Präambel VO (EU) 2018/1795

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums(1), insbesondere auf Artikel 11 Absatz 4 Unterabsatz 2,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Mit der Richtlinie 2012/34/EU, die durch die Richtlinie (EU) 2016/2370(2) geändert wurde, wurde der Markt für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste mit Blick auf die Vollendung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums geöffnet. Dies könnte Auswirkungen auf die Organisation und Finanzierung von Schienenpersonenverkehrsdiensten haben, die im Rahmen öffentlicher Dienstleistungsaufträge erbracht werden. Die Mitgliedstaaten können in ihren Rechtsvorschriften die Möglichkeit vorsehen, den Zugang zur Infrastruktur zu verweigern, wenn das wirtschaftliche Gleichgewicht dieser öffentlichen Dienstleistungsaufträge durch neue, im Rahmen des freien Marktzugangs erbrachte Schienenpersonenverkehrsdienste gefährdet würde.
(2)
Andererseits stehen solche Dienste — abhängig von ihren spezifischen Eigenheiten, wie z. B. Qualitätsmerkmalen, Zeitplan, bedienten Zielorten und Kundenzielgruppen — möglicherweise nicht in einem direkten Wettbewerb mit öffentlichen Dienstleistungen und könnten sich daher nur begrenzt auf das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags auswirken. Zudem könnten positive Netzeffekte für die Betreiber öffentlicher Dienste, ein Nettonutzen für die Fahrgäste oder Vorteile für die Gesellschaft insgesamt entstehen, was berücksichtigt werden sollte.
(3)
Es ist daher erforderlich, die berechtigten Interessen der Betreiber im Rahmen öffentlicher Dienstleistungsaufträge und der zuständigen Behörden einerseits gegen die übergeordneten Ziele der Vollendung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums und der Verwirklichung breiterer gesellschaftlicher Vorteile andererseits abzuwägen. Bei der Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts sollten diese konkurrierenden Interessen verglichen werden.
(4)
Nach der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates(3) können Betreiber als Gegenleistung für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen bei der Erbringung von Schienenpersonenverkehrsdiensten eine finanzielle Ausgleichsleistung und/oder ausschließliche Rechte erhalten. Die Gewährung ausschließlicher Rechte für Schienenverkehrsbetreiber sollte jedoch nicht zur Abschottung der inländischen Schienenpersonenverkehrsmärkte führen.
(5)
Diese ausschließlichen Rechte sollten das Zugangsrecht anderer Eisenbahnunternehmen nicht berühren, außer wenn die Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts unter Berücksichtigung des Werts der ausschließlichen Rechte zeigt, dass der neue Schienenpersonenverkehrsdienst erhebliche negative Auswirkungen auf die Profitabilität der Dienstleistungen im Rahmen des öffentlichen Dienstleistungsauftrags und/oder die Nettokosten der zuständigen Behörde für deren Erbringung hätte, was von den Regelungen des öffentlichen Dienstleistungsauftrags über die Risikoteilung abhängt.
(6)
Eine Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts sollte nur in Bezug auf Schienenpersonenverkehrsdienste beantragt werden, die nicht im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags erbracht werden und vollständig neu oder mit einer erheblichen Änderung eines vorhandenen Dienstes verbunden sind. Dazu gehören auch kommerzielle Dienste, die von demselben Betreiber, der auch die Dienstleistungen im Rahmen des öffentlichen Auftrags ausführt, erbracht werden sollen.
(7)
Die Regulierungsstelle sollte prüfen, ob eine vorgesehene Änderung eines Schienenpersonenverkehrsdienstes als erheblich zu betrachten ist. Eine höhere Frequenz oder Anzahl der Halte könnte als erhebliche Änderung anzusehen sein. Eine Preisänderung sollte nicht als erhebliche Änderung betrachtet werden, außer wenn sie nicht dem normalen Marktverhalten entspricht oder, soweit relevant, nicht mit der Geschäftsplanung im Einklang steht, die der Regulierungsstelle zum Zeitpunkt der letzten Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts übermittelt wurde.
(8)
Die Entscheidung der Regulierungsstelle sollte eine Bewertung des kurz- und mittelfristigen Nettonutzens des neuen Schienenpersonenverkehrsdiensts für die Kunden umfassen und den technischen Informationen Rechnung tragen, die der Infrastrukturbetreiber zu den relevanten Infrastrukturanforderungen und den erwarteten Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Netzes sowie auf eine optimale Kapazitätsauslastung durch alle Antragsteller bereitstellt.
