Präambel VO (EU) 2023/1225
DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates(1), insbesondere auf Artikel 219 in Verbindung mit Artikel 228,
in Erwägung nachstehender Gründe:
- (1)
- Die derzeitige Wirtschaftslage ist gekennzeichnet durch allgemein hohe Lebenshaltungskosten, die sich auf den Verbrauch und den Absatz von Wein auswirken, sowie durch gestiegene Betriebsmittelkosten für die landwirtschaftliche Erzeugung und die Weinverarbeitung, die sich auf die Weinpreise auswirken. Durch diese Umstände drohen erhebliche Störungen des Weinmarkts der Union, da mehrere wichtige Erzeugermitgliedstaaten davon betroffen sind, dass die vorhandenen Weinbestände auf ein Niveau anwachsen, das angesichts der bevorstehenden Ernte- und Erzeugungsperiode droht, nicht länger tragfähig zu sein, und dass die Weinerzeuger mit finanziellen Schwierigkeiten und Liquiditätsproblemen zu kämpfen haben.
- (2)
- Die weltweite Inflation und der damit verbundene Rückgang der Kaufkraft der Verbraucher verschärfen den allgemeinen Abwärtstrend beim Weinverbrauch in den letzten Jahren weiter. Für das laufende Wirtschaftsjahr wird der Rückgang des Weinkonsums im Vergleich zur Marktlage vor der COVID-19-Pandemie auf 7 % in Italien, 10 % in Spanien, 15 % in Frankreich, 22 % in Deutschland und 34 % in Portugal geschätzt. Besonders betroffen davon sind bestimmte Segmente des Weinmarkts, nämlich Rot- und Roséweine.
- (3)
- Die verfügbaren Zahlen zeigen geringere Weinverkäufe im laufenden Wirtschaftsjahr, die mit der rückläufigen Inlandsnachfrage einhergehen, so z. B. einen Rückgang der Verkäufe um 5,3 % in Spanien und Frankreich, wobei die Verkäufe in einigen stark betroffenen Gebieten im Vergleich zum gleichen Zeitraum des vorangegangenen Wirtschaftsjahres um 25 % bis 35 % zurückgingen. Gleichzeitig haben sich im Zeitraum von Januar bis April 2023 die Weinausfuhren der Union im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2022 um 8,5 % verringert.
- (4)
- Der allgemeine Anstieg der wichtigsten Betriebsmittelkosten für die landwirtschaftliche Erzeugung, wie Kosten für Düngemittel, Energie und Flaschen für die Weinerzeugung, der teilweise auch auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zurückzuführen ist, hat zu einem außergewöhnlichen Anstieg der Produktionskosten geführt, der in einigen Mitgliedstaaten durchschnittlich auf 30 % bis 40 % geschätzt wird. Diese Umstände setzen die Weinerzeuger in der Union weiter unter Druck, sodass sie weniger Kapazitäten für Marketingmaßnahmen und Investitionen haben. Darüber hinaus deuten die verfügbaren Daten darauf hin, dass es – trotz der steigenden Kosten während des gesamten Zyklus der Weinerzeugung – bei bestimmten Weinen in den von der Krise am stärksten betroffenen Regionen im Vergleich zur Situation vor COVID-19 zu einem abrupten Preisverfall kommen wird, z. B. einem Preisrückgang zwischen 10 % und 26 % in einigen Regionen Frankreichs.
- (5)
- Die Kombination dieser Faktoren läuft auf einen allgemeinen Rückgang der Nachfrage und des Absatzes von Unionsweinen hinaus, zumal gleichzeitig die Erzeugung in der Union im Vergleich zum vorangegangenen Wirtschaftsjahr um 4 % zugenommen hat und das Niveau der Anfangsbestände bereits hoch war (+ 2 % gegenüber dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre). Wenn nicht rasch Maßnahmen ergriffen werden, um das wachsende Überangebot zu verringern, drohen schwere Marktstörungen, da spätestens mit der neuen Ernte ein erhebliches allgemeines Marktungleichgewicht entsteht, wenn die Weinerzeuger keine Lagerkapazitäten für die neue Erzeugung mehr haben und gezwungen sind, zu noch niedrigeren Preisen zu verkaufen.
