Präambel RL 2001/24/EG

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 47 Absatz 2,

auf Vorschlag der Kommission(1),

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses(2),

nach Stellungnahme des Europäischen Währungsinstituts(3),

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(4),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Nach den Zielen des Vertrags ist eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens in der ganzen Gemeinschaft durch Beseitigung aller Behinderungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs in der Gemeinschaft zu fördern.
(2)
Parallel zur Beseitigung dieser Behinderungen ist es angebracht, sich mit der Lage zu befassen, die sich im Fall von Schwierigkeiten in einem Kreditinstitut ergeben kann, insbesondere falls dieses Kreditinstitut Zweigstellen in anderen Mitgliedstaaten hat.
(3)
Diese Richtlinie fügt sich in den gemeinschaftsrechtlichen Rahmen ein, der durch die Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute(5) geschaffen wurde. Daraus folgt, dass das Kreditinstitut und seine Zweigstellen während der Dauer ihrer Tätigkeit eine Einheit bilden, die der Aufsicht der zuständigen Behörden des Staates unterliegt, in dem die gemeinschaftsweit gültige Zulassung erteilt wurde.
(4)
Es wäre besonders unangebracht, auf diese Einheit, die das Kreditinstitut und seine Zweigstellen bilden, zu verzichten, wenn Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen sind oder ein Liquidationsverfahren zu eröffnen ist.
(5)
Mit der Annahme der Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 1994 über Einlagensicherungssysteme(6), die das Prinzip der obligatorischen Mitgliedschaft von Kreditinstituten in einem Einlagensicherungssystem des Herkunftsmitgliedstaats eingeführt hat, ist die Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung der Sanierungsmaßnahmen und Liquidationsverfahren noch klarer zutage getreten.
(6)
Den Behörden oder Gerichten des Herkunftsmitgliedstaats muss die alleinige Befugnis zur Anordnung und Durchführung von Sanierungsmaßnahmen gemäß den geltenden Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten dieses Mitgliedstaats übertragen werden. Da die Harmonisierung der Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten schwierig ist, empfiehlt sich die Einführung der gegenseitigen Anerkennung durch die Mitgliedstaaten im Falle von Maßnahmen, die ein einzelner Mitgliedstaat trifft, um die Lebensfähigkeit der von ihm zugelassenen Kreditinstitute wiederherzustellen.
(7)
Es ist unbedingt sicherzustellen, dass die von den Behörden oder Gerichten des Herkunftsmitgliedstaats angeordneten Maßnahmen zur Sanierung von Kreditinstituten und die Maßnahmen, die von den durch diese Behörden oder Gerichte mit der Durchführung der Sanierungsmaßnahmen beauftragten Personen oder Organen ergriffen werden, in allen Mitgliedstaaten wirksam werden; dazu gehören auch Maßnahmen, die eine Aussetzung der Zahlungen, die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen oder eine Kürzung der Forderungen erlauben, sowie alle anderen Maßnahmen, die die bestehenden Rechte Dritter beeinträchtigen könnten.
(8)
Bestimmte Maßnahmen, insbesondere solche, die die interne Betriebsstruktur der Kreditinstitute oder die Rechte der Geschäftsführer bzw. der Aktionäre berühren, brauchen nicht Gegenstand dieser Richtlinie zu sein, um in den Mitgliedstaaten wirksam zu werden, sofern nach den Regeln des Internationalen Privatrechts das Recht des Herkunftsmitgliedstaats anwendbar ist.
(9)
Bestimmte Maßnahmen, insbesondere Maßnahmen zur weiteren Erfüllung der Zulassungsbedingungen, werden bereits gemäß der Richtlinie 2000/12/EG gegenseitig anerkannt, sofern sie die vor dem Erlass dieser Maßnahmen bestehenden Rechte Dritter unberührt lassen.
(10)
In dieser Hinsicht gelten an der internen Betriebsstruktur des Kreditinstituts beteiligte Personen sowie dessen Geschäftsführer und Aktionäre in ihrer Eigenschaft als solche nicht als Dritte im Sinne dieser Richtlinie.
(11)
Eine öffentliche Bekanntmachung zur Unterrichtung Dritter über die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen ist in den Mitgliedstaaten, in denen sich Zweigstellen befinden, notwendig, wenn diese Maßnahmen die Ausübung einiger ihrer Rechte beeinträchtigen könnten.
(12)
Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger in Bezug auf ihre Möglichkeit, Rechtsbehelfe einzulegen, macht es erforderlich, dass die Behörden oder Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats die notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit die Gläubiger des Aufnahmemitgliedstaats ihr Recht auf Einlegung von Rechtsbehelfen innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist wahrnehmen können.
