Präambel RL 2016/881/EU

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 113 und 115,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(1),

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(2),

gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
In den letzten Jahren haben sich Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu einer erheblichen Herausforderung entwickelt und sind in der Europäischen Union sowie weltweit in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Der automatische Informationsaustausch ist in dieser Hinsicht ein wichtiges Instrument: In ihrer Mitteilung vom 6. Dezember 2012, die einen Aktionsplan zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung darlegt, hat die Kommission betont, dass der automatische Informationsaustausch als künftiger europäischer und internationaler Standard für Transparenz und Informationsaustausch in Steuerfragen nachdrücklich gefördert werden muss. Der Europäische Rat forderte in seinen Schlussfolgerungen vom 22. Mai 2013 eine Erweiterung des automatischen Informationsaustauschs sowohl auf Unionsebene als auch auf globaler Ebene, um Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung einzudämmen.
(2)
Da multinationale Unternehmensgruppen in verschiedenen Ländern tätig sind, bietet sich ihnen die Möglichkeit der aggressiven Steuerplanung, die inländischen Unternehmen nicht zur Verfügung steht. In diesem Fall sind inländische Unternehmen — in der Regel kleine und mittlere Unternehmen (KMU) — unter Umständen besonders benachteiligt, da ihre Steuerbelastung höher ist als die der multinationalen Unternehmensgruppen. Auf der anderen Seite können allen Mitgliedstaaten Einnahmen entgehen, und es besteht die Gefahr, dass ein Wettbewerb um multinationale Unternehmensgruppen entsteht, die mit weiteren Steuervergünstigungen angelockt werden sollen.
(3)
Die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten benötigen umfassende und relevante Informationen über multinationale Unternehmensgruppen betreffend ihre Struktur, ihre Verrechnungspreispolitik und ihre internen Transaktionen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Union. Diese Informationen ermöglichen es den Steuerbehörden, schädlichen Steuerpraktiken durch Änderungen der Rechtsvorschriften oder die Durchführung angemessener Risikobewertungen und Steuerprüfungen zu begegnen und festzustellen, ob Unternehmen Praktiken angewendet haben, die zu einer künstlichen Verlagerung erheblicher Gewinnbeträge in Gebiete mit günstigerer Besteuerung führen.
(4)
Eine erhöhte Transparenz gegenüber den Steuerbehörden könnte für multinationale Unternehmensgruppen einen Anreiz schaffen, bestimmte Praktiken aufzugeben und ihren gerechten Anteil am Steueraufkommen in dem Land zu entrichten, in dem die Gewinne erzielt werden. Die Erhöhung der Transparenz für multinationale Unternehmensgruppen ist daher ein wesentlicher Bestandteil der Bekämpfung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung.
(5)
Die Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD)(3) gibt den multinationalen Unternehmensgruppen in der Union ein Verfahren an die Hand, mit dem sie den Steuerbehörden Informationen über ihre weltweiten Geschäfte und ihre Verrechnungspreispolitik (im Folgenden „Master File” ) sowie über die konkreten Transaktionen der inländischen Geschäftseinheit (im Folgenden „Local File” ) zur Verfügung stellen können. Der EU TPD sieht jedoch derzeit keinen Mechanismus für die Bereitstellung eines länderbezogenen Berichts vor.
(6)
Im länderbezogenen Bericht sollten multinationale Unternehmensgruppen jährlich und für alle Steuerhoheitsgebiete, in denen sie einer Geschäftstätigkeit nachgehen, die Höhe ihrer Erträge, ihrer Vorsteuergewinne sowie ihrer bereits gezahlten und noch zu zahlenden Ertragsteuern angeben. Außerdem sollten sie Angaben zur Zahl ihrer Beschäftigten, ihrem ausgewiesenen Kapital, ihren einbehaltenen Gewinnen und ihren materiellen Vermögenswerten in den einzelnen Steuerhoheitsgebieten machen. Schließlich sollten sie alle Geschäftseinheiten der Gruppe nennen, die in einem bestimmten Steuerhoheitsgebiet tätig sind, und Informationen zu den von den einzelnen Geschäftseinheiten ausgeübten Geschäftstätigkeiten liefern.
