Präambel VO (EU) 2023/1464

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission(1), insbesondere auf Artikel 68 Absatz 1,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Formaldehyd ist bei Umgebungstemperatur und normalem Atmosphärendruck ein hochreaktives Gas. In Anhang VI Teil 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates(2) wird es als karzinogener Stoff der Kategorie 1B, mutagener Stoff der Kategorie 2, akut toxischer Stoff der Kategorie 3, hautätzender Stoff der Kategorie 1B und hautsensibilisierender Stoff der Kategorie 1 eingestuft.
(2)
Formaldehyd ist eine Chemikalie mit hohem Produktionsvolumen und einer Vielzahl von Verwendungen. Es wird auch endogen bei Menschen und Tieren gebildet und ist ein wesentliches Stoffwechselzwischenprodukt in allen Zellen. Ferner werden 98 % des in der Union hergestellten oder in die Union eingeführten Formaldehyds als chemisches Zwischenprodukt bei der Produktion von Harzen auf Formaldehydbasis, Thermoplasten und anderen Chemikalien eingesetzt, die für eine Vielzahl von Anwendungen weiterverwendet werden. Harze auf Formaldehydbasis kommen bei der Produktion einer Vielzahl von Erzeugnissen zum Einsatz, die infolgedessen Formaldehyd freisetzen können. Harze auf Formaldehydbasis werden primär bei der Produktion von Holzwerkstoffen verwendet, in denen sie als Bindemittel für Holzspäne fungieren. Solche Harze werden auch für die Produktion anderer Produkte auf Holzwerkstoffbasis wie Möbel und Bodenbeläge sowie für Tapeten, Schaumstoffe, Teile von Straßenfahrzeugen und Luftfahrzeugen, Textil- und Lederprodukten verwendet.
(3)
Am 20. Dezember 2017(3) forderte die Kommission die Europäische Chemikalienagentur (im Folgenden „Agentur” ) nach Artikel 69 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 auf, ein Dossier auszuarbeiten, das den Anforderungen von Anhang XV der genannten Verordnung entspricht (im Folgenden „Dossier gemäß Anhang XV” ), um das Risiko für die menschliche Gesundheit zu bewerten, das von Formaldehyd und Formaldehydabspaltern in Gemischen und Erzeugnissen zur Verwendung durch den Verbraucher ausgeht.
(4)
Am 11. März 2019 übermittelte die Agentur (im Zusammenhang mit der Einreichung eines Dossiers als „Dossiereinreicher” bezeichnet) das Dossier gemäß Anhang XV(4), in dem nachgewiesen wurde, dass das Risiko für die menschliche Gesundheit durch Formaldehyd, das von Verbrauchererzeugnissen in Innenräumen freigesetzt wird, nicht in allen Szenarien angemessen beherrscht wird und dass Maßnahmen auf Unionsebene erforderlich sind, um diesem Risiko zu begegnen.
(5)
Der Dossiereinreicher bewertete die Gefahr von Formaldehyd unter Berücksichtigung der Wirkungen des Stoffes in Bezug auf mehrere Endpunkte und kam zu dem Schluss, dass das Risiko durch Inhalation, die zu einer sensorischen Irritation führt, die empfindlichste Wirkung beim Menschen ist. Im Dossier gemäß Anhang XV wurden die Risiken der Inhalation von Formaldehyd im Zusammenhang mit der Exposition der Verbraucher gemäß der Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Innenraumluftqualität für Formaldehyd (durchschnittliche Konzentration bei 30-minütiger Exposition basierend auf sensorischer Irritation beim Menschen) bewertet(5). Die Leitlinie sieht einen Kurzzeitwert (0,1 mg/m3) vor, um schädliche Wirkungen auf die Lungenfunktion sowie langfristige gesundheitliche Wirkungen, einschließlich Krebs des Nasen-Rachenraums, zu verhindern. Dieser Wert wurde vom Dossiereinreicher als jener Wert herangezogen, der beim Menschen nicht überschritten werden sollte (im Folgenden „DNEL” , Derived No Effect Level), und um den vorgeschlagenen Emissionsgrenzwert von 0,124 mg/m3 zu berechnen.
