Präambel RL 2010/24/EU

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 113 und 115,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(1),

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(2),

gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Die Amtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten bei der Beitreibung ihrer jeweiligen Forderungen sowie der Forderungen der Union in Bezug auf bestimmte Steuern und sonstige Maßnahmen trägt zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts bei. Sie gewährleistet steuerliche Neutralität und hat es den Mitgliedstaaten ermöglicht, auf diskriminierende Schutzmaßnahmen bei grenzüberschreitenden Umsätzen zu verzichten, die zur Verhütung von Betrug und haushaltsmäßigen Verlusten ergriffen wurden.
(2)
Modalitäten für die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen wurden erstmals mit der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen(3) festgelegt. Jene Richtlinie und ihre nachfolgenden Änderungen wurden mit der Richtlinie 2008/55/EG des Rates vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen kodifiziert(4).
(3)
Zwar stellten diese Regelungen einen ersten Schritt zur Verbesserung der Beitreibungsverfahren innerhalb der Union dar, weil damit die maßgebenden nationalen Vorschriften einander angenähert wurden, erwiesen sich jedoch für die Anforderungen des Binnenmarkts, so wie sie sich in den letzten 30 Jahren herausgebildet haben, als unzureichend.
(4)
Um die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten und die Neutralität des Binnenmarkts besser zu schützen, ist es notwendig, den Anwendungsbereich der Amtshilfe bei der Beitreibung auf Forderungen in Bezug auf Steuern und Abgaben auszuweiten, die noch nicht unter die Amtshilfe fallen, während es gleichzeitig erforderlich ist, dass die Amtshilfe effizienter und effektiver sowie leichter anwendbar wird, um den Anstieg der Amtshilfeersuchen bewältigen zu können und bessere Ergebnisse zu erzielen. Um diese Ziele zu erreichen bedarf es bedeutender Anpassungen, wobei eine reine Änderung der geltenden Richtlinie 2008/55/EG nicht ausreichend wäre. Daher sollte die genannte Richtlinie aufgehoben und durch ein neues Rechtsinstrument ersetzt werden, das auf dem durch die Richtlinie 2008/55/EG Erreichten aufbaut, jedoch — sofern erforderlich — klarere und präzisere Regeln vorsieht.
(5)
Klarere Regeln würden einen umfassenderen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fördern. Sie würden auch gewährleisten, dass sämtliche juristischen und natürlichen Personen in der Union hiervon erfasst werden, und gleichzeitig der ständig zunehmenden Vielfalt an Rechtsvereinbarungen, nicht nur den herkömmlichen Rechtsvereinbarungen, wie Trusts und Stiftungen, sondern auch allen neuen Instrumenten, die von den Steuerpflichtigen in den Mitgliedstaaten eingeführt werden, Rechnung tragen. Sie würden zudem ermöglichen, dass alle denkbaren Formen von Forderungen der Behörden in Bezug auf Steuern, Abgaben, Erstattungen und Interventionen, einschließlich aller Geldforderungen gegenüber dem betreffenden Steuerpflichtigen oder einem Dritten, die an die Stelle der ursprünglichen Forderung treten, berücksichtigt werden. Klarere Regeln sind in erster Linie erforderlich, um die Rechte und Pflichten aller beteiligten Parteien genauer festzulegen.
(6)
Die Befugnis der Mitgliedstaaten, die innerstaatlichen Beitreibungsmaßnahmen festzulegen, sollte von dieser Richtlinie nicht berührt werden. Es muss aber sichergestellt sein, dass das reibungslose Funktionieren des mit dieser Richtlinie geschaffenen Systems der Amtshilfe weder durch Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften noch durch mangelnde Koordinierung zwischen den zuständigen Behörden in Frage gestellt wird.
(7)
Die Amtshilfe kann sich auf Folgendes erstrecken: Die ersuchte Behörde kann der ersuchenden Behörde Auskünfte erteilen, welche diese für die Beitreibung von in dem ersuchenden Mitgliedstaat entstandenen Forderungen benötigt, und dem Schuldner alle mit solchen Forderungen zusammenhängenden Dokumente des ersuchenden Mitgliedstaats zustellen. Die ersuchte Behörde kann ferner auf Ersuchen der ersuchenden Behörde die in dem ersuchenden Mitgliedstaat entstandenen Forderungen beitreiben oder Sicherungsmaßnahmen ergreifen, um die Beitreibung dieser Forderungen zu gewährleisten.
(8)
Mit der Annahme eines einheitlichen Titels für Vollstreckungsmaßnahmen in dem ersuchten Mitgliedstaat und der Annahme eines einheitlichen Standardformblatts für die Zustellung von Rechtstiteln und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Forderung dürften die Probleme der Anerkennung und Übersetzung von Rechtstiteln eines anderen Mitgliedstaats, die Hauptursache der mangelnden Wirksamkeit der derzeitigen Amtshilfemodalitäten sind, ausgeräumt werden.
(9)
Es sollte eine Rechtsgrundlage für den Informationsaustausch ohne vorheriges Ersuchen zu einzelnen Steuererstattungen geschaffen werden. Aus Gründen der Effizienz sollte ferner ermöglicht werden, dass Steuerbedienstete aus einem Mitgliedstaat behördlichen Ermittlungen in einem anderen Mitgliedstaat beiwohnen oder an diesen teilnehmen. Außerdem sollte für einen direkteren Informationsaustausch zwischen den Dienststellen gesorgt werden, um die Amtshilfe zu beschleunigen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen.
