Artikel 2 VO (EG) 97/1467

(1) Überschreitet ein öffentliches Defizit den Referenzwert, so gilt der Referenzwert als ausnahmsweise überschritten im Sinne von Artikel 126 Absatz 2 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), sofern dies auf das vom Rat nach Artikel 25 der Verordnung (EU) 2024/1263 festgestellte Vorliegen eines schweren Konjunkturabschwungs im Euro-Währungsgebiet oder in der Union insgesamt oder auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände nach Artikel 26 der genannten Verordnung, die sich der Kontrolle der Regierung entziehen und die öffentliche Finanzlage des betreffenden Mitgliedstaats erheblich beeinträchtigen, zurückzuführen ist.

Darüber hinaus gilt der Referenzwert dann als vorübergehend überschritten, wenn die Haushaltsvorausschätzungen der Kommission darauf hindeuten, dass das Defizit nach Beendigung des in Unterabsatz 1 genannten schweren Konjunkturabschwungs oder der in Unterabsatz 1 genannten außergewöhnlichen Umstände unter den Referenzwert sinken wird.

(2) Wenn das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) den Referenzwert überschreitet, so gilt dieses Verhältnis als hinreichend rückläufig und sich rasch genug dem Referenzwert nähernd im Sinne von Artikel 126 Absatz 2 Buchstabe b AEUV, wenn der betreffende Mitgliedstaat seinen Nettoausgabenpfad gemäß der Festsetzung durch den Rat einhält.

Die Kommission erstellt einen Bericht nach Artikel 126 Absatz 3 AEUV, wenn das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum BIP den Referenzwert überschreitet, der Haushalt nicht nahezu ausgeglichen ist oder keinen Überschuss aufweist und wenn die im Kontrollkonto des Mitgliedstaats verbuchten Abweichungen

a)
entweder 0,3 Prozentpunkte des BIP pro Jahr
b)
oder kumuliert 0,6 Prozentpunkte des BIP überschreiten.

(3) Bei der Erstellung eines Berichts nach Artikel 126 Absatz 3 AEUV berücksichtigt die Kommission alle einschlägigen Faktoren, die in jenem Artikel vorgesehen sind, soweit sie die Prüfung der Einhaltung der Defizit- und Schuldenkriterien durch den betreffenden Mitgliedstaat in erheblichem Maße betreffen.

Der in Artikel 126 Absatz 3 AEUV genannte Bericht spiegelt Folgendes in angemessener Weise wider:

a)
das Ausmaß der Herausforderungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Schuldenstand auf der Grundlage der Methode nach Artikel 10 der Verordnung (EU) 2024/1263, die Entwicklung der Schuldenstandsquote und ihrer Finanzierung sowie die damit verbundenen Risikofaktoren, insbesondere die Fälligkeitsstruktur, die Währungszusammensetzung der Schulden und die Eventualverbindlichkeiten, einschließlich jeglicher impliziter Verbindlichkeiten infolge der Bevölkerungsalterung und der privaten Verschuldung;
b)
die mittelfristige Entwicklung der öffentlichen Haushalte, einschließlich insbesondere der Größenordnung der mittels Kontrollkonto gemessenen tatsächlichen Abweichung vom Nettoausgabenpfad gemäß der Festsetzung durch den Rat in jährlicher und kumulativer Betrachtung;
c)
die mittelfristige Wirtschaftsentwicklung, einschließlich Potenzialwachstum, Inflationsentwicklung und konjunkturellen Entwicklungen im Vergleich zu den dem Nettoausgabenpfad gemäß der Festsetzung durch den Rat zugrunde liegenden Annahmen;
d)
die Fortschritte bei der Umsetzung von Reformen und Investitionen, insbesondere auch von Maßnahmen zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und von Maßnahmen zur Umsetzung der gemeinsamen Wachstums- und Beschäftigungsstrategie der Union, einschließlich der mit der Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates(1) eingerichteten Aufbau- und Resilienzfazilität unterstützten Maßnahmen, sowie die Qualität der öffentlichen Finanzen insgesamt, insbesondere die Wirksamkeit der nationalen haushaltspolitischen Rahmen;
e)
soweit zutreffend die Erhöhung der staatlichen Investitionen in die Verteidigung, auch unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Erfassung der Ausgaben für militärische Ausrüstung.