(6)
Auf der Grundlage der verfügbaren Literatur und des Ergebnisses der Expositionsabschätzung kam der Dossiereinreicher zu dem Schluss, dass die Risiken für die menschliche Gesundheit durch die Freisetzung von Formaldehyd aus Gemischen für die Verwendung durch Verbraucher angemessen beherrscht werden.
(7)
Der Dossiereinreicher schlug daher vor, das Inverkehrbringen von Formaldehyd und Formaldehydabspaltern in Erzeugnissen, die eine Exposition der Verbraucher bewirken, zu verbieten, wenn die Freisetzung von Formaldehyd zu Konzentrationen von mehr als 0,124 mg/m3 in der Luft einer Prüfkammer führt. Darüber hinaus wies der Dossiereinreicher darauf hin, dass Straßenfahrzeuge und Luftfahrzeuge, bei deren Produktion absichtlich Formaldehyd oder Formaldehydabspalter zugesetzt wurden, nicht in Verkehr gebracht werden sollten, wenn das in deren Inneren gemessene Formaldehyd eine Konzentration von 0,1 mg/m3 überschreitet und wenn in diesen Straßen- und Luftfahrzeugen eine Formaldehydexposition von Verbrauchern auftreten kann(6).
(8)
Im ursprünglichen Vorschlag des Dossiereinreichers wurde EN 717-1 als Standardmethode festgelegt, um in einer Prüfkammer die Formaldehydemissionen aus Holzwerkstoffen zu messen. Um klarzustellen, dass auch andere geeignete Prüfmethoden verwendet werden können, und um andere Erzeugnisse als Holzwerkstoffe abzudecken, ersetzte der Dossiereinreicher den Verweis auf die Norm EN 717-1 in seinem Vorschlag durch eine weitergehende Beschreibung der Bedingungen und Methoden. Die Umgebungsbedingungen können sich auf Formaldehydemissionen aus Erzeugnissen auswirken, weshalb einschlägige Prüfparameter auch im Dossier gemäß Anhang XV aufgeführt wurden.
(9)
Am 13. März 2020 nahm der von der Agentur eingerichtete Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) seine Stellungnahme an. Darin befand er, dass die Allgemeinbevölkerung durch den in den WHO-Leitlinien angeführten Wert nicht ausreichend geschützt wird, und kam insbesondere zu dem Schluss, dass kurzzeitige sensorische Reizwirkungen beim Menschen nicht zur Vorhersage langfristiger Wirkungen wie Krebs herangezogen werden können. Der RAC bestimmte stattdessen — abgeleitet aus Daten über chronische Wirkungen bei Tieren für den Inhalationspfad — einen DNEL von 0,05 mg/m3 und kam zu dem Schluss, dass ein Grenzwert von 0,05 mg/m3 für von Erzeugnissen freigesetztes Formaldehyd und für Formaldehyd im Inneren von Straßenfahrzeugen zur Beherrschung des Risikos notwendig ist.
(10)
Der RAC kam zu dem Schluss, dass das Risiko für Fluggäste durch Formaldehyd in Luftfahrzeugen angemessen beherrscht wird.
(11)
Der RAC empfahl — abweichend von dem zwölfmonatigen Zeitraum, der vom Dossiereinreicher vorgeschlagen wurde — einen Übergangszeitraum von 24 Monaten ab dem Inkrafttreten bis zur Anwendung der vorgeschlagenen Beschränkung, da ein längerer Zeitraum als notwendig erachtet wurde, um die Entwicklung von Standardanalysemethoden in allen betroffenen Sektoren zu ermöglichen. Der RAC kam zu dem Schluss, dass die vorgeschlagene Beschränkung in der vom RAC geänderten Fassung — im Hinblick auf ihre Wirksamkeit bei der Verringerung des Risikos, ihre praktische Anwendbarkeit und die Art und Weise, wie sie überwacht werden kann — die zweckmäßigste unionsweite Maßnahme ist, um den festgestellten Risiken für die menschliche Gesundheit, die sich aus der Exposition der Verbraucher gegenüber Formaldehyd ergeben, zu begegnen.
(12)
