Artikel 4 VO (EU) 2014/656
Schutz der Grundrechte und Grundsatz der Nichtzurückweisung
(1) Keine Person darf unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung in ein Land, in dem für sie unter anderem das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter, der Verfolgung oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht oder in dem ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, sexuellen Ausrichtung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund ihrer politischen Überzeugung gefährdet wäre oder in dem für sie eine ernsthafte Gefahr der Ausweisung, Abschiebung oder Auslieferung in ein anderes Land unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung besteht, ausgeschifft, einzureisen gezwungen oder verbracht werden oder auf andere Weise den Behörden eines solchen Landes überstellt werden.
(2) Bei der Prüfung der Möglichkeit einer Ausschiffung in einen Drittstaat im Rahmen der Planung eines Seeeinsatzes berücksichtigt der Einsatzmitgliedstaat in Abstimmung mit beteiligten Mitgliedstaaten und der Agentur die allgemeine Lage in diesem Drittstaat.
Die Bewertung der allgemeinen Lage in einem Drittstaat stützt sich auf Informationen aus einer großen Bandbreite von Quellen, zu denen andere Mitgliedstaaten, die Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union und einschlägige internationale Organisationen gehören können; ferner kann dabei berücksichtigt werden, ob Vereinbarungen und Projekte im Bereich Migration und Asyl bestehen, die im Einklang mit dem Unionsrecht und mit Mitteln der Union durchgeführt werden. Diese Bewertung ist Teil des Einsatzplans, wird den beteiligten Einsatzkräften zur Verfügung gestellt und wird nach Bedarf aktualisiert.
Abgefangene oder gerettete Personen dürfen nicht in einen Drittstaat ausgeschifft, einzureisen gezwungen, verbracht oder auf sonstige Weise den Behörden eines Drittstaats überstellt werden, wenn dem Einsatzmitgliedstaat oder den beteiligten Mitgliedstaaten bekannt ist oder bekannt sein müsste, dass dieser Drittstaat sich an den in Absatz 1 genannten Praktiken beteiligt.
(3) Bevor die abgefangenen oder geretteten Personen während eines Seeeinsatzes in einen Drittstaat ausgeschifft, einzureisen gezwungen oder verbracht oder auf andere Weise den Behörden eines Drittstaats überstellt werden, nutzen die beteiligten Einsatzkräfte, unter Berücksichtigung der Bewertung der allgemeinen Lage in dem Drittstaat gemäß Absatz 2 und unbeschadet des Artikels 3, alle Möglichkeiten, um die Identität der abgefangenen oder geretteten Personen festzustellen, ihre persönliche Situation zu bewerten, sie über ihren Zielort in einer Weise zu informieren, die die betreffenden Personen verstehen oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie sie verstehen, und geben ihnen Gelegenheit, etwaige Gründe vorzubringen, aufgrund derer sie annehmen, dass die Ausschiffung an dem vorgeschlagenen Ort gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde.
Zu diesen Zwecken werden im Einsatzplan weitere Angaben vorgesehen, wozu bei Bedarf auch die Angabe gehört, ob medizinisches Personal, Dolmetscher, Rechtsberater und sonstige einschlägige Experten des Einsatzmitgliedstaats und der beteiligten Mitgliedstaaten an Land zur Verfügung stehen. Den beteiligten Einsatzkräften sollte mindestens eine Person mit einer Grundausbildung in Erster Hilfe angehören.
Der Bericht nach Artikel 13 umfasst anhand der vom Einsatzmitgliedstaat und von den beteiligten Mitgliedstaaten bereitzustellenden Informationen weitere Einzelheiten zu den Ausschiffungen in Drittstaaten sowie Angaben darüber, wie die einzelnen Elemente der Verfahrensweisen nach Unterabsatz 1 von den beteiligten Einsatzkräften angewandt wurden, um die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu gewährleisten.
(4) Während eines gesamten Seeeinsatzes tragen die beteiligten Einsatzkräfte den besonderen Bedürfnissen von Kindern, einschließlich unbegleiteter Minderjähriger, von Opfern des Menschenhandels, von Personen, die dringend medizinischer Hilfe bedürfen, von Personen mit Behinderungen, von Personen, die internationalen Schutz benötigen, und von anderen Personen, die sich in einer besonders schwierigen Situation befinden, Rechnung.
(5) Der Austausch personenbezogener Daten, die während eines Seeeinsatzes erlangt werden, mit Drittstaaten für die Zwecke dieser Verordnung beschränkt sich auf das unbedingt erforderliche Maß und erfolgt im Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(1), dem Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates(2) und den einschlägigen nationalen Datenschutzvorschriften.
Der Austausch personenbezogener Daten von abgefangenen oder geretteten Personen, die während eines Seeeinsatzes erlangt werden, mit Drittstaaten ist verboten, wenn die ernste Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung besteht.
(6) Die beteiligten Einsatzkräfte führen ihre Aufgaben unter uneingeschränkter Achtung der Menschenwürde durch.
(7) Dieser Artikel gilt für alle Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten oder der Agentur gemäß dieser Verordnung getroffen werden.
(8) An einem Seeeinsatz beteiligte Grenzschutzbeamte und daran beteiligtes sonstiges Personal wird im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen der Grundrechte, des Flüchtlingsrechts und des internationalen Rechtsrahmens für die Suche und Rettung im Einklang mit Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 geschult.
Fußnote(n):
- (1)
Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31).
- (2)
Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden (ABl. L 350 vom 30.12.2008, S. 60).
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