Artikel 1 VO (EU) 2015/1348

Die Verordnung (EG) Nr. 773/2004 wird wie folgt geändert:

1.
Es wird folgender Artikel 4a eingefügt:

Artikel 4a Das Kronzeugenprogramm der Kommission

(1) Die Kommission kann die Voraussetzungen und die Bedingungen für die Zusammenarbeit festlegen, unter denen sie Unternehmen, die an einem geheimen Kartell beteiligt sind oder waren, für ihre Mitwirkung an der Aufdeckung des Kartells und die Erleichterung des Nachweises einer Zuwiderhandlung mit dem Erlass oder einer Ermäßigung der andernfalls nach Artikel 23 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zu verhängenden Geldbuße belohnen kann (Kronzeugenprogramm der Kommission).

Der Erlass der Geldbuße kann dem ersten Unternehmen gewährt werden, das Beweismittel vorlegt, die es der Kommission aus deren Sicht ermöglichen würden, eine gezielte Nachprüfung vorzunehmen oder im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Kartell eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV festzustellen. Eine Ermäßigung der Geldbuße kann Unternehmen gewährt werden, die der Kommission Beweismittel für die mutmaßliche Zuwiderhandlung vorlegen, die gegenüber den bereits in ihrem Besitz befindlichen Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert aufweisen.

Die Kommission gewährt den Erlass oder die Ermäßigung der Geldbuße im Rahmen ihres Kronzeugenprogramms nur, wenn das Unternehmen am Ende des Verwaltungsverfahrens die im Kronzeugenprogramm festgelegten Voraussetzungen und Bedingungen für die Zusammenarbeit erfüllt. Diese können unter anderem die Art der von den Unternehmen vorzulegenden Informationen und Beweismittel sowie die von den Unternehmen im Verwaltungsverfahren erwartete weitere Zusammenarbeit betreffen.

(2) Um für den Erlass oder eine Ermäßigung der andernfalls zu verhängenden Geldbuße infrage zu kommen, müssen die Unternehmen der Kommission freiwillig ihre Kenntnis von einem geheimen Kartell und ihre Beteiligung daran darlegen, was auch in Form einer freiwilligen Darlegung des Wissens derzeitiger oder ehemaliger Mitarbeiter oder Vertreter des Unternehmen geschehen kann (Kronzeugenunternehmenserklärungen). Solche Kronzeugenunternehmenserklärungen müssen eigens zu dem Zweck formuliert werden, im Rahmen des Kronzeugenprogramms der Kommission bei der Kommission den Erlass oder eine Ermäßigung der Geldbuße zu erwirken.

(3) Die Kommission bietet den Parteien geeignete Methoden an, Kronzeugenunternehmenserklärungen in anderer als schriftlicher Form, einschließlich mündlicher Erklärungen, zu übermitteln. In den Diensträumen der Kommission können mündliche Kronzeugenunternehmenserklärungen aufgezeichnet und schriftlich festgehalten werden. Das Unternehmen erhält die Möglichkeit, die Aufzeichnung seiner mündlichen Erklärung in den Diensträumen der Kommission auf technische Mängel zu prüfen und die Erklärung gegebenenfalls unverzüglich inhaltlich zu berichtigen. Die Vorschriften dieser Verordnung zu Kronzeugenunternehmenserklärungen gelten für alle Kronzeugenunternehmenserklärungen, unabhängig von dem Medium, auf dem sie gespeichert sind. Bereits vorhandene Informationen, d. h. Informationen, die unabhängig von dem Kommissionsverfahren vorliegen und der Kommission von einem Unternehmen im Rahmen seines Antrags auf Erlass oder Ermäßigung der Geldbuße übermittelt werden, sind nicht Teil der Kronzeugenunternehmenserklärung.

2.
In Artikel 8 wird Absatz 2 gestrichen.
3.
In Artikel 10a Absatz 2 erhält Unterabsatz 3 folgende Fassung:

Bei Fortschritten in den Vergleichsgesprächen kann die Kommission eine Frist setzen, innerhalb deren sich die Parteien verpflichten können, das Vergleichsverfahren durch die Vorlage von Vergleichsausführungen anzunehmen, in denen die Ergebnisse der Vergleichsgespräche wiedergegeben und ihre Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV einschließlich ihrer Haftung anerkannt wird. Diese Vergleichsausführungen müssen von den Unternehmen eigens als ein an die Kommission gerichteter förmlicher Antrag formuliert werden, einen Beschluss in ihrer Sache im Anschluss an das Vergleichsverfahren zu erlassen. Die betreffenden Parteien haben Anspruch darauf, dass ihnen die in Unterabsatz 1 genannten Informationen auf Antrag rechtzeitig, bevor die Kommission eine Frist für die Vorlage von Vergleichsausführungen setzt, offengelegt werden. Die Kommission ist nicht verpflichtet, nach Ablauf dieser Frist eingegangene Vergleichsausführungen zu berücksichtigen.