Am 17. September 2020 nahm der Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC) der Agentur seine Stellungnahme an, in der er seine Schlussfolgerungen zur vorgeschlagenen Beschränkung des Dossiereinreichers und den vom RAC vorgeschlagenen Änderungen darlegte.
(13)
In seiner Stellungnahme räumte der SEAC ein, dass der Vorschlag des Dossiereinreichers Kosten in Bezug auf Produktion, Probenahme, Prüfung und Durchsetzung in der Größenordnung eines zweistelligen Millionenbetrags mit sich bringt. Der SEAC kam jedoch zu dem Schluss, dass diese Kosten für die betroffenen Sektoren voraussichtlich begrenzt sein werden, da die meisten Erzeugnisse, einschließlich Straßenfahrzeugen, die heute in der Union in Verkehr gebracht werden, den vorgeschlagenen Grenzwert bereits einhalten. Der SEAC kam ferner zu dem Schluss, dass sich der Nutzen der vom Dossiereinreicher vorgeschlagenen Beschränkung aus der Beschränkung des Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die Formaldehyd in hohen Konzentrationen freisetzen, einschließlich Einfuhren, ergeben würde. Die Beschränkung würde zu geringeren gesundheitlichen Auswirkungen im Zusammenhang mit der Irritation der Augen und der oberen Atemwege sowie mit Krebs des Nasen-Rachenraums führen, vor allem bei Personen, die in neuen Wohnräumen leben.
(14)
Der SEAC war der Auffassung, dass der Nutzen, der sich aus der Begrenzung der Formaldehydemissionen von Verbrauchererzeugnissen in Innenräumen und im Inneren von Straßenfahrzeugen ergibt, in der vorgeschlagenen Form mit begrenzten Kosten für die Gesellschaft erzielt werden könnte. Daher kam der SEAC zu dem Schluss, dass der Vorschlag des Dossiereinreichers die hinsichtlich der sozioökonomischen Vorteile und Kosten zweckmäßigste unionsweite Maßnahme darstellt, um das festgestellte Risiko für die menschliche Gesundheit anzugehen, wenn bestimmte Ausnahmen aufgenommen und vorgeschlagene Prüfbedingungen akzeptiert werden.
(15)
Der SEAC empfahl, die Anwendung der Beschränkung für alle Sektoren um 24 Monate zu verschieben, um den Interessenträgern ausreichend Zeit für die Umsetzung der Beschränkung einzuräumen. Für Lastkraftwagen und Busse empfahl der SEAC jedoch 36 Monate, da Standardanalysemethoden zur Messung der Formaldehydkonzentrationen im Inneren solcher Fahrzeuge entwickelt werden müssen.
(16)
Der SEAC kam ferner zu dem Schluss, dass die vorgeschlagene Beschränkung in der vom RAC geänderten Fassung erhebliche sozioökonomische Kosten in der Größenordnung eines zweistelligen Milliardenbetrags mit sich bringt, und zwar in Form von Investitionen in Forschung und Entwicklung, neuen Technologien, höheren Produktionskosten, Probenahme- und Testkosten sowie Arbeitsplatzverlusten. Darüber hinaus kann sie negative Auswirkungen auf die Recyclingsektoren und die Kreislaufwirtschaft haben. Der SEAC erkannte an, dass es zur Erreichung des vom RAC vorgeschlagenen Grenzwerts technisch machbare Alternativen für bestimmte Anwendungen gibt; diese erfordern jedoch weitreichende technologische Veränderungen und in bestimmten Fällen die Nutzung weniger nachhaltiger Alternativen.
(17)