(13)
Es muss eine gewisse Koordinierung der Funktionen der Behörden oder Gerichte bei Sanierungsmaßnahmen und Verfahren zur Liquidation von in unterschiedlichen Mitgliedstaaten befindlichen Zweigstellen von Kreditinstituten mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft vorgesehen werden.
(14)
Falls keine Sanierungsmaßnahmen getroffen werden oder diese gescheitert sind, müssen die in einer Krise befindlichen Kreditinstitute liquidiert werden. In diesem Fall sind Bestimmungen zur gegenseitigen Anerkennung von Liquidationsverfahren und ihrer Wirkungen innerhalb der Gemeinschaft vorzusehen.
(15)
Die wichtige Aufgabe, die die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats vor Eröffnung des Liquidationsverfahrens wahrnehmen, kann nach Eröffnung der Liquidation zwecks ordnungsgemäßer Abwicklung des Liquidationsverfahrens weiter wahrgenommen werden.
(16)
Die Gleichbehandlung der Gläubiger erfordert, dass das Kreditinstitut nach den Grundsätzen der Einheit und Universalität liquidiert wird, was die ausschließliche Zuständigkeit der Behörden oder Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats sowie die Anerkennung ihrer Entscheidungen voraussetzt, die in den übrigen Mitgliedstaaten ohne weitere Formalität die gleichen Wirkungen wie im Herkunftsmitgliedstaat entfalten können müssen, sofern die Richtlinie nichts anderes vorsieht.
(17)
Die Ausnahme betreffend die Wirkungen von Sanierungsmaßnahmen und Liquidationsverfahren auf bestimmte Verträge und Rechte beschränkt sich auf diese Wirkungen und gilt nicht für andere Aspekte der Sanierungsmaßnahmen oder des Liquidationsverfahrens wie die Anmeldung, Prüfung und Feststellung der Forderungen im Zusammenhang mit diesen Verträgen und Rechten und die Festlegung ihrer Rangfolge sowie die Vorschriften für die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, für die das Recht des Herkunftsmitgliedstaats maßgeblich ist.
(18)
Die freiwillige Liquidation ist möglich, wenn das Kreditinstitut zahlungsfähig ist. Gegebenenfalls können jedoch die Behörden oder Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats eine Sanierungsmaßnahme anordnen oder ein Liquidationsverfahren eröffnen, auch wenn zuvor bereits eine freiwillige Liquidation eingeleitet wurde.
(19)
Der Widerruf der Bankzulassung ist eine der notwendigen Folgen der Liquidation eines Kreditinstituts. Die Weiterführung bestimmter Tätigkeiten des Kreditinstituts sollte allerdings trotz dieses Widerrufs möglich sein, sofern dies für die Liquidation erforderlich oder angezeigt ist. Die Weiterführung der Tätigkeiten kann von dem Herkunftsmitgliedstaat allerdings von der Zustimmung und der Kontrolle durch seine zuständigen Behörden abhängig gemacht werden.
(20)
Die individuelle Unterrichtung der bekannten Gläubiger ist ebenso wichtig wie die öffentliche Bekanntmachung, damit diese erforderlichenfalls die Anmeldung ihrer Forderungen oder deren Erläuterung innerhalb der gesetzten Fristen vornehmen können. Unzulässig ist dabei jede Benachteiligung der in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat ansässigen Gläubiger aufgrund ihres Wohnsitzes oder der Art der Forderung. Die Gläubiger müssen während des Liquidationsverfahrens regelmäßig in geeigneter Form unterrichtet werden.
(21)
Ausschließlich für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie auf Sanierungsmaßnahmen und Liquidationsverfahren, die eine in einem Mitgliedstaat bestehende Zweigstelle eines Kreditinstituts mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft betreffen, werden als „Herkunftsmitgliedstaat” der Mitgliedstaat der Zweigstelle und als „zuständige Behörden” sowie als „Behörden oder Gerichte” diejenigen dieses Mitgliedstaats definiert.
(22)
Wenn ein Kreditinstitut mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft Zweigstellen in mehr als einem Mitgliedstaat hat, wird jede Zweigstelle bei der Anwendung dieser Richtlinie als unabhängiges Unternehmen behandelt. Die Behörden oder Gerichte und die zuständigen Behörden sowie die Verwalter und Liquidatoren bemühen sich in diesem Fall um eine Abstimmung ihres Vorgehens.
(23)
Zwar ist es wichtig, grundsätzlich festzulegen, dass für die verfahrens- und materiellrechtlichen Wirkungen von Sanierungsmaßnahmen oder Liquidationsverfahren das Recht des Herkunftsmitgliedstaats maßgeblich ist; es ist jedoch auch in Betracht zu ziehen, dass diese Wirkungen im Widerspruch zu den üblicherweise für die wirtschaftlichen und finanziellen Tätigkeiten des Kreditinstituts und seiner Zweigstellen in den übrigen Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften stehen können. Die Bezugnahme auf das Recht eines anderen Mitgliedstaats ist in bestimmten Fällen eine unerlässliche Abschwächung des Prinzips, dass das Recht des Herkunftsmitgliedstaats maßgeblich ist.