Die Kommission bietet den Parteien geeignete Methoden an, Vergleichsausführungen in anderer als schriftlicher Form, einschließlich mündlicher Ausführungen, zu übermitteln. In den Diensträumen der Kommission können mündliche Vergleichsausführungen aufgezeichnet und schriftlich festgehalten werden. Das Unternehmen erhält die Möglichkeit, die Aufzeichnung seiner mündlichen Ausführungen in den Diensträumen der Kommission auf technische Mängel zu prüfen und seine Ausführungen gegebenenfalls unverzüglich inhaltlich zu berichtigen. Die Vorschriften dieser Verordnung zu Vergleichsausführungen gelten für alle Vergleichsausführungen, unabhängig von dem Medium, auf dem sie gespeichert sind.

4.
Artikel 15 wird wie folgt geändert:

a)
Der Titel erhält folgende Fassung:

Artikel 15 Akteneinsicht

b)
Absatz 1a erhält folgende Fassung:

(1a) Nachdem das Verfahren gemäß Artikel 11 Absatz 6 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 eingeleitet wurde und um den Parteien die Vorlage von Vergleichsausführungen zu ermöglichen, legt die Kommission den Parteien auf Antrag und zu den in den einschlägigen Unterabsätzen festgelegten Bedingungen die in Artikel 10a Absatz 2 genannten Beweismittel und Unterlagen offen. Entsprechend bestätigen die Parteien der Kommission bei der Vorlage ihrer Vergleichsausführungen, dass sie nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte nur dann Antrag auf Akteneinsicht nach Absatz 1 stellen, wenn der Inhalt ihrer Vergleichsausführungen nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte wiedergegeben wurde. Wurden die Vergleichsgespräche mit einer Partei oder mehreren Parteien eingestellt, so erhalten die betreffenden Parteien Akteneinsicht nach Absatz 1, wenn eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an sie gerichtet worden ist.

c)
Es wird folgender Absatz 1b eingefügt:

(1b) Einsicht nach Absatz 1 oder 1a in eine Kronzeugenunternehmenserklärung im Sinne des Artikels 4a Absatz 2 oder in eine Vergleichsausführung im Sinne des Artikels 10a Absatz 2 wird nur in den Diensträumen der Kommission gewährt. Die Parteien und ihre Vertreter dürfen Kronzeugenunternehmenserklärungen und Vergleichsausführungen nicht mit mechanischen oder elektronischen Mitteln kopieren.

d)
Absatz 4 wird gestrichen.

5.
Nach Artikel 16 wird folgendes Kapitel VIa eingefügt:

KAPITEL VIa

BESCHRÄNKUNGEN FÜR DIE VERWENDUNG VON IM LAUFE DES KOMMISSIONSVERFAHRENS ERLANGTEN INFORMATIONEN

Artikel 16a

(1) Informationen, die nach dieser Verordnung erlangt wurden, dürfen nur für Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zur Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV verwendet werden.

(2) Einsicht in Kronzeugenunternehmenserklärungen im Sinne des Artikels 4a Absatz 2 oder in Vergleichsausführungen im Sinne des Artikels 10a Absatz 2 wird nur für die Ausübung von Verteidigungsrechten in Verfahren bei der Kommission gewährt. Informationen aus diesen Erklärungen und Ausführungen dürfen von der Partei, die Akteneinsicht erhalten hat, nur verwendet werden, wenn dies für die Ausübung ihrer Verteidigungsrechte in Verfahren

a)
vor den Gerichten der Europäischen Union zur Überprüfung von Beschlüssen der Kommission oder
b)
vor den Gerichten der Mitgliedstaaten in Rechtssachen erforderlich ist, die sich unmittelbar auf die Sache beziehen, in der Akteneinsicht gewährt wurde, und die Folgendes betreffen:

i)
die Aufteilung einer von der Kommission gesamtschuldnerisch gegen die Kartellbeteiligten verhängten Geldbuße zwischen den Kartellbeteiligten oder
ii)
die Überprüfung einer Entscheidung, mit der eine Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV festgestellt hat.

(3) Die folgenden Kategorien von Informationen, die nach dieser Verordnung erlangt wurden, dürfen in Verfahren vor nationalen Gerichten erst dann verwendet werden, wenn die Kommission ihr Verfahren gegen alle von der Untersuchung betroffenen Parteien durch Erlass eines Beschlusses nach Artikel 7, 9 oder 10 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 abgeschlossen oder ihr Verwaltungsverfahren auf andere Weise beendet hat:

a)
Informationen, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das Verfahren der Kommission erstellt wurden, und
b)
Informationen, die die Kommission im Laufe ihres Verfahrens erstellt und den Parteien übermittelt hat.

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