Der SEAC räumte ein, dass der Vorschlag des RAC potenziell zusätzlichen Nutzen im Hinblick auf eine geringere Exposition mit sich bringt, was zu einer stärkeren Verringerung von Irritationen der Augen und der oberen Atemwege sowie von Krebs des Nase-Rachenraums im Vergleich zum Vorschlag des Dossiereinreichers führen kann. Der RAC quantifizierte die mit der Senkung des Grenzwerts verbundene Risikominderung jedoch nicht, daher bleibt der Umfang des zusätzlichen gesundheitlichen Nutzens unbekannt. Darüber hinaus führte der SEAC im Rahmen seiner Bewertung eine Analyse durch, in der er berechnete, dass angesichts der hohen sozioökonomischen Kosten die Inzidenz von Krebs des Nase-Rachenraums bei der in neuen Wohnräumen lebenden Bevölkerung in der Union 200-mal höher sein müsste als die tatsächlich beobachtete Inzidenz, um die Kosten des RAC-Vorschlags auszugleichen. Unter Berücksichtigung dieser Kostendeckungsanalyse, der von der Industrie während der Konsultationen erhaltenen Informationen und des Fehlens von Daten oder Informationen, die eine Quantifizierung des zusätzlichen gesundheitlichen Nutzens ermöglichen würden, kam der SEAC zu dem Schluss, dass die Beschränkung auf der Grundlage des vom RAC vorgeschlagenen Grenzwerts hinsichtlich des sozioökonomischen Nutzens und der sozioökonomischen Kosten keine geeignete Maßnahme zur Kontrolle des festgestellten Risikos zu sein scheint.
(18)
Das Forum für den Austausch von Informationen zur Durchsetzung wurde zu dem Vorschlag des Dossiereinreichers konsultiert und seinen Empfehlungen zur Umsetzbarkeit und Durchsetzbarkeit des Vorschlags wurde Rechnung getragen; es sei darauf hingewiesen, dass das Forum die vom RAC empfohlenen Änderungen nicht berücksichtigte, da sie nach der Konsultation des Forums vorgelegt wurden.
(19)
Am 23. Februar 2021 übermittelte die Agentur die Stellungnahmen des RAC und des SEAC an die Kommission(7). In den Stellungnahmen des RAC und des SEAC wurde der Schluss gezogen, dass ein Gesundheitsrisiko für die Verbraucher durch die Formaldehydemissionen von Erzeugnissen in die Innenraumluft und von Straßenfahrzeugen in das Fahrzeuginnere besteht, das nicht angemessen beherrscht wird und das auf Unionsebene anzugehen ist.
(20)
Die Kommission stellt fest, dass sich die vom Dossiereinreicher vorgeschlagene Beschränkung sowie die Stellungnahmen des RAC und des SEAC auf Verbraucher beziehen, während sich die dem Vorschlag zugrunde liegende Bewertung auf das Risiko für die Bevölkerung, die Formaldehyd in der Innenraumluft ausgesetzt sein könnte, mit Ausnahme von Arbeitnehmern und einschließlich Personen, die keine direkten Verbraucher sind, bezieht. Im Interesse der Rechtsklarheit ist es daher angebracht, die breite Öffentlichkeit als die von der Beschränkung betroffene Bevölkerung zu bezeichnen.
(21)
Die Kommission vertritt, unter Berücksichtigung des Dossiers gemäß Anhang XV und der Stellungnahmen des RAC und des SEAC, die Ansicht, dass von aus Erzeugnissen freigesetztem Formaldehyd ein inakzeptables Risiko für die menschliche Gesundheit ausgeht und dass eine Beschränkung, mit der ein Emissionsgrenzwert für Formaldehyd freisetzende Erzeugnisse zur Verringerung der Exposition der breiten Öffentlichkeit gegenüber Formaldehyd durch Inhalation festgelegt wird, die zweckmäßigste unionsweite Maßnahme darstellt, um das Risiko anzugehen.
(22)
Formaldehyd ist ein in lebenden Organismen natürlich vorkommender Stoff. Darüber hinaus kann Formaldehyd durch Zersetzung von Stoffen freigesetzt werden, die auf natürliche Weise in den Materialien enthalten sind, die zur Herstellung eines Erzeugnisses verwendet werden, z. B. durch die Zersetzung von Lignin in Massivholz. Die Kommission stimmt mit dem Dossiereinreicher überein, dass Erzeugnisse vom Anwendungsbereich dieser Beschränkung ausgenommen werden sollten, wenn Formaldehyd oder Formaldehydabspalter in den Materialien, aus denen die Erzeugnisse hergestellt werden, ausschließlich aufgrund ihres natürlichen Vorkommens freigesetzt werden.
(23)
