Präambel RL 2009/18/EG

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 80 Absatz 2,

auf Vorschlag der Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1),

nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen(2),

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags, aufgrund des vom Vermittlungsausschuss am 3. Februar 2009 gebilligten Entwurfs(3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Im Seeverkehr in Europa sollte ein hohes allgemeines Sicherheitsniveau aufrechterhalten werden, und es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um die Zahl der Unfälle und Vorkommnisse auf See zu verringern.
(2)
Die schnelle Durchführung technischer Untersuchungen von Unfällen auf See verbessert die Sicherheit auf See, da sie dazu beiträgt, eine Wiederholung solcher Unfälle zu vermeiden, die Todesopfer, Schiffsverlust und Meeresverschmutzung zur Folge haben können.
(3)
Das Europäische Parlament hat die Kommission in seiner Entschließung vom 21. April 2004 zur Verbesserung der Sicherheit des Seeverkehrs(4) nachdrücklich aufgefordert, einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Untersuchung von Unfällen auf See vorzulegen.
(4)
Artikel 2 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (nachstehend „SRÜ” genannt) berechtigt Küstenstaaten, die Ursachen von Unfällen auf See zu untersuchen, die sich in ihren Hoheitsgewässern ereignen und eine Gefahr für Leben oder Umwelt darstellen, bei denen die Such- und Rettungsdienste des Küstenstaats eingreifen oder die den Küstenstaat in sonstiger Weise betreffen.
(5)
Nach Artikel 94 des SRÜ haben Flaggenstaaten eine Untersuchung bestimmter Unfälle oder Vorkommnisse auf hoher See von oder vor einer oder mehreren entsprechend befähigten Personen durchzuführen.
(6)
Die Regel I/21 des Internationalen Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See vom 1. November 1974 (nachstehend „SOLAS 74” genannt), das Internationale Freibordübereinkommen vom 5. April 1966 und das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe vom 2. November 1973 verpflichten die Flaggenstaaten zur Durchführung von Unfalluntersuchungen und zur Weiterleitung einschlägiger Erkenntnisse an die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO).
(7)
Der Code für die Durchführung obligatorischer IMO-Instrumente im Anhang der Entschließung A.996(25) der IMO-Vollversammlung vom 29. November 2007 weist die Flaggenstaaten auf ihre Verpflichtung hin zu gewährleisten, dass Sicherheitsuntersuchungen im Seeverkehr durch entsprechend qualifizierte Ermittler durchgeführt werden, die in Angelegenheiten, die im Zusammenhang mit Unfällen und Vorkommnissen auf See stehen, kompetent sind. Dieser Code fordert ferner von den Flaggenstaaten, zur Bereitstellung von für diesen Zweck qualifizierten Ermittlern bereit zu sein, unabhängig davon, wo sich der Unfall oder das Vorkommnis ereignet.
(8)
Berücksichtigt werden sollte der Code für die Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See im Anhang der Entschließung A.849(20) der IMO-Vollversammlung vom 27. November 1997 (nachstehend „IMO-Code für die Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See” genannt), der die Umsetzung eines gemeinsamen Ansatzes zur Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See sowie die Zusammenarbeit zwischen Staaten bei der Ermittlung der für solche Unfälle und Vorkommnisse ursächlichen Faktoren vorsieht. Berücksichtigt werden sollten auch die Entschließung A.861(20) der IMO-Vollversammlung vom 27. November 1997 und die Entschließung MSC.163(78) des IMO-Schiffssicherheitsauschusses vom 17. Mai 2004, die eine Begriffsbestimmung des Schiffsdatenschreibers enthalten.
(9)
Seeleute werden als besondere Kategorie von Arbeitnehmern anerkannt und benötigen im Hinblick auf den globalen Charakter des Schifffahrtssektors sowie die verschiedenen Rechtsordnungen, mit denen sie in Berührung gebracht werden, besonderen Schutz, insbesondere im Bezug auf Kontakte mit Behörden. Im Interesse der zunehmenden Sicherheit auf See sollten sich Seeleute auf faire Behandlung bei einem Seeunfall verlassen können. Ihre Menschenrechte und ihre Menschenwürde sollten zu allen Zeiten gewahrt und alle Sicherheitsuntersuchungen zügig und in gerechter Weise durchgeführt werden. Hierzu sollten die Mitgliedstaaten gemäß ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften weiterhin die einschlägigen Bestimmungen der IMO-Leitlinien über die faire Behandlung von Seeleuten bei einem Seeunfall berücksichtigen.
(10)
