ANHANG VI RL 95/21/EG

KRITERIEN FÜR DAS FESTHALTEN EINES SCHIFFES gemäß Artikel 9 Absatz 3

Einleitung

Vor der Entscheidung, ob die bei einer Überprüfung festgestellten Mängel das Festhalten des betreffenden Schiffes rechtfertigen, wendet der Besichtiger die unter den Nummern 1 und 2 aufgeführten Kriterien an. Nummer 3 enthält Beispiele von Mängeln, die für sich allein genommen das Festhalten eines Schiffes rechtfertigen können (vgl. Artikel 9 Absatz 3). Liegt der Grund für das Festhalten in einem zufällig eingetretenen Schaden des Schiffs auf der Fahrt zu einem Hafen, so ist das Festhalten unter folgenden Voraussetzungen nicht anzuordnen:
1.
Den Anforderungen der SOLAS-Regel I/11 (c) hinsichtlich der Notifizierung der Behörden des Flaggenstaats und der für die Ausstellung des entsprechenden Zeugnisses verantwortlichen anerkannten Organisation wurde Rechnung getragen;
2.
vor der Einfahrt in den Hafen hat der Kapitän oder der Reeder der zuständigen Behörde Angaben zu den Umständen des Schadenseintritts und zum Umfang des entstandenen Schadens gemacht sowie Informationen zu der vorgeschriebenen Notifizierung der Behörden des Flaggenstaates mitgeteilt;
3.
geeignete Behebungsmaßnahmen werden vom Schiff zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde durchgeführt und
4.
die zuständige Behörde hat sich, nachdem ihr der Abschluß der Behebungsmaßnahmen angezeigt wurde, davon überzeugt, daß Mängel, von denen eindeutig Gefahren für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt ausgingen, abgestellt wurden.

1.
Hauptkriterien

Der Besichtiger legt seinem fachlichen Urteil darüber, ob ein Schiff festgehalten werden soll oder nicht, folgende Kriterien zugrunde:

    Zeitpunkt

    Schiffe, deren Sicherheitszustand ein Auslaufen nicht gestattet, werden ungeachtet der Dauer ihres Aufenthaltes im Hafen bereits bei der ersten Überprüfung festgehalten.

    Kriterium

    Das Schiff wird festgehalten, falls es so schwerwiegende Mängel aufweist, daß ein Besichtiger zu dem Schiff zurückkehren muß, um sich persönlich davon zu überzeugen, daß die Mängel vor dem Auslaufen beseitigt worden sind.

    Besteht die Notwendigkeit, daß der Besichtiger zu dem Schiff zurückkehrt, so werden die Mängel damit als schwerwiegend eingestuft. Jedoch erwächst daraus nicht in jedem Fall eine entsprechende Verpflichtung. Es ergibt sich daraus allerdings die Notwendigkeit, daß die Behörde auf irgendeine Weise, vorzugsweise durch eine weitere Besichtigung, feststellt, daß die Mängel vor dem Auslaufen beseitigt worden sind.

2.
Anwendung der Hauptkriterien

Bei der Entscheidung, ob die bei dem Schiff festgestellten Mängel schwerwiegend genug sind, um ein Festhalten zu rechtfertigen, muß der Besichtiger für sich folgende Fragen beantworten:
1.
Verfügt das Schiff über die einschlägigen gültigen Unterlagen?
2.
Verfügt das Schiff über die nach dem Schiffsbesatzungszeugnis erforderliche Besatzung?
Bei der Überprüfung stellt der Besichtiger fest, ob Schiff und/oder Besatzung während der gesamten bevorstehenden Reise zu folgendem in der Lage sind:
3.
sichere Navigation,
4.
sicherer Umschlag und sichere Beförderung der Ladung sowie Überwachung ihres Zustandes,
5.
sichere Bedienung im Maschinenraum,
6.
Aufrechterhaltung der einwandfreien Funktion von Antrieb und Ruderanlage,
7.
wirksame Brandbekämpfung in jedem Teil des Schiffes, falls erforderlich,
8.
schnelles und sicheres Verlassen des Schiffes und Durchführung von Rettungsmaßnahmen, falls erforderlich,
9.
Verhütung der Umweltverschmutzung,
10.
Wahrung ausreichender Stabilität,
11.
Aufrechterhaltung einer ausreichenden Wasserdichtigkeit,
12.
Verständigung in Notsituationen, falls erforderlich,
13.
Vorsorge für Sicherheit und Gesundheit an Bord,
14.
Erteilung möglichst umfassender Informationen im Unglücksfall.
Ergibt sich unter Berücksichtigung aller festgestellten Mängel, daß irgendeine dieser Anforderungen nicht erfüllt wird, so ist das Festhalten des Schiffes ernsthaft in Betracht zu ziehen. Ein Zusammentreffen mehrerer weniger schwerwiegender Mängel kann ebenfalls das Festhalten des Schiffes rechtfertigen.

