Präambel VO (EU) 2015/1348

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV),

gestützt auf das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln(1), insbesondere auf Artikel 33,

nach Anhörung des Beratenden Ausschusses am 19. Juni 2015,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Die Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission(2) enthält unter anderem Vorschriften über die Untersuchungen der Kommission und die Einsicht in ihre Akte.
(2)
Kartelle sind Absprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Wettbewerbern zwecks Abstimmung ihres Wettbewerbsverhaltens auf dem Markt oder Beeinflussung der relevanten Wettbewerbsparameter durch Verhaltensweisen wie die Festsetzung oder Koordinierung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen, die Aufteilung von Produktions- oder Absatzquoten, die Aufteilung von Märkten und Kunden einschließlich Angebotsabsprachen, Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und gegen andere Wettbewerber gerichtete wettbewerbsschädigende Maßnahmen. Diese Verhaltensweisen zählen zu den schwersten Verstößen gegen Artikel 101 AEUV.
(3)
Naturgemäß ist es häufig schwierig, geheime Kartelle ohne die Mitwirkung beteiligter Unternehmen oder Einzelner aufzudecken und zu untersuchen. Daher liegt es nach Auffassung der Kommission im Interesse der Union, an dieser Art rechtswidriger Verhaltensweisen beteiligte Unternehmen, die bereit sind, ihre Beteiligung einzugestehen und zu beenden und an der Untersuchung der Kommission mitzuwirken, unabhängig von den übrigen Kartellbeteiligten zu belohnen. Das Interesse der Verbraucher an der Aufdeckung und Ahndung geheimer Kartelle wiegt schwerer als das Interesse daran, dass gegen die Unternehmen, die es der Kommission ermöglichen, solche Verhaltensweisen aufzudecken und zu verbieten, Geldbußen in einer ihrem rechtswidrigen Verhalten angemessenen Höhe verhängt werden. Zu diesem Zweck hat die Kommission 1996 ein Kronzeugenprogramm eingeführt. Darin sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen die Kommission Unternehmen für deren Mitwirkung an ihrer Untersuchung belohnen kann. Das Kronzeugenprogramm hat sich als wirksames Mittel erwiesen, mit dessen Hilfe die Kommission zahlreiche geheime Kartelle aufdecken und ahnden konnte. Indem mit dem Kronzeugenprogramm mehr Zuwiderhandlungen aufgedeckt werden können und die behördliche Durchsetzung wirksamer wird, hat es auch eine abschreckende Wirkung und bietet letztlich den Geschädigten eine Grundlage für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Ersatz des durch diese Zuwiderhandlungen erlittenen Schadens.
(4)
Im Rahmen ihrer Mitwirkung können Unternehmen der Kommission freiwillig Kronzeugenunternehmenserklärungen übermitteln, die auch Erklärungen derzeitiger und/oder ehemaliger Mitarbeiter und Vertreter des Unternehmens umfassen können. Jedoch könnten Unternehmen davon abgehalten werden, mit der Kommission zu kooperieren, wenn sich dies nachteilig auf ihre Position in Zivilverfahren auswirken könnte.
(5)
Parteien von Verfahren bei der Kommission sowie Dritte, zum Beispiel Beschwerdeführer und andere Personen mit berechtigten Interessen, können nach der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 bestimmte Informationen aus der Akte der Kommission erhalten.
(6)
Informationen, die nach der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 erlangt wurden, können für Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zur Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV verwendet werden. Es sollte jedoch nicht möglich sein, diese Informationen in Verfahren vor nationalen Gerichten zu verwenden, wenn dies die Wirksamkeit der Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV durch die Kommission übermäßig beeinträchtigen könnte.
(7)
Damit Unternehmen nicht davon abgehalten werden, ihre Beteiligung an Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union im Rahmen des Kronzeugenprogramms oder des Vergleichsverfahrens der Kommission freiwillig einzugestehen, wird anderen Parteien Zugang zu solchen Anerkenntnissen im Rahmen der Akteneinsicht nach der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 nur für die Ausübung ihrer Verteidigungsrechte in Verfahren bei der Kommission gewährt. Diese Informationen dürfen nur in den Rechtsmittelverfahren vor den Gerichten der Europäischen Union oder vor nationalen Gerichten in Rechtssachen verwendet werden, die sich unmittelbar auf die Sache beziehen, in der Akteneinsicht gewährt wurde, und die entweder die Aufteilung einer Geldbuße zwischen den Kartellbeteiligten oder die Überprüfung einer von einer nationalen Wettbewerbsbehörde erlassenen Feststellungsentscheidung betreffen.
(8)
Zudem sollte die Verwendung von nach der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 erlangten Informationen in Verfahren vor nationalen Gerichten die laufende Untersuchung einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union durch die Kommission nicht übermäßig beeinträchtigen. Wenn diese Informationen von der Kommission im Laufe ihres Verfahrens zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Union erstellt wurden (beispielsweise eine Mitteilung der Beschwerdepunkte) oder von einer Partei dieses Verfahrens ausgearbeitet wurden (beispielsweise Antworten auf Auskunftsverlangen der Kommission), sollte eine Partei diese Informationen in Verfahren vor nationalen Gerichten erst dann verwenden können, wenn die Kommission ihr Verfahren gegen alle von der Untersuchung betroffenen Parteien durch Erlass eines Beschlusses nach Artikel 7, 9 oder 10 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 abgeschlossen oder ihr Verwaltungsverfahren auf andere Weise beendet hat.
(9)
Die Vorschriften dieser Verordnung über den Umgang mit Kronzeugenunternehmenserklärungen und Vergleichsausführungen sollten auch gelten, wenn Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates(3) über Schadensersatzklagen der Kommission von den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 übermittelt werden.
(10)
Die Verordnung (EG) Nr. 773/2004 sollte daher entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1.

(2)

Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission (ABl. L 123 vom 27.4.2004, S. 18). Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1792/2006 (ABl. L 362 vom 20.12.2006, S. 1) und die Verordnung (EG) Nr. 622/2008 (ABl. L 171 vom 1.7.2008, S. 3).

(3)

Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. L 349 vom 5.12.2014, S. 1).

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