Präambel VO (EU) 2014/912

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 207 Absatz 2,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren(1),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)
Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gehören ausländische Direktinvestitionen zu den unter die gemeinsame Handelspolitik fallenden Bereichen. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe e des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat die Union die ausschließliche Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik und kann Partei internationaler Übereinkünfte mit Bestimmungen über ausländische Direktinvestitionen sein.
(2)
Übereinkünfte mit Bestimmungen zum Investitionsschutz können einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten ( „Investor-Staat-Streitigkeiten” ) vorsehen; dieser Mechanismus ermöglicht es einem Investor aus einem Drittland, Klage gegen einen Staat einzureichen, in dem er eine Investition getätigt hat. Bei der Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten kann eine finanzielle Entschädigung zugesprochen werden. In einer solchen Streitsache fallen darüber hinaus zwangsläufig beträchtliche Kosten für die Verwaltung des Schiedsverfahrens sowie Kosten für die Verteidigung an.
(3)
Die völkerrechtliche Zuständigkeit für die Behandlung, die Gegenstand der Streitbeilegung ist, folgt der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten. Somit ist grundsätzlich die Union zuständig für die Abwehr von Ansprüchen aus einem angeblichen Verstoß gegen die Vorschriften einer Übereinkunft, welche in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, und zwar unabhängig davon, ob die Union selbst oder ein Mitgliedstaat die in Rede stehende Behandlung vorgenommen hat.
(4)
Übereinkünfte der Union sollten ausländischen Investoren das gleiche hohe Schutzniveau bieten wie jenes, das im Unionsrecht und in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, Investoren aus der Union eingeräumt wird; sie sollten jedoch kein höheres Schutzniveau bieten. Die Übereinkünfte der Union sollten gewährleisten, dass die Gesetzgebungsbefugnisse der Union und ihr Recht zum Erlass von Regelungen beachtet und gewahrt werden.
(5)
Sofern die Union als Rechtssubjekt, das Rechtspersönlichkeit besitzt, für die vorgenommene Behandlung völkerrechtlich verantwortlich ist, wird nach dem Völkerrecht davon ausgegangen, dass sie bei einem nachteiligen Schiedsspruch eine eventuelle finanzielle Entschädigung zahlt und dass sie die Kosten des Streits trägt. Es besteht indessen die Möglichkeit, dass sich ein nachteiliger Schiedsspruch aus der von der Union selbst vorgenommenen Behandlung ergibt oder aber aus einer von einem Mitgliedstaat vorgenommenen Behandlung. Folglich wäre es unbillig, wenn Schiedssprüche und Schiedskosten aus dem Haushaltsplan der Union beglichen werden müssten, obgleich ein Mitgliedstaat die Behandlung vorgenommen hat, es sei denn, die betreffende Behandlung ist nach dem Unionsrecht vorgeschrieben. Es ist es deshalb geboten, die finanzielle Zuständigkeit nach Unionsrecht entsprechend den mit dieser Verordnung aufgestellten Kriterien zwischen der Union selbst und dem Mitgliedstaat aufzuteilen, der die Behandlung vorgenommen hat.
(6)
In seiner Entschließung vom 6. April 2011 zur künftigen europäischen Auslandsinvestitionspolitik hat das Europäische Parlament ausdrücklich gefordert, dass der in dieser Verordnung vorgesehene Mechanismus geschaffen wird. Zudem forderte der Rat die Kommission in seinen Schlussfolgerungen vom 25. Oktober 2010 zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik auf, eine ausführliche Studie zu den einschlägigen Fragen durchzuführen.
(7)
