ANHANG I RL 2009/31/EG

KRITERIEN FÜR DIE CHARAKTERISIERUNG UND BEWERTUNG DES POTENZIELLEN SPEICHERKOMPLEXES UND DER UMLIEGENDEN GEBIETE GEMÄSS ARTIKEL 4

Die Charakterisierung und Bewertung von potenziellen Speicherkomplexen und der umliegenden Gebiete gemäß Artikel 4 Absatz 3 wird in drei Stufen nach bewährten Verfahren zum Zeitpunkt der Bewertung und nach den folgenden Kriterien vorgenommen. Abweichungen von einem oder mehreren dieser Kriterien können von der zuständigen Behörde genehmigt werden, sofern der Betreiber nachgewiesen hat, dass dadurch die Aussagekraft der Charakterisierung und Bewertung, die die Grundlage für die Auswahlentscheidungen gemäß Artikel 4 bildet, nicht beeinträchtigt wird.

Stufe 1:
Datenerhebung

Es ist Datenmaterial zu sammeln, das ausreicht, um für die Speicherstätte und den Speicherkomplex ein volumetrisches und statisches dreidimensionales (3-D)-Erdmodell zu erstellen, das das Deckgestein und das Nebengestein einschließlich der hydraulisch verbundenen Gebiete einschließt. Dieses Datenmaterial betrifft mindestens die folgenden inhärenten Charakteristika des Speicherkomplexes:
a)
Geologie und Geophysik;
b)
Hydrogeologie (insbesondere Vorkommen von für den Verbrauch bestimmtem Grundwasser);
c)
Lagerstättentechnik (einschließlich volumetrischer Berechnungen des Porenvolumens für die CO2-Injektion und der endgültigen Speicherkapazität);
d)
Geochemie (Lösungsgeschwindigkeit, Mineralisierungsgeschwindigkeit);
e)
Geomechanik (Permeabilität, Frac-Druck);
f)
Seismik;
g)
Vorhandensein und Bedingung natürlicher und anthropogener Wege, einschließlich Brunnen und Bohrlöcher, die als Leckagewege dienen könnten.
Die folgenden Merkmale der Umgebung des Komplexes sind zu dokumentieren:
h)
den Speicherkomplex umgebende Ausbildungen, die durch die Speicherung von CO2 in der Speicherstätte beeinträchtigt werden könnten;
i)
Bevölkerungsverteilung in dem Gebiet über der Speicherstätte;
j)
Nähe zu wertvollen natürlichen Ressourcen (einschließlich und insbesondere Natura-2000-Gebiete nach der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten(1) und der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen(2), süßes Grundwasser und Kohlenwasserstoffe);
k)
Tätigkeiten im Umfeld des Speicherkomplexes und mögliche Wechselwirkungen mit diesen Tätigkeiten (z. B. Exploration, Gewinnung und Speicherung von Kohlenwasserstoffen, geothermische Nutzung von Aquiferen und Nutzung von Grundwasserreserven);
l)
Entfernung zu den potenziellen CO2-Quelle(n) (einschließlich Schätzungen der Gesamtmasse CO2, die potenziell unter wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen für die Speicherung verfügbar ist), sowie die Verfügbarkeit angemessener Transportnetze.