- (6)
- Aus den derzeitigen Marktgegebenheiten ergeben sich im Weinsektor momentan in verschiedenen Erzeugungsregionen unterschiedlich starke Marktstörungen, da der Weinmarkt der Union sehr fragmentiert ist. Die Marktstörungen sind in bestimmten Regionen mehrerer Mitgliedstaaten besonders ausgeprägt und betreffen vor allem die Marktsegmente für Rot- und Roséweine. Beispiele für diese Heterogenität des Marktes sind beispielsweise um 27 % höhere Bestände im Vergleich zum Fünfjahresdurchschnitt in der spanischen Extremadura, um 24 % bzw. 14 % höhere Bestände als im Vorjahr in den Regionen Lissabon und Alentejo in Portugal und um 26 % höhere Bestände für Roséweine zu Beginn des laufenden Wirtschaftsjahres im Vergleich zum vorangegangenen Wirtschaftsjahr im Languedoc-Roussillon in Frankreich.
- (7)
- Zudem war die Lage auf dem Weinmarkt der Union aufgrund früherer Handelsbeschränkungen, eines Rückgangs des Verbrauchs während der COVID-19-Pandemie und mehrerer extremer Wetterereignisse zuvor bereits schwierig, insbesondere in den Jahren 2019, 2020 und 2021. Die derzeitigen schwierigen Umstände haben einem bereits fragilen Sektor einen weiteren Schlag versetzt und führen zu erheblichen Einkommensverlusten für alle Akteure in diesem Sektor. Die Weinerzeuger in den am stärksten betroffenen Regionen der Mitgliedstaaten haben mit finanziellen Schwierigkeiten und Liquiditätsproblemen zu kämpfen. Daher ist auch diesbezüglich sofortiges Handeln erforderlich, um wirksam auf die derart heterogene Marktlage zu reagieren, indem es den Mitgliedstaaten erlaubt wird, einen Teil der für ihre nationalen Stützungsprogramme im Weinsektor zugewiesenen Finanzmittel umzuschichten und den verschiedenen in diesem Sektor tätigen Akteuren eine gezieltere Unterstützung zu bieten.
- (8)
- Indem ein Teil der Weinmengen, für die es keine geeigneten Absatzmöglichkeiten gibt, vom Markt der am stärksten betroffenen Regionen genommen wird, sollte es gelingen, die Marktungleichgewichte abzubauen und zu verhindern, dass sich die derzeitigen Störungen zu einer schwerwiegenderen oder länger anhaltenden Störung des gesamten Weinsektors der Union auswachsen. In begründeten Fällen sollte die Destillation von Wein vorübergehend eine förderfähige Maßnahme im Rahmen der Stützungsprogramme im Weinsektor sein, um zur Verbesserung des Marktgleichgewichts und der wirtschaftlichen Lage der Weinerzeuger in den am stärksten betroffenen Erzeugungsregionen beizutragen. Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen sollte der gewonnene Alkohol nicht im Lebensmittel- und Getränkesektor, sondern nur in der Industrie, einschließlich Desinfektion und Pharmazeutik, und im Energiebereich verwendet werden dürfen. Um Missbrauch oder Überkompensation im Zuge der Einführung dieser außergewöhnlichen Maßnahme zu vermeiden, sollten die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, die Maßnahme auf die Regionen mit einem bestehenden Marktungleichgewicht auszurichten, sie auf objektive Kriterien zu stützen und keinen Ausgleich vorzusehen, der über die jüngsten Marktpreise hinausgeht.
