Präambel VO (EU) 2023/1067

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EWG) Nr. 2821/71 des Rates vom 20. Dezember 1971 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen(1), insbesondere auf Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c,

nach Veröffentlichung eines Entwurfs der vorliegenden Verordnung(2),

nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Nach der Verordnung (EWG) Nr. 2821/71 ist die Kommission ermächtigt, Artikel 101 Absatz 3 AEUV durch Verordnung auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und abgestimmten Verhaltensweisen anzuwenden, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen und eine Spezialisierung zum Gegenstand haben, einschließlich der zur Erreichung einer solchen Spezialisierung erforderlichen Vereinbarungen.
(2)
In der Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission(3) sind Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen definiert, die nach Auffassung der Kommission in der Regel die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Die Geltungsdauer der genannten Verordnung endet am 30. Juni 2023. Angesichts der insgesamt positiven Erfahrungen mit der Anwendung der genannten Verordnung und der Ergebnisse ihrer Evaluierung sollte eine neue Gruppenfreistellungsverordnung erlassen werden.
(3)
Diese Verordnung soll sowohl den Wettbewerb wirksam schützen als auch den Unternehmen angemessene Rechtssicherheit bieten. Im Zuge der Verfolgung dieser beiden Ziele sollten ferner die behördliche Aufsicht und der rechtliche Rahmen soweit wie möglich vereinfacht werden.
(4)
Für die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV durch Verordnung ist es nicht erforderlich, die Vereinbarungen zu definieren, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen können. Bei der Prüfung einzelner Vereinbarungen nach Artikel 101 Absatz 1 AEUV sind mehrere Faktoren, insbesondere die Struktur des relevanten Marktes, zu berücksichtigen.
(5)
Der Rechtsvorteil der durch diese Verordnung gewährten Freistellung sollte nur Vereinbarungen zugutekommen, bei denen mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen. Solange ein gewisser Grad an Marktmacht nicht erreicht ist, kann im Hinblick auf die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 AEUV grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die positiven Auswirkungen von Spezialisierungsvereinbarungen gegenüber den negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb überwiegen.
(6)
Diese Verordnung sollte für Vereinbarungen über die Herstellung von Waren und die Vorbereitung von Dienstleistungen gelten. Die Vorbereitung von Dienstleistungen umfasst Tätigkeiten, die der Erbringung von Dienstleistungen für Kunden vorgelagert sind (z. B. die Zusammenarbeit bei der Schaffung oder dem Betrieb einer Plattform, über die eine Dienstleistung erbracht werden soll). Die Erbringung von Dienstleistungen für Kunden fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung, es sei denn, die Parteien vereinbaren, im Rahmen der Spezialisierungsvereinbarung vorbereitete Dienstleistungen gemeinsam zu erbringen.
(7)
Spezialisierungsvereinbarungen tragen am ehesten zu Verbesserungen bei der Herstellung von Waren oder der Vorbereitung von Dienstleistungen und bei deren Vertrieb bei, wenn die Parteien komplementäre Fähigkeiten, Vermögenswerte oder Tätigkeiten einbringen, weil die Vereinbarung ihnen in diesem Fall ermöglicht, sich auf die Herstellung bestimmter Waren oder die Vorbereitung bestimmter Dienstleistungen zu konzentrieren und somit rationeller zu arbeiten und die betreffenden Produkte preisgünstiger anzubieten. In einer Situation wirksamen Wettbewerbs ist es wahrscheinlich, dass die Verbraucher angemessen an den entstehenden Vorteilen beteiligt werden.
(8)
Solche Vorteile können sich erstens aus Vereinbarungen ergeben, mit denen eine oder mehrere Parteien zugunsten einer oder mehrerer anderer Parteien ganz oder teilweise auf die Herstellung bestimmter Waren oder die Vorbereitung bestimmter Dienstleistungen verzichten ( „einseitige Spezialisierung” ), und zweitens aus Vereinbarungen, mit denen zwei oder mehr Parteien zugunsten einer oder mehrerer anderer Parteien ganz oder teilweise auf die Herstellung bestimmter, aber unterschiedlicher Waren oder die Vorbereitung bestimmter, aber unterschiedlicher Dienstleistungen verzichten ( „gegenseitige Spezialisierung” ), sowie drittens aus Vereinbarungen, mit denen sich zwei oder mehr Parteien verpflichten, bestimmte Waren gemeinsam herzustellen oder bestimmte Dienstleistungen gemeinsam vorzubereiten ( „gemeinsame Produktion” ).
(9)
Die Anwendung dieser Verordnung auf Vereinbarungen über die einseitige bzw. die gegenseitige Spezialisierung sollte auf Fälle beschränkt werden, in denen die Parteien auf demselben sachlich relevanten Markt tätig sind. Eine Tätigkeit der Parteien auf demselben räumlich relevanten Markt ist jedoch nicht notwendig. Darüber hinaus sollte es für eine einseitige oder gegenseitige Spezialisierung nicht erforderlich sein, dass eine Partei Kapazität abbaut, da es genügt, wenn sie ihr Produktionsvolumen verringert.
