ANHANG II VO (EU) 2016/424

WESENTLICHE ANFORDERUNGEN

1.
Gegenstand

Dieser Anhang legt die wesentlichen Anforderungen für den Entwurf, den Bau und die Inbetriebnahme von Seilbahnen sowie für die Teilsysteme und Sicherheitsbauteile — jeweils einschließlich der betriebstechnischen und wartungstechnischen Erfordernisse — fest.

2.
Allgemeine Anforderungen

2.1.
Sicherheit von Personen

Bei Entwurf, Bau und Betrieb von Seilbahnen ist die Sicherheit von Fahrgästen, Betriebspersonal und Dritten oberstes Gebot.

2.2.
Sicherheitsgrundsätze

Im Hinblick auf Entwurf, Betrieb und Wartung müssen bei allen Seilbahnen die folgenden Grundsätze in der angegebenen Reihenfolge beachtet werden:

Durch geeignete Vorkehrungen für den Entwurf und den Bau müssen Gefahren vermieden oder zumindest begrenzt werden;

um Gefahren vorzubeugen, die sich durch Entwurfs- und Bauvorkehrungen nicht vermeiden lassen, müssen die notwendigen Schutzmaßnahmen festgelegt und getroffen werden;

zur Vermeidung von Gefahren, die sich durch Vorkehrungen und Maßnahmen nach dem ersten und zweiten Gedankenstrich nicht vollständig vermeiden lassen, müssen Vorsichtsmaßnahmen festgelegt und bekanntgemacht werden.

2.3.
Berücksichtigung äußerer Umstände

Seilbahnen sind so zu entwerfen und zu bauen, dass sie unter Berücksichtigung des Typs der Seilbahn, der Art und der Merkmale des Geländes und der Umgebung, der atmosphärischen und meteorologischen Gegebenheiten sowie der möglichen in der Nähe befindlichen Bauwerke und Hindernisse am Boden und in der Luft sicher betrieben werden können.

2.4.
Bemessung

Die Seilbahn, die Teilsysteme sowie alle Sicherheitsbauteile müssen so bemessen, entworfen und gebaut sein, dass sie allen vorhersehbaren Belastungen — auch außer Betrieb — mit ausreichender Sicherheit standhalten, wobei insbesondere äußere Einflüsse, dynamische Lasten und Ermüdungserscheinungen zu berücksichtigen sind und dem Stand der Technik Rechnung zu tragen ist; dies gilt insbesondere für die Wahl der Werkstoffe.

2.5.
Montage

2.5.1. Die Seilbahn, die Teilsysteme sowie alle Sicherheitsbauteile müssen so entworfen und gebaut sein, dass Montage und Einbau sicher durchgeführt werden können.

2.5.2. Die Sicherheitsbauteile sind so zu entwerfen, dass Montagefehler entweder konstruktiv oder durch geeignete Kennzeichnung der Sicherheitsbauteile verhindert werden.

2.6.
Ausfallsicherheit der Seilbahn

2.6.1. Die Sicherheitsbauteile müssen so entworfen und gebaut sein und verwendet werden können, dass ihre eigene Funktionssicherheit und/oder die Sicherheit der Seilbahn entsprechend der Sicherheitsanalyse nach Artikel 8 in jedem Fall mit einem angemessenen Sicherheitsfaktor nachgewiesen und ihr Ausfall dadurch höchst unwahrscheinlich ist.

2.6.2. Die Seilbahn muss so entworfen und gebaut sein, dass bei ihrem Betrieb für jeden Ausfall eines Bauteils, durch den die Sicherheit gefährdet werden könnte, rechtzeitig eine geeignete Maßnahme getroffen wird.

2.6.3. Der in den Absätzen 2.6.1 und 2.6.2 genannte Zustand der Sicherheit muss über den gesamten Zeitraum zwischen zwei planmäßigen Überprüfungen des jeweiligen Bauteils aufrechterhalten werden. Die Zeitabstände für die Überprüfung der Sicherheitsbauteile sind in der Betriebsanleitung deutlich anzugeben.

2.6.4. Sicherheitsbauteile, die als Ersatzteile in Seilbahnen eingebaut werden, müssen sowohl die wesentlichen Anforderungen dieser Verordnung als auch die Anforderungen hinsichtlich des reibungslosen Zusammenwirkens mit den übrigen Teilen der Seilbahn erfüllen.

2.6.5. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit die Auswirkungen eines Brandes in der Seilbahn die Sicherheit von Personen nicht gefährden.

2.6.6. Es müssen besondere Vorkehrungen getroffen werden, um die Seilbahn und Personen vor den Folgen von Blitzschlag zu schützen.

