Präambel VO (EU) 2020/599
DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates(1), insbesondere auf Artikel 222,
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- Die derzeitige COVID-19-Pandemie und die umfangreichen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit in den Mitgliedstaaten gehen im Sektor Milch und Milcherzeugnisse mit einer wirtschaftlichen Störung einher, die finanzielle Schwierigkeiten und Liquiditätsprobleme bei den Landwirten hervorruft.
- (2)
- Durch die Ausbreitung der Krankheit und die ergriffenen Maßnahmen stehen weniger Arbeitskräfte zur Verfügung, wodurch es insbesondere auf den Stufen der Erzeugung, der Sammlung und der Verarbeitung von Milch zu Engpässen kommt. Dies verschärft die Probleme in dem Sektor, da die verarbeitende Industrie alternative Lösungen für die Sammlung der weiterhin fließenden Rohmilch finden muss, während die Verarbeitungsbetriebe große Schwierigkeiten zu bewältigen haben.
- (3)
- Zudem hat die verordnete Schließung von Geschäften, Märkten, Restaurants und anderen Gastronomiebetrieben das Gastgewerbe und die Gastronomie zum Stillstand gebracht, was zu erheblichen Veränderungen bei der Nachfrage nach Milch und Milcherzeugnissen geführt hat. Die Verbraucher fragen nun vermehrt Grundnahrungsmittel nach und deutlich weniger spezielle Milcherzeugnisse. Je nach Erzeugnis werden im Gastgewerbe und in der Gastronomie traditionell etwa 10 % bis 20 % der EU-Erzeugung an Milch und Milchprodukten verbraucht. Infolgedessen ist die Nachfrage nach bestimmten im Gastgewerbe und in der Gastronomie verkauften Erzeugnissen des Sektors Milch und Milcherzeugnisse zurückgegangen. Bei Mozzarella wird beispielsweise mehr als die Hälfte der Unionsproduktion an Gastronomiebetriebe geliefert. Der Anstieg der Nachfrage nach bestimmten Milcherzeugnissen im Einzelhandel konnte den Nachfragerückgang im Gastgewerbe und in der Gastronomie nicht ausgleichen.
- (4)
- Darüber hinaus kündigen Käufer von Milch und Milcherzeugnissen in der Union und auf dem Weltmarkt Verträge und zögern den Abschluss neuer Verträge hinaus, da sie mit weiteren Preisrückgängen rechnen. Hinzu kommt, dass es bei den Ausfuhren von Milch und Milcherzeugnissen logistische Probleme gibt, da der Ausbruch der COVID-19-Pandemie in China zu einer erheblichen Überlastung der Häfen in China und anderswo geführt hat. Es wird davon ausgegangen, dass es mindestens bis Juni 2020 vermehrt sogenannte Blank Sailings (Ausfall von Schiffsabfahrten) geben wird, die eine Verknappung der Containerkapazitäten, einen erheblichen Anstieg der Frachtkosten und verspätete Lieferungen bei der Ausfuhr nach sich ziehen werden. Der Anteil der Ausfuhren in Drittländer beläuft sich auf rund 15 % der gesamten Erzeugungsmenge von Milch und Milcherzeugnissen in der Union.
- (5)
- Deshalb wird ein Teil der Rohmilch nun vermehrt und über die normale Marktnachfrage hinaus zu unverpackten, lang haltbaren, lagerfähigen und weniger arbeitsintensiven Erzeugnissen wie Magermilchpulver und Butter verarbeitet. In vielen Produktionsstätten in der Union besteht jedoch nicht die Möglichkeit, Milch zu unterschiedlichen Erzeugnissen zu verarbeiten, sodass dort weiterhin Milcherzeugnisse hergestellt werden müssen, bei denen die Nachfrage stark zurückgegangen ist.
