Artikel 7 RL 2016/800/EU
Recht auf individuelle Begutachtung
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die besonderen Bedürfnisse von Kindern in Bezug auf Schutz, Erziehung, Ausbildung und soziale Integration berücksichtigt werden.
(2) Zu diesem Zweck werden Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, einer individuellen Begutachtung unterzogen. Bei der individuellen Begutachtung wird insbesondere der Persönlichkeit und dem Reifegrad des Kindes, dem wirtschaftlichen, sozialen und familiären Hintergrund des Kindes und möglichen spezifischen Schutzbedürftigkeiten des Kindes Rechnung getragen.
(3) Umfang und Genauigkeit der individuellen Begutachtung richten sich nach den Umständen des Einzelfalles, den Maßnahmen, die ergriffen werden können, falls das Kind der zur Last gelegten Straftat für schuldig befunden wird, und danach, ob das Kind in der jüngeren Vergangenheit einer individuellen Begutachtung unterzogen wurde.
(4) Die individuelle Begutachtung dient der Feststellung und der im Einklang mit dem im betroffenen Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahren vorzunehmenden Aufzeichnung der Informationen über den individuellen Charakter und die individuellen Umstände des Kindes, die den zuständigen Behörden von Nutzen sein können, wenn sie
- a)
- festlegen, ob spezifische Maßnahmen zugunsten des Kindes ergriffen werden sollten,
- b)
- bewerten, ob vorbeugende Maßnahmen in Bezug auf das Kind angemessen und wirksam sind,
- c)
- im Zusammenhang mit dem Strafverfahren, einschließlich der Verurteilung, eine Entscheidung treffen oder eine Maßnahme ergreifen.
(5) Die individuelle Begutachtung erfolgt in der frühestmöglichen geeigneten Phase des Verfahrens, und, nach Maßgabe des Absatzes 6, vor Anklageerhebung.
(6) Fehlt es an einer individuellen Begutachtung, kann die Anklageschrift dennoch vorgelegt werden, wenn dies dem Kindeswohl dient und die individuelle Begutachtung in jedem Fall zu Beginn der Hauptverhandlungen zur Verfügung steht.
(7) Individuelle Begutachtungen werden unter enger Einbeziehung des Kindes vorgenommen. Sie werden von qualifiziertem Personal und so weit wie möglich im Rahmen eines multidisziplinären Vorgehens sowie, soweit angemessen, unter Einbeziehung des Trägers der elterlichen Verantwortung oder eines anderen geeigneten Erwachsenen gemäß Artikel 5 und Artikel 15 und/oder eines Sachverständigen durchgeführt.
(8) Tritt eine wesentliche Änderung der Elemente ein, die der individuellen Begutachtung zugrunde liegen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die individuelle Begutachtung im Zuge des Strafverfahrens auf den neuesten Stand gebracht wird.
(9) Die Mitgliedstaaten können von der Verpflichtung zur Vornahme einer individuellen Begutachtung abweichen, wenn dies aufgrund der Umstände des Falles gerechtfertigt ist und mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
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