2.7.
Sicherheitseinrichtungen

2.7.1. Jeder Fehler, der in der Seilbahn auftritt und zu einem sicherheitskritischen Ausfall führen kann, muss — soweit möglich — ermittelt, gemeldet und von einer Sicherheitseinrichtung verarbeitet werden. Das Gleiche gilt für jedes normalerweise vorhersehbare äußere Ereignis, durch das die Sicherheit gefährdet werden kann.

2.7.2. Die Seilbahn muss jederzeit manuell stillgesetzt werden können.

2.7.3. Nach einer durch eine Sicherheitseinrichtung ausgelösten Stillsetzung der Seilbahn darf ein neuerliches Anlaufen der Anlage erst möglich sein, nachdem die der Situation angemessenen Maßnahmen getroffen worden sind.

2.8.
Wartungstechnische Erfordernisse

Die Seilbahn muss so entworfen und gebaut sein, dass sowohl planmäßige als auch außerplanmäßige Wartungs- und Reparaturarbeiten sicher durchgeführt werden können.

2.9.
Beeinträchtigungen durch Emissionen

Die Seilbahn muss so entworfen und gebaut sein, dass Beeinträchtigungen oder Belästigungen durch Abgase, Lärm oder Erschütterungen innerhalb und außerhalb der Anlage die vorgeschriebenen Höchstwerte nicht überschreiten.

3.
Anforderungen hinsichtlich der Infrastruktur

3.1.
Linienführung, Geschwindigkeit, Abstand zwischen den Fahrzeugen

3.1.1. Die Seilbahn ist so zu entwerfen, dass sie unter Berücksichtigung der Merkmale des Geländes und der Umgebung, der atmosphärischen und meteorologischen Gegebenheiten, der möglichen in der Nähe befindlichen Bauwerke und Hindernisse am Boden und in der Luft sicher und ohne dass von ihr Störungen oder Gefahren ausgehen, betrieben werden kann; dies gilt für alle Betriebs- und Wartungsbedingungen und für die Bergung von Personen.

3.1.2. Zwischen Fahrzeugen, Schleppvorrichtungen, Fahrbahnen, Seilen usw. und möglichen in der Nähe befindlichen Bauwerken und Hindernissen am Boden und in der Luft muss ein ausreichender seitlicher und senkrechter Abstand vorhanden sein; dabei sind die Bewegungen der Seile und Fahrzeuge bzw. der Schleppvorrichtungen in senkrechter Richtung sowie in Längs- und Querrichtung unter den vorhersehbaren ungünstigsten Betriebsverhältnissen zu berücksichtigen.

3.1.3. Der maximale Bodenabstand der Fahrzeuge muss sich nach dem Typ der Seilbahn und der Fahrzeuge sowie nach den Bergungsverfahren richten. Bei offenen Fahrzeugen sind das Absturzrisiko sowie die psychologischen Aspekte in Zusammenhang mit dem Bodenabstand zu berücksichtigen.

3.1.4. Die Höchstgeschwindigkeit der Fahrzeuge oder der Schleppvorrichtungen, ihr Mindestabstand sowie ihre Beschleunigungs- und Verzögerungswerte müssen so gewählt werden, dass die Sicherheit von Personen und die Betriebssicherheit der Seilbahn gewährleistet sind.

3.2.
Stationen und Streckenbauwerke

3.2.1. Die Stationen und Streckenbauwerke müssen so entworfen, gebaut und ausgerüstet sein, dass die Standsicherheit gegeben ist. Sie müssen bei allen möglichen Betriebsverhältnissen eine sichere Führung der Seile und Fahrzeuge und Schleppvorrichtungen gewährleisten und eine sichere Wartung ermöglichen.

3.2.2. Die Ein- und Ausstiegsbereiche der Seilbahn sind so zu entwerfen, dass sie einen sicheren Verkehr der Fahrzeuge, Schleppvorrichtungen und der Personen ermöglichen. Insbesondere müssen sich die Fahrzeuge und Schleppvorrichtungen in den Stationen so bewegen können, dass Personen dabei unter Berücksichtigung ihrer möglichen aktiven Beteiligung nicht gefährdet werden.

4.
Anforderungen hinsichtlich der Seile, der Antriebe und Bremsen sowie der mechanischen und elektrischen Einrichtungen

4.1.
Seile und Seilauflagen

4.1.1. In Bezug auf die Seile sind alle Vorkehrungen entsprechend dem Stand der Technik zu treffen, um

einen Bruch der Seile und ihrer Befestigungen bzw. Verbindungen zu vermeiden;

den Rahmen der Grenzbelastungswerte einzuhalten;

ihre Sicherheit auf den Auflagen zu gewährleisten und ein Entgleisen zu verhindern;

ihre Überwachung zu ermöglichen.

