Artikel 5a eIDAS (VO (EU) 2014/910)

Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität

(1) Damit alle natürlichen und juristischen Personen in der Union einen sicheren, vertrauenswürdigen und nahtlosen grenzüberschreitenden Zugang zu öffentlichen und privaten Diensten erhalten –unter Wahrung der vollständigen Kontrolle über ihre Daten –, stellt jeder Mitgliedstaat innerhalb von 24 Monaten nach dem Tag des Inkrafttretens der in Absatz 23 und Artikel 5c Absatz 6 genannten Durchführungsrechtsakte mindestens eine europäische Brieftasche für die Digitale Identität bereit.

(2) Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität werden auf eine der folgenden Art und Weisen bereitgestellt:

a)
unmittelbar von einem Mitgliedstaat,
b)
im Auftrag eines Mitgliedstaats,
c)
unabhängig von einem Mitgliedstaat, aber von diesem Mitgliedstaat anerkannt.

(3) Für den Quellcode der Anwendungssoftwarekomponenten von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität muss eine Open-Source-Lizenz gelten. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass in hinreichend begründeten Fällen der Quellcode bestimmter Komponenten, die nicht auf den Geräten des Nutzers installiert sind, nicht offengelegt wird.

(4) Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität müssen dem Nutzer Folgendes auf eine nutzerfreundliche und für ihn transparente und nachvollziehbare Weise ermöglichen:

a)
das sichere Anfordern, Erhalten, Auswählen, Kombinieren, Speichern, Löschen, Weitergeben und Vorweisen — unter alleiniger Kontrolle durch den Nutzer — elektronischer Attributsbescheinigungen und von Personenidentifizierungsdaten und, falls anwendbar, in Kombination mit elektronischen Attributsbescheinigungen, gegenüber vertrauenden Beteiligten, um sich online und, gegebenenfalls, offline für den Zugang zu öffentlichen und privaten Diensten zu authentifizieren, bei gleichzeitiger Sicherstellung, dass eine selektive Offenlegung von Daten möglich ist;
b)
das Generieren von Pseudonymen und deren verschlüsselte und lokale Speicherung in der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität;
c)
die sichere Authentifizierung der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität einer anderen Person und das Empfangen und Austauschen — zwischen den beiden europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität — von Personenidentifizierungsdaten und elektronischen Attributsbescheinigungen;
d)
den Zugang zur Protokollierung aller über die europäische Brieftasche für die Digitale Identität vorgenommenen Transaktionen über ein gemeinsames Dashboard, sodass der Nutzer in der Lage ist,

i)
eine aktuelle Auflistung der vertrauenden Beteiligten, mit denen der Nutzer eine Verbindung aufgebaut hat, und, falls anwendbar, alle weitergegebenen Daten einzusehen;
ii)
einen vertrauenden Beteiligten auf einfache Weise um die Löschung personenbezogener Daten gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) 2016/679 durch einen vertrauenden Beteiligten zu ersuchen;
iii)
eine Meldung auf einfache Weise an die zuständige nationale Datenschutzbehörde, wenn ein mutmaßlich unrechtmäßiges oder verdächtiges Ersuchen um Daten eingegangen ist;

e)
das Unterzeichnen mit qualifizierten elektronischen Signaturen oder das Siegeln mit qualifizierten elektronischen Siegeln;
f)
– soweit technisch möglich — das Herunterladen von Nutzerdaten, elektronischen Attributsbescheinigungen und Konfigurationen;
g)
die Ausübung der Rechte des Nutzers auf Datenübertragbarkeit.