Stufe 2:
Erstellung eines dreidimensionalen statischen geologischen Erdmodells

Mit den in Stufe 1 erhobenen Daten wird mithilfe von computergestützten Lagerstättensimulatoren ein dreidimensionales statisches geologisches Erdmodell des geplanten Speicherkomplexes oder eine Reihe solcher Modelle erstellt, das/die auch das Deckgestein und die hydraulisch verbundenen Gebiete und Fluide umfassen. Die statischen geologischen Erdmodelle charakterisieren den Komplex im Bezug auf
a)
die geologische Struktur der strukturellen Falle;
b)
geomechanische, geochemische und strömungstechnische Eigenschaften der Lagerstätte, Gesteinsschichten über der Speicherstätte (Deckgestein, Verschlüsse, poröse und permeable Horizonte) und umliegende Formationen;
c)
Charakterisierung von Bruchsystemen und Vorhandensein anthropogener Wege;
d)
räumliche und vertikale Ausdehnung des Speicherkomplexes;
e)
Porenraumvolumen (einschließlich Porositätsverteilung);
f)
Fluidverteilung vor Projektbeginn;
g)
jedes andere wichtige Merkmal.
Zur Bewertung der Unsicherheit, mit der jeder zur Modellierung herangezogene Parameter behaftet ist, werden für jeden Parameter eine Reihe von Szenarien aufgestellt und die geeigneten Konfidenzgrenzen entwickelt. Außerdem wird beurteilt, inwiefern das Modell selbst mit Unsicherheit behaftet ist.

Stufe 3:
Charakterisierung des dynamischen Speicherverhaltens und der Sensibilität sowie Risikobewertung

Die Charakterisierungen und Bewertungen stützen sich auf eine dynamische Modellierung, die mehrere Zeitschrittsimulationen der Injektion von CO2 in die Speicherstätte umfasst, bei denen die dreidimensionalen statischen geologischen Erdmodelle in dem in Stufe 2 erstellten Computersimulator für den Speicherkomplex verwendet werden.

Stufe 3.1: Charakterisierung des dynamischen Speicherverhaltens

Es sind mindestens folgende Faktoren zu beachten:
a)
mögliche Injektionsraten und Eigenschaften des CO2-Stroms;
b)
die Wirksamkeit von gekoppelter Verfahrensmodellierung (d. h. die Art und Weise, wie mehrere Einzelwirkungen in dem/den Simulator(en) miteinander interagieren);
c)
reaktive Prozesse (d. h. die Art und Weise, wie im Modell Reaktionen des injizierten CO2 mit den an Ort und Stelle vorhandenen Mineralen berücksichtigt werden);
d)
die verwendeten Lagerstättensimulatoren (multiple Simulationen können erforderlich sein, um bestimmte Ergebnisse zu validieren);
e)
kurz- und langfristige Simulationen (zur Ermittlung des Verbleibs des CO2 und dessen Verhaltens über Jahrzehnte und Jahrtausende, einschließlich der Lösungsgeschwindigkeit von CO2 in Wasser).
Die dynamische Modellierung liefert Erkenntnisse über
f)
Druck der Speicherformation als Funktion der Injektionsrate und der Injektionsmenge im Zeitablauf;
g)
die räumliche und vertikale Ausdehnung der Speicherformation im Lauf der Zeit;
h)
die Art des CO2-Flusses in der Lagerstätte, einschließlich Phasenverhalten;
i)
die CO2-Rückhaltemechanismen und -raten (einschließlich Spillpoints, sowie seitliche und vertikale Abdichtungen);
j)
sekundäre CO2-Anreichungen in der unterirdischen Umgebung des Speicherkomplexes;
k)
Speicherkapazität und Druckgradienten in der Speicherstätte;
l)
das Risiko der Bildung von Rissen in der (den) Speicherformation(en) und im Deckgestein;
m)
das Risiko des Eintritts von CO2 in das Deckgestein;
n)
das Risiko von Leckagen aus der Speicherstätte (z. B. durch aufgegebene oder unsachgemäß abgedichtete Bohrlöcher);
o)
die Migrationsrate (bei Lagerstätten mit einer Öffnung (Open-ended Lagerstätten));
p)
Rissverschlussgeschwindigkeit;
q)
Veränderungen an der Fluidchemie der Formation(en) und dadurch verursachte Reaktionen (z. B. Änderung des pH-Werts oder Mineralisierung) und Einbeziehung in die reaktive Modellierung zur Folgenabschätzung;
r)
Verdrängung der ursprünglich vorhandenen Formationsfluide;
s)
verstärkte seismische Aktivität und Aufwerfung der Oberfläche.

