Präambel RL 2015/2376/EU
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 115,
auf Vorschlag der Europäischen Kommission,
nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,
nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(1),
nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(2),
nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen(3),
gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren,
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- Grenzüberschreitende Steuerumgehung bzw. Steuervermeidung, aggressive Steuerplanung und ein schädlicher Steuerwettbewerb haben sich zu einer erheblichen Herausforderung entwickelt und sind in der Union wie weltweit in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die Erosion der Steuerbemessungsgrundlage hat eine beträchtliche Minderung der nationalen Steueraufkommen zur Folge, was die Mitgliedstaaten wiederum daran hindert, eine wachstumsfreundliche Steuerpolitik auf den Weg zu bringen. Die Erteilung von Steuervorbescheiden, die eine konsequente und transparente Anwendung der Rechtsvorschriften erleichtern, ist auch in der Union gängige Praxis. Eine Präzisierung der Steuervorschriften für Steuerpflichtige bietet den Unternehmen Sicherheit und kann daher Investitionen und die Einhaltung der Rechtsvorschriften fördern und somit zum Ziel der Weiterentwicklung des Binnenmarkts der Union, aufbauend auf den Prinzipien und Grundfreiheiten, die den Verträgen zugrunde liegen, beitragen. Vorbescheide, die steuermotivierte Gestaltungen betreffen, haben jedoch in bestimmten Fällen dazu geführt, dass künstlich erhöhte Einkünfte einer niedrigen Besteuerung in dem den Vorbescheid erteilenden, ändernden oder erneuernden Land unterworfen werden und in anderen beteiligten Ländern nur künstlich verringerte steuerpflichtige Einkünfte verbleiben. Daher ist dringend für mehr Transparenz zu sorgen. Zu diesem Zweck müssen die mit der Richtlinie 2011/16/EU des Rates(4) eingeführten Instrumente und Mechanismen gestärkt werden.
- (2)
- Der Europäische Rat hat in seinen Schlussfolgerungen vom 18. Dezember 2014 darauf hingewiesen, dass es dringend erforderlich sei, die Anstrengungen zur Bekämpfung von Steuerumgehung und aggressiver Steuerplanung sowohl weltweit als auch auf Unionsebene weiter voranzubringen. Der Europäische Rat betonte, wie wichtig Transparenz sei, und begrüßte die Absicht der Kommission, einen Vorschlag zum automatischen Informationsaustausch über verbindliche Steuerauskünfte (Steuervorbescheide) in der Union vorzulegen.
- (3)
- Die Richtlinie 2011/16/EU sieht für fünf konkret benannte Fälle den verpflichtenden spontanen Austausch von Informationen zwischen den Mitgliedstaaten innerhalb bestimmter Fristen vor. Ein spontaner Informationsaustausch erfolgt bereits bei Steuervorbescheiden, die ein Mitgliedstaat für einen bestimmten Steuerpflichtigen in Bezug auf die künftige Auslegung oder Anwendung von Steuervorschriften erteilt, ändert oder erneuert, sofern diese Bescheide eine grenzüberschreitende Dimension haben und die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats Grund zu der Annahme hat, dass es zu Einbußen bei den Steuereinnahmen eines anderen Mitgliedstaats kommen könnte.
- (4)
- Einem effizienten spontanen Informationsaustausch über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung stehen jedoch eine Reihe wesentlicher praktischer Hindernisse im Wege, wie etwa der Umstand, dass der den Bescheid erteilende Mitgliedstaat nach eigenem Ermessen entscheiden kann, welche anderen Mitgliedstaaten unterrichtet werden sollten. Daher sollten die ausgetauschten Informationen gegebenenfalls allen anderen Mitgliedstaaten zugänglich sein.
- (5)
- Der Anwendungsbereich des automatischen Austauschs von grenzüberschreitenden Vorbescheiden und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung, die für eine bestimmte Person oder eine Gruppe von Personen erteilt bzw. getroffen, geändert oder erneuert werden und auf die sich diese Person oder Gruppe von Personen berufen kann, sollte alle materiellen Formen abdecken (unabhängig davon, ob sie verbindlich oder unverbindlich sind und in welcher Form sie erteilt bzw. getroffen wurden).
- (6)
- Im Interesse der Rechtssicherheit sollte die Richtlinie 2011/16/EU dahingehend geändert werden, dass eine angemessene Begriffsbestimmung für grenzüberschreitender Vorbescheid und für Vorabverständigung über die Verrechnungspreisgestaltung aufgenommen wird. Diese Begriffsbestimmungen sollten so weit gefasst sein, dass eine Vielzahl von Fällen abdeckt wird, wie beispielsweise unter anderem folgende Arten von grenzüberschreitenden Vorbescheiden und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung:
- (7)
- Die Steuerpflichtigen können sich beispielsweise in Steuerverfahren oder bei Steuerprüfungen auf grenzüberschreitende Vorbescheide oder Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung berufen, sofern der Sachverhalt, der den grenzüberschreitenden Vorbescheiden oder den Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung zugrunde liegt, zutreffend dargestellt wurde und der Steuerpflichtige den grenzüberschreitenden Vorbescheiden oder den Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung nachkommt.
