Artikel 11 VO (EU) 2017/1938

Ausrufung einer Krise

(1) Die drei Krisenstufen sind:

a)
Frühwarnstufe (im Folgenden: Frühwarnung): Es liegen konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- oder. der Notfallstufe führt; die Frühwarnstufe kann durch ein Frühwarnsystem ausgelöst werden;
b)
Alarmstufe (im Folgenden: Alarm): Es liegt eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt; der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen;
c)
Notfallstufe (im Folgenden: Notfall): Es liegt eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage vor, und alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen umgesetzt wurden, aber die Gasversorgung reicht nicht aus, um die noch verbleibende Gasnachfrage zu decken, sodass zusätzlich nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen, um insbesondere die Gasversorgung der geschützten Kunden gemäß Artikel 6 sicherzustellen.

(2) Ruft die zuständige Behörde eine der Krisenstufen des Absatzes 1 aus, so unterrichtet sie unverzüglich die Kommission und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, mit denen der Mitgliedstaat dieser zuständigen Behörde unmittelbar verbunden ist, und übermittelt ihnen alle notwendigen Informationen, insbesondere über die von ihr geplanten Maßnahmen. Bei einem Notfall, der zu einem Hilfeersuchen an die Union und ihre Mitgliedstaaten führen kann, unterrichtet die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats unverzüglich das Koordinierungszentrum der Kommission für Notfallmaßnahmen (Emergency Response Coordination Centre, ERCC).

(3) Hat ein Mitgliedstaat einen Notfall ausgerufen und erklärt, dass grenzüberschreitende Maßnahmen erforderlich sind, so wird jeder erhöhte Versorgungsstandard oder jede zusätzliche Verpflichtung gemäß Artikel 6 Absatz 2, der bzw. die für die Erdgasunternehmen in anderen Mitgliedstaaten in derselben Risikogruppe gilt, vorübergehend auf das in Artikel 6 Absatz 1 festgelegte Niveau gesenkt.

Die in Unterabsatz 1 des vorliegenden Absatzes festgelegten Verpflichtungen gelten nicht mehr, sobald die zuständige Behörde das Ende des Notfalls ausruft oder die Kommission gemäß Absatz 8 Unterabsatz 1 zu dem Schluss gelangt, dass die Ausrufung des Notfalls nicht oder nicht mehr gerechtfertigt ist.

(4) Ruft die zuständige den Notfall aus, so leitet sie die in ihrem Notfallplan vorab festgelegten Maßnahmen ein und unterrichtet unverzüglich die Kommission sowie die zuständigen Behörden in der Risikogruppe und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, mit denen der Mitgliedstaat dieser zuständigen Behörde unmittelbar verbunden ist, insbesondere über die von ihr geplanten Maßnahmen. Unter gebührend begründeten besonderen Umständen kann die zuständige Behörde Maßnahmen ergreifen, die vom Notfallplan abweichen. Die zuständige Behörde unterrichtet die Kommission sowie die zuständigen Behörden in ihrer in Anhang I aufgeführten Risikogruppe und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, mit denen der Mitgliedstaat dieser zuständigen Behörde direkt verbunden ist, unverzüglich über jede derartige