Die Mitgliedstaaten sollten im Rahmen ihrer jeweiligen Rechtsordnung Zeugenaussagen nach einem Unfall schützen und ihre Verwendung zu anderen Zwecken als Sicherheitsuntersuchungen verhindern, um Diskriminierungs- und Vergeltungsmaßnahmen gegen Zeugen aufgrund ihrer Teilnahme an der Sicherheitsuntersuchung zu vermeiden.
(11)
Die Richtlinie 1999/35/EG des Rates vom 29. April 1999 über ein System verbindlicher Überprüfungen im Hinblick auf den sicheren Betrieb von Ro-Ro-Fahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen im Linienverkehr(5) verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer jeweiligen Rechtsordnung einen Rechtsstatus festzulegen, damit sie und jeder andere Mitgliedstaat, der hieran ein begründetes Interesse hat, an der Untersuchung eines Unfalls oder Vorkommnisses auf See, wenn hieran ein Ro-Ro-Fahrgastschiff oder Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeug beteiligt war, teilnehmen oder mitarbeiten oder, sofern dies im Rahmen des IMO-Codes für die Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See vorgesehen ist, diese leiten können.
(12)
Die Richtlinie 2002/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2002 über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr(6) verpflichtet die Mitgliedstaaten, den IMO-Code für die Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See einzuhalten und zu gewährleisten, dass die Ergebnisse der Untersuchungen so bald wie möglich nach deren Abschluss veröffentlicht werden.
(13)
Bei der Durchführung von Sicherheitsuntersuchungen von Unfällen und Vorkommnissen mit Hochseefahrzeugen oder anderen Wasserfahrzeugen in Häfen oder anderen eingeschränkten Seeverkehrsgebieten ist es von entscheidender Bedeutung, unvoreingenommen vorzugehen, damit die Umstände und Ursachen des Unfalls oder Vorkommnisses tatsächlich festgestellt werden können. Diese Untersuchungen sollten daher von qualifizierten Ermittlern unter der Kontrolle einer unabhängigen Stelle oder Einrichtung durchgeführt werden, die mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet ist, damit Interessenkonflikte vermieden werden.
(14)
Die Mitgliedstaaten sollten gemäß ihren Rechtsvorschriften über die Befugnisse der für die gerichtliche Untersuchung zuständigen Behörden und gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit diesen Behörden dafür Sorge tragen, dass die für die technischen Untersuchungen verantwortlichen Personen ihre Aufgaben unter den bestmöglichen Bedingungen ausüben können.
(15)
Diese Richtlinie sollte die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr(7) unberührt lassen.
(16)
Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass sie oder jeder andere Staat, der ein begründetes Interesse hieran hat, im Rahmen ihrer jeweiligen Rechtsordnung an der Untersuchung eines Unfalls aufgrund der Bestimmungen des IMO-Codes für die Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See teilnehmen oder mitarbeiten oder diese leiten können.
(17)
Prinzipiell unterliegen alle Unfälle oder Vorkommnisse auf See lediglich einer Untersuchung, die durch einen Mitgliedstaat durchgeführt wird, oder einen für die Untersuchungen federführenden Mitgliedstaat unter Mitwirkung anderer Staaten mit wesentlichem Interesse. In begründeten Ausnahmefällen, in denen in Verbindung mit der Flagge des betroffenen Schiffes, dem Unfallort oder der Nationalität der Opfer zwei oder mehr Mitgliedstaaten betroffen sind, können parallele Untersuchungen durchgeführt werden.
(18)
Ein Mitgliedstaat kann im gegenseitigen Einvernehmen einem anderen Mitgliedstaat die Leitung einer Sicherheitsuntersuchung eines Unfalls oder Vorkommnisses auf See (nachstehend „Sicherheitsuntersuchung” genannt) oder die Durchführung spezifischer, mit solch einer Untersuchung verbundener Aufgaben übertragen.
(19)
Die Mitgliedstaaten sollten sich nach Kräften bemühen, keine Gebühren für die Unterstützung zu erheben, um die im Rahmen von Sicherheitsuntersuchungen, an denen zwei oder mehr Mitgliedstaaten beteiligt sind, ersucht wird. Wird ein Mitgliedstaat, der nicht an der Sicherheitsuntersuchung beteiligt ist, um Unterstützung ersucht, so treffen die Mitgliedstaaten eine Vereinbarung über die Erstattung der anfallenden Kosten.
(20)
Nach der Regel V/20 des SOLAS 74 müssen Fahrgastschiffe und andere Schiffe als Fahrgastschiffe mit 3000 BRZ und darüber, die am oder nach dem 1. Juli 2002 gebaut wurden, Schiffsdatenschreiber zur Unterstützung bei der Unfalluntersuchung mitführen. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Entwicklung einer Politik zur Verhütung von Seeunfällen sollte das Mitführen dieser Ausrüstungen an Bord von Schiffen, die sich auf Inlands- oder Auslandsfahrt befinden und Häfen der Gemeinschaft anlaufen, systematisch vorgeschrieben sein.