4.1.2. Lässt sich das Risiko eines Entgleisens der Seile nicht völlig vermeiden, sind Vorkehrungen zu treffen, um im Entgleisungsfall ein Auffangen der Seile und ein Stillsetzen der Anlage ohne Gefährdung von Personen zu ermöglichen.

4.2.
Mechanische Einrichtungen

4.2.1.
Antriebe

Leistung und Einsatzmöglichkeiten des Antriebssystems einer Seilbahn müssen den unterschiedlichen Betriebszuständen und -arten angepasst sein.

4.2.2.
Notantrieb

Die Seilbahn muss über einen Notantrieb verfügen, dessen Energieversorgung vom Hauptantrieb unabhängig ist. Auf den Notantrieb kann jedoch verzichtet werden, wenn die Sicherheitsanalyse zu dem Ergebnis führt, dass Personen die Fahrzeuge und insbesondere die Schleppvorrichtungen auch dann einfach, rasch und sicher verlassen können, wenn kein Notantrieb vorhanden ist.

4.2.3.
Bremssystem

4.2.3.1. Die Stillsetzung der Seilbahn und/oder der Fahrzeuge muss im Notfall auch unter den ungünstigsten Last- und Haftungsverhältnissen auf den Treibscheiben, die während des Betriebs zulässig sind, jederzeit möglich sein. Der Bremsweg muss so gering sein, wie es die Sicherheit der Seilbahn erfordert.
4.2.3.2. Die Verzögerungswerte müssen innerhalb angemessener Grenzen liegen, damit sowohl die Sicherheit von Personen als auch das einwandfreie Verhalten der Fahrzeuge, Seile und anderen Teile der Seilbahn gewährleistet ist.
4.2.3.3. Alle Seilbahnen müssen über zwei oder mehr Bremssysteme verfügen, von denen jedes Halt bewirken kann und die so aufeinander abgestimmt sind, dass sie automatisch das gerade in Betrieb befindliche System ersetzen, wenn dessen Wirksamkeit nicht mehr ausreicht. Das letzte Bremssystem der Seilbahn muss so nah wie möglich am Zugseil wirken. Diese Vorschriften gelten nicht für Schlepplifte.
4.2.3.4. Die Seilbahn muss mit einer wirksamen Stillsetzungs- und Haltevorrichtung ausgestattet sein, die ein vorzeitiges Wiederanlaufen verhindert.

4.3.
Steuereinrichtungen

Die Steuereinrichtungen müssen so entworfen und gebaut sein, dass sie sicher und zuverlässig sind und den üblichen Betriebsbelastungen und äußeren Einflüssen wie Feuchtigkeit, extremer Temperatur oder elektromagnetischen Störungen standhalten und dass selbst bei Bedienungsfehlern keine Gefahrensituationen entstehen.

4.4.
Kommunikationseinrichtungen

Das Betriebspersonal muss ständig über geeignete Einrichtungen miteinander in Verbindung treten und im Notfall die Fahrgäste entsprechend unterrichten können.

5.
Fahrzeuge und Schleppvorrichtungen

5.1. Die Fahrzeuge und/oder die Schleppvorrichtungen müssen so entworfen und gestaltet sein, dass unter vorhersehbaren Betriebsbedingungen kein Fahrgast oder Angehöriger des Betriebspersonals herausfallen kann oder anderweitig gefährdet wird.

5.2. Die Befestigungen der Fahrzeuge und der Schleppvorrichtungen am Seil müssen so bemessen und ausgeführt sein, dass sie

das Seil nicht beschädigen; oder

nicht rutschen können, es sei denn, ein Rutschen ist für die Sicherheit des Fahrzeugs, der Schleppvorrichtung und der Anlage unerheblich;

diese Anforderungen müssen auch unter ungünstigsten Bedingungen erfüllt sein.

5.3. Die Türen von Fahrzeugen (Wagen, Kabinen) müssen so entworfen und gebaut sein, dass sie geschlossen und verriegelt werden können. Der Fußboden und die Wände der Fahrzeuge müssen so entworfen und gebaut sein, dass sie unter allen Umständen dem Druck und den Belastungen durch die Fahrgäste und das Betriebspersonal standhalten.

5.4. Ist zur Gewährleistung der Betriebssicherheit die Anwesenheit eines Fahrzeugbegleiters erforderlich, so muss das Fahrzeug so ausgerüstet sein, dass dieser seine Aufgaben erfüllen kann.

