Anlage VO (EG) 2009/761

Bewertung der Leistungsmerkmale der für Hautreizungstests vorgeschlagenen Modelle in vitro-rekonstruierter menschlicher Epidermis

EINLEITUNG

Zur Bewertung der Zuverlässigkeit und Genauigkeit der für die Anwendung im Rahmen der vorliegenden Prüfmethode vorgeschlagenen Verfahren sollten Substanzen verwendet werden, die das gesamte Reizwertspektrum nach Draize repräsentieren. Bei der Bewertung anhand der 20 empfohlenen Referenzsubstanzen (Tabelle 2) sollten die vorgeschlagenen Verfahren Zuverlässigkeits- und Genauigkeitswerte aufzeigen, die denen der validierten Referenzmethode 1 (Tabelle 3) entsprechen (1). Die angestrebten Zuverlässigkeits- und Genauigkeitsnormen sind in den nachstehenden Abschnitten II und III vorgegeben. Nicht eingestufte Substanzen und (in Kategorie 2 des UN-GHS-Systems) eingestufte Substanzen relevanter chemischer Klassen werden einbezogen, um die Zuverlässigkeit und Leistung (Empfindlichkeit, Spezifität, Falsch-negativ-/Falsch-positiv-Raten und Genauigkeit) der vorgeschlagenen Prüfmethode mit denen der validierten Referenzmethode 1 vergleichen zu können. Die Zuverlässigkeit der Prüfmethode sowie ihre Fähigkeit, Reizstoffe der Kategorie 2 des UN-GHS-Systems korrekt zu identifizieren, sollten bestimmt werden, bevor die Methode zur Testung neuer Substanzen eingesetzt wird.

LEISTUNGSNORMEN

Die Leistungsnormen umfassen die drei folgenden Elemente: i) wesentliche Elemente der Prüfmethode, ii) Referenzsubstanzen und iii) vorgegebene Genauigkeits- und Zuverlässigkeitswerte (2). Diese Normen beruhen auf den im Anschluss an die ECVAM-Hautreizungsvalidierungsstudie aufgestellten Leistungsnormen (3).

I)
Wesentliche Elemente der Prüfmethode

Allgemeine Modellbedingungen

Die Epithelschicht sollte aus normalen menschlichen Keratinozyten gebildet werden. Unter der funktionsfähigen Hornschicht (stratum corneum) sollten mehrere Lagen lebensfähiger Epithelzellen (Basalzellschicht, Stachelzellschicht, Körnerzellenschicht) vorhanden sein. Die Hornschicht sollte mehrlagig sein und das zur Erzeugung einer funktionsfähigen Barriere, die robust genug ist, um das schnelle Eindringen zytotoxischer Markersubstanzen wie Natriumdodecylsulfat (SDS) oder Triton X-100 zu verhindern, essenzielle Lipidprofil aufweisen. Die Barrierefunktion kann entweder durch Bestimmung der Konzentration, in der eine Markersubstanz die Viabilität der Gewebe nach einer vorgegebenen Expositionsdauer um 50 % verringert (IC50), oder durch Bestimmung der Expositionszeit bewertet werden, die erforderlich ist, um die Zellviabilität bei Anwendung der Markersubstanz in einer vorgegebenen festen Konzentration um 50 % zu reduzieren (ET50). Das Modell muss rückhaltefähig genug sein, um zu verhindern, dass Material rund um die Hornschicht in lebensfähiges Gewebe eindringt, was zu einer mangelhaften Modellierung der Hautexposition führen würde. Das Hautmodell sollte nicht mit Bakterien, Viren, Mycoplasma oder Pilzen kontaminiert sein.

Bedingungen für das Funktionsmodell

Viabilität

Die Viabilität wird vorzugsweise anhand des MTT-Tests bestimmt (4). Die optische Dichte (OD) des aus dem mit der Negativkontrolle (NK) behandelten Gewebe extrahierten (solubilisierten) Farbstoffs sollte mindestens dem Zwanzigfachen der OD des Extraktionslösemittels allein entsprechen. Es ist protokollarisch festzuhalten, dass das mit der NK behandelte Gewebe während der Expositionszeit nachweislich in der Kultur stabil ist (d. h. es sollte vergleichbare Viabilitätsmesswerte aufweisen).

