Präambel VO (EU) 2019/1011

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU(1), insbesondere auf Artikel 4 Absatz 2 und Artikel 33 Absatz 8,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Die Kapitalmarktunion-Initiative zielt darauf ab, die Abhängigkeit von Bankkrediten zu verringern, für alle kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) die Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt zu diversifizieren und KMU zu mehr Anleihe- und Aktienemissionen an öffentlichen Märkten zu veranlassen. In der Union niedergelassene Unternehmen, die an Handelsplätzen Kapital aufnehmen möchten, sehen sich hohen einmaligen und laufenden Offenlegungs- und Befolgungskosten gegenüber, die sie von vornherein davon abhalten können, sich um eine Zulassung zum Handel an einem Handelsplatz in der Union zu bemühen. Darüber hinaus haben die von KMU an Handelsplätzen in der Union begebenen Titel häufig mit schwächerer Liquidität und höherer Volatilität zu kämpfen, was die Kosten der Kapitalaufnahme erhöht und diese Finanzierungsquelle zu kostspielig macht.
(2)
Um kleinen und mittleren Unternehmen die Kapitalaufnahme zu erleichtern und die weitere Entwicklung spezialisierter, auf die Erfordernisse von KMU-Emittenten zugeschnittener Märkte zu fördern, wurde in der Richtlinie 2014/65/EU eine neue Art von Handelsplatz geschaffen: die KMU-Wachstumsmärkte, die eine Unterkategorie der multilateralen Handelssysteme (MTF) darstellen. Schon nach der Richtlinie 2014/65/EU sollte die Aufmerksamkeit schwerpunktmäßig darauf gelegt werden, wie eine künftige Regulierung die Nutzung dieses Marktes weiter unterstützen und fördern kann, um diesen für Anleger attraktiver zu gestalten, sowie dass die Verwaltungslast verringert wird und weitere Anreize für KMU geboten werden, sich der Kapitalmärkte über KMU-Wachstumsmärkte zu bedienen.
(3)
Um die Liquidität und Rentabilität der KMU-Wachstumsmärkte sicherzustellen, müssen nach Artikel 33 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2014/65/EU mindestens 50 % der Emittenten, deren Finanzinstrumente zum Handel auf einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind, kleine und mittlere Unternehmen sein, die Aktien und/oder Schuldverschreibungen begeben. Nach der Richtlinie 2014/65/EU sind KMU-Emittenten von Eigenkapitalinstrumenten definiert als Unternehmen, deren durchschnittliche Marktkapitalisierung auf der Grundlage der Notierungen zum Jahresende in den letzten drei Kalenderjahren weniger als 200 Mio. EUR betrug. Auf der anderen Seite sieht die Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission(2) vor, dass KMU-Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten (d. h. Emittenten, die ausschließlich Schuldtitel begeben) mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: i) eine Beschäftigtenzahl von weniger als 250, ii) eine Gesamtbilanzsumme von höchstens 43 Mio. EUR und iii) ein Jahresnettoumsatz von höchstens 50 Mio. EUR. Diese Anforderung an Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten für eine Einstufung als KMU wurde als zu restriktiv empfunden, da solche Emittenten tendenziell größer sind als klassische KMU. Dies hat zur Folge, dass viele Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten nach der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 nicht als KMU gelten, obwohl sie relativ klein sind. Viele MTF, die auf die Emission von KMU-Anleihen spezialisiert sind oder das Begeben sowohl von Aktien als auch von Anleihen zulassen, können den Schwellenwert von 50 % des Anteils an Emittenten, die als KMU gelten, nicht erreichen und können sich deshalb nicht als KMU-Wachstumsmärkte registrieren lassen. Wenn Betreiber von MTF den Rahmen der KMU-Wachstumsmärkte jedoch nicht nutzen, können die Emittenten an diesen MTF nicht von den weniger strengen Regulierungsanforderungen profitieren, mit denen Notierungen und Emissionen an diesen KMU-Wachstumsmärkten gefördert werden sollen. Damit sich mehr MTF als KMU-Wachstumsmärkte registrieren lassen können, sollte daher für die Zwecke der KMU-Wachstumsmärkte der Nennwert der von einem Emittenten im vorangegangenen Kalenderjahr getätigten Anleiheemissionen (ohne Darlehen) als einziges Kriterium festgelegt werden, anhand dessen Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten als KMU eingestuft werden. Die Kommission wird überwachen, wie wirksam die neue Definition von KMU-Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten im Hinblick auf die Registrierung von MTF als KMU-Wachstumsmärkte ist, und wie sie sich auf die Marktentwicklungen und das Anlegervertrauen auswirkt.
(4)
In der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 ist festgelegt, dass für KMU-Wachstumsmärkte keine Vorschriften gelten sollten, die Emittenten an diesen Märkten stärker belasten als Emittenten an geregelten Märkten. Nach Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe g der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 sind jedoch an KMU-Wachstumsmärkten tätige Emittenten verpflichtet, Halbjahresfinanzberichte zu veröffentlichen. Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten, die professionelle Kunden an geregelten Märkten als Zielgruppe anvisieren, unterliegen nach der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates(3) allerdings nicht der gleichen Verpflichtung. Die Erstellung von Halbjahresfinanzberichten hat sich als eine unverhältnismäßige Verpflichtung für Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten an KMU-Wachstumsmärkten herausgestellt. Da viele auf KMU ausgerichtete MTF Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten nicht dazu verpflichten, Halbjahresfinanzberichte zu erstellen, scheint eine solche durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 zwingend vorgeschriebene Anforderung dazu beizutragen, dass die Betreiber von MTF davon abgehalten werden, eine Registrierung als KMU-Wachstumsmärkte zu beantragen. Die Betreiber von KMU-Wachstumsmärkten sollten daher frei darüber entscheiden können, ob sie von den Emittenten von Nichteigenkapitalinstrumenten die Veröffentlichung von Halbjahresfinanzberichten verlangen.
(5)
Einige Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten haben nur einen begrenzten Anteil ihres ausgegebenen Aktienkapitals frei handelbar platziert, wodurch der Handel mit diesen Aktien für Investoren riskanter und die Liquidität negativ beeinflusst wird. Dies hält wiederum Anleger davon ab, in an KMU-Wachstumsmärkten notierte Aktien zu investieren. Um die Liquidität der Aktien zu gewährleisten und das Anlegervertrauen zu stärken, sollten Betreiber von KMU-Wachstumsmärkten daher als Voraussetzung für die Erstzulassung zum Handel verlangen, dass ein Mindestanteil der Aktien frei handelbar ist ( „Streubesitz-Anforderung” ). Es sollte den Betreibern von KMU-Wachstumsmärkten jedoch selbst überlassen sein, je nach den besonderen Gegebenheiten des Marktes einen angemessenen Schwellenwert festzulegen und zu entscheiden, ob dieser als absoluter Wert oder als Prozentsatz am gesamten ausgegebenen Aktienkapital ausgedrückt werden soll.
(6)
Die Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 sollte daher entsprechend geändert werden.
(7)
Den etablierten Betreibern von KMU-Wachstumsmärkten sollte nach Inkrafttreten der vorliegenden Verordnung ein Mindestzeitraum eingeräumt werden, um ihre Registrierungsbedingungen entsprechend anzupassen. Deshalb sollte der Geltungsbeginn der vorliegenden Verordnung drei Monate nach deren Inkrafttreten liegen —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349).

(2)

Siehe Artikel 77 Absatz 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25. April 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie (ABl. L 87 vom 31.3.2017, S. 1).

(3)

Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 390 vom 31.12.2004, S. 38).

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