(24)
Diese Abschwächung ist insbesondere notwendig, um die durch einen Arbeitsvertrag mit dem Kreditinstitut verbundenen Arbeitnehmer zu schützen und die Sicherheit der Geschäfte mit bestimmten Vermögensgegenständen zu gewährleisten sowie die Integrität der geregelten Märkte, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats funktionieren und auf denen Finanzinstrumente gehandelt werden, aufrechtzuerhalten.
(25)
Die im Rahmen eines Zahlungs- oder Abrechnungssystems getätigten Transaktionen fallen unter die Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und Abrechnungssystemen(7).
(26)
Die Annahme dieser Richtlinie stellt nicht die in der Richtlinie 98/26/EG enthaltenen Bestimmungen in Frage, denen zufolge ein Insolvenzverfahren die rechtliche Wirksamkeit von ordnungsgemäß in ein System eingebrachten Aufträgen oder die einem System gestellten dinglichen Sicherheiten nicht berührt.
(27)
Bei bestimmten Sanierungsmaßnahmen oder Liquidationsverfahren ist die Bestellung einer Person vorgesehen, die mit der Durchführung dieser Maßnahmen oder Verfahren betraut wird. Die Anerkennung ihrer Bestellung und ihrer Befugnisse in allen anderen Mitgliedstaaten ist daher für die Durchführung der im Herkunftsmitgliedstaat getroffenen Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung. Es muss allerdings festgelegt werden, innerhalb welcher Grenzen diese Person ihre Befugnisse außerhalb des Herkunftsmitgliedstaats ausüben kann.
(28)
Es müssen die Gläubiger geschützt werden, die mit dem Kreditinstitut vor der Anordnung einer Sanierungsmaßnahme oder der Eröffnung eines Liquidationsverfahrens in vertraglicher Beziehung standen, wenn das Recht des Herkunftsmitgliedstaats Vorschriften über die Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder relative Unwirksamkeit enthält und der Begünstigte der Rechtshandlung nachweisen kann, dass das für die Rechtshandlung maßgebliche Recht für diesen Fall keinen Rechtsbehelf gegen die betreffende Handlung vorsieht.
(29)
Das Vertrauen von Dritterwerbern in den Inhalt von Registern oder Konten für bestimmte Vermögenswerte, die in diese Register oder Konten eingetragen sind, sowie generell das Vertrauen von Erwerbern unbeweglicher Gegenstände muss auch nach der Eröffnung des Liquidationsverfahrens oder der Anordnung einer Sanierungsmaßnahme geschützt werden. Dieses Vertrauen ist nur dadurch zu wahren, dass für die Wirksamkeit des Erwerbs das Recht des Belegenheitsstaats oder das Recht des Staates maßgeblich ist, unter dessen Aufsicht das Register oder Konto geführt wird.
(30)
Für die Wirkungen der Sanierungsmaßnahmen oder des Liquidationsverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit ist abweichend von der „lex concursus” das Recht des Mitgliedstaates maßgeblich, in dem der Rechtsstreit anhängig ist. Für die Wirkungen der Maßnahmen oder des Verfahrens auf Einzelvollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit diesen Rechtsstreitigkeiten ist gemäß der allgemeinen Vorschrift dieser Richtlinie das Recht des Herkunftsmitgliedstaats maßgeblich.
(31)
Es sollte vorgesehen werden, dass die Behörden oder Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats unverzüglich — möglichst vor der Einleitung der betreffenden Maßnahme bzw. der Eröffnung des Verfahrens, ansonsten unmittelbar danach — von der Anordnung einer Sanierungsmaßnahme oder der Eröffnung eines Liquidationsverfahrens unterrichten.
(32)
Das Berufsgeheimnis im Sinne des Artikels 30 der Richtlinie 2000/12/EG ist ein wesentlicher Bestandteil aller Unterrichtungs- und Konsultationsverfahren. Es muss daher von allen an diesen Verfahren beteiligten zuständigen Behörden gewahrt werden, wohingegen für die Gerichte in diesem Punkt die sie betreffenden nationalen Rechtsvorschriften maßgebend sind —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. C 356 vom 31.12.1985, S. 55, und

ABl. C 36 vom 8.2.1988, S. 1.

(2)

ABl. C 263 vom 20.10.1986, S. 13.

(3)

ABl. C 332 vom 30.10.1998, S. 13.

(4)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 13. März 1987 (ABl. C 99 vom 13.4.1987, S. 211), bestätigt am 2. Dezember 1993 (ABl. C 342 vom 20.12.1993, S. 30), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 17. Juli 2000 (ABl. C 300 vom 20.10.2000, S. 13) und Beschluss des Europäischen Parlaments vom 16. Januar 2001 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Beschluss des Rates vom 12. März 2001.

(5)

ABl. L 126 vom 26.5.2000, S. 1. Richtlinie geändert durch die Richtlinie 2000/28/EG (ABl. L 275 vom 27.10.2000, S. 37).

(6)

ABl. L 135 vom 31.5.1994, S. 5.

(7)

ABl. L 166 vom 11.6.1998, S. 45.

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