Die finanzielle Verantwortung sollte der Rechtsperson zufallen, welche die mit den einschlägigen Bestimmungen der Übereinkunft nicht zu vereinbarende Behandlung zu vertreten hat. Daher sollte die finanzielle Verantwortung in den Fällen, in denen die betreffende Behandlung von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union vorgenommen wurde, bei der Union selbst liegen. Die finanzielle Verantwortung sollte bei dem betreffenden Mitgliedstaat liegen, wenn dieser Mitgliedstaat die betreffende Behandlung vorgenommen hat. Handelt der Mitgliedstaat hingegen in einer nach dem Unionsrecht vorgeschriebenen Weise, beispielsweise durch Umsetzung einer von der Union erlassenen Richtlinie, so sollte der Union selbst die finanzielle Verantwortung insofern zufallen, als die betreffende Behandlung nach dem Unionsrecht vorgeschrieben ist. Diese Verordnung sollte auch der Möglichkeit Rechnung tragen, dass in Einzelfällen sowohl die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Behandlung als auch eine nach dem Unionsrecht vorgeschriebene Behandlung betroffen sind und sollte auf alle Maßnahmen anwendbar sein, die von den Mitgliedstaaten und von der Union ergriffen werden. In solchen Fällen sollten der Mitgliedstaat und die Union die finanzielle Verantwortung jeweils für die von ihnen vorgenommene spezifische Behandlung übernehmen.
(8)
Die Union sollte immer als Schiedsbeklagte auftreten, wenn eine Streitigkeit ausschließlich eine Behandlung betrifft, die von den Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union vorgenommen wurde, damit die etwaige finanzielle Verantwortung aus der Streitigkeit im Einklang mit den vorstehenden Kriterien bei der Union liegt.
(9)
Sofern die aus einer Streitigkeit entstehende etwaige finanzielle Verantwortung bei einem Mitgliedstaat liegen würde, ist es billig und angemessen, dass dieser Mitgliedstaat als Schiedsbeklagter auftritt, um die Behandlung zu verteidigen, die er dem Investor gewährt hat. Die Vorschriften dieser Verordnung haben das Ziel, sicherzustellen, dass der Haushalt der Union und die nichtfinanziellen Ressourcen der Union nicht belastet werden, auch nicht vorübergehend, wenn Schiedskosten anfallen oder ein etwaiger Schiedsspruch gegen den betroffenen Mitgliedstaat ergeht.
(10)
Dessen ungeachtet ziehen es die Mitgliedstaaten möglicherweise vor, dass die Union bei Streitigkeiten dieser Art als Schiedsbeklagte auftritt, beispielsweise aus Gründen der fachlichen Kompetenz. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb darauf verzichten können, als Schiedsbeklagte aufzutreten, und zwar unbeschadet ihrer finanziellen Verantwortung.
(11)
Um sicherzustellen, dass die Interessen der Union angemessen geschützt werden können, ist es unabdingbar, dass die Union bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände bei Streitigkeiten, die eine von einem Mitgliedstaat vorgenommene Behandlung betreffen, selbst als Schiedsbeklagte auftritt. Diese Umstände sind auf die Fälle beschränkt, in denen die Streitigkeit zusätzlich eine von der Union vorgenommene Behandlung betrifft, in denen die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Behandlung offenbar nach dem Unionsrecht vorgeschrieben ist und in denen eine vergleichbare Behandlung in einem verbundenen, gegen die Union geltend gemachten Anspruch im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) angefochten wird, sofern ein Gremium eingesetzt wurde und der Anspruch dieselbe spezifische Rechtsfrage betrifft und eine kohärente Argumentation in der WTO-Streitsache zu gewährleisten ist.
(12)
Wenn die Union in Fällen, die Maßnahmen der Mitgliedstaaten betreffen, als Schiedsbeklagte auftritt, sollte die Kommission ihre Verteidigung so gestalten, dass die finanziellen Interessen des betroffenen Mitgliedstaats geschützt werden.
(13)
Entscheidungen darüber, ob die Union oder ein Mitgliedstaat als Schiedsbeklagter auftreten soll, sollten innerhalb des in dieser Verordnung festgelegten Rahmens getroffen werden. Es ist angebracht, dass die Kommission das Europäische Parlament und den Rat unverzüglich darüber unterrichtet, in welcher Weise dieser Rahmen Anwendung findet.