3. Als Hilfestellung für den Besichtiger bei der Anwendung dieser Richtlinien folgt eine Liste von Mängeln, die nach den einschlägigen Übereinkommen und/oder Codes angeordnet sind und die als so schwerwiegend angesehen werden, daß sie das Festhalten des betreffenden Schiffes rechtfertigen können. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die ein Festhalten rechtfertigenden Mängel im Bereich des STCW-Übereinkommens von 1978, die im folgenden unter Ziffer 3.8 aufgeführt sind, sind jedoch die einzigen Gründe für ein Festhalten nach diesem Übereinkommen.

3.1.
Allgemeines

Fehlen der in den einschlägigen Übereinkünften vorgeschriebenen gültigen Zeugnisse und Unterlagen. Schiffe, die die Flagge eines Staates führen, der nicht Vertragspartei eines Übereinkommens (bzw. einer einschlägigen Übereinkunft) ist oder eine andere einschlägige Übereinkunft nicht anwendet, sind jedoch nicht berechtigt, die in dem Übereinkommen oder der einschlägigen Übereinkunft vorgeschriebenen Zeugnisse mit sich zu führen. Daher sollte das Fehlen der vorgeschriebenen Zeugnisse allein noch kein Grund für das Festhalten der betreffenden Schiffe sein; jedoch ist unter Anwendung der Nichtbegünstigungsklausel die inhaltliche Einhaltung der Vorschriften zu verlangen, bevor dem Schiff das Auslaufen gestattet wird.

3.2.
Bereiche, die unter das SOLAS-Übereinkommen fallen (Bezüge in Klammern)

1.
Störung des Antriebs und anderer wichtiger Maschinen sowie der elektrischen Anlagen.
2.
Unzureichende Sauberkeit des Maschinenraums, übermäßiges Auftreten von Öl-Wasser-Gemischen in den Bilgen, Isolierung der Rohrleitungen einschließlich der Abgasleitungen des Maschinenraums mit Öl verschmutzt, fehlerhaftes Arbeiten der Lenzpumpenanlagen.
3.
Störung von Notstromaggregat, Beleuchtung, Batterien und Schaltern.
4.
Störung der Haupt- und der Hilfsruderanlage.
5.
Fehlen, ungenügendes Fassungsvermögen oder schwere Beschädigung der persönlichen Rettungsmittel, der Überlebensfahrzeuge sowie der Aussetzvorrichtungen.
6.
Fehlen, nicht vorschriftsmäßiger Zustand oder schwere Beschädigung der Feuermeldeanlage, der Feueralarmanlage, der Feuerlöschausrüstung, der fest installierten Feuerlöschanlagen, der Lüftungsventile, der Brandklappen, der Schnellverschlußvorrichtungen, und zwar in einem Ausmaß, daß sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen können.
7.
Fehlen, schwere Beschädigung oder Störung der Brandschutzeinrichtungen des Ladungsbereichs bei Tankern.
8.
Fehlen, nicht vorschriftsmäßiger Zustand oder schwere Beschädigung der Signallichter, Signalkörper oder der Schallsignale.
9.
Fehlen oder Störung der Funkausrüstung für Not- und Sicherheitsverkehr.
10.
Fehlen oder Störung der Navigationsausrüstung; dabei ist der SOLAS-Regel V/12 (o) Rechnung zu tragen.
11.
Fehlen berichtigter Seekarten für Navigationszwecke und/oder aller sonstigen einschlägigen nautischen Veröffentlichungen, die für die beabsichtigte Reise erforderlich sind; dabei ist zu berücksichtigen, daß elektronische Seekarten als Ersatz für die Seekarten aus Papier verwendet werden dürfen.
12.
Fehlen einer funkenfreien Lüftung für Ladepumpenräume (SOLAS-Regel 11-2/59.3.1).
13.
Schwerwiegende Mängel bei den betrieblichen Anforderungen gemäß Abschnitt 5.5 von Anhang 1 der Pariser Vereinbarung.
14.
Anzahl, Zusammensetzung oder Befähigungszeugnisse der Besatzung entsprechen nicht dem Schifffsbesatzungszeugnis.
15.
Nichtausführung des erweiterten Besichtigungsprogramms im Sinne des SOLAS 74 Kapitel XI Regel 2.
16.
Fehlen oder Versagen eines VDR, wenn die Benutzung eines solchen zwingend vorgeschrieben ist.