(7)
Um eine effizientere Nutzung öffentlicher Mittel zu gewährleisten und den Verwaltungsaufwand für multinationale Unternehmensgruppen zu verringern, sollte die Berichterstattungspflicht nur für multinationale Unternehmensgruppen gelten, deren jährlicher konsolidierter Gesamtumsatz einen bestimmten Betrag überschreitet. Mit dieser Richtlinie sollte gewährleistet werden, dass in der gesamten Union die gleichen Informationen gesammelt und den Steuerverwaltungen zeitnah zur Verfügung gestellt werden.
(8)
Um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, muss die Union für einen fairen Wettbewerb zwischen den multinationalen Unternehmensgruppen in der Union und den multinationalen Unternehmensgruppen aus Drittländern mit einer oder mehreren Geschäftseinheiten in der Union sorgen. Beide sollten daher der Berichterstattungspflicht unterliegen. Um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten, sollten die Mitgliedstaaten jedoch bei einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Geschäftseinheit, die weder die oberste Muttergesellschaft noch die vertretende Muttergesellschaft einer multinationalen Unternehmensgruppe ist, die Berichterstattungspflicht für ein Jahr aussetzen können.
(9)
Die Mitgliedstaaten sollten für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften Sanktionen festlegen und dafür sorgen, dass diese Sanktionen angewendet werden. Die Wahl der Sanktionen bleibt zwar den Mitgliedstaaten überlassen, doch sollten die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
(10)
Um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, muss sichergestellt werden, dass die Mitgliedstaaten aufeinander abgestimmte Vorschriften über die Transparenzpflichten multinationaler Unternehmensgruppen erlassen.
(11)
Die Richtlinie 2011/16/EU des Rates(4) sieht in einigen Bereichen bereits einen verpflichtenden automatischen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten vor.
(12)
Der verpflichtende automatische Austausch länderbezogener Berichte zwischen den Mitgliedstaaten sollte in jedem Fall auch die Übermittlung bestimmter Basisinformationen umfassen, zu denen diejenigen Mitgliedstaaten Zugang hätten, in denen gemäß den im Bericht enthaltenen Informationen eine oder mehrere Geschäftseinheiten der multinationalen Unternehmensgruppe entweder steuerlich ansässig oder in Bezug auf die Geschäftstätigkeiten, denen sie über eine Betriebsstätte nachgehen, steuerpflichtig sind.
(13)
Um die Kosten und den Verwaltungsaufwand sowohl für die Steuerverwaltungen als auch für die multinationalen Unternehmensgruppen so gering wie möglich zu halten, gilt es, Vorschriften festzulegen, die den internationalen Entwicklungen Rechnung tragen, und positiv zu ihrer Umsetzung beizutragen. Am 19. Juli 2013 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihren Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (im Folgenden „BEPS-Aktionsplan” ) veröffentlicht, der eine wichtige Initiative zur Änderung der bestehenden internationalen Steuervorschriften darstellt. Am 5. Oktober 2015 hat die OECD ihre Abschlussberichte vorgelegt, die von den Finanzministern der G20 gebilligt wurden. Auf der Tagung vom 15. und 16. November 2015 wurde das Maßnahmenpaket der OECD auch von den Staats- und Regierungschefs der G20 gebilligt.
(14)
Die Arbeiten zum Aktionspunkt 13 des BEPS-Aktionsplans führten zu einer Reihe von Standards für die Bereitstellung von Informationen über multinationale Unternehmensgruppen, wozu auch das Master File, das Local File und der länderbezogene Bericht zählen. Bei der Festlegung von Vorschriften für die länderbezogenen Berichte sollten daher auch die OECD-Standards berücksichtigt werden.
(15)
Kann eine Geschäftseinheit nicht alle zur Erfüllung der Berichterstattungspflicht gemäß dieser Richtlinie erforderlichen Informationen erhalten oder einholen, könnten die Mitgliedstaaten dies als Hinweis betrachten, dass eine Beurteilung der hohen Risiken der Verrechnungspreisgestaltung und anderer Risiken der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung im Zusammenhang mit dieser multinationalen Unternehmensgruppe erforderlich ist.