Die Kommission stimmt mit dem Dossiereinreicher überein, dass der vorgeschlagene Grenzwert von 0,124 mg/m3 verhindert, dass Erzeugnisse, die große Mengen an Formaldehyd freisetzen, in der Union in Verkehr gebracht werden, und dass es angezeigt ist, die Exposition gegenüber Formaldehyd in Innenräumen zu begrenzen. Nach Auffassung der Kommission dürfte aufgrund bestehender freiwilliger und nationaler Emissionsgrenzwerte sowie aufgrund der Tatsache, dass bei den meisten Erzeugnissen, die heute in Verkehr gebracht werden, bereits zu erwarten ist, dass sie den Grenzwert von 0,124 mg/m3 einhalten, die Risikominderung durch das Erreichen des in den WHO-Leitlinien angeführten Werts gering sein. Ferner wäre — unter Berücksichtigung der Stellungnahme des RAC — das Erreichen des in den WHO-Leitlinien angeführten Werts nicht ausreichend, um das festgestellte Risiko anzugehen. Ebenso entsprechen die derzeitigen Konzentrationswerte im Inneren von Straßenfahrzeugen meist dem vorgeschlagenen Grenzwert von 0,1 mg/m3.
(24)
Auf der Grundlage der Schlussfolgerungen des SEAC zur sozioökonomischen Bewertung erkennt die Kommission ferner an, dass der vom RAC vorgeschlagene Grenzwert von 0,05 mg/m3 erhebliche sozioökonomische Auswirkungen auf die Union hätte und dass ein solcher Grenzwert in bestimmten Fällen einen Wechsel zu weniger nachhaltigen Alternativen erfordert, was negative Auswirkungen auf die Recyclingsektoren und die Kreislaufwirtschaft mit sich bringen würde, insbesondere angesichts des Fehlens einer Bewertung des zusätzlichen gesundheitlichen Nutzens eines solchen Grenzwerts im Vergleich zu dem vom Dossiereinreicher vorgeschlagenen Grenzwert.
(25)
Die Kommission bewertete daher die Angemessenheit von dazwischenliegenden Werten (0,080 mg/m3 und 0,062 mg/m3), die vom SEAC auf Basis von Beiträgen von Interessenträgern im Rahmen der Konsultationen zum Teil analysiert wurden. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass die Annahme solcher Zwischenwerte zu einem besseren Schutz der menschlichen Gesundheit, insbesondere der Gesundheit von Risikogruppen, im Vergleich zu dem vom Dossiereinreicher vorgeschlagenen Grenzwert führen und gleichzeitig eine geringere sozioökonomische Belastung und weniger technologische Herausforderungen mit sich bringen würde als der vom RAC vorgeschlagene Grenzwert, insbesondere wenn er mit angemessenen Übergangsfristen und spezifischen Ausnahmen kombiniert wird.
(26)
Die Kommission erkennt an, dass die Kosten durch die Senkung des Grenzwerts exponentiell ansteigen und sich die geschätzten Gesamtkosten für die Industrie bei einem Grenzwert von 0,080 mg/m3 auf mindestens Hunderte Millionen Euro belaufen würden, im Vergleich zu Gesamtkosten in Milliardenhöhe bei einem Grenzwert von 0,062 mg/m3. Die Kommission hat die Kostendeckungsanalyse des SEAC weiter analysiert, in der berechnet wird, dass die Inzidenz von Krebs des Nasen-Rachenraums bei der in neuen Wohnräumen lebenden Bevölkerung in der Union für die Kostendeckung bei einem Grenzwert von 0,062 mg/m3 70-mal höher und bei einem Grenzwert von 0,080 mg/m3 30-mal höher als die tatsächlich beobachtete Inzidenz sein müsste. Die Kommission ist jedoch auch der Ansicht, dass Formaldehyd ein karzinogener Stoff ist, bei dem der Grenzwert von 0,062 mg/m3 einen größeren gesundheitlichen Nutzen für die Bevölkerung in der Union bringen würde. Die Kommission erkennt zwar an, dass die Kostenunterschiede zwischen den beiden Werten erheblich sind, ist jedoch angesichts des potenziellen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzens, insbesondere für Risikogruppen wie Kinder, der Auffassung, dass die höheren Kosten im Zusammenhang mit dem niedrigeren Grenzwert für Erzeugnisse, die sich am stärksten auf die Innenraumluftqualität auswirken, gerechtfertigt sind.