- (8)
- Die Mitgliedstaaten werden Informationen unabhängig davon austauschen, ob der Steuerpflichtige dem grenzüberschreitenden Vorbescheid bzw. der Vorabverständigung über die Verrechnungspreisgestaltung nachkommt oder nicht.
- (9)
- Die Übermittlung von Informationen sollte nicht zur Preisgabe eines Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens oder zu einer Offenlegung von Informationen führen, die die öffentliche Ordnung verletzen würde.
- (10)
- Damit der verpflichtende automatische Informationsaustausch über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung einen größtmöglichen Nutzen erbringt, sollten die Informationen unmittelbar nach Erteilung bzw. Treffen, Änderung oder Erneuerung des Bescheids oder der Vereinbarung übermittelt werden; es sollten daher regelmäßige Abstände für die Informationsübermittlung festgelegt werden. Aus denselben Gründen ist es auch angebracht, einen verpflichtenden automatischen Informationsaustausch über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung einzurichten, die in einem Zeitraum, der fünf Jahre vor dem Geltungsbeginn dieser Richtlinie beginnt, erteilt bzw. getroffen, geändert oder erneuert wurden und am 1. Januar 2014 noch gültig sind. Bestimmte Personen oder Gruppen von Personen mit einem gruppenweiten Jahresnettoumsatzerlös von weniger als 40000000 EUR pro Jahr könnten jedoch unter bestimmten Voraussetzungen von dem verpflichtenden automatischen Informationsaustausch ausgenommen werden.
- (11)
- Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es zweckmäßig, unter sehr strengen Voraussetzungen bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung mit Drittländern unter Einhaltung des Rahmens der bestehenden internationalen Verträge mit diesen Ländern von dem verpflichtenden automatischen Informationsaustausch auszunehmen, wenn die Bestimmungen dieser Verträge die Weitergabe der in deren Rahmen erhaltenen Informationen an ein drittes Land nicht erlauben. In diesen Fällen sollten jedoch stattdessen die Informationen nach Artikel 8a Absatz 6 im Zusammenhang mit Ersuchen, die zur Erteilung solcher bilateraler oder multilateraler Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung führen, ausgetauscht werden. Daher sollten in solchen Fällen die zu übermittelnden Informationen den Hinweis enthalten, dass sie auf Grundlage eines derartigen Ersuchens bereitgestellt werden.
- (12)
- Der verpflichtende automatische Austausch über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung sollte in jedem Fall die Übermittlung bestimmter Basisinformationen umfassen, die für alle Mitgliedstaaten zugänglich wären. Der Kommission sollte die Befugnis erteilt werden, die praktischen Regelungen festzulegen, die erforderlich sind, um die Übermittlung entsprechender Informationen nach dem in der Richtlinie 2011/16/EU festgelegten Verfahren (unter Beteiligung des Ausschusses für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Steuerbereich) zur Erstellung eines Standardformblatts für den Informationsaustausch zu vereinheitlichen. Dieses Verfahren sollte auch bei der Festlegung weiterer praktischer Regelungen für die Durchführung des Informationsaustauschs angewandt werden, wie etwa die Angabe der sprachlichen Anforderungen, die für den Informationsaustausch unter Verwendung des Standardformblatts gelten.
- (13)
- Bei der Entwicklung eines solchen Standardformblatts für den verpflichtenden automatischen Informationsaustausch ist es zweckmäßig, die Arbeit des OECD-Forums Schädliche Steuerpraktiken zu berücksichtigen, in dessen Rahmen im Zusammenhang mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung ein Standardformblatt für den Informationsaustausch entwickelt wird. Es ist zudem angebracht, in koordinierter Weise eng mit der OECD zusammenzuarbeiten, und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Entwicklung eines solchen Standardformblatts für den verpflichtenden automatischen Informationsaustausch. Ziel sollte es letztlich sein, weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, wobei die Union eine führende Rolle übernehmen sollte, indem sie sich dafür einsetzt, dass möglichst viele Informationen über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung automatisch ausgetauscht werden müssen.
- (14)
- Die Mitgliedstaaten sollten Basisinformationen austauschen, und eine begrenzte Zahl von Basisinformationen sollte auch der Kommission übermittelt werden. Dies sollte es der Kommission ermöglichen, die effektive Anwendung des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung jederzeit zu verfolgen und zu bewerten. Die Kommission sollte die übermittelten Angaben jedoch nicht für andere Zwecke verwenden. Eine solche Informationsübermittlung würde einen Mitgliedstaat jedoch nicht von seiner Verpflichtung entbinden, etwaige staatliche Beihilfen bei der Kommission anzumelden.