(16)
Wenn ein Mitgliedstaat feststellt, dass ein anderer Mitgliedstaat es über einen längeren Zeitraum hinweg versäumt hat, länderbezogene Berichte automatisch bereitzustellen, sollte er sich bemühen, den genannten Mitgliedstaat zu konsultieren.
(17)
Insbesondere sollte bei Maßnahmen der Union im Bereich der länderbezogenen Berichterstattung auch weiterhin künftigen Entwicklungen auf OECD-Ebene Rechnung getragen werden. Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten als Referenz oder zur Auslegung der Richtlinie den von der OECD erstellten Abschlussbericht 2015 zu Aktionspunkt 13 des OECD/G20-Projekts „Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung” heranziehen, um eine einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
(18)
Für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über den länderbezogenen Bericht müssen die sprachlichen Anforderungen festgelegt werden. Außerdem müssen die notwendigen praktischen Vorkehrungen für die Modernisierung des Gemeinsamen Kommunikationsnetzes nach Artikel 3 Nummer 13 der Richtlinie 2011/16/EU (im Folgenden „CCN-Netz” ) getroffen werden. Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung von Artikel 20 Absatz 6 und Artikel 21 Absatz 6 der Richtlinie 2011/16/EU sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Diese Befugnisse sollten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates(5) ausgeübt werden.
(19)
Um eine effizientere Nutzung von Ressourcen zu gewährleisten, den Informationsaustausch zu erleichtern und zu vermeiden, dass alle Mitgliedstaaten ähnliche Anpassungen ihrer Systeme vornehmen müssen, sollte der Informationsaustausch über das CCN-Netz erfolgen. Die für die Modernisierung des Systems erforderlichen praktischen Regelungen sollten von der Kommission nach dem in Artikel 26 Absatz 2 der Richtlinie 2011/16/EU genannten Verfahren erlassen werden.
(20)
Der Umfang des verpflichtenden Informationsaustauschs sollte daher um den automatischen Austausch von Informationen über den länderbezogene Bericht erweitert werden.
(21)
In den jährlichen Berichten der Mitgliedstaaten an die Kommission gemäß Artikel 23 der Richtlinie 2011/16/EU sollten der Umfang der Vorlage landesspezifischer Informationen gemäß Artikel 8aa und Anhang III Abschnitt II Nummer 1 jener Richtlinie im Einzelnen angegeben und eine Auflistung der Staaten vorgenommen werden, in denen die obersten Muttergesellschaften von Geschäftseinheiten mit Sitz in der Union ansässig sind, in denen aber keine vollständigen Berichte vorgelegt oder ausgetauscht wurden.
(22)
Die gemäß dieser Richtlinie ausgetauschten Informationen führen nicht zur Preisgabe eines Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens oder von Informationen, deren Preisgabe die öffentliche Ordnung verletzen würde.
(23)
Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.
(24)
Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich eine effiziente Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten, unter Bedingungen, die mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts vereinbar sind, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen der erforderlichen Einheitlichkeit und Wirksamkeit auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Verwirklichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.
(25)
Die Richtlinie 2011/16/EU sollte daher entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 12. Mai 2016 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(2)

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 28. April 2016 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3)

Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 27. Juni 2006 zu einem Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation für verbundene Unternehmen in der Europäischen Union (EU TPD) (ABl. C 176 vom 28.7.2006, S. 1).

(4)

Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (ABl. L 64 vom 11.3.2011, S. 1).

(5)

Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13).

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