(5) Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität müssen insbesondere

a)
gemeinsame Protokolle und Schnittstellen für Folgendes unterstützen:

i)
die Ausstellung von Personenidentifizierungsdaten, qualifizierten und nicht qualifizierten elektronischen Attributsbescheinigungen oder qualifizierten und nicht qualifizierten Zertifikaten für die europäische Brieftasche für die Digitale Identität;
ii)
– bei vertrauenden Beteiligten — das Anfordern und Validieren von Personenidentifizierungsdaten und elektronische Attributsbescheinigungen;
iii)
das Weitergeben und Vorweisen von Personenidentifizierungsdaten oder elektronischen Attributsbescheinigungen oder selektiv offengelegten zugehörigen Daten online und, gegebenenfalls, offline — bei vertrauenden Beteiligten;
iv)
die Interaktion mit der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität durch den Nutzer und die Anzeige eines „EU-Vertrauenssiegels der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität” ;
v)
die sichere Einbindung des Nutzers durch die Verwendung eines elektronischen Identifizierungsmittels im Einklang mit Artikel 5a Absatz 24;
vi)
die Interaktion zwischen den europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität zweier Personen für die Zwecke des sicheren Empfangens, Validierens und Austauschens — zwischen den beiden europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität — von Personenidentifizierungsdaten und elektronischen Attributsbescheinigungen;
vii)
die Authentifizierung und Identifizierung vertrauender Beteiligter durch Einführung von Authentifizierungsmechanismen gemäß Artikel 5b;
viii)
– für vertrauende Beteiligte — die Überprüfung der Echtheit und Gültigkeit von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität;
ix)
das Ersuchen an einen vertrauenden Beteiligten um die Löschung personenbezogener Daten gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) 2016/679;
x)
die Meldung — durch einen vertrauenden Beteiligten — an die zuständige nationale Datenschutzbehörde, wenn eine mutmaßlich rechtswidrige oder verdächtige Anforderung von Daten eingegangen ist;
xi)
die Erstellung qualifizierter elektronischer Signaturen oder elektronischer Siegel durch qualifizierte elektronische Signatur- oder Siegelerstellungseinheiten;

b)
bewirken, dass Vertrauensdiensteanbietern, die elektronische Attributsbescheinigungen ausstellen, nach der Ausstellung dieser Attribute keinerlei Informationen über die Verwendung dieser elektronischen Bescheinigungen zur Verfügung gestellt werden;
c)
sicherstellen, dass die vertrauenden Beteiligten durch die Einführung von Authentifizierungsmechanismen im Einklang mit Artikel 5b authentifiziert und identifiziert werden können;
d)
die Anforderungen des Artikels 8 in Bezug auf die Sicherheitsstufe „hoch” erfüllen, insbesondere bezüglich der Anforderungen an Identitätsnachweis und Identitätsüberprüfung und an die Verwaltung und Authentifizierung elektronischer Identifizierungsmittel;
e)
im Falle der elektronischen Attributsbescheinigung mit eingebetteten Offenlegungsregelungen den geeigneten Mechanismus einführen, um den Nutzer darüber zu unterrichten, dass der vertrauende Beteiligte oder der Nutzer der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität, der um diese elektronische Attributsbescheinigung ersucht, über die Erlaubnis verfügt, auf diese Bescheinigung zuzugreifen;
f)
gewährleisten, dass Personenidentifizierungsdaten, die über das elektronische Identifizierungssystem, in dessen Rahmen die europäische Brieftasche für die Digitale Identität bereitgestellt wird, eindeutig die mit der betreffenden europäischen Brieftasche für die Digitale Identität verknüpfte natürliche Person, juristische Person oder die die natürliche oder juristische Person vertretende Person repräsentieren;
g)
allen natürlichen Personen die Möglichkeit bieten, mittels qualifizierter elektronischer Signaturen kostenlos zu unterzeichnen.

Ungeachtet des Unterabsatzes 1 Buchstabe g können die Mitgliedstaaten verhältnismäßige Maßnahmen vorsehen, um sicherzustellen, dass die kostenlose Verwendung qualifizierter elektronischer Signaturen durch natürliche Personen auf nichtgewerbliche Zwecke beschränkt wird.