- (15)
- Rückmeldungen des Mitgliedstaats, der die Informationen erhält, an den die Informationen übermittelnden Mitgliedstaat sind eine unverzichtbare Voraussetzung für ein effektives System des automatischen Informationsaustauschs. Daher ist es angebracht zu betonen, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten den anderen betroffenen Mitgliedstaaten einmal jährlich eine Rückmeldung zum automatischen Informationsaustausch übermitteln sollten. In der Praxis sollten diese obligatorischen Rückmeldungen nach bilateral vereinbarten praktischen Regelungen erfolgen.
- (16)
- Falls erforderlich sollte sich ein Mitgliedstaat im Anschluss an den verpflichtenden automatischen Informationsaustausch nach der vorliegenden Richtlinie auf Artikel 5 der Richtlinie 2011/16/EU im Hinblick auf den Informationsaustausch auf Ersuchen berufen können, um zusätzliche Informationen, einschließlich des vollständigen Wortlauts von grenzüberschreitenden Vorbescheiden oder Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung, von dem Mitgliedstaat, der solche Bescheide erlassen oder solche Vereinbarungen getroffen hat, zu erlangen.
- (17)
- Es sollte darauf hingewiesen werden, dass Artikel 21 Absatz 4 der Richtlinie 2011/16/EU die sprach- und übersetzungsbezogenen Anforderungen an Ersuchen um Zusammenarbeit, einschließlich Zustellungsersuchen, und beigefügte Schriftstücke festlegt. Diese Bestimmung sollte auch in Fällen anwendbar sein, in denen die Mitgliedstaaten im Anschluss an die Phase des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung zusätzliche Informationen anfordern.
- (18)
- Die Mitgliedstaaten sollten alle angemessenen Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, um etwaige Hindernisse zu beseitigen, die einem effektiven und möglichst umfassenden verpflichtenden automatischen Informationsaustausch über grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung entgegenstehen könnten.
- (19)
- Um einen effizienteren Ressourceneinsatz zu gewährleisten, den Informationsaustausch zu erleichtern und zu vermeiden, dass alle Mitgliedstaaten ähnliche Änderungen an ihren Systemen zur Speicherung von Informationen vornehmen müssen, sollte eine spezifische Bestimmung zur Einrichtung eines Zentralverzeichnisses vorgesehen werden, das für alle Mitgliedstaaten und die Kommission zugänglich ist und in das die Mitgliedstaaten ihre Informationen zwecks Abspeicherung hochladen würden, anstatt diese Informationen über ein gesichertes E-Mail-System untereinander auszutauschen. Die für die Einrichtung eines solchen Verzeichnisses erforderlichen praktischen Regelungen sollten von der Kommission nach dem in Artikel 26 Absatz 2 der Richtlinie 2011/16/EU genannten Verfahren erlassen werden.
- (20)
- In Anbetracht der Art und des Umfangs der mit der Richtlinie 2014/107/EU des Rates(5) und der vorliegenden Richtlinie eingeführten Änderungen sollte der in der Richtlinie 2011/16/EU vorgesehene zeitliche Rahmen für die Vorlage von Informationen, Statistiken und Berichten ausgeweitet werden. Eine solche Ausweitung sollte gewährleisten, dass die bereitzustellenden Informationen die aufgrund der Änderungen gewonnenen Erfahrungen widerspiegeln können. Sie sollte sowohl für die Statistiken und andere von den Mitgliedstaaten vor dem 1. Januar 2018 zu übermittelnde Informationen als auch für den Bericht — und gegebenenfalls den Vorschlag — gelten, den die Kommission vor dem 1. Januar 2019 vorzulegen hat.
- (21)
- Die bestehenden Bestimmungen zur Vertraulichkeit sollten geändert werden, um der Ausweitung des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs auf grenzüberschreitende Vorbescheide und Vorabverständigungen über die Verrechnungspreisgestaltung Rechnung zu tragen.
- (22)
- Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Insbesondere zielt diese Richtlinie darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten und der unternehmerischen Freiheit sicherzustellen.
- (23)
- Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich eine effiziente Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten unter Bedingungen, die mit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts vereinbar sind, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr wegen der erforderlichen Einheitlichkeit und Wirksamkeit auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Verwirklichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.
- (24)
- Die Richtlinie 2011/16/EU sollte daher entsprechend geändert werden —
HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
Stellungnahme vom 27. Oktober 2015 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
- (2)
ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 64.
- (3)
Stellungnahme vom 14. Oktober 2015 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
- (4)
Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (ABl. L 64 vom 11.3.2011, S. 1).
- (5)
Richtlinie 2014/107/EU des Rates vom 9. Dezember 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung (ABl. L 359 vom 16.12.2014, S. 1).
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