- (9)
- Die Maßnahme „grüne Weinlese” gemäß Artikel 47 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 dient als Maßnahme zur Marktsteuerung, wenn mit einer übermäßigen Erzeugung von Trauben zu rechnen ist. Um die Marktteilnehmer bei der Reaktion auf die derzeitigen Marktgegebenheiten zu unterstützen und das Risiko zu verringern, dass sich die Situation im kommenden Wirtschaftsjahr wiederholt, sollte bei der Durchführung dieser Maßnahme im Haushaltsjahr 2023 eine gewisse Flexibilität eingeräumt werden. Insbesondere ist es als außergewöhnliche Maßnahme erforderlich, Abweichungen von Artikel 47 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vorzusehen, um die vollständige Vernichtung oder Entfernung noch unreifer Traubenbüschel in einem Teil eines Betriebs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahme auf ganzen Parzellen durchgeführt wird, und eine befristete Anhebung des Höchstbeitrags der Union zu dieser Maßnahme vorzusehen.
- (10)
- Die Aufnahme der „Krisendestillation” als förderfähige Maßnahmen sowie die für die „grüne Weinlese” eingeführte Flexibilität stellen eine Form der finanziellen Unterstützung dar, für die jedoch keine zusätzliche Finanzierung durch die Union benötigt wird, da die in Anhang VII der Verordnung (EU) 2021/2115 des Europäischen Parlaments und des Rates(2) festgesetzten Haushaltsobergrenzen für die nationalen Stützungsprogramme im Weinsektor für das Haushaltsjahr 2023 weiterhin gelten. Die Mitgliedstaaten können daher nur beschließen, den betreffenden Maßnahmen höhere Beträge zuzuweisen, solange die jährliche Mittelausstattung gemäß diesem Anhang eingehalten wird. Die finanzielle Unterstützung für die vorstehend genannten Krisenmaßnahmen zielt somit darauf ab, den Sektor in der derzeitigen instabilen Marktlage zu unterstützen, ohne zusätzliche Mittel mobilisieren zu müssen.
- (11)
- Um die Wirksamkeit der Finanzmittel der Union, die für diese Krisenmaßnahmen bereitgestellt werden können, zu erhöhen, sollte es den Mitgliedstaaten gestattet sein, die finanzielle Unterstützung der Union durch nationale Zahlungen aufzustocken, die bis zu 50 % der Unterstützung für die beiden in dieser Verordnung vorgesehenen Krisenmaßnahmen abdecken.
- (12)
- Die negative Marktentwicklung, der Kostenanstieg und die daraus resultierenden Liquiditätsprobleme der Marktteilnehmer im Weinsektor erschweren die Durchführung der Maßnahmen der nationalen Stützungsprogramme für Wein, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem eine bessere Marktausrichtung des Sektors dringend notwendig ist. Um eine wirksame Durchführung der Programme angesichts der im Weinsektor herrschenden Markt- und Wirtschaftslage zu gewährleisten, ist es angebracht, den Höchstbeitrag der Union für die Maßnahmen „Absatzförderung” , „Umstrukturierung und Umstellung von Rebflächen” , „grüne Weinlese” und „Investitionen” vorübergehend zu erhöhen.
- (13)
- Darüber hinaus ist es wichtig, den Begünstigten eine angemessene Flexibilität bei der Durchführung ihrer Vorhaben im Rahmen der nationalen Stützungsprogramme einzuräumen, damit sie auf die derzeitigen Marktunsicherheiten reagieren und die Vorhaben erforderlichenfalls anpassen können. Diese Flexibilität stellt eine weitere Marktstützungsmaßnahme dar, um zu verhindern, dass sich die derzeitigen wirtschaftlichen Störungen zu einer schwerwiegenderen oder länger anhaltenden Störung des Weinmarktes der Union auswachsen, und stellt sicher, dass die anderen in dieser Verordnung festgelegten außergewöhnlichen Maßnahmen, sobald sie von einem Mitgliedstaat beschlossen wurden, auch auf der Ebene der Begünstigten wirksam umgesetzt werden können. Daher ist es als weitere außergewöhnliche Maßnahme erforderlich, von der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1149 der Kommission(3) abzuweichen und es den Mitgliedstaaten zu erlauben, den Begünstigten eine gewisse Flexibilität einzuräumen, um die geplanten Vorhaben nach einem vereinfachten Verfahren anzupassen und in hinreichend begründeten Fällen zuzulassen, dass sie nur teilweise durchgeführt werden.
