Artikel 12 VO (EG) 2003/1560

Unbegleitete Minderjährige

(1) Könnte die Entscheidung, einen unbegleiteten Minderjährigen bei einem anderen Angehörigen als seinem Vater oder seiner Mutter oder seinem gesetzlichen Vormund in Obhut zu geben, besondere Schwierigkeiten aufwerfen, insbesondere, wenn der betreffende Erwachsene seinen Wohnsitz außerhalb der Gerichtsbarkeit des Mitgliedstaats hat, in dem der Minderjährige um Asyl nachsucht, wird die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, insbesondere den für Jugendschutz zuständigen Behörden bzw. den entsprechenden Gerichten erleichtert; es werden die notwendigen Maßnahmen getroffen, damit diese Behörden sich in voller Kenntnis der Sachlage dazu äußern können, ob der (die) Erwachsene(n) in der Lage ist (sind), den Minderjährigen seinem Interesse entsprechend in Obhut zu nehmen.

Zu diesem Zweck werden die Möglichkeiten genutzt, die sich im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen bieten.

(2) Die Dauer der Verfahren im Zusammenhang mit der Unterbringung des Minderjährigen kann über die Fristen gemäß Artikel 18 Absätze 1 und 6 und Artikel 19 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 hinausgehen. Dieser Umstand steht nicht zwangsläufig dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates oder der Durchführung der Überstellung entgegen.

(3) Zur Erleichterung geeigneter Maßnahmen zur Ermittlung der Familienangehörigen, Geschwister oder Verwandten eines unbegleiteten Minderjährigen ermittelt und/oder berücksichtigt der Mitgliedstaat, bei dem ein unbegleiteter Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er im Beisein des in Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Vertreters das persönliche Gespräch gemäß Artikel 5 derselben Verordnung geführt hat, sämtliche Informationen von Seiten des Minderjährigen oder aus anderen glaubwürdigen Quellen, die mit der persönlichen Lage oder der Reiseroute des Minderjährigen vertraut sind, oder von Seiten eines Familienangehörigen, eines der Geschwister oder eines Verwandten des Minderjährigen.

Die Behörden, die das Verfahren zur Feststellung des für die Prüfung des Antrags eines unbegleiteten Minderjährigen zuständigen Mitgliedstaats durchführen, beteiligen den in Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Vertreter so weit wie möglich an diesem Verfahren.

(4) Wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Feststellung des für die Prüfung des Antrags eines unbegleiteten Minderjährigen zuständigen Mitgliedstaats durchführt, bei der Erfüllung der Verpflichtungen aufgrund von Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 über Informationen verfügt, die es ermöglichen, mit dem Identifizieren und/oder Aufspüren eines Familienangehörigen, eines der Geschwister oder eines Verwandten zu beginnen, so konsultiert dieser Mitgliedstaat gegebenenfalls andere Mitgliedstaaten und tauscht mit diesen Informationen aus, um

a)
Familienangehörige, Geschwister oder Verwandte des unbegleiteten Minderjährigen, die sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, zu identifizieren;
b)
das Bestehen einer nachgewiesenen familiären Bindung festzustellen;
c)
die Fähigkeit eines Verwandten, für den unbegleiteten Minderjährigen zu sorgen, zu beurteilen, einschließlich der Fälle, in denen sich die Familienangehörigen, Geschwister oder Verwandten des unbegleiteten Minderjährigen in mehr als einem Mitgliedstaat aufhalten.

(5) Ergibt der in Absatz 4 genannte Informationsaustausch, dass sich weitere Familienangehörige, Geschwister oder Verwandte in einem anderen Mitgliedstaat oder anderen Mitgliedstaaten aufhalten, so arbeitet der Mitgliedstaat, in dem sich der unbegleitete Minderjährige aufhält, mit dem betreffenden Mitgliedstaat beziehungsweise den betreffenden Mitgliedstaaten zusammen, um zu ermitteln, in die Obhut welcher Person der Minderjährige am besten gegeben werden sollte, und insbesondere um Folgendes festzustellen:

a)
die Stärke der familiären Bindung zwischen dem Minderjährigen und den verschiedenen in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten identifizierten Personen;
b)
die Fähigkeit und Bereitschaft der betroffenen Personen, für den Minderjährigen zu sorgen;
c)
was in jedem einzelnen Fall dem Wohl des Minderjährigen dient.

(6) Für den in Absatz 4 genannten Informationsaustausch wird das Standardformblatt in Anhang VIII zu dieser Verordnung verwendet.

Der ersuchte Mitgliedstaat bemüht sich, das Gesuch binnen vier Wochen nach Erhalt zu beantworten. Lassen stichhaltige Beweise darauf schließen, dass weitere Nachforschungen zu relevanteren Informationen führen würden, teilt der ersuchte Mitgliedstaat dem ersuchenden Mitgliedstaat mit, dass zwei weitere Wochen benötigt werden.

Bei der Durchführung des Informationsersuchens nach diesem Artikel wird die vollständige Einhaltung der in Artikel 21 Absatz 1, Artikel 22 Absatz 1, Artikel 23 Absatz 2, Artikel 24 Absatz 2 und Artikel 25 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Fristen gewährleistet. Diese Verpflichtung gilt unbeschadet von Artikel 34 Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013.

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