Präambel VO (EG) 2006/816

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95 und Artikel 133,

auf Vorschlag der Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses(1),

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags(2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Am 14. November 2001 verabschiedete die 4. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) die Erklärung von Doha betreffend das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Übereinkommen) und die öffentliche Gesundheit. In dieser Erklärung wird anerkannt, dass jedem WTO-Mitglied das Recht zusteht, Zwangslizenzen zu erteilen und die Gründe zu bestimmen, nach denen derartige Lizenzen erteilt werden. Ferner wird darin anerkannt, dass WTO-Mitglieder, die über keine oder unzureichende Fertigungskapazitäten im pharmazeutischen Sektor verfügen, Schwierigkeiten haben könnten, die Zwangslizenzen wirksam zu nutzen.
(2)
Am 30. August 2003 verabschiedete der Allgemeine Rat der WTO in Anbetracht der von seinem Vorsitzenden verlesenen Erklärung einen Beschluss über die Durchführung von Ziffer 6 der Doha-Erklärung betreffend das TRIPS-Übereinkommen und die öffentliche Gesundheit (nachstehend „Beschluss” genannt). Unter bestimmten Voraussetzungen hebt der Beschluss bestimmte Verpflichtungen des TRIPS-Übereinkommens hinsichtlich der Erteilung von Zwangslizenzen auf, um den Bedürfnissen von WTO-Mitgliedern gerecht zu werden, die über unzureichende Fertigungskapazitäten verfügen.
(3)
Die Gemeinschaft hat sich aktiv für die Verabschiedung des Beschlusses eingesetzt; sie hat sich gegenüber der WTO verpflichtet, in vollem Umfang zur Umsetzung des Beschlusses beizutragen; sie hat ferner alle WTO-Mitglieder aufgerufen, dafür zu sorgen, dass die Voraussetzungen für eine wirksame Anwendung des mit dem Beschluss eingeführten Systems geschaffen werden; aus diesen Gründen ist es unerlässlich, dass die Gemeinschaft dieses System in ihre Rechtsordnung überführt.
(4)
Es ist notwendig, den Beschluss einheitlich umzusetzen, damit die Voraussetzungen für die Erteilung von Zwangslizenzen für die Herstellung und den Verkauf von pharmazeutischen Erzeugnissen, die für die Ausfuhr bestimmt sind, in allen Mitgliedstaaten gleich sind und keine Wettbewerbsverzerrungen für die Wirtschaftsteilnehmer im Binnenmarkt entstehen. Mit einheitlichen Regeln soll auch verhindert werden, dass pharmazeutische Erzeugnisse, die gemäß dem Beschluss hergestellt werden, wieder in das Gebiet der Gemeinschaft eingeführt werden.
(5)
Diese Verordnung soll Teil der umfassenderen europäischen und internationalen Bestrebungen sein, Probleme im Bereich der öffentlichen Gesundheit, mit denen die am wenigsten entwickelten Länder und andere Entwicklungsländer konfrontiert sind, zu bekämpfen und vor allem den Zugang zu erschwinglichen, sicheren und wirksamen Arzneimitteln einschließlich Kombinationspräparaten, deren Qualität garantiert wird, zu verbessern. In diesem Zusammenhang sind die in den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Arzneimittel festgelegten Verfahren zur Gewährleistung der wissenschaftlichen Qualität solcher Erzeugnisse verfügbar, insbesondere das Verfahren nach Artikel 58 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur(3).
(6)
Da das mit dieser Verordnung geschaffene Zwangslizenzsystem darauf abstellt, Probleme im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu bekämpfen, sollte es redlich angewandt werden. Dieses System sollte von den Ländern nicht zur Verfolgung industrie- oder handelspolitischer Ziele genutzt werden. Diese Verordnung ist darauf ausgerichtet, einen sicheren Rechtsrahmen zu schaffen und Rechtsstreitigkeiten zu verhindern.
(7)
Da diese Verordnung Teil einer umfassenderen Initiative bezüglich des Zugangs der Entwicklungsländer zu erschwinglichen Arzneimitteln ist, sind in dem Aktionsprogramm der Kommission „Beschleunigte Aktion zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose im Rahmen der Armutslinderung” und in der Mitteilung der Kommission „Ein europäisches Gesamtkonzept für Außenmaßnahmen zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria and Tuberkulose” ergänzende Maßnahmen festgelegt. Anhaltende rasche Fortschritte sind notwendig, einschließlich Aktionen zur Unterstützung der Forschung im Bereich der Bekämpfung dieser Krankheiten und zum Ausbau der Kapazitäten in den Entwicklungsländern.