(6) Die Mitgliedstaaten setzen die Nutzer unverzüglich von Sicherheitsverletzungen in Kenntnis, die ihre europäische Brieftasche für die Digitale Identität oder deren Inhalt möglicherweise vollständig oder teilweise kompromittiert haben könnten, und zwar insbesondere dann, wenn ihre europäische Brieftasche für die Digitale Identität gemäß Artikel 5e ausgesetzt oder widerrufen wurde;

(7) Unbeschadet des Artikels 5f können die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem nationalen Recht zusätzliche Funktionen von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität vorsehen, einschließlich der Interoperabilität mit bestehenden nationalen elektronischen Identifikationsmitteln. Diese zusätzlichen Funktionen müssen dem vorliegenden Artikel entsprechen.

(8) Die Mitgliedstaaten stellen kostenlose Validierungsmechanismen bereit, um

a)
sicherzustellen, dass die Echtheit und Gültigkeit der europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität überprüft werden kann,
b)
es Nutzern zu ermöglichen, die Echtheit und Gültigkeit der Identität von gemäß Artikel 5b registrierten vertrauenden Beteiligten zu überprüfen.

(9) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Gültigkeit der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität unter den folgenden Umständen widerrufen werden kann:

a)
auf ausdrückliches Ersuchen des Nutzers,
b)
wenn die Sicherheit der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität kompromittiert worden ist,
c)
nach dem Tod des Nutzers oder der Einstellung der Tätigkeit der juristischen Person.

(10) Anbieter von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität tragen dafür Sorge, dass Nutzer auf einfache Weise technische Unterstützung anfordern und technische Probleme oder andere Vorfälle, die negative Auswirkungen auf die Nutzung von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität haben, melden können.

(11) Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität werden im Rahmen eines notifizierten elektronischen Identifizierungssystems mit der Sicherheitsstufe „hoch” bereitgestellt.

(12) Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität sind mit „konzeptintegrierter Sicherheit” auszustatten.

(13) Die Ausstellung, die Verwendung und der Widerruf von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität erfolgt für alle natürlichen Personen kostenlos.

(14) Die Nutzer haben die uneingeschränkte Kontrolle über die Nutzung ihrer europäischen Brieftasche für die Digitale Identität und über die darin enthaltenen Daten. Der Anbieter der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität sammelt weder Informationen über die Nutzung der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität, die für die Erbringung der mit der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität verbundenen Dienste nicht erforderlich sind, noch kombiniert er Personenidentifizierungsdaten oder andere gespeicherte oder im Zusammenhang mit der Verwendung der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität stehende personenbezogene Daten mit personenbezogenen Daten aus anderen vom Anbieter angebotenen Diensten oder aus Diensten Dritter, die für die Bereitstellung der mit der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität verbundenen Dienste nicht erforderlich sind, es sei denn, der Nutzer hat dies ausdrücklich anders verlangt. Personenbezogene Daten in Bezug auf die Bereitstellung der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität werden vom Anbieter der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität von allen anderen gespeicherten Daten logisch getrennt gehalten. Wird die europäischen Brieftasche für die Digitale Identität von privaten Beteiligten gemäß Absatz 2 Buchstaben b und c des vorliegenden Artikels bereitgestellt, so gelten sinngemäß die Bestimmungen von Artikel 45h Absatz 3.

(15) Die Nutzung von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität ist freiwillig. Natürliche oder juristische Personen, die die europäische Brieftasche für die Digitale Identität nicht nutzen, dürfen in ihrem Zugang zu öffentlichen und privaten Diensten und zum Arbeitsmarkt sowie in ihrer unternehmerischen Freiheit in keiner Weise eingeschränkt oder benachteiligt werden. Der Zugang zu öffentlichen und privaten Diensten muss weiterhin über andere bestehende Identifizierungs- und Authentifizierungsmittel möglich sein.

(16) Der technische Rahmen der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität

a)
darf es Anbietern elektronischer Attributsbescheinigungen oder anderen Parteien nach Ausstellung der Attributsbescheinigung nicht erlauben, Daten zu erhalten, die es ermöglichen, Transaktionen oder Nutzerverhalten zu verfolgen, zu verknüpfen, zu korrelieren oder Kenntnisse über Transaktionen oder das Nutzerverhalten anderweitig zu erlangen, es sei denn, der Nutzer hat dies ausdrücklich genehmigt;
b)
muss technische Verfahren zum Schutz der Privatsphäre ermöglichen, die die Unverknüpfbarkeit gewährleisten, wenn die Attributsbescheinigung keine Identifizierung des Nutzers erfordert.