Barrierefunktion

Die Hornschicht und ihre Fettzusammensetzung sollten in der Lage sein, das schnelle Eindringen zytotoxischer Markersubstanzen wie SDS oder Triton X-100, wie durch IC50 oder ET50 bestimmt, zu verhindern.

Morphologie

Die histologische Untersuchung der rekonstruierten Haut/Epidermis sollte durch entsprechend qualifiziertes Personal erfolgen, das nachweisen muss, dass das Modell eine der menschlichen Haut/Epidermis ähnliche Struktur (einschließlich mehrlagiger Hornschicht) aufweist.

Reproduzierbarkeit

Die Methode sollte unter gleichen Modellbedingungen, vorzugsweise anhand einer geeigneten Chargenkontroll-(Referenz-)substanz (siehe Definitionen in Abschnitt 1.2), im Zeitverlauf nachweislich reproduzierbar sein.

Qualitätskontrollen (QK) des Modells

Jede Charge des verwendeten Epidermis-Modells sollte bestimmten Freigabekriterien genügen, von denen die Viabilitätskriterien und die Kriterien für die Barrierefunktion die wichtigsten sind. Der Hersteller des Hautmodells (oder — bei Verwendung eines hauseigenen Modells — der Prüfer) sollte eine Akzeptanzspanne (oberer und unterer Grenzwert) für IC50 oder ET50 festlegen. Das Labor sollte die Barriereeigenschaften der Gewebe nach deren Bezug überprüfen. Nur mit geeigneten Geweben erzielte Ergebnisse kommen für eine zuverlässige Vorhersage von Reizwirkungen in Frage. Beispiele für Akzeptanzspannen für die validierten Referenzmethoden:

Tabelle 1

Beispiele für Chargenfreigabekriterien im Rahmen der Qualitätskontrolle

Untere AkzeptanzgrenzeMittelwertObere Akzeptanzgrenze
Validierte Referenzmethode 1 (18-stündige Behandlung mit SDS)IC50 = 1,0 mg/mlIC50 = 2,32 mg/mlIC50 = 3,0 mg/ml
Validierte Referenzmethode 2 (1 % Triton X-100)ET50 = 4,8 Std.ET50 = 6,7 Std.ET50 = 8,7 Std.

II)
Referenzsubstanzen

Um festzustellen, ob Genauigkeit und Zuverlässigkeit vorgeschlagener neuartiger Prüfmethoden für Testungen an in vitro rekonstruierten Modellen menschlicher Epidermis, die den validierten Referenzmethoden strukturell und funktionell nachweislich ähneln oder die sich nur unwesentlich von einer validierten Referenzmethode unterscheiden, unter Leistungsgesichtspunkten mit der validierten Referenzmethode 1 vergleichbar sind, werden Referenzsubstanzen verwendet (1). Die in Tabelle 2 aufgelisteten 20 Referenzsubstanzen umfassen Substanzen unterschiedlicher chemischer Klassen sowie Substanzen der Kategorie 2 des UN-GHS-Systems. Die Liste umfasst 10 Substanzen der Kategorie 2 des UN-GHS-Systems, 3 Substanzen der Kategorie 3 des UN-GHS-Systems sowie 7 nicht eingestufte Substanzen. Im Rahmen dieser Prüfmethode gilt die wahlfreie Kategorie 3 nicht als Kategorie. Diese Referenzsubstanzen entsprechen der Mindestanzahl Substanzen, die zur Beurteilung der Genauigkeit und Zuverlässigkeit einer vorgeschlagenen Methode für Hautreizungstests an Modellen rekonstruierter menschlicher Epidermis verwendet werden sollten. In Fällen, in denen eine in der Liste geführte Substanz nicht verfügbar ist, könnten andere Substanzen, für die angemessene in-vivo-Referenzdaten vorliegen, verwendet werden. Falls erwünscht, kann die Mindestliste der Referenzsubstanzen um zusätzliche Substanzen anderer chemischer Klassen, für die angemessene in-vivo-Referenzdaten vorliegen, ergänzt werden, um die Genauigkeit der vorgeschlagenen Prüfmethode noch genauer beurteilen zu können.

