Artikel 5 VO (EG) 97/1466
(1) Auf der Grundlage von Bewertungen der Kommission und des Wirtschafts- und Finanzausschusses prüft der Rat im Rahmen der multilateralen Überwachung nach Artikel 121 AEUV das von dem betreffenden Mitgliedstaat angegebene mittelfristige Haushaltsziel nach den Angaben in seinem Stabilitätsprogramm; ferner bewertet er, ob die ökonomischen Annahmen, auf denen das Programm beruht, plausibel sind, ob der Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel angemessen ist — einschließlich der Prüfung des begleitenden Pfades für die Schuldenquote — und ob die laufenden oder vorgeschlagenen Maßnahmen zur Einhaltung dieses Anpassungspfads ausreichen, um das mittelfristige Haushaltsziel im Laufe des Konjunkturzyklus zu erreichen.
Der Rat und die Kommission prüfen bei der Beurteilung des Anpassungspfads in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel, ob der betreffende Mitgliedstaat eine zur Erreichung dieses mittelfristigen Haushaltsziels angemessene jährliche Verbesserung seines konjunkturbereinigten Haushaltssaldos ohne Anrechnung einmaliger und sonstiger befristeter Maßnahmen verfolgt, wobei ein Richtwert von 0,5 % des BIP zugrunde gelegt wird. Bei Mitgliedstaaten mit einem Schuldenstand von über 60 % des BIP oder mit ausgeprägten Risiken hinsichtlich der Tragfähigkeit ihrer Gesamtschulden prüfen der Rat und die Kommission, ob die jährliche Verbesserung des konjunkturbereinigten Haushaltssaldos ohne einmalige und sonstige befristete Maßnahmen über 0,5 % des BIP hinausgeht. Der Rat und die Kommission berücksichtigen dabei, ob in Zeiten guter wirtschaftlicher Entwicklung stärkere Anpassungsanstrengungen unternommen werden, während die Anstrengungen in Zeiten schlechter wirtschaftlicher Entwicklung geringer ausfallen könnten. Insbesondere sind unerwartete Mehr- und Mindereinnahmen zu berücksichtigen.
Ausreichende Fortschritte in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel werden auf der Grundlage einer Gesamtbewertung evaluiert, bei der der strukturelle Haushaltsaldo als Referenz dient, einschließlich einer Analyse der Ausgaben ohne Anrechnung diskretionärer einnahmenseitiger Maßnahmen. Hierzu prüfen der Rat und die Kommission, ob das Wachstum der Staatsausgaben bei gleichzeitiger Berücksichtigung der einnahmenseitig getroffenen oder geplanten Maßnahmen im Einklang mit den folgenden Bedingungen steht:
- a)
- bei Mitgliedstaaten, die das mittelfristige Haushaltsziel erreicht haben, geht das jährliche Ausgabenwachstum nicht über eine mittelfristige Referenzrate des potenziellen BIP-Wachstums hinaus, es sei denn, eine Überschreitung wird durch diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen in gleicher Höhe ausgeglichen;
- b)
- bei Mitgliedstaaten, die ihr mittelfristiges Haushaltsziel noch nicht erreicht haben, liegt das jährliche Ausgabenwachstum unterhalb einer mittelfristigen Referenzrate des potenziellen BIP-Wachstums, es sei denn, eine Überschreitung wird durch diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen in gleicher Höhe ausgeglichen; der Abstand der Staatsausgaben-Wachstumsrate zu einer mittelfristigen Referenzrate des potenziellen BIP-Wachstums wird so festgesetzt, dass eine angemessene Korrektur in Richtung des mittelfristigen Haushaltsziels sichergestellt ist;
- c)
- bei Mitgliedstaaten, die ihr mittelfristiges Haushaltsziel noch nicht erreicht haben, wird jede diskretionäre Senkung der Staatseinnahmen entweder durch Ausgabenkürzungen oder durch eine diskretionäre Erhöhung anderer Staatseinnahmen in gleicher Höhe oder durch beides ausgeglichen.