- (14)
- Sofern die Gründe für die Anwendung erhöhter Finanzsätze der Union für bestimmte Maßnahmen und für eine gewisse Flexibilität bei der Verwaltung der Programme mit der derzeitigen wirtschaftlichen Lage im Weinsektor zusammenhängen, ist es angebracht, da es sich um befristete Maßnahmen handelt, ihre Anwendung auf Vorhaben zu beschränken, die im Haushaltsjahr 2023 begonnen haben. Diese Maßnahmen sollten hingegen beispielsweise nicht für Vorhaben gelten, die in früheren Haushaltsjahren durchgeführt und erst im Haushaltsjahr 2023 gezahlt wurden.
- (15)
- Aus Gründen äußerster Dringlichkeit, angesichts der anhaltenden Marktstörungen sowie der kurzen Zeit, die den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen im laufenden Haushaltsjahr zur Verfügung steht, und um eine weitere Verschlechterung der Marktlage zu verhindern, ist es erforderlich, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen. Einerseits muss das Überangebot in den am stärksten betroffenen Regionen so bald wie möglich, in jedem Fall aber vor Beginn der neuen Ernte, d. h. bis Ende August oder Anfang September 2023 vom Markt genommen werden, denn andernfalls würde sich die Marktlage weiter verschlechtern, und das derzeitige Ungleichgewicht würde sich im neuen Wirtschaftsjahr fortsetzen, was zu einer anhaltenden Krise auf dem gesamten Weinmarkt der Union führen könnte. Andererseits müssen alle in der vorliegenden Verordnung enthaltenen Maßnahmen vor Ablauf der derzeitigen nationalen Stützungsprogramme für Wein durchgeführt werden, die gemäß Artikel 5 Absatz 7 der Verordnung (EU) 2021/2117 des Europäischen Parlaments und des Rates(4) nur bis zum 15. Oktober 2023 gelten. Gemäß der genannten Bestimmung gelten die Artikel 39 bis 54 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 nach dem 31. Dezember 2022 weiterhin für Ausgaben und Zahlungen für Vorhaben, die vor dem 16. Oktober 2023 ausgeführt wurden. Daher bestünde die Gefahr, dass verspätetes Handeln die Durchführung der Maßnahmen im Haushaltsjahr 2023, dem letzten Jahr der Durchführung der laufenden nationalen Stützungsprogramme im Weinsektor, für die betroffenen Mitgliedstaaten erschweren oder sogar unmöglich machen würde.
- (16)
- Aus den vorstehend angeführten Gründen äußerster Dringlichkeit sollte diese Verordnung nach dem Dringlichkeitsverfahren des Artikels 228 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 erlassen werden.
- (17)
- Da es umgehender Maßnahmen bedarf, sollte die vorliegende Verordnung am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten —
HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:
Fußnote(n):
- (1)
ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 671.
- (2)
Verordnung (EU) 2021/2115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Dezember 2021 mit Vorschriften für die Unterstützung der von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erstellenden und durch den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu finanzierenden Strategiepläne (GAP-Strategiepläne) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 sowie der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 (ABl. L 435 vom 6.12.2021, S. 1).
- (3)
Delegierte Verordnung (EU) 2016/1149 der Kommission vom 15. April 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die nationalen Stützungsprogramme im Weinsektor und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 555/2008 der Kommission (ABl. L 190 vom 15.7.2016, S. 1).
- (4)
Verordnung (EU) 2021/2117 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Dezember 2021 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1308/2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse, (EU) Nr. 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, (EU) Nr. 251/2014 über die Begriffsbestimmung, Beschreibung, Aufmachung und Etikettierung von aromatisierten Weinerzeugnissen sowie den Schutz geografischer Angaben für aromatisierte Weinerzeugnisse und (EU) Nr. 228/2013 über Sondermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft zugunsten der Regionen in äußerster Randlage der Union (ABl. L 435 vom 6.12.2021, S. 262).
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