- (6)
- Dieses Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führt zu einer wirtschaftlichen Störung im Sektor Milch und Milcherzeugnisse. Dadurch sind die Großhandelspreise für Milch und Milcherzeugnisse insbesondere seit Anfang März 2020 erheblich gesunken, und zwar um 19 % bei Magermilchpulver und um 14 % bei Butter. Bei Magermilchpulver und Butter waren als Erstes erhebliche Preisrückgänge zu verzeichnen, da im Falle eines Überangebots die überschüssige Rohmilch zu genau diesen Erzeugnissen verarbeitet wird. Ausgehend von den Preisen für Magermilchpulver und Butter ging der Großhandelspreis für Rohmilchäquivalent Schätzungen zufolge zwischen Anfang Februar und der ersten Aprilwoche um 24 % zurück. Der Preisrückgang in diesem Frühjahr ist außergewöhnlich stark, da die veränderte Nachfrage infolge der eingeschränkten Bewegungsfreiheit mit dem jahreszeitlichen Höhepunkt der Milcherzeugung zusammenfällt. Es wird erwartet, dass die Preise für Milch und Milcherzeugnisse weiter sinken, da die erzeugte Milchmenge im Frühjahr und Sommer, den Jahreszeiten mit der höchsten Produktion im Sektor Milch und Milcherzeugnisse, zunehmen wird.
- (7)
- Aufgrund der genannten Umstände werden diese Ereignisse als Phase eines schweren Marktungleichgewichts eingestuft.
- (8)
- Damit in dieser Zeit eines schweren Marktungleichgewichts eine Lösung für den Sektor Milch und Milcherzeugnisse gefunden werden kann, sollten Vereinbarungen und Beschlüsse von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, Vereinigungen von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, Vereinigungen dieser Erzeugervereinigungen, anerkannten Erzeugerorganisationen, Vereinigungen von anerkannten Erzeugerorganisationen und anerkannten Branchenverbänden genehmigt werden. In solchen Vereinbarungen und Beschlüssen könnten gemeinsame Anstrengungen der Marktteilnehmer geregelt werden, die Rohmilcherzeugung entsprechend den veränderten Nachfragemustern zu planen.
- (9)
- Solche Vereinbarungen oder Beschlüsse über die Planung der Erzeugung sollten befristet für sechs Monate genehmigt werden — also für das Frühjahr und den Sommer und somit die Jahreszeiten mit der höchsten Produktion im Sektor Milch und Milcherzeugnisse — und sollten somit die größtmögliche Wirkung erzielen.
- (10)
- Da die gravierende Marktstörung seit Anfang April 2020 beobachtet wird, sollte der Zeitraum von sechs Monaten am 1. April 2020 beginnen.
- (11)
- Gemäß Artikel 222 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 wird eine Genehmigung erteilt, sofern dies nicht das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts unterminiert und diese Vereinbarungen und Beschlüsse strikt darauf abzielen, den Sektor zu stabilisieren. Durch diese besonderen Bedingungen sind Vereinbarungen und Beschlüsse ausgeschlossen, die direkt oder indirekt zur Aufteilung von Märkten, zu unterschiedlicher Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder zur Festsetzung von Preisen führen. Erfüllen die Vereinbarungen und Beschlüsse diese Bedingungen nicht oder nicht mehr, so findet Artikel 101 Absatz 1 AEUV auf diese Vereinbarungen und Beschlüsse Anwendung.
- (12)
- Da das schwere Marktungleichgewicht die gesamte Union betrifft, sollte die in dieser Verordnung vorgesehene Genehmigung für das Gebiet der Union gelten.
- (13)
- Damit die Mitgliedstaaten beurteilen können, ob die Vereinbarungen und Beschlüsse das Funktionieren des Binnenmarktes nicht unterminieren und strikt darauf abzielen, den Sektor Milch und Milcherzeugnisse zu stabilisieren, sollten die zuständigen Behörden — einschließlich der Wettbewerbsbehörden — des Mitgliedstaats, auf den der höchste Anteil der unter diese Vereinbarungen und Beschlüsse fallenden geschätzten Milcherzeugungsmenge entfällt, Informationen über die geschlossenen Vereinbarungen und gefassten Beschlüsse sowie über die unter diese Vereinbarungen und Beschlüsse fallende Erzeugungsmenge und den Durchführungszeitraum erhalten.
- (14)
- Angesichts des schweren Marktungleichgewichts und der bevorstehenden jahreszeitlich bedingten Spitzenproduktion sollte diese Verordnung am Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft treten.
- (15)
- Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ausschusses für die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte —
HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 671.
© Europäische Union 1998-2021
Tipp: Verwenden Sie die Pfeiltasten der Tastatur zur Navigation zwischen Normen.