Die Gesamtausgaben dürfen keine Zinszahlungen, keine Ausgaben für Unionsprogramme, die vollständig durch Einnahmen aus Fonds der Union ausgeglichen werden, und keine nicht-diskretionären Änderungen der Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung beinhalten.
Ein Ausgabenwachstum, das über die mittelfristige Referenzrate hinausgeht, darf nicht als Verletzung des Richtwerts betrachtet werden, insofern es vollständig durch gesetzlich vorgeschriebene Einnahmensteigerungen ausgeglichen wird.
Die mittelfristige Referenzrate des potenziellen BIP-Wachstums wird auf der Grundlage vorwärts gerichteter Projektionen und rückwärts gerichteter Schätzungen bestimmt. Die Projektionen werden regelmäßig aktualisiert. Die Kommission veröffentlicht die Berechnungsmethode für diese Projektionen und die daraus abgeleitete mittelfristige Referenzrate des potenziellen BIP-Wachstums.
Bei der Festlegung des Anpassungspfads zur Erreichung des mittelfristigen Haushaltsziels für Mitgliedstaaten, die dieses Ziel noch nicht erreicht haben, und wenn Mitgliedstaaten, die es bereits erreicht haben, eine befristete Abweichung von diesem Ziel eingeräumt wird, sofern eine angemessene Sicherheitsmarge zum Defizit-Referenzwert beibehalten und erwartet wird, dass die Haushaltslage im Programmzeitraum wieder zum mittelfristigen Haushaltsziel zurückkehrt, tragen der Rat und die Kommission größeren Strukturreformen Rechnung, die — auch durch Steigerung des nachhaltigen Potenzialwachstums — direkte langfristige positive Auswirkungen auf den Haushalt und mithin nachprüfbare Auswirkungen auf die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen haben.
Besondere Aufmerksamkeit gilt Rentenreformen, durch die ein Mehrsäulensystem mit einer gesetzlichen, vollständig kapitalgedeckten Säule eingeführt wird. Mitgliedstaaten, die solche Reformen durchführen, dürfen vom Anpassungspfad in Richtung auf ihr mittelfristiges Haushaltsziel oder von dem Ziel selbst mit der Maßgabe abweichen, dass die Abweichung der Höhe der unmittelbaren zusätzlichen Auswirkungen der Reform auf den gesamtstaatlichen Haushaltsaldo entspricht und vorausgesetzt, eine angemessene Sicherheitsmarge zum Defizit-Referenzwert wird beibehalten.
Der Rat und die Kommission prüfen ferner, ob das Stabilitätsprogramm die Erreichung dauerhafter und echter Konvergenz im Euro-Währungsgebiet und eine engere Koordinierung der Wirtschaftspolitik erleichtert und ob die Wirtschaftspolitik des betreffenden Mitgliedstaats mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik und den beschäftigungspolitischen Leitlinien der Mitgliedstaaten und der Union vereinbar ist.
Bei einem außergewöhnlichen Ereignis, das sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaats entzieht und erhebliche Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Finanzen hat, oder bei einem schweren Konjunkturabschwung im Euro-Währungsgebiet oder in der Union insgesamt kann den Mitgliedstaaten gestattet werden, vorübergehend von dem Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel gemäß Unterabsatz 3 abzuweichen, vorausgesetzt, dies gefährdet nicht die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen.
(2) Der Rat und die Kommission prüfen das Stabilitätsprogramm innerhalb von höchstens drei Monaten nach Vorlage des Programms. Der Rat nimmt auf Empfehlung der Kommission und nach Anhörung des Wirtschafts- und Finanzausschusses bei Bedarf eine Stellungnahme zu dem Programm an. Gelangt der Rat gemäß Artikel 121 AEUV zu der Auffassung, dass die Ziele und Inhalte des Programms mit besonderem Verweis auf den Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel anspruchsvoller formuliert werden sollten, fordert er den betreffenden Mitgliedstaat in seiner Stellungnahme zur Anpassung des Programms auf.
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