(17) Jede Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Mitgliedstaaten oder in deren Namen durch Stellen oder Parteien, die für die Bereitstellung von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität als elektronisches Identifizierungsmittel verantwortlich sind, erfolgt im Einklang mit geeigneten und wirksamen Datenschutzmaßnahmen. Es ist nachzuweisen, dass diese Verarbeitungstätigkeiten mit der Verordnung (EU) 2016/679 im Einklang stehen. Die Mitgliedstaaten können nationale Bestimmungen erlassen, um die Anwendung dieser Maßnahmen zu präzisieren.

(18) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission unverzüglich Informationen über

a)
die Stelle, die für die Erstellung und Führung dieser Liste der registrierten vertrauenden Parteien, die im Einklang mit Artikel 5b Absatz 5 auf europäische Brieftaschen für die Digitale Identität vertrauen, zuständig ist, und der Ort, an dem die Liste aufzufinden ist;
b)
die Stellen, die für die Bereitstellung europäischer Brieftaschen für die Digitale Identität im Einklang mit Artikel 5a Absatz 1 zuständig sind;
c)
die Stellen, die dafür zuständig sind, sicherzustellen, dass die Personenidentifizierungsdaten im Einklang mit Artikel 5a Absatz 5 Buchstabe f mit der europäischen Brieftasche für die Digitale Identität verknüpft werden.
d)
den Mechanismus, der die Validierung der Personenidentifizierungsdaten gemäß Artikel 5a Absatz 5 Buchstabe f und der Identität der vertrauenden Beteiligten ermöglicht;
e)
die Mechanismen zur Validierung der Echtheit und Gültigkeit von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität.

Die Kommission macht die gemäß dem ersten Unterabsatz übermittelten Informationen der Öffentlichkeit über einen gesicherten Kanal in elektronisch signierter oder besiegelter Form zugänglich, die für eine automatisierte Verarbeitung geeignet ist.

(19) Unbeschadet des Absatzes 22 des vorliegenden Artikels gilt Artikel 11 entsprechend für die europäische Brieftasche für die Digitale Identität.

(20) Artikel 24 Absatz 2 Buchstabe b und Buchstaben d bis h gilt entsprechend für Anbieter von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität.

(21) Europäische Brieftaschen für die Digitale Identität werden gemäß der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates(1) für Menschen mit Behinderungen zur gleichberechtigen Nutzung zugänglich gemacht.

(22) Für die Zwecke der Bereitstellung von europäischen Brieftaschen für die Digitale Identität und der elektronischen Identifizierungssysteme, in deren Rahmen sie bereitgestellt werden, unterliegen sie nicht den Anforderungen der Artikel 7, 9, 10, 12 und 12a.

(23) Bis zum 21. November 2024 erstellt die Kommission im Wege von Durchführungsrechtsakten eine Liste von Referenzstandards und legt, sofern erforderlich, die Spezifikationen und Verfahren für die in den Absätzen 4, 5, 8 und 18 des vorliegenden Artikels genannten Anforderungen in Bezug auf die europäische Brieftasche für die Digitale Identität fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 48 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

(24) Die Kommission erstellt im Wege von Durchführungsrechtsakten eine Liste von Referenzstandards und legt erforderlichenfalls Spezifikationen und Verfahren fest, um die Einbindung von Nutzern in die europäische Brieftasche für die Digitale Identität unter Nutzung entweder von elektronischen Identifizierungsmitteln der Sicherheitsstufe „hoch” oder von elektronischen Identifizierungsmitteln der Sicherheitsstufe „substanziell” – in Verbindung mit zusätzlichen Verfahren der Ferneinbindung, die zusammen den Anforderungen der Sicherheitsstufe „hoch” entsprechen — zu erleichtern. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 48 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Fußnote(n):

(1)

Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (ABl. L 151 vom 7.6.2019, S. 70).

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