3.3.
Bereiche, die unter den IBC-Code fallen (Bezüge in Klammern)

1.
Beförderung von Stoffen, die nicht im Eignungszeugnis aufgeführt sind, oder fehlende Angaben zur Ladung (16.2).
2.
Fehlende oder beschädigte Hochdrucksicherheitsvorrichtungen (8.2.3).
3.
Elektrische Anlagen, die nicht eigensicher sind oder nicht den Anforderungen des Codes genügen (10.2.3).
4.
Mögliche Zündquellen in den unter Nummer 10.2 aufgeführten explosionsgefährdeten Bereichen (11.3.15).
5.
Nichteinhaltung der Besonderen Anforderungen (15).
6.
Überschreiten der höchstzulässigen Ladungsmenge je Tank (16.1).
7.
Unzureichender Wärmeschutz für empfindliche Ladungen (16.6).

3.4.
Bereiche, die unter den IGC-Code fallen (Bezüge in Klammern)

1.
Beförderung von Stoffen, die nicht im Eignungszeugnis aufgeführt sind, oder fehlende Angaben zur Ladung (18.1).
2.
Fehlende Verschlußeinrichtungen für Unterkunfts- oder Wirtschaftsräume (3.2.6).
3.
Nicht gasdichte Schotten (3.3.2).
4.
Fehlerhafte Gasschleusen (3.6).
5.
Fehlende oder fehlerhafte Schnellschlußventile (5.6).
6.
Fehlende oder fehlerhafte Sicherheitsventile (8.2).
7.
Elektrische Anlagen, die nicht eigensicher sind oder nicht den Anforderungen des Codes genügen (10.2.4).
8.
Nicht funktionsfähige Lüfter im Ladungsbereich (12.1).
9.
Druckalarm für Ladetanks nicht funktionsfähig (13.4.1).
10.
Gasspüranlage und/oder Giftgasspüranlage fehlerhaft (13.6).
11.
Beförderung von Ladungen, die ohne gültige Bescheinigung über die Stabilisierung nicht befördert werden dürfen (17/19).

3.5.
Bereiche, die unter das Freibord-Übereinkommen fallen

1.
Größere Bereiche mit Schäden oder Korrosion, Lochfraß in Beplattung und Steifen von Decks und Schiffskörper, wodurch die Seetüchtigkeit und die Festigkeit bei örtlichen Belastungen beeinträchtigt werden, sofern nicht eine sachgemäße vorläufige Reparatur für die Reise zu einem Hafen zwecks dauerhafter Reparatur durchgeführt worden ist.
2.
Festgestellter Fall von unzureichender Stabilität.
3.
Fehlen ausreichender und zuverlässiger Angaben in zugelassener Form, die dem Kapitän rasch und einfach die Möglichkeit bieten, Ladung und Ballast seines Schiffes so zu verteilen, daß eine für die Sicherheit des Schiffes ausreichende Stabilität in allen Phasen und bei unterschiedlichen Bedingungen im Laufe der Reise gewährleistet ist und daß die schiffbaulichen Verbände keinen unannehmbaren Belastungen ausgesetzt werden.
4.
Fehlen, schwere Beschädigung oder Mängel der Verschlußeinrichtungen, der Lukenverschlüsse und der wasserdichten Türen.
5.
Überladung.
6.
Fehlen oder Unleserlichkeit der Tiefgangsmarke.