Die Kommission schenkt allen sonstigen Faktoren gebührende und ausführliche Beachtung, die aus Sicht des betreffenden Mitgliedstaats von Bedeutung sind, um die Einhaltung der Defizit- und Schuldenkriterien in umfassender Weise zu beurteilen, und die der Mitgliedstaat dem Rat und der Kommission vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang werden insbesondere finanzielle Beiträge zur Förderung der internationalen Solidarität und zur Erreichung der gemeinsamen Prioritäten der Union gemäß Artikel 13 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2024/1263 berücksichtigt.

(4) Der Rat und die Kommission nehmen eine ausgewogene Gesamtbewertung aller einschlägigen Faktoren vor und bewerten dabei insbesondere, inwieweit diese sich bei der Bewertung der Einhaltung des Defizit- und/oder des Schuldenstandskriteriums als erschwerende oder erleichternde Faktoren erweisen. Steht der Mitgliedstaat mit Blick auf seinen öffentlichen Schuldenstand vor erheblichen Herausforderungen wie in Absatz 3 Unterabsatz 2 Buchstabe a des vorliegenden Artikels dargelegt, so gilt dies als wesentlicher erschwerender Faktor. Günstige wirtschaftliche, haushaltspolitische und finanzielle Entwicklungen gelten nicht als erleichternde Faktoren, wohingegen ungünstige Entwicklungen als erleichternde Faktoren angesehen werden können.

Wenn das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum BIP den Referenzwert überschreitet, so werden bei der Bewertung der Einhaltung des Defizitkriteriums diese Faktoren in den in Artikel 126 Absätze 4, 5 und 6 AEUV vorgesehenen Verfahrensschritten, die zur Feststellung eines übermäßigen Defizits führen, nur dann berücksichtigt, wenn die doppelte Bedingung des Leitgrundsatzes — dass vor einer Berücksichtigung der einschlägigen Faktoren das gesamtstaatliche Defizit in der Nähe des Referenzwertes bleibt und der Referenzwert nur vorübergehend überschritten wird — vollständig erfüllt ist.

Diese Faktoren werden jedoch in den Verfahrensschritten, die zur Feststellung eines übermäßigen Defizits führen, bei der Bewertung der Einhaltung des Schuldenstandskriteriums berücksichtigt.

(5) Ist es den Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 25 und 26 der Verordnung (EU) 2024/1263 gestattet, von ihrem Nettoausgabenpfad abzuweichen, so können die Kommission und der Rat im Rahmen ihrer Bewertung beschließen, davon abzusehen, eine Einigung über das Bestehen eines übermäßigen Defizits zu erzielen.

(6) Beschließt der Rat gemäß Artikel 126 Absatz 6 AEUV, dass in einem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit besteht, so berücksichtigen der Rat und die Kommission in den folgenden Verfahrensschritten des Artikels 126 AEUV die in Absatz 3 des vorliegenden Artikels genannten einschlägigen Faktoren, insoweit sie die Lage des betreffenden Mitgliedstaats beeinflussen, einschließlich wie in Artikel 5 Absatz 2 dieser Verordnung ausgeführt, insbesondere bei der Festlegung einer Frist für die Korrektur des übermäßigen Defizits und bei der möglichen Verlängerung dieser Frist. Für den Beschluss des Rates nach Artikel 126 Absatz 12 AEUV über die Aufhebung einiger oder sämtlicher seiner Beschlüsse nach Artikel 126 Absätze 6 bis 9 und 11 AEUV werden diese einschlägigen Faktoren jedoch nicht berücksichtigt.

Fußnote(n):

(1)

Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Februar 2021 zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität (ABl. L 57 vom 18.2.2021, S. 17).

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