(10)
Aufgrund der wachsenden Mobilität im Binnenmarkt und der durch den Vertrag oder andere Rechtsvorschriften auferlegten Beschränkungen der Sicherheitsleistungen, die von den nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats ansässigen Steuerpflichtigen gefordert werden können, sollten die Möglichkeiten, Beitreibungs- oder Sicherungsmaßnahmen in anderen Mitgliedstaaten zu beantragen, erweitert werden. Da es eine wichtige Rolle spielt, wie alt eine Forderung ist, sollten die Mitgliedstaaten auch dann ein Amtshilfeersuchen stellen können, wenn die inländischen Beitreibungsverfahren noch nicht völlig ausgeschöpft worden sind, unter anderem wenn die Durchführung dieser Verfahren im ersuchenden Mitgliedstaat unverhältnismäßige Schwierigkeiten aufwerfen würde.
(11)
Eine allgemeine Verpflichtung, Ersuchen und Schriftstücke in elektronischer Form über ein elektronisches Netzwerk zu übermitteln, und präzise Vorschriften über die in den Ersuchen und Dokumenten zu verwendenden Sprachen sollten es den Mitgliedstaaten erlauben, Ersuchen rascher und leichter zu bearbeiten.
(12)
Im Verlauf des Beitreibungsverfahrens könnte die betroffene Person im ersuchten Mitgliedstaat die Forderung, die Zustellung seitens der Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats oder den Vollstreckungstitel anfechten. Es sollte vorgesehen werden, dass in solchen Fällen der betreffende Rechtsbehelf bei der zuständigen Instanz des ersuchenden Mitgliedstaats eingelegt werden sollte und die ersuchte Behörde das von ihr eingeleitete Beitreibungsverfahren aussetzen sollte, bis die zuständige Instanz des ersuchenden Mitgliedstaats eine Entscheidung getroffen hat, es sei denn, die ersuchende Behörde wünscht ein anderes Vorgehen.
(13)
Damit die Mitgliedstaaten ausreichende Mittel für die Beitreibung der Forderungen anderer Mitgliedstaaten bereitstellen, sollte der ersuchte Mitgliedstaat ermächtigt werden, die Kosten der Beitreibung vom Schuldner einzufordern.
(14)
Effizienz würde sich am besten erreichen lassen, wenn die ersuchte Behörde bei der Erledigung eines Amtshilfeersuchens die Befugnisse wahrnehmen könnte, die ihr nach ihrem innerstaatlichen Recht für Forderungen in Bezug auf die gleichen oder auf ähnliche Steuern oder Abgaben zustehen. In Ermangelung vergleichbarer Steuern oder Abgaben, wäre das geeignetste Verfahren das nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchten Mitgliedstaats geltende Verfahren für Forderungen in Bezug auf Einkommensteuern. Diese Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften sollte in der Regel nicht in Bezug auf die Vorrechte für Forderungen gelten, die in dem ersuchten Mitgliedstaat bestehen. Allerdings sollte es möglich sein, Vorrechte auf Forderungen anderer Mitgliedstaaten auszudehnen, wenn die betroffenen Mitgliedstaaten dies vereinbaren.
(15)
Im Hinblick auf Fragen der Verjährung ist es notwendig, die geltenden Vorschriften dadurch zu vereinfachen, dass die Hemmung, Unterbrechung oder Verlängerung der Verjährungsfristen im Allgemeinen nach den im ersuchten Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften festgelegt wird, außer in den Fällen, in denen die Hemmung, Unterbrechung oder Verlängerung der Verjährungsfrist nach dem geltenden Recht des ersuchten Staats nicht möglich ist.
(16)
Effizienz setzt voraus, dass im Verlauf der Amtshilfe ausgetauschte Auskünfte in dem Mitgliedstaat, der diese Auskünfte erhält, für andere als in dieser Richtlinie vorgesehene Zwecke verwendet werden können, soweit dies nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften sowohl des Mitgliedstaats, der die Auskünfte erteilt, wie auch des Mitgliedstaats, der die Auskünfte erhält, zulässig ist.
(17)
Diese Richtlinie sollte die Erfüllung jedweder sich aus bilateralen oder multilateralen Übereinkünften oder Vereinbarungen ergebenden Verpflichtungen zur Leistung von Amtshilfe in größerem Umfang nicht hindern.
(18)
Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse(5) erlassen werden.
(19)
Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Union eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und den Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen.
(20)
Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Einführung eines einheitlichen Systems der Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen innerhalb des Binnenmarkts, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen der erforderlichen Einheitlichkeit, Wirksamkeit und Effizienz besser auf Unionsebene zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
(21)
Die Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden —

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

Stellungnahme vom 10. Februar 2010 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(2)

Stellungnahme vom 16. Juli 2009 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3)

ABl. L 73 vom 19.3.1976, S. 18.

(4)

ABl. L 150 vom 10.6.2008, S. 28.

(5)

ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

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