(9)
Die Regulierungsstelle sollte berechtigt sein, die voraussichtlichen Auswirkungen des neuen Personenverkehrsdienstes sowohl zu prüfen als auch zu bewerten, ob diese Auswirkungen erheblich wären und somit das wirtschaftliche Gleichgewicht des bestehenden öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würden.
(10)
Zur Vermeidung von Unterbrechungen eines neuen Schienenpersonenverkehrsdienstes, der bereits aufgenommen wurde, und im Interesse der Rechtssicherheit für den neuen Dienst hinsichtlich der Zulässigkeit seines Betriebs sollte eine Frist gesetzt werden, in der eine Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts beantragt werden kann und die an den Zeitpunkt geknüpft ist, zu dem der Antragsteller sein Interesse am Betrieb eines neuen Schienenpersonenverkehrsdienstes mitteilt.
(11)
Ein Antrag auf Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts sollte nur zulässig sein, wenn er eine Begründung enthält, dass das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Dienstleistungsauftrags durch den vorgesehenen neuen Dienst gefährdet würde.
(12)
Damit alle Beteiligten Rechtssicherheit haben und der Infrastrukturbetreiber Kapazitätsanträge nach dem Verfahren des Kapitels IV Abschnitt 3 der Richtlinie 2012/34/EU bearbeiten kann, sollte die Regulierungsstelle innerhalb eines vorab festgelegten Zeitraums, in jedem Fall aber vor Ablauf der vom Infrastrukturbetreiber gemäß Anhang VII Nummer 3 der Richtlinie 2012/34/EU festgelegten Frist für die Einreichung von Kapazitätsanträgen, eine Entscheidung hinsichtlich des wirtschaftlichen Gleichgewichts treffen.
(13)
Wird zum Zeitpunkt des Eingangs der Anmeldung des Antragstellers jedoch ein wettbewerbliches Vergabeverfahren für einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag durchgeführt und wurde eine Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts beantragt, so kann die Regulierungsstelle entscheiden, die Prüfung des Antrags für den neuen Schienenpersonenverkehrsdienst bis zur Vergabe des neuen öffentlichen Dienstleistungsauftrags vorübergehend auszusetzen. Die Aussetzung sollte höchstens zwölf Monate ab dem Eingang der Anmeldung des Antragstellers oder bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens dauern, wobei das jeweils frühere Datum maßgeblich ist.
(14)
Das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags sollte als gefährdet gelten, wenn der vorgesehene neue Dienst erhebliche negative Auswirkungen auf den Gewinn des Betreibers der öffentlichen Dienstleistung hätte und/oder wenn die Nettokosten der zuständigen Behörde durch den Betrieb des neuen Dienstes erheblich steigen würden.
(15)
Bei der Prüfung, ob Auswirkungen erheblich sind, sollte die Regulierungsstelle unter anderem berücksichtigen, ob der neue Dienst die Durchführbarkeit oder die Kontinuität der öffentlichen Dienstleistung gefährden würde, entweder weil die weitere Durchführung des öffentlichen Dienstleistungsauftrags für den Betreiber der öffentlichen Dienstleistung nicht wirtschaftlich wäre oder die Nettokosten der zuständigen Behörde erheblich steigen würden.
(16)
Neben der wirtschaftlichen Analyse sollte die Regulierungsstelle auch den kurz- und mittelfristigen Nettonutzen für die Kunden sowie mögliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Netzes und die Kapazitätsauslastung prüfen und berücksichtigen. Die Regulierungsstelle sollte die technischen Informationen des Infrastrukturbetreibers zu den relevanten Infrastrukturanforderungen, den erwarteten Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Netzes und zu einer optimalen Kapazitätsauslastung durch alle Antragsteller berücksichtigen.
(17)
Die wirtschaftliche Analyse sollte sich auf die Auswirkungen des vorgesehenen neuen Dienstes auf den öffentlichen Dienstleistungsauftrag während dessen gesamter Laufzeit insgesamt konzentrieren, einschließlich der besonders betroffenen Dienste, wobei auch der Wert etwaiger gewährter ausschließlicher Rechte zu berücksichtigen ist. Hinsichtlich des Schadens sollte kein vorab festgelegter quantitativer Schwellenwert strikt oder isoliert angewandt werden, und ein solcher Schwellenwert sollte im nationalen Recht auch nicht festgelegt werden. Die Bewertung sollte anhand einer objektiven Methode erfolgen, die die Regulierungsstelle unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Schienenverkehrs in dem betreffenden Mitgliedstaat festlegt.
(18)
