Präambel VO (EU) 2023/1066

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EWG) Nr. 2821/71 des Rates vom 20. Dezember 1971 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen(1), insbesondere auf Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b,

nach Veröffentlichung eines Entwurfs der vorliegenden Verordnung(2),

nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Nach der Verordnung (EWG) Nr. 2821/71 ist die Kommission ermächtigt, Artikel 101 Absatz 3 AEUV durch Verordnung auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und abgestimmten Verhaltensweisen anzuwenden, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen und die Forschung und Entwicklung von Produkten, Technologien oder Verfahren bis zur Produktionsreife sowie die Verwertung der Ergebnisse einschließlich der Bestimmungen über Rechte des geistigen Eigentums zum Gegenstand haben.
(2)
Entsprechend ihrem Auftrag nach Artikel 179 Absatz 2 AEUV unterstützt die Union Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen, in ihren Bemühungen auf dem Gebiet der Forschung und technologischen Entwicklung von hoher Qualität und fördert ihre Zusammenarbeitsbestrebungen. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung kann zur Erreichung der Ziele des europäischen Grünen Deals(3) beitragen.
(3)
In der Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission(4) sind Gruppen von Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen definiert, die nach Auffassung der Kommission in der Regel die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Die Geltungsdauer der genannten Verordnung endet am 30. Juni 2023. Angesichts der insgesamt positiven Erfahrungen mit der Anwendung der genannten Verordnung und der Ergebnisse ihrer Evaluierung sollte eine neue Gruppenfreistellungsverordnung erlassen werden.
(4)
Mit dieser Verordnung sollen Forschung und Entwicklung erleichtert, gleichzeitig jedoch der Wettbewerb wirksam geschützt werden. Außerdem sollte diese Verordnung den Unternehmen angemessene Rechtssicherheit bieten. Im Zuge der Verfolgung dieser Ziele sollten ferner die behördliche Aufsicht und der rechtlichen Rahmen so weit wie möglich vereinfacht werden.
(5)
Solange ein gewisser Grad an Marktmacht nicht erreicht ist, kann im Hinblick auf die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die positiven Auswirkungen von Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen negative Auswirkungen auf den Wettbewerb überwiegen.
(6)
Für die Anwendung des Artikel 101 Absatz 3 AEUV durch Verordnung ist es nicht erforderlich, die Vereinbarungen zu definieren, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen können. Bei der Prüfung einzelner Vereinbarungen nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV sind mehrere Faktoren, insbesondere die Struktur des relevanten Marktes, zu berücksichtigen.
(7)
Zusammenarbeit im Rahmen von gemeinsamer Forschung und Entwicklung oder Auftragsforschung und -entwicklung sowie bei der Verwertung der Ergebnisse trägt am ehesten zur Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts bei, wenn die Parteien komplementäre Fähigkeiten, Vermögenswerte oder Tätigkeiten in die Zusammenarbeit einbringen.
(8)
Die aus einer verstärkten und wirksameren Forschungs- und Entwicklungstätigkeit erwachsenden Vorteile kommen den Verbrauchern in der Regel in Form neuer oder verbesserter Produkte, Technologien oder Verfahren, einer schnelleren Markteinführung solcher Produkte, Technologien oder Verfahren oder niedrigerer Preise aufgrund neuer oder verbesserter Produkte, Technologien oder Verfahren zugute.
(9)
Die gemeinsame Verwertung der Ergebnisse kann verschiedene Formen annehmen, z. B. die Produktion und den Vertrieb von Produkten oder die Anwendung von Technologien oder Verfahren oder die für eine solche Produktion oder Anwendung erforderliche Übertragung oder Lizenzierung von Rechten des geistigen Eigentums oder Weitergabe von Know-how, die wesentlich zum technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt beitragen.
(10)
Um eine Freistellung nach dieser Verordnung zu rechtfertigen, sollte sich die gemeinsame Verwertung nur auf Produkte (einschließlich Waren und Dienstleistungen), Technologien oder Verfahren beziehen, für die die Nutzung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse unerlässlich ist.
(11)