(10)
Damit die Vorteile der Spezialisierung zum Tragen kommen, ohne dass sich eine Partei ganz aus dem der Produktion nachgelagerten Markt zurückzieht, sollten Vereinbarungen über die einseitige bzw. die gegenseitige Spezialisierung nur unter diese Verordnung fallen, sofern sie Liefer- und Bezugsverpflichtungen enthalten. Die Liefer- und Bezugsverpflichtungen können, müssen aber nicht ausschließlicher Art sein.
(11)
Diese Verordnung gilt für Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion, die von Parteien geschlossen werden, die bereits auf demselben sachlich relevanten Markt tätig sind, oder aber von Parteien, die über die Vereinbarung über die gemeinsame Produktion in einen sachlich relevanten Markt eintreten wollen. Der Abschluss einer Vereinbarung über die gemeinsame Produktion sollte es nicht erforderlich machen, dass die Parteien ihre jeweiligen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Herstellung von Waren oder der Vorbereitung von Dienstleistungen außerhalb des Anwendungsbereichs ihrer geplanten Vereinbarung zurückfahren.
(12)
Solange für die Produkte, die Gegenstand einer Spezialisierungsvereinbarung sind, der Anteil der Parteien am relevanten Markt einen bestimmten Schwellenwert nicht überschreitet, kann davon ausgegangen werden, dass die Vereinbarung im Allgemeinen einen wirtschaftlichen Nutzen in Form von Größen- oder Verbundvorteilen oder besseren Produktionstechniken bei angemessener Beteiligung der Verbraucher an den entstehenden Vorteilen mit sich bringt.
(13)
Handelt es sich bei den unter eine Spezialisierungsvereinbarung fallenden Produkten um Zwischenprodukte, die von einer oder mehreren der Parteien ganz oder teilweise intern als Vorleistung für ihre eigene Produktion nachgelagerter Produkte verwendet werden, die sie dann auf dem Markt verkaufen, so sollte die mit dieser Verordnung gewährte Freistellung auch daran gebunden sein, dass der Marktanteil der Parteien auf dem relevanten Markt für diese nachgelagerten Produkte einen bestimmten Schwellenwert nicht überschreitet. In diesem Fall würde bei alleiniger Berücksichtigung des Marktanteils der Parteien auf der Ebene des Zwischenprodukts das Risiko einer Marktabschottung oder einer Erhöhung der Inputpreise für Wettbewerber auf der Ebene der nachgelagerten Produkte außer Acht gelassen.
(14)
Es sollte nicht generell davon ausgegangen werden, dass Spezialisierungsvereinbarungen unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen oder die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllen, wenn der in dieser Verordnung festgelegte Marktanteilsschwellenwert überschritten wird oder andere Voraussetzungen dieser Verordnung nicht erfüllt sind. In solchen Fällen muss die Spezialisierungsvereinbarung einer Einzelfallprüfung nach Artikel 101 AEUV unterzogen werden.
(15)
Die durch diese Verordnung gewährte Freistellung sollte nicht für Vereinbarungen gelten, die Beschränkungen enthalten, die für die Erzielung der positiven Auswirkungen von Spezialisierungsvereinbarungen nicht unerlässlich sind. Vereinbarungen, die bestimmte Arten schwerwiegender Wettbewerbsbeschränkungen wie die Festsetzung von Preisen für Dritte, die Beschränkung von Produktion oder Absatz und die Zuweisung von Märkten oder Kundengruppen enthalten, sollten unabhängig vom Marktanteil der Parteien grundsätzlich vom Rechtsvorteil der durch diese Verordnung gewährten Freistellung ausgeschlossen werden.
(16)
Durch den Marktanteilsschwellenwert, den Ausschluss bestimmter Vereinbarungen von der Freistellung und die in dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen ist im Allgemeinen sichergestellt, dass Vereinbarungen, auf die die Gruppenfreistellung Anwendung findet, die Parteien nicht in die Lage versetzen, in Bezug auf einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren oder Dienstleistungen den Wettbewerb auszuschalten.
(17)
In dieser Verordnung sollten typische Situationen aufgeführt werden, in denen es als angemessen angesehen werden kann, den Rechtsvorteil der durch sie gewährten Freistellung nach Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates(4) zu entziehen.
(18)
Um den Abschluss von Spezialisierungsvereinbarungen zu erleichtern, die sich auf die Struktur der Parteien auswirken können, sollte die Geltungsdauer dieser Verordnung auf 12 Jahre festgesetzt werden —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

ABl. L 285 vom 29.12.1971, S. 46.

(2)

ABl. C 120 vom 15.3.2022, S. 1.

(3)

Verordnung (EU) Nr. 1218/2010 der Kommission vom 14. Dezember 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (ABl. L 335 vom 18.12.2010, S. 43).

(4)

Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1).

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