Gelangt die Regulierungsstelle zu dem Schluss, dass der neue Schienenpersonenverkehrsdienst das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Dienstleistungsauftrags gefährden würde, sollte sie in ihrer Entscheidung gegebenenfalls mögliche Änderungen des neuen Schienenpersonenverkehrsdiensts nennen, bei deren Umsetzung der Zugang gewährt werden könnte. Die Regulierungsstelle kann Empfehlungen an die zuständige Behörde zu weiteren möglichen Bedingungen richten, unter denen der Zugang gewährt werden könnte, wobei insbesondere ihre Analyse des mit dem neuen Schienenpersonenverkehrsdienst verbundenen Nettonutzens für die Kunden zu berücksichtigen ist.
(19)
Betrifft der Zugangsantrag einen neuen Schienenpersonenverkehrsdienst im Sinne des Artikels 3 Nummer 36 der Richtlinie 2012/34/EU und zeigt die objektive wirtschaftliche Analyse der Regulierungsstelle, dass der neue Personenverkehrsdienst erhebliche negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Gleichgewicht eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags hätte, sollte die Regulierungsstelle Bedingungen ermitteln, unter denen der Zugang gemäß Artikel 11a der Richtlinie 2012/34/EU gewährt werden könnte.
(20)
Bei keiner ihrer Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts sollte die Regulierungsstelle vertrauliche oder wirtschaftlich sensible Informationen der Beteiligten offenlegen. Insbesondere sollte sie solche Informationen in der zu veröffentlichenden Entscheidung unkenntlich machen. Alle Entscheidungen von Regulierungsstellen, auch zur Vertraulichkeit der eingegangenen Informationen, können gemäß Artikel 56 Absatz 10 der Richtlinie 2012/34/EU gerichtlich überprüft werden.
(21)
Betrifft die Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts einen neuen grenzüberschreitenden Personenverkehrsdienst, sollten die beteiligten Regulierungsstellen — unbeschadet des in Artikel 55 Absatz 1 der Richtlinie 2012/34/EU festgelegten Grundsatzes der Unabhängigkeit der Regulierungsstellen bei ihrer Entscheidungsfindung — Informationen austauschen und zusammenarbeiten, um zu einer angemessenen Lösung zu gelangen.
(22)
Die Regulierungsstellen sollten sich über bewährte Verfahren bei der Durchführung der Prüfung des wirtschaftlichen Gleichgewichts austauschen, um ihre Methoden im Lauf der Zeit anzupassen und im Hinblick auf Artikel 57 Absatz 8 der Richtlinie 2012/34/EU in allen Mitgliedstaaten eine einheitliche Methode zu entwickeln.
(23)
In der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 869/2014(4) sind Kriterien und Verfahren für die Durchführung der Prüfung des Hauptzwecks sowie des wirtschaftlichen Gleichgewichts für neue grenzüberschreitende Schienenpersonenverkehrsdienste festgelegt. Da aufgrund der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste die Prüfung des Hauptzwecks jedoch nicht mehr erforderlich ist, sollten auf alle neuen — inländischen wie grenzüberschreitenden — Schienenpersonenverkehrsdienste dieselben Kriterien und Verfahren angewandt werden. Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 869/2014 sollte daher aufgehoben werden.
(24)
Da Artikel 10 und Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 2012/34/EU ab dem 1. Januar 2019 gelten, aber auf Zugverkehrsdienste, deren Betrieb vor dem 12. Dezember 2020 begann, keine Anwendung finden, ist es erforderlich, die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 869/2014 der Kommission nach dem 1. Januar 2019 auch weiterhin anzuwenden, jedoch nur auf neue Schienenpersonenverkehrsdienste, die vor dem 12. Dezember 2020 aufgenommen werden sollen. Die Anwendung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 869/2014 der Kommission sollte unter der Bedingung stehen, dass die Anmeldungen der Antragsteller so frühzeitig eingehen, dass das Genehmigungs- und Planungsverfahren in einem angemessenen Zeitraum abgeschlossen werden kann und die Dienste tatsächlich vor dem 12. Dezember 2020 aufgenommen werden können.
(25)
Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des gemäß Artikel 62 Absatz 1 der Richtlinie 2012/34/EU eingesetzten Ausschusses —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 343 vom 14.12.2012, S. 32.

(2)

Richtlinie (EU) 2016/2370 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU bezüglich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur (ABl. L 352 vom 23.12.2016, S. 1).

(3)

Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1).

(4)

Durchführungsverordnung (EU) Nr. 869/2014 der Kommission vom 11. August 2014 über neue Schienenpersonenverkehrsdienste (ABl. L 239 vom 12.8.2014, S. 1).

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