenenfalls der jeweiligen Mikroorganismen-Stämme stützt. Da sie eine gezieltere Risikobewertung ermöglichen, sollten diese wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Bewertung der Risiken berücksichtigt werden, die von Wirkstoffen ausgehen, bei denen es sich um Mikroorganismen handelt, sowie von Pflanzenschutzmitteln, die diese Stoffe enthalten.
- (5)
- Um den neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen und den Besonderheiten von Mikroorganismen besser Rechnung zu tragen und gleichzeitig ein hohes Maß an Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt aufrechtzuerhalten, müssen daher die Kriterien in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 entsprechend angepasst werden.
- (6)
- Unter Nummer 3.1 Buchstabe b des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 ist festgelegt, welche Angaben der Antragsteller in dem Dossier machen muss, damit sich Rückstände in Lebens- und Futtermitteln zuverlässig vorhersagen lassen. Gestützt auf die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse steht nun fest, dass Rückstände, die im Fall von Mikroorganismen zu bewerten sind, anders geartet sind als diejenigen, die möglicherweise im Fall chemischer Wirkstoffe bewertet werden müssen: Das Vorhandensein von Mikroorganismen, die nicht pathogen für Mensch und Tier sind, auf oder in essbaren Teilen behandelter Pflanzen stellt nicht per se eine Gefahr dar und lediglich Rückstände chemischer Stoffe, die für die Gesundheit von Mensch und Tier relevant sind, können eine Gefahr oder ein Risiko darstellen, d. h. die toxischen Metaboliten, die möglicherweise von den Mikroorganismen gebildet werden. Aus Gründen der Klarheit ist es daher angezeigt, diese Differenzierung vorzunehmen, damit relevante Rückstände im Zusammenhang mit Mikroorganismen zuverlässig vorhergesagt werden können.
- (7)
- Nummer 3.4 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 bezieht sich auf die Zusammensetzung von Wirkstoffen, Safenern und Synergisten. Die derzeitigen Bestimmungen gelten jedoch nicht für Mikroorganismen, weil diese anders beschaffen sind als chemische Stoffe. So sind die in der geltenden Bestimmung genannten Isomere und Diastereoisomere nur für chemische Stoffe von Belang und nicht für lebende Organismen, zu denen die Mikroorganismen gehören. Außerdem muss spezifiziert werden, welche geeigneten Angaben benötigt werden, um die Zusammensetzung eines Wirkstoffs, bei dem es sich um einen Mikroorganismus handelt, zu definieren, wie die taxonomische Identifizierung, die Hinterlegung des Mikroorganismus-Stamms in einer international anerkannten Stammsammlung mit ihrer Zugangsnummer sowie der Gehalt des Wirkstoffs in Einheiten, die in der Mikrobiologie verwendet werden. Daher ist es angezeigt, diese geeigneten Angaben für Mikroorganismen zu spezifizieren.
- (8)
- Nummer 3.5 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 bezieht sich auf die Methoden zur Analyse von Wirkstoffen und anderen Bestandteilen, die in der Herstellungscharge enthalten sind. Die aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse umfassen Wissen bezüglich der Risikobewertung für relevante Verunreinigungen und relevante kontaminierende Mikroorganismen, die während der Herstellung von Mikroorganismen auftreten, sowie für von ihnen gebildete Metaboliten. Außerdem sind aufgrund der im Vergleich zu chemischen Stoffen abweichenden Beschaffenheit von Wirkstoffen, die Mikroorganismen sind, die Herstellungschargen und -verfahren anders, und im Vergleich zu chemischen Stoffen wird für Mikroorganismen eine spezifische Herangehensweise benötigt. Angesichts dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse und dieser Unterschiede zwischen Wirkstoffen, die Mikroorganismen sind, und chemischen Stoffen ist es daher angezeigt, Analysemethoden für Mikroorganismen zu spezifizieren.
- (9)
- Unter Nummer 3.6 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 wird auf die Bewertung der Auswirkungen von Wirkstoffen, Safenern und Synergisten auf die menschliche Gesundheit Bezug genommen. Was Wirkstoffe betrifft, bei denen es sich um Mikroorganismen handelt, so umfassen die aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse Wissen über die Bewertung der Pathogenität von Mikroorganismen für den Menschen, der Infektiosität von Viren sowie der Fähigkeit von Bakterien, Gene, die antimikrobielle Resistenz bewirken, auf andere Mikroorganismen zu übertragen, wodurch die Wirksamkeit der in der Human- oder Tiermedizin verwendeten antimikrobiellen Mittel potenziell beeinträchtigt wird. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass eine weitere Spezifizierung der Genehmigungskriterien in Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erforderlich ist, wobei die aktuellsten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse in Bezug auf die Risikobewertung für Mikroorganismen umzusetzen sind. Daher ist es angezeigt, die Genehmigungskriterien für Mikroorganismen zu spezifizieren.