Ferner sollte in der Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung festgelegt sein, dass alle Parteien für die Zwecke weiterer Forschung und Entwicklung und für die Zwecke der Verwertung uneingeschränkten Zugang zu den Endergebnissen der gemeinsamen Forschung und Entwicklung, einschließlich daraus erwachsender Rechte des geistigen Eigentums und daraus erwachsenden Know-hows, haben, sobald sie vorliegen. Der Zugang zu den Ergebnissen sollte grundsätzlich nicht beschränkt werden, wenn es um die Nutzung der Ergebnisse für die Zwecke weiterer Forschung und Entwicklung geht. Wenn die Parteien jedoch ihre Verwertungsrechte im Einklang mit dieser Verordnung beschränken, insbesondere wenn sie sich im Rahmen der Verwertung spezialisieren, kann auch der Zugang zu den Ergebnissen für die Zwecke der Verwertung entsprechend beschränkt werden. Ferner können an Forschung und Entwicklung beteiligte Hochschulen, Forschungsinstitute oder Unternehmen, die Forschungs- und Entwicklungsleistungen in Form gewerblicher Dienste erbringen und sich üblicherweise nicht mit der Verwertung von Ergebnissen befassen, vereinbaren, die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse ausschließlich für die Zwecke weiterer Forschung und Entwicklung zu nutzen.
(12)
Je nach ihren Kapazitäten und wirtschaftlichen Interessen können die Parteien ungleiche Beiträge zu ihrer Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit leisten. Um den unterschiedlichen Wert oder die unterschiedliche Art der Beiträge der Parteien zu berücksichtigen und auszugleichen, kann eine durch diese Verordnung freigestellte Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung deshalb vorsehen, dass eine Partei einer anderen Partei für den Zugang zu den Ergebnissen für die Zwecke weiterer Forschung und Entwicklung oder der Verwertung eine Vergütung zahlt. Die Vergütung sollte jedoch nicht so hoch sein, dass sie diesen Zugang praktisch verhindern würde.
(13)
Ist in der Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung keine gemeinsame Verwertung der Ergebnisse vorgesehen, dann sollten die Parteien einander mit dieser Vereinbarung Zugang zu ihrem bereits vorhandenen Know-how gewähren, sofern dieses Know-how für die Verwertung der Ergebnisse durch die anderen Parteien unerlässlich ist. Jegliche erhobene Vergütung (etwa in Form von Lizenzgebühren) sollte nicht so hoch sein, dass sie den Zugang der anderen Parteien zu dem Know-how praktisch verhindern würde.
(14)
Die durch diese Verordnung gewährte Freistellung sollte auf Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen beschränkt werden, durch die die Unternehmen nicht in die Lage versetzt werden, in Bezug auf einen wesentlichen Teil der betreffenden Produkte, Technologien oder Verfahren den Wettbewerb auszuschalten. Von der Gruppenfreistellung auszuschließen sind daher Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, deren gemeinsamer Marktanteil bei den Produkten, Technologien oder Verfahren, die dank der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse verbessert, ausgetauscht oder ersetzt werden können, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung einen bestimmten Schwellenwert übersteigt.
(15)
Wenn eine Partei mehrere von Wettbewerbern durchgeführte Forschungs- und Entwicklungsprojekte finanziert, die dieselben Produkte, Technologien oder Verfahren betreffen, und insbesondere wenn die Partei das ausschließliche Recht erlangt, die Ergebnisse gegenüber Dritten zu verwerten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine wettbewerbswidrige Marktverschließung bewirkt werden kann. Daher sollte für Vereinbarungen über Auftragsforschung und -entwicklung der Rechtsvorteil der durch diese Verordnung gewährten Freistellung nur gewährt werden, wenn der gemeinsame Marktanteil aller an diesen miteinander zusammenhängenden Vereinbarungen beteiligten Parteien, d. h. der finanzierenden Partei und aller die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ausführenden Parteien, einen bestimmten Schwellenwert nicht übersteigt.
(16)
Die durch diese Verordnung gewährte Freistellung sollte jedoch keinem Marktanteilsschwellenwert unterliegen, wenn die an der Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung beteiligten Parteien in Bezug auf Produkte, Technologien oder Prozesse, die durch die sich aus der Vereinbarung ergebenden Produkte, Technologien oder Verfahren verbessert, ausgetauscht oder ersetzt werden können, keine Wettbewerber sind. Dies umfasst z. B. Vereinbarungen über die Entwicklung von Produkten, Technologien oder Verfahren, die zu einer vollkommen neuen Nachfrage führen würden, oder Forschung und Entwicklung, die nicht eng mit einem bestimmten Produkt, einer bestimmten Technologie oder einem bestimmten Verfahren zusammenhängt oder noch nicht auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist.
(17)
Es sollte nicht generell davon ausgegangen werden, dass Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen oder die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllen, wenn der in dieser Verordnung festgelegte Marktanteilsschwellenwert überschritten wird oder andere Voraussetzungen dieser Verordnung nicht erfüllt sind. In solchen Fällen muss die Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung einer Einzelfallprüfung nach Artikel 101 AEUV unterzogen werden.