Tabelle 2

Referenzsubstanzen zur Bestimmung der Genauigkeits- und Zuverlässigkeitswerte für Modelle rekonstruierter menschlicher Epidermis

Substanz(*)CAS-Nr.EINECS-Nr.Physikalischer ZustandIn-vivo-PunktezahlGHS-in-vitro-Kat.GHS-in-vivo-Kat.
1-Bromo-4-Chlorobutan6940-78-9230-089-3L0Kat. 2keine Kat.
Diethyl-Phthalat84-66-2201-550-6L0keine Kat.keine Kat.
Naphthalin-Essigsäure86-87-3201-705-8S0Keine Kat.keine Kat.
Allyl-Phenoxyacetat7493-74-5231-335-2L0,3keine Kat.keine Kat.
Isopropanol67-63-0200-661-7L0,3keine Kat.keine Kat.
4-Methyl-Thio-Benzaldehyd3446-89-7222-365-7L1Kat. 2keine Kat.
Methylstearat112-61-8203-990-4S1keine Kat.keine Kat.
Hepty-Butyrat5870-93-9227-526-5L1,7keine Kat.wahlfrei Kat. 3
Hexyl-Salicylat6259-76-3228-408-6L2keine Kat.wahlfrei Kat. 3
Tri-Isobutylphosphat126-71-6204-798-3L2Kat. 2wahlfrei Kat. 3
1-Decanol112-30-1203-956-9L2,3Kat. 2Kat. 2
Cyclamenaldehyd103-95-7203-161-7L2,3Kat. 2Kat. 2
1-Bromhexan111-25-1203-850-2L2,7Kat. 2Kat. 2
2-Chloromethyl-3,5-Dimethyl-4-Methoxypyridin-Hydrochlorid86604-75-3434-680-9S2,7Kat. 2Kat. 2
a-Terpineol98-55-5202-680-6L2,7Kat. 2Kat. 2
Di-n-Propyldisulfid629-19-6211-079-8L3keine Kat.Kat. 2
Butylmethacrylat97-88-1202-615-1L3Kat. 2Kat. 2
Benzenethiol, 5-(1,1-Dimethylethyl)-2-Methyl7340-90-1438-520-9L3,3Kat. 2Kat. 2
1-Methyl-3-Phenyl-1-Piperazin5271-27-2431-180-2S3,3Kat. 2Kat. 2
Heptanal111-71-7203-898-4L4Kat. 2Kat. 2
Die in Tabelle 2 aufgelisteten Substanzen entsprechen einer repräsentativen Auswahl aus 58 Substanzen, die in der internationalen ECVAM-Hautreizungsvalidierungsstudie (1) verwendet werden. Die Wahl erfolgte nach folgenden Kriterien:

Die Substanzen sind im Handel erhältlich;

sie sind repräsentativ für das gesamte Spektrum der Draize-Reizungswerte (die von nicht reizend bis stark reizend reichen);

sie haben eine gut definierte chemische Struktur;

sie sind repräsentativ für die Reproduzierbarkeit und Vorhersagefähigkeit der validierten Methode, wie in der ECVAM-Validierungsstudie ermittelt;

sie sind repräsentativ für die im Validierungsprozess verwendete chemische Funktionalität;

sie sind weder mit einem extremen toxischen Profil (z. B. karzinogen oder toxisch für das Fortpflanzungssystem) noch mit untragbaren Entsorgungskosten verbunden.

III)
Vorgegebene Genauigkeits- und Zuverlässigkeitswerte

Die Leistung (Empfindlichkeit, Spezifität, Falsch-negativ-Rate, Falsch-positiv-Rate und Genauigkeit) der vorgeschlagenen Prüfmethode sollten denen der validierten Referenzmethode 1 (Tabelle 3) vergleichbar sein, d. h. die Empfindlichkeit sollte gleich oder höher als (≥) 80 %, die Spezifität gleich oder höher als (≥) 70 % und die Genauigkeit gleich oder höher als (≥) 75 % sein. Die Leistung sollte anhand sämtlicher Klassifizierungen, die in den verschiedenen Teilnehmerlaboratorien für die 20 Substanzen erzielt wurden, berechnet werden. Die Klassifizierung der verschiedenen Substanzen in den einzelnen Laboratorien sollte auf Basis des durchschnittlichen Viabilitätswertes bei den verschiedenen Tests (mindestens drei gültige Tests) erfolgen.