Stufe 3.2: Charakterisierung der Sensibilität

Durch multiple Simulationen wird ermittelt, wie sensibel die Bewertung auf unterschiedlich angesetzte Größen bei bestimmten Parametern reagiert. Die Simulationen stützen sich auf verschiedene Parameterwerte im (in den) statischen geologischen Erdmodell(en) und unterschiedliche Ratenfunktionen und Annahmen in der dynamischen Modellierung. Eine signifikante Sensibilität wird bei der Risikobewertung berücksichtigt.

Stufe 3.3: Risikobewertung

Die Risikobewertung umfasst unter anderem Folgendes:

3.3.1.
Charakterisierung der Gefahren

Die Gefahren werden charakterisiert, indem das Potenzial des Speicherkomplexes für Leckagen durch die vorstehend beschriebene dynamische Modellierung und die Charakterisierung der Sicherheit bestimmt wird. Dabei werden unter anderem folgende Aspekte berücksichtigt:
a)
potenzielle Leckagewege;
b)
potenzieller Umfang von Leckagen bei ermittelten Leckagewegen (Fließraten);
c)
kritische Parameter, die das Leckagepotenzial beeinflussen (z. B. maximaler Reservoirdruck, maximale Injektionsrate, Temperatur, Sensibilität für unterschiedliche Annahmen im (in den) statischen geologischen Erdmodell(en));
d)
Sekundärwirkungen der CO2-Speicherung, einschließlich Verdrängung von Formationsfluiden und Entstehung neuer Stoffe durch die CO2-Speicherung;
e)
jeder andere Faktor, von dem eine Gefahr für die Gesundheit des Menschen oder die Umwelt ausgehen könnte (z. B. mit dem Projekt verbundene physische Strukturen).
Die Risikocharakterisierung schließt die vollständige Skala potenzieller Betriebsbedingungen ein, so dass die Sicherheit des Speicherkomplexes erprobt werden kann.

3.3.2. Bewertung der Gefährdung — ausgehend von den Umweltmerkmalen und der Verteilung und den Aktivitäten der über dem Speicherkomplex lebenden Bevölkerung sowie vom möglichen Verhalten und Verbleib von CO2, das über die auf Stufe 3.3.1 ermittelten potenziellen Leckagewege austritt;

3.3.3. Folgenabschätzung — ausgehend von der Sensibilität bestimmter Arten, Gemeinschaften oder Lebensräume im Zusammenhang mit den auf Stufe 3.3.1 ermittelten möglichen Leckagen. Gegebenenfalls schließt dies die Folgen der Exposition gegenüber hohen CO2-Konzentrationen in der Biosphäre (einschließlich Böden, Meeressedimente und Tiefseegewässer (z. B. Ersticken oder Hyperkapnie), und den niedrigeren pH-Wert in dieser Umgebung als Folge von CO2-Leckagen ein). Die Folgenabschätzung umfasst darüber hinaus eine Bewertung der Auswirkungen anderer Stoffe, die in den austretenden CO2-Strömen enthalten sein können (im Injektionsstrom enthaltene Verunreinigungen oder durch die CO2-Speicherung entstandene, neue Stoffe). Diese Auswirkungen werden für verschiedene zeitliche und räumliche Größenordnungen betrachtet und mit Leckagen in unterschiedlichem Umfang in Verbindung gebracht;

3.3.4. Risikocharakterisierung — bestehend aus einer Bewertung der kurz- und langfristigen Sicherheit der Speicherstätte, einschließlich einer Bewertung des Leckagerisikos unter den vorgeschlagenen Nutzungsbedingungen, und der schlimmsten möglichen Umwelt- und Gesundheitsfolgen. Die Risikocharakterisierung stützt sich auf eine Bewertung der Gefahren, der Gefährdung und eine Folgenabschätzung und umfasst eine Bewertung der Unsicherheitsquellen, die während der einzelnen Stufen der Charakterisierung und Bewertung der Speicherstätte ermittelt wurden, sowie — im Rahmen des Möglichen — eine Darstellung der Möglichkeiten zur Verringerung der Unsicherheit.

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 103 vom 25.4.1979, S. 1.

(2)

ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7.

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