(27)
Bei ihrer Prüfung berücksichtigt die Kommission, dass Holzwerkstoffe und Erzeugnisse aus Holzwerkstoffen oder andere Erzeugnisse auf Holzwerkstoffbasis, sowie Möbel, die Holz oder andere Materialien enthalten, bei deren Produktion anderes als natürlich vorkommendes Formaldehyd verwendet wird, die Hauptemissionsquellen von Formaldehyd in der Innenraumluft sind, insbesondere in neu gebauten Häusern. Daher hält die Kommission für solche Erzeugnisse und solche aus mehr als einem Erzeugnis bestehenden Produkte (im Folgenden „komplexe Produkte” ), die die größten Quellen von Formaldehyd in der Innenraumluft darstellen, einen niedrigeren Emissionsgrenzwert für angemessen; dieser gewährleistet nach Auffassung der Kommission einen besseren Schutz der breiten Öffentlichkeit und begrenzt gleichzeitig die sozioökonomischen Kosten für die Sektoren, die nicht in gleichem Maße zu den Emissionen beitragen.
(28)
Ebenso ist es angezeigt, einen niedrigeren Grenzwert für das Vorhandensein von Formaldehyd im Inneren von Straßenfahrzeugen festzulegen, die der breiten Öffentlichkeit zugänglich sind, um ausreichenden Schutz, insbesondere von Risikogruppen, auch in Worst-Case-Szenarien sicherzustellen.
(29)
Die Kommission kommt daher zu dem Schluss, dass die zweckmäßigste unionsweite Maßnahme zur Kontrolle des Risikos durch Formaldehyd in der Innenraumluft und im Inneren von Straßenfahrzeugen eine Beschränkung ist, mit der der Grenzwert von 0,062 mg/m3 für Möbel und Erzeugnisse auf Holzwerkstoffbasis, angewandt auf das gesamte komplexe Produkt, sowie für das Innere von Straßenfahrzeugen und der Grenzwert von 0,080 mg/m3 für alle anderen Erzeugnisse festgelegt wird. Darüber hinaus ist die Kommission der Auffassung, dass die Formaldehydkonzentration, die von Erzeugnissen in die Innenraumluft freigesetzt wird, unter bestimmten Referenzbedingungen gemessen werden sollte, um eine einheitliche Anwendung dieser Beschränkung zu gewährleisten. In bestimmten Fällen sollte es auch möglich sein, andere Prüfbedingungen zu verwenden, sofern eine wissenschaftlich valide Korrelation von Prüfergebnissen zur Anwendung kommt.
(30)
Um die negativen Auswirkungen abzufedern und die Kosten für die betroffenen Sektoren zu senken und den Interessenträgern ausreichend Zeit für die Umsetzung der Beschränkung einzuräumen, hält die Kommission es für angemessen, die Anwendung der Beschränkung für alle Sektoren um 36 Monate zu verschieben. Bei Straßenfahrzeugen wird jedoch, aufgrund der langen Entwicklungs- und Vermarktungszeit für solche Fahrzeuge, der hohen Materialanforderungen in der Automobilindustrie, der komplexen Lieferketten einschließlich der Erstausrüster sowie der Zeit, die für die Einführung der Standardanalysemethode zur Messung der Emissionen in Lastkraftwagen und Bussen erforderlich ist, eine Verschiebung um 48 Monate als angemessen erachtet.(8)
(31)
Da für Erzeugnisse, die ausschließlich zur Verwendung im Freien unter vorhersehbaren Bedingungen bestimmt sind, davon ausgegangen wird, dass die Exposition der Verbraucher außerhalb der Außenwand von Gebäuden stattfindet, sollten diese Erzeugnisse nicht in den Geltungsbereich der Beschränkung fallen. Erzeugnisse in Bauwerken, die ausschließlich außerhalb der Gebäudehülle und der Dampfsperre verwendet werden und bei denen kein Formaldehyd in die Innenraumluft freigesetzt wird, sollten nicht in den Geltungsbereich der Beschränkung fallen, da sie nicht zur Exposition gegenüber Formaldehyd in der Innenraumluft beitragen.