5.5. Die Fahrzeuge und/oder Schleppvorrichtungen und insbesondere ihre Aufhängungen müssen so entworfen und ausgeführt sein, dass die Sicherheit von Beschäftigten, die unter Einhaltung der entsprechenden Vorschriften und Hinweise daran arbeiten, gewährleistet ist.

5.6. Bei Fahrzeugen mit kuppelbaren Klemmen müssen alle Vorkehrungen getroffen werden, damit fehlerhaft am Seil angekuppelte Fahrzeuge noch vor der Ausfahrt und nicht entkuppelte Fahrzeuge bei der Einfahrt ohne Gefährdung der Fahrgäste oder des Betriebspersonals stillgesetzt werden und ein Abstürzen dieser Fahrzeuge verhindert wird.

5.7. Bei Seilbahnen, deren Fahrzeuge auf einer festen Trasse fahren (wie etwa Standseilbahnen und Mehrseilbahnen), ist eine auf die Fahrbahn wirkende automatische Fahrzeugbremse vorzusehen, wenn die Möglichkeit des Bruches des Zugseils nach vernünftigem Ermessen nicht ausgeschlossen werden kann.

5.8. Lässt sich das Risiko eines Entgleisens des Fahrzeugs durch andere Vorkehrungen nicht völlig vermeiden, so muss das Fahrzeug mit einem Entgleisungsschutz ausgerüstet werden, der es ermöglicht, das Fahrzeug ohne Gefährdung von Personen stillzusetzen.

6.
Einrichtungen für die Fahrgäste und das Betriebspersonal

Der Zugang zum Einstieg und der Abgang vom Ausstieg sowie das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste und des Betriebspersonals müssen mit Rücksicht auf den Umlauf und den Stillstand der Fahrzeuge so organisiert sein, dass die Sicherheit der Fahrgäste und des Betriebspersonals, insbesondere an Stellen mit Absturzrisiko, gewährleistet ist. Eine sichere Benutzung der Seilbahn durch Kinder und Personen mit eingeschränkter Beweglichkeit muss möglich sein, wenn die Seilbahn für die Beförderung solcher Personen bestimmt ist.

7.
Betriebstechnische Erfordernisse

7.1.
Sicherheit

7.1.1. Es müssen alle technischen Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen werden, damit die Seilbahn bestimmungsgemäß und entsprechend ihren technischen Besonderheiten und festgelegten Betriebsbedingungen benutzt werden kann und damit die Hinweise im Hinblick auf einen sicheren Betrieb und die ordnungsgemäße Instandhaltung eingehalten werden können. Die Betriebsanleitung und die entsprechenden Hinweise sind in einer für die Benutzer leicht verständlichen Sprache abzufassen, die von dem Mitgliedstaat bestimmt wird, in dessen Hoheitsgebiet die Seilbahn errichtet wird.

7.1.2. Den mit der Führung der Seilbahn betrauten Personen, die für diese Aufgabe qualifiziert sein müssen, sind angemessene Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen.

7.2.
Sicherheit im Fall einer Betriebsstörung der Seilbahn

Es müssen alle technischen Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen werden, damit die Fahrgäste und das Betriebspersonal bei einer Betriebsstörung der Seilbahn, die nicht kurzfristig behoben werden kann, innerhalb einer dem Seilbahntyp und seiner Umgebung angemessenen Frist in Sicherheit gebracht werden können.

7.3.
Weitere besondere Sicherheitsvorkehrungen

7.3.1.
Führerstände und Arbeitsplätze

Bewegliche Anlageteile, die normalerweise in den Stationen zugänglich sind, müssen so entworfen, gebaut und eingebaut sein, dass Gefahren vermieden werden; bei dennoch bestehenden Gefahren müssen sie mit Schutzeinrichtungen versehen sein, die ein direktes Berühren der Seilbahnteile, das zu Unfällen führen könnte, verhindern. Diese Einrichtungen dürfen sich nicht ohne weiteres lösen oder unwirksam machen lassen.

7.3.2.
Absturzrisiko

Die für Arbeiten oder andere Eingriffe vorgesehenen Stellen und Bereiche sowie deren Zugänge müssen, selbst wenn sie nur gelegentlich benutzt werden, so entworfen und gebaut sein, dass Personen, die dort tätig sind oder sich dort aufhalten, vor Absturzgefahr sicher sind. Sind diese Vorkehrungen nicht ausreichend, müssen die Arbeitsplätze zusätzlich mit Verankerungen für persönliche Ausrüstungen für den Schutz vor Absturz ausgestattet sein.

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