(14)
In dieser Verordnung sollten einige praktische Regelungen für die Durchführung der Schiedsverfahren bei Streitigkeiten über die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Behandlung festgelegt werden. Diese Regelungen sollten darauf abzielen, dass der Streitfall auf bestmögliche Weise abgewickelt wird, wobei gleichzeitig sichergestellt werden sollte, dass dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und der Verteidigung und dem Schutz der Interessen des betroffenen Mitgliedstaats Rechnung getragen wird.
(15)
In den Fällen, in denen die Union als Schiedsbeklagte auftritt, sollten diese Regelungen auf eine sehr enge Zusammenarbeit abstellen; dies umfasst auch die unverzügliche Mitteilung aller wesentlichen Verfahrensschritte, die Bereitstellung von einschlägigen Unterlagen, häufige Konsultationen und die Beteiligung an der Verfahrensdelegation.
(16)
Tritt ein Mitgliedstaat als Schiedsbeklagter auf, so ist es angebracht, dass er gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Artikel 4 Absatz 3 des EUV die Kommission über die Entwicklungen in der Streitsache auf dem Laufenden hält und insbesondere die rechtzeitige Mitteilung aller wesentlichen Verfahrensschritte, die Bereitstellung von einschlägigen Unterlagen, häufige Konsultationen und die Beteiligung an der Verfahrensdelegation sicherstellt. Ferner ist es angebracht, dass die Kommission angemessene Gelegenheit erhält, alle durch die Streitigkeit aufgeworfenen Rechtsfragen oder sonstigen Aspekte, die das Unionsinteresse berühren, zu ermitteln.
(17)
Unbeschadet des Ausgangs des Schiedsverfahrens sollte es einem Mitgliedstaat jederzeit möglich sein, zuzusagen, die finanzielle Verantwortung für den Fall zu übernehmen, dass ein Ausgleich zu zahlen ist. In einem solchen Fall sollten der Mitgliedstaat und die Kommission Vereinbarungen über die periodische Begleichung von Kosten sowie die Zahlung eines etwaigen Ausgleichs treffen können. Diese Zusage gilt jedoch nicht als Anerkennung der streitigen Forderung durch den Mitgliedstaat. Die Kommission sollte in diesem Fall einen Beschluss erlassen können, mit dem der Mitgliedstaat aufgefordert wird, für derartige Kosten Vorsorge zu treffen. Falls das Schiedsgericht Kostenentscheidungen zugunsten der Union fällt, sollte die Kommission sicherstellen, dass dem betroffenen Mitgliedstaat bereits geleistete Vorauszahlungen unverzüglich zurückerstattet werden.
(18)
In einigen Fällen kann es angebracht sein, einen Vergleich anzustreben, um kostspielige und unnötige Schiedsverfahren zu vermeiden. Es ist geboten, ein Verfahren zum Abschluss solcher Vergleiche festzulegen. Dieses Verfahren sollte die Kommission in die Lage versetzen, einen Streit, bei dem es um die finanzielle Verantwortung der Union geht, gemäß dem Prüfverfahren im Wege eines Vergleichs beizulegen, falls dies im Interesse der Union liegt. Betrifft die Streitsache auch eine von einem Mitgliedstaat vorgenommene Behandlung, so sollte die Union einen Streit nur dann im Wege eines Vergleichs beilegen können, wenn der Vergleich keine finanziellen oder haushaltsmäßigen Auswirkungen für den betroffenen Mitgliedstaat hat. In diesen Fällen ist es angebracht, dass die Kommission und der betroffene Mitgliedstaat eng zusammenarbeiten und Konsultationen führen. Es sollte dem Mitgliedstaat unbenommen sein, den Streit jederzeit im Wege eines Vergleichs beizulegen, sofern er die uneingeschränkte finanzielle Verantwortung übernimmt und sofern der Vergleich mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
(19)
Erging ein Schiedsspruch zu Ungunsten der Union, so sollten die auferlegten Zahlungen unverzüglich geleistet werden. Die Kommission sollte Vorkehrungen für diese Zahlungen treffen, sofern ein Mitgliedstaat nicht bereits die finanzielle Verantwortung übernommen hat.