(32)
Erzeugnisse, die ausschließlich für die industrielle oder gewerbliche Verwendung bestimmt sind, sollten nicht in den Geltungsbereich der Beschränkung fallen, solange diese Verwendungen nicht zur Exposition der breiten Öffentlichkeit führen. Darüber hinaus ist die Exposition von Industrie- und Facharbeitern gegenüber Formaldehyd bereits durch die Richtlinie 98/24/EG des Rates(9) und die Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(10) geregelt.
(33)
Es wird davon ausgegangen, dass die Formaldehydemissionen aus Erzeugnissen im Laufe der Zeit durch die Ausgasung von Restformaldehyd zurückgehen. Daher sollten gebrauchte Erzeugnisse nicht in den Geltungsbereich der Beschränkung einbezogen werden. Darüber hinaus empfahl das Forum für den Austausch von Informationen zur Durchsetzung auch eine Ausnahme für gebrauchte Erzeugnisse, da die Durchsetzung der Beschränkung in Bezug auf gebrauchte Erzeugnisse schwierig sein könnte.
(34)
Die folgenden Produkte unterliegen bereits den Unionsvorschriften über Grenzwerte für Formaldehyd und sollten daher nicht in den Geltungsbereich der Beschränkung aufgenommen werden: Erzeugnisse, die in den Geltungsbereich von Eintrag 72 des Anhangs XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 fallen, Erzeugnisse, die als Biozidprodukte der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates(11) unterliegen, Produkte, die in den Geltungsbereich der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates(12) fallen, und persönliche Schutzausrüstungen im Rahmen der Verordnung (EU) 2016/425 des Europäischen Parlaments und des Rates(13).
(35)
In der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 der Kommission(14) wird ein Grenzwert für Formaldehyd für Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, festgelegt. Obwohl im Unionsrecht kein spezifischer Grenzwert für Formaldehyd für andere Materialien und Erzeugnisse, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, festgelegt ist, müssen die Produzenten den zuständigen Behörden deren Sicherheit nachweisen können. Die Anforderungen an Lebensmittelkontaktmaterialien zielen darauf ab, die menschliche Gesundheit zu schützen, indem der potenzielle Übergang von Stoffen in Lebensmittel angegangen wird. Da aufgrund dieser Anforderungen eine signifikante Freisetzung von Formaldehyd aus Gegenständen, die im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates(15) dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, in die umgebende Atmosphäre höchst unwahrscheinlich ist, sollten diese Gegenstände nach Auffassung der Kommission nicht in den Geltungsbereich der Beschränkung fallen.
(36)
Der Dossiereinreicher, der RAC und der SEAC schlugen eine Ausnahme für Spielzeug vor, das unter die Richtlinie 2009/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(16) fällt, in der ein Grenzwert von 0,1 mg/m3 für Formaldehydemissionen von Spielzeug aus Kunstharzpressholz für Kinder unter drei Jahren festgelegt ist. Die Kommission hält eine solche Ausnahme jedoch für unangemessen, da Kinder nicht weniger streng geschützt werden sollten als andere Teile der Bevölkerung. Der Grenzwert für Formaldehydemissionen in die Innenraumluft sollte daher für Spielzeug für Kinder aller Altersgruppen gelten.
(37)
Die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 sollte daher entsprechend geändert werden.
(38)
Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des gemäß Artikel 133 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 eingesetzten Ausschusses —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1.