(21)
Die von einem Schiffsdatenschreiber sowie von anderen elektronischen Geräten gelieferten Daten können sowohl nachträglich nach einem Unfall oder Vorkommnis auf See zur Ermittlung der Ursachen als auch vorbeugend zur Sammlung von Erfahrungen über die Umstände, die zu solchen Ereignissen führen, genutzt werden. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass solche Daten — sofern vorhanden — ordnungsgemäß für beide Zwecke genutzt werden.
(22)
Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates(8) muss die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (nachstehend die „Agentur” genannt) mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um im Zusammenhang mit der Anwendung von Gemeinschaftsvorschriften technische Lösungen zu entwickeln und technische Unterstützung zu leisten. Im Bereich der Untersuchung von Unfällen auf See hat die Agentur insbesondere die Aufgabe, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission bei der Entwicklung einer gemeinsamen Methodik zur Untersuchung von Unfällen auf See nach vereinbarten internationalen Grundsätzen zu fördern, wobei die unterschiedlichen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen sind.
(23)
Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 erleichtert die Agentur die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten durch die Unterstützung bei der Untersuchung und durch die Analyse bereits vorliegender Untersuchungsberichte über Unfälle.
(24)
Bei Sicherheitsuntersuchungen gewonnene relevante Erkenntnisse sollten bei der Entwicklung oder Überarbeitung einer gemeinsamen Methodik zur Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See berücksichtigt werden.
(25)
Die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft sollten den Sicherheitsempfehlungen, die aus einer Sicherheitsuntersuchung abgeleitet werden, angemessen Rechnung tragen.
(26)
Da das Ziel der technischen Sicherheitsuntersuchungen die Verhütung von Unfällen und Vorkommnissen auf See ist, sollten die Schlussfolgerungen und Sicherheitsempfehlungen unter keinen Umständen die Haftung ermitteln oder Schuld zuweisen.
(27)
Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Verbesserung der Seeverkehrssicherheit in der Gemeinschaft und somit die Verringerung der Gefahr künftiger Seeunfälle, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher in Anbetracht des Umfangs oder der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in jenem Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.
(28)
Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(9) erlassen werden.
(29)
Insbesondere sollte die Kommission die Befugnis erhalten, diese Richtlinie zu ändern, um relevante spätere Änderungen von internationalen Übereinkommen, Protokollen, Codes und Entschließungen umzusetzen und die gemeinsame Methodik zur Untersuchung von Unfällen und Vorkommnissen auf See anzunehmen und zu ändern. Da es sich hierbei um Maßnahmen von allgemeiner Tragweite handelt, die eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie, auch durch Ergänzung um neue nicht wesentliche Bestimmungen bewirken, sind diese Maßnahmen nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle des Artikels 5a des Beschlusses 1999/468/EG zu erlassen.
(30)
Gemäß Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung” (10) sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 195.

(2)

ABl. C 229 vom 22.9.2006, S. 38.

(3)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 25. April 2007 (ABl. C 74 E vom 30.3.2008, S. 546), Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 6. Juni 2008 (ABl. C 184 E vom 22.7.2008, S. 23). Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 24. September 2008 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht), Beschluss des Rates vom 26. Februar 2009 und Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. März 2009 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(4)

ABl. C 104 E vom 30.4.2004, S. 730.

(5)

ABl. L 138 vom 1.6.1999, S. 1.

(6)

ABl. L 208 vom 5.8.2002, S. 10.

(7)

ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31.

(8)

ABl. L 208 vom 5.8.2002, S. 1.

(9)

ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

(10)

ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1.

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