(20)
Die Kommission sollte intensive Konsultationen mit dem betroffenen Mitgliedstaat führen, damit ein Einverständnis über die Aufteilung der finanziellen Verantwortung erzielt werden kann. Befindet die Kommission, dass ein Mitgliedstaat verantwortlich ist, und ist der Mitgliedstaat damit nicht einverstanden, so sollte die Kommission die auferlegten Zahlungen leisten, gleichzeitig aber einen Beschluss an den Mitgliedstaat richten, in dem sie ihn auffordert, die betreffenden Beträge zuzüglich etwaiger Zinsen dem Haushalt der Union zuzuführen. Die etwaigen Zinsen sollten sich nach Artikel 78 Absatz 4 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates(2) berechnen. Ein Rückgriff auf Artikel 263 AEUV ist möglich in Fällen, in denen ein Mitgliedstaat die Auffassung vertritt, dass der Beschluss die Kriterien dieser Verordnung nicht erfüllt
(21)
Aus dem Haushalt der Union sollten die Ausgaben gedeckt werden, die sich aus Übereinkünften mit Bestimmungen über ausländische Direktinvestitionen, deren Vertragspartei die Union ist und in denen eine Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten vorgesehen ist, ergeben. Sofern ein Mitgliedstaat aufgrund dieser Verordnung finanziell verantwortlich ist, sollte die Union die Möglichkeit haben, entweder zuerst die Beiträge des betroffenen Mitgliedstaats zu bündeln, um dann die jeweilige Ausgabe zu tätigen, oder zuerst die jeweilige Ausgabe zu tätigen, um diese dann von dem betroffenen Mitgliedstaat zurückzufordern. Beide haushaltstechnischen Mechanismen sollten verwendet werden können, wobei jedoch die Machbarkeit, insbesondere unter Berücksichtigung der zeitlichen Planung, für den Einsatz des jeweiligen Mechanismus ausschlaggebend sein sollte. In beiden Fällen sollten die von dem betroffenen Mitgliedstaat gezahlten Beiträge oder Rückzahlungen als interne zweckgebundene Einnahmen des Haushalts der Union erfasst werden. Die Mittel aus diesen internen zweckgebundenen Einnahmen sollten nicht allein für die Deckung der jeweiligen Ausgabe bestimmt sein; sie sollten auch anderen Teilen des Haushalts der Union zugewiesen werden können, aus denen ursprünglich die Mittel entnommen wurden, die zur Tätigung der Ausgabe nach dem zweiten Mechanismus dienten.
(22)
Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung dieser Verordnung sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden.
(23)
Die Durchführungsbefugnisse im Zusammenhang mit Artikel 9 Absätze 2 und 3, Artikel 13 Absatz 1, Artikel 14 Absatz 8, Artikel 15 Absatz 3 und Artikel 16 Absatz 3 sollten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates(3), ausgeübt werden.
(24)
Das Beratungsverfahren sollte für den Erlass von Beschlüssen angewendet werden, nach denen die Union gemäß Artikel 9 Absatz 2 als Schiedsbeklagte auftreten soll, da es notwendig ist, dass die Union die Verteidigung in diesen Fällen übernimmt, wobei dies aber dennoch der Kontrolle durch die Mitgliedstaaten unterliegen sollte. Das Beratungsverfahren sollte für den Erlass von Beschlüssen zur Beilegung von Streitigkeiten im Wege des Vergleichs nach Artikel 15 Absatz 3 angewandt werden, da diese Beschlüsse sich allenfalls vorübergehend auf den Haushalt der Union auswirken, weil der betroffene Mitgliedstaat die finanzielle Verantwortung für etwaige Streitfolgen übernehmen muss und wegen der detaillierten Kriterien zur Annehmbarkeit solcher Vergleiche, die in der vorliegenden Verordnung festgelegt sind —

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Fußnote(n):

(1)

Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 16. April 2014 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 23. Juli 2014.

(2)

Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. L 298 vom 26.10.2012, S. 1).

(3)

Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13).

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