(2)

Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. L 353 vom 31.12.2008, S. 1).

(3)

https://echa.europa.eu/documents/10162/13641/formaldehyde_cion_reqst_axvdossier_en.pdf/11d4a99a-7210-839a-921d-1a9a4129e93e

(4)

https://echa.europa.eu/registry-of-restriction-intentions/-/dislist/details/0b0236e182439477

(5)

WHO 2010-WHO Guidelines for Indoor Air quality: Selected Pollutants (WHO-Leitlinien für Innenraumluftqualität: ausgewählte Schadstoffe), Genf, Weltgesundheitsorganisation, S. 103.

(6)

ECHA (2020), Background Document to the Opinion on the Annex XV report proposing restrictions on formaldehyde and formaldehyde releasers (Hintergrunddokument zur Stellungnahme zum Bericht nach Anhang XV zum Vorschlag von Beschränkungen für Formaldehyd und Formaldehydabspalter).

(7)

Vom ECHA-Sekretariat erstellte kompilierte Fassung der Stellungnahmen des RAC (verabschiedet am 12. März 2020) und des SEAC (verabschiedet am 17. September 2020).

https://echa.europa.eu/documents/10162/f10b57af-6075-bb34-2b30-4e0651d0b52f

(8)

12219-10: Innenraumluft von Straßenfahrzeugen — Teil 10: Gesamtfahrzeugprüfkammer — Spezifikation und Methode zur Bestimmung von flüchtigen organischen Verbindungen in Fahrzeugkabinen — Busse und LKW.

(9)

Richtlinie 98/24/EG des Rates vom 7. April 1998 zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (vierzehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 131 vom 5.5.1998, S. 11).

(10)

Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit (Sechste Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates) (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 50).

(11)

Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. L 167 vom 27.6.2012, S. 1).

(12)

Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (ABl. L 117 vom 5.5.2017, S. 1).

(13)

Verordnung (EU) 2016/425 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über persönliche Schutzausrüstungen und zur Aufhebung der Richtlinie 89/686/EWG des Rates (ABl. L 81 vom 31.3.2016, S. 51).

(14)

Verordnung (EU) Nr. 10/2011 der Kommission vom 14. Januar 2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (ABl. L 12 vom 15.1.2011, S. 1).

(15)

Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, und zur Aufhebung der Richtlinien 80/590/EWG und 89/109/EWG (ABl. L 338 vom 13.11.2004, S. 4).

(16)

Richtlinie 2009/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Sicherheit von Spielzeug (ABl. L 170 vom 30.6.2009, S. 1).

© Europäische Union 1998-2021

Tipp: Verwenden Sie die Pfeiltasten der Tastatur zur Navigation zwischen Normen.