(8)
Erzeugnisse, die gemäß dieser Verordnung hergestellt werden, dürfen nur zu denen gelangen, die sie benötigen, und nicht an denen vorbeigelenkt werden, für die sie bestimmt sind. Die Erteilung von Zwangslizenzen gemäß dieser Verordnung muss daher an klare Voraussetzungen für den Lizenznehmer geknüpft werden; dies betrifft die mit der Lizenz abgedeckten Tätigkeiten, die Identifizierbarkeit der in Lizenz hergestellten pharmazeutischen Erzeugnisse und die Länder, in die diese Erzeugnisse ausgeführt werden.
(9)
Es sollten Möglichkeiten für Zollmaßnahmen an den Außengrenzen geschaffen werden, damit gegen Erzeugnisse vorgegangen werden kann, die unter einer Zwangslizenz für die Ausfuhr hergestellt und verkauft wurden, bei denen jedoch anschließend der Versuch gemacht wird, sie wieder in das Hoheitsgebiet der Gemeinschaft einzuführen.
(10)
Werden unter einer Zwangslizenz hergestellte pharmazeutische Erzeugnisse im Rahmen dieser Verordnung beschlagnahmt, so kann die zuständige Behörde im Einklang mit dem nationalen Recht beschließen, diese Erzeugnisse gemäß der erteilten Zwangslizenz in das jeweilige einführende Land zu schicken, um zu gewährleisten, dass die beschlagnahmten pharmazeutischen Erzeugnisse ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung zugeführt werden.
(11)
Um der Überproduktion und einer etwaigen Umlenkung von pharmazeutischen Erzeugnissen keinen Vorschub zu leisten, sollten die zuständigen Behörden bereits erteilte Zwangslizenzen für dieselben Erzeugnisse und Länder berücksichtigen, ferner Parallelanmeldungen, die vom Antragsteller angezeigt werden.
(12)
Da die Ziele dieser Verordnung, insbesondere die Einrichtung harmonisierter Verfahren für die Erteilung von Zwangslizenzen, die für ein reibungsloses Funktionieren des durch den Beschluss geschaffenen Systems erforderlich sind, auf Ebene der Mitgliedstaaten wegen der den ausführenden Ländern gemäß dem Beschluss zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten nicht ausreichend erreicht werden können und daher im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen auf die Wirtschaftsteilnehmer im Binnenmarkt besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
(13)
Die Gemeinschaft erkennt an, dass es äußerst wünschenswert ist, den Technologietransfer und den Aufbau von Kapazitäten in Ländern mit ungenügenden oder fehlenden Produktionskapazitäten im pharmazeutischen Sektor zu fördern, um die Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen in diesen Ländern zu fördern und auszubauen.
(14)
Um die effiziente Bearbeitung der Anträge auf Zwangslizenzen gemäß dieser Verordnung zu gewährleisten, sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, rein formale oder verwaltungstechnische Auflagen festzulegen, wie etwa Vorschriften über die Sprache des Antrags, die einzuhaltende Form, die Bezeichnung der Patente und/oder der ergänzenden Schutzzertifikate, hinsichtlich der eine Zwangslizenz beantragt wird, sowie Vorschriften für auf elektronischem Weg eingereichte Anträge.
(15)
Die einfache Formel zur Festlegung der Entschädigung soll die Erteilung einer Zwangslizenz im Fall eines nationalen Notstands, unter sonstigen Umständen von äußerster Dringlichkeit oder im Fall nichtkommerzieller öffentlicher Nutzung gemäß Artikel 31 Buchstabe b des TRIPS-Übereinkommens beschleunigen. Der Prozentsatz von 4 % könnte in anderen als den vorstehend genannten Fällen als Bezugswert für eine angemessene Entschädigung dienen —

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. C 286 vom 17.11.2005, S. 4.

(2)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 1. Dezember 2005 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 28. April 2006.

(3)

ABl. L 136 vom 30.4.2004, S. 1.

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