3.6.
Bereiche, die unter Anhang I des ALARPOL-Übereinkommens fallen (Bezugsvermerke in Klammern)

1.
Die Öl-Wasser-Separatoranlage, das Überwachungs- und Kontrollsystem für das Einleiten von Öl oder die 15-ppm-Alarmvorrichtungen fehlen, weisen schwere Schäden auf oder funktionieren nicht einwandfrei.
2.
Der verbleibende Raum im Sloptank und/oder Ölschlammtank reicht für die vorgesehene Fahrt nicht mehr aus.
3.
Das Öltagebuch ist nicht vorhanden (Regel 20 Absatz 5).
4.
Es wurden unzulässige Verbindungsleitungen nach außenbords eingebaut.
5.
Die Akte der Besichtigungsberichte fehlt oder entspricht nicht Regel 13G(3)(b) des Marpol-Übereinkommens.

3.7.
Bereiche, die unter Anhang II des ALARPOL-Übereinkommens fallen (Bezugsvermerke in Klammern)

1.
Fehlen des P& A-Handbuchs.
2.
Die Ladung ist nicht eingestuft (Regel 3 Absatz 4).
3.
Das Ladungstagebuch ist nicht vorhanden (Regel 9 Absatz 6).
4.
Es werden ölartige Stoffe unter Vernachlässigung der Auflagen bzw. ohne entsprechend geändertes Zeugnis befördert (Regel 14).
5.
Es wurden unzulässige Verbindungsleitungen nach außenbords eingebaut.

3.8.
Bereiche, die unter das STCW-Übereinkommen fallen

1.
Für ein Besatzungsmitglied liegt kein Befähigungszeugnis oder kein ausreichendes Befähigungszeugnis, keine gültige Befreiung oder der Nachweis eines bei den Behörden des Flaggenstaats gestellten Antrags auf Erteilung eines Vermerks auf einem Befähigungszeugnis vor.
2.
Die geltenden Besatzungsvorschriften der Behörden des Flaggenstaats wurden nicht eingehalten.
3.
Die Vorkehrungen für Brücken- oder Maschinenwache entsprechen nicht den für das Schiff geltenden Anforderungen der Behörden des Flaggenstaats.
4.
Es befindet sich keine Person auf Wache, die für den Betrieb von Ausrüstungen qualifiziert ist, die für die sichere Schiffsführung, den sicheren Funkverkehr oder die Verhütung von Umweltverschmutzung auf See von wesentlicher Bedeutung sind.
5.
Es fehlt ein Nachweis über die berufliche Befähigung der Seeleute im Hinblick auf die Wahrnehmung der Aufgaben im Zusammenhang mit der Schiffssicherheit und der Verhütung von Verschmutzung.
6.
Für die erste Wache bei Fahrtbeginn und für spätere Wachablösungen können keine Personen gestellt werden, die ausreichend ausgeruht und in sonstiger Weise dienstfähig sind.

3.9.
Bereiche, die unter IAO-Übereinkommen fallen

1.
Die Verpflegung reicht für die Fahrt bis zum nächsten Hafen nicht aus.
2.
Der Trinkwasservorrat reicht für die Fahrt bis zum nächsten Hafen nicht aus.
3.
Die hygienischen Verhältnisse an Bord sind äußerst unzureichend.
4.
In den Unterkunftsräumen eines Schiffes, das in Gebieten mit unter Umständen sehr niedrigen Temperaturen verkehrt, ist keine Heizung vorhanden.
5.
Extreme Verschmutzung durch Schiffsmüll, Blockierung der Gänge/Unterkunftsräume durch Ausrüstung oder Ladung oder sonstige die Sicherheit gefährdende Zustände.

3.10.
Bereiche, die zwar kein Festhalten, aber zum Beispiel das Aussetzen der Lade- oder Löschvorgänge rechtfertigen können

Störung (oder mangelhafte Wartung) des Inertgassystems, der Umschlagsvorrichtungen oder -maschinen stellen einen ausreichenden Grund dar, um Lade- bzw. Löschvorgänge zu stoppen.

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