(18)
Damit auch bei der gemeinsamen Verwertung der Ergebnisse der gemeinsamen Forschung und Entwicklung oder der Auftragsforschung und -entwicklung wirksamer Wettbewerb gewährleistet bleibt, sollte festgelegt werden, dass die Gruppenfreistellung ihre Geltung verliert, wenn der gemeinsame Anteil der Parteien am Markt für die aus der Forschung und Entwicklung hervorgegangenen Produkte, Technologien oder Verfahren einen bestimmten Schwellenwert übersteigt. Die Freistellung sollte jedoch ungeachtet der Höhe der Marktanteile der Parteien während eines bestimmten Zeitraums nach Beginn der gemeinsamen Verwertung weiter gelten, damit sich — insbesondere nach Einführung eines vollkommen neuen Produkts — die Marktanteile der Parteien stabilisieren können und zugleich ein Mindestzeitraum für die Erwirtschaftung einer Rendite auf das investierte Kapital gewährleistet wird.
(19)
Die durch diese Verordnung gewährte Freistellung sollte nicht für Vereinbarungen gelten, die Beschränkungen enthalten, die für die Erzielung der positiven Auswirkungen einer Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung nicht unerlässlich sind. Vereinbarungen, die bestimmte Arten schwerwiegender Wettbewerbsbeschränkungen enthalten, sollten unabhängig vom Marktanteil der Parteien grundsätzlich von dem mit dieser Verordnung gewährten Rechtsvorteil der Freistellung ausgeschlossen werden; dies gilt unter anderem für Beschränkungen der Freiheit der Parteien, Forschung und Entwicklung in einem Bereich durchzuführen, der mit dem Bereich der betreffenden Vereinbarung nicht zusammenhängt, für die Festsetzung von Preisen für Dritte, für die Beschränkung von Produktion oder Absatz sowie für die Beschränkung des passiven Verkaufs von Produkten, Technologien oder Verfahren, die aus der gemeinsamen Forschung und Entwicklung oder der Auftragsforschung und -entwicklung hervorgegangen sind. Nutzungsbeschränkungen stellen in diesem Zusammenhang weder eine Produktions- oder Absatzbeschränkung noch eine Gebiets- oder Kundenbeschränkung dar.
(20)
Durch die Marktanteilsschwellenwerte, den Ausschluss bestimmter Vereinbarungen von der Freistellung und die in dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen ist im Allgemeinen sichergestellt, dass Vereinbarungen, auf die die Gruppenfreistellung Anwendung findet, die Parteien nicht in die Lage versetzen, in Bezug auf einen wesentlichen Teil der betreffenden Produkte, Technologien oder Verfahren den Wettbewerb auszuschalten.
(21)
Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die nicht als Anbieter von Produkten, Technologien oder Verfahren, die aufgrund der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse verbessert, ausgetauscht oder ersetzt werden können, miteinander im Wettbewerb stehen und die die Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, schalten den wirksamen Innovationswettbewerb nur in Ausnahmefällen aus. Es ist daher zweckmäßig, diesen Vereinbarungen die mit dieser Verordnung gewährte Freistellung unabhängig vom Marktanteil zugutekommen zu lassen und Ausnahmefällen durch Entzug des Rechtsvorteils der durch diese Verordnung gewährten Freistellung zu begegnen. Die Freistellung solcher Vereinbarungen nach dieser Verordnung lässt die wettbewerbsrechtliche Würdigung von Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen, die die Voraussetzungen dieser Verordnung nicht erfüllen, oder von Vereinbarungen, für die der Rechtsvorteil der durch diese Verordnung gewährten Freistellung entzogen wurde, unberührt.
(22)
In dieser Verordnung sollten typische Situationen aufgeführt werden, in denen es als angemessen angesehen werden kann, den Rechtsvorteil der durch sie gewährten Freistellung nach Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates(5) zu entziehen.
(23)
Da Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen und insbesondere solche, bei denen sich die Zusammenarbeit auch auf die Verwertung der Ergebnisse erstreckt, häufig für einen langen Zeitraum geschlossen werden, sollte die Geltungsdauer dieser Verordnung auf 12 Jahre festgesetzt werden —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 285 vom 29.12.1971, S. 46.

(2)

ABl. C 120 vom 15.3.2022, S. 9.

(3)

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Der europäische Grüne Deal (COM(2019) 640 final).

(4)

Verordnung (EU) Nr. 1217/2010 der Kommission vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (ABl. L 335 vom 18.12.2010, S. 36).

(5)

Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1).

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