Tabelle 3

Leistung der validierten Referenzmethode 1

(1)
PrüfmethodeAnzahl SubstanzenEmpfindlichkeitSpezifitätFalsch- negativ-RateFalsch- positiv-RateGenauigkeit
Validierte Referenzmethode 1(2)5887,2 %(3)71,1 %(4)12,8 %29,9 %74,7 %
validierte Referenzmethode 1(2)2090 %73,3 %10 %26,7 %81,7 %
Die Zuverlässigkeit der vorgeschlagenen Prüfmethode sollte mit der Zuverlässigkeit der validierten Referenzmethoden vergleichbar sein.

Intra-Labor-Reproduzierbarkeit

Eine Bewertung der Intra-Labor-Variabilität sollte eine Übereinstimmung der von einem einzigen Labor bei verschiedenen unabhängigen Tests der 20 Referenzsubstanzen erzielten Klassifizierungen (Kategorie 2/keine Kategorie) von ≥ 90 % ergeben.

Inter-Labor-Reproduzierbarkeit

Eine Bewertung der Inter-Labor-Reproduzierbarkeit ist nicht wesentlich, wenn die vorgeschlagene Prüfmethode nur in einem Labor angewandt werden soll. Beim Methodentransfer zwischen Laboratorien sollte die Übereinstimmung der bei verschiedenen unabhängigen Tests der 20 Referenzsubstanzen, die vorzugsweise zwischen mindestens drei Laboratorien durchgeführt werden, erzielten Klassifizierungen (Kategorie 2/keine Kategorie) ≥ 80 % betragen.

LITERATUR

1.
Spielmann, H., Hoffmann, S., Liebsch, M., Botham, P., Fentem, J., Eskes, C., Roguet, R., Cotovió, J., Cole, T., Worth, A., Heylings, J., Jones, P., Robles, C., Kandárová, H., Gamer, A., Remmele, M., Curren, R., Raabe, H., Cockshott, A., Gerner, I. and Zuang, V. (2007). The ECVAM International Validation Study on In Vitro Tests for Acute Skin Irritation: Report on the Validity of the EPISKIN and EpiDerm Assays and on the Skin Integrity Function Test. ATLA 35, S. 559-601.
2.
OECD (2005) Guidance Document No. 34 on the validation and international acceptance of new or updated test methods for hazard assessment. OECD, Paris.
3.
ECVAM (2007) Performance Standards for applying human skin models to in vitro skin irritation. Abrufbar unter Download Study Documents: http://ecvam.jrc.ec.europa.eu. Letzter Zugriff am 27.10.2008.
4.
Mosman, T. (1983) Rapid colorimetric assay for cellular growth and survival: application to proliferation and cytotoxicity assays. Journal of Immunological Methods 65, S. 55-63.
5.
Eskes, C., Cole, T., Hoffmann, S., Worth, A., Cockshott, A., Gerner, I. & Zuang. V (2007) ECVAM International Validation Study on In Vitro Tests for Acute Skin Irritation: Selection of Test Chemicals. ATLA 35, S. 603-619.

Fußnote(n):

(*)

Die 20 Referenzsubstanzen umfassen eine repräsentative Auswahl aus den 58 Substanzen, die ursprünglich zur Validierung der Referenzmethode 1 (EpiSkin™) verwendet wurden. Eine vollständige Liste der Prüfsubstanzen und der Auswahlkriterien liegt vor (5).

(1)

Tabelle 3 zeigt die Leistung der validierten Referenzmethode 1 in Bezug auf ihre Fähigkeit, für die 58 bzw. 20 Referenzsubstanzen (Tabelle 2) Reizsubstanzen (der Kategorie 2 des UN-GHS-Systems) und nicht klassifizierte Substanzen (keine Kategorie, einschließlich der wahlfreien Kategorie 3) korrekt zu identifizieren.

(2)

EpiSkin™.

(3)

Auf Basis von 13 Reizsubstanzen der Kategorie 2 des GHS-Systems.

(4)

Auf Basis von 45 Reizsubstanzen der Kategorie 3 des GHS-Systems oder nicht GHS-eingestufte Substanzen.

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