- (10)
- Speziell in Bezug auf antimikrobielle Resistenzen ermöglicht der derzeitige Stand der Wissenschaft hinsichtlich der Fähigkeit von Mikroorganismen, Gene, die antimikrobielle Resistenz bewirken können, zu übertragen, eine bessere und spezifischere Herangehensweise an die Bewertung, von welchen der für antimikrobielle Resistenz codierenden Gene angenommen werden kann, dass sie auf andere Mikroorganismen übertragen werden, und welches die für die Human- oder Tiermedizin maßgeblichen antimikrobiellen Mittel sind. Darüber hinaus wurden in der EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch” Ziele in Bezug auf antimikrobielle Resistenzen festgelegt. Daher müssen die Datenanforderungen weiter spezifiziert werden, um die neuesten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse über die Übertragbarkeit antimikrobieller Resistenzen umzusetzen und eine Bewertung dessen zu ermöglichen, ob der Wirkstoff schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier haben kann, wie in den Genehmigungskriterien gemäß Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 dargelegt.
- (11)
- Unter Nummer 5.2.1 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sind die Kriterien für die Einstufung von Wirkstoffen, die Mikroorganismen sind, als Wirkstoffe mit geringem Risiko festgelegt, und derzeit wird dort das mögliche Auftreten multipler Resistenzen gegen antimikrobielle Mittel genannt. Mangels Angaben bezüglich der Übertragbarkeit dieser Resistenzen beziehen sich diese Kriterien auf die Zahl der möglichen Behandlungen mit antimikrobiellen Mitteln, die gegen den Wirkstoff, der ein Mikroorganismus ist, wirksam sind. So können Mikroorganismen zwar nur dann genehmigt werden, wenn sie nicht pathogen, unter den vorgeschlagenen Verwendungsbedingungen nicht infektiös und, im Fall von Viren, in keinem Fall infektiös für den Menschen sind, doch muss sichergestellt werden, dass mehrere mögliche Behandlungen mit wirksamen antimikrobiellen Mitteln zur Verfügung stehen, um im unwahrscheinlichen Fall einer opportunistischen Infektion, insbesondere bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, ein hohes Maß an Schutz der menschlichen Gesundheit aufrechterhalten zu können. Das Kriterium des möglichen Auftretens multipler Resistenzen gegen einige antimikrobielle Mittel gemäß dem derzeitigen Wortlaut von Nummer 5.2.1 umfasst keine Angabe zur Zahl der Möglichkeiten einer wirksamen Behandlung auf der Grundlage verfügbarer antimikrobieller Mittel. Daher ist es angezeigt, die Kriterien für die Einstufung als Wirkstoff mit geringem Risiko für andere Mikroorganismen als Viren zu spezifizieren. Aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit ist es daher angezeigt, die Kriterien für die Einstufung eines Wirkstoffs, der ein Mikroorganismus ist, als Wirkstoff mit geringem Risiko dadurch weiter zu spezifizieren, dass die Zahl der antimikrobiellen Mittel angegeben wird, für die der Mikroorganismus nachweislich empfänglich ist. Außerdem ist es angezeigt, zu präzisieren, dass diese Kriterien ausschließlich für Mikroorganismen gelten, die keine Viren sind, da Viren üblicherweise über ein enges Wirtsspektrum verfügen, und dass für den Menschen infektiöse Viren von der Genehmigung ausgeschlossen sind.
- (12)
- Unter Nummer 5.2.2 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sind die Kriterien für die Einstufung von Baculoviren als Wirkstoffe mit geringem Risiko festgelegt. Es wurden jedoch neue Genehmigungsanträge für Viren gestellt, die zu anderen Arten als den Baculoviren gehören und die als Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln verwendet werden. Daher ist es angezeigt, Kriterien für die Einstufung als Wirkstoff mit geringem Risiko aufzunehmen, die auch für andere Virusarten gelten. Darüber hinaus ermöglichen es die aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über Viren, die als Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln verwendet werden, insbesondere über solche Viren, die nichtvirulente Varianten von Pflanzenpathogenen sind, diejenigen Wirkstoffe zu identifizieren, die nur dann genehmigt werden dürfen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie unter den vorgeschlagenen Verwendungsbedingungen wieder virulent werden und im Wege der Mutation Ziel- und Nichtzielpflanzen schädigen, vernachlässigt werden kann. Mit Blick auf diese Bedenken ist es angezeigt, festzulegen, dass Viren, die nichtvirulente Varianten von Pflanzenpathogenen sind, nicht als Wirkstoffe mit geringem Risiko eingestuft werden dürfen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie Nichtzielpflanzen schädigen, nicht komplett ausgeschlossen werden kann. Daher ist es angezeigt, die Kriterien für die Einstufung als Wirkstoff mit geringem Risiko für Viren festzulegen, die nichtvirulente Varianten von Pflanzenpathogenen sind, und nicht ausschließlich für Baculoviren.
- (13)
- Da die geänderten Kriterien den derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik widerspiegeln und die geltenden Kriterien damit präzisiert werden, sollten die neuen Kriterien baldmöglichst gelten. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist in dieser Verordnung jedoch eine Übergangsregelung vorzusehen.
- (14)
- Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel —
HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 1.
- (2)
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – „Vom Hof auf den Tisch” – eine Strategie für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem (COM/2020/381 final, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1590404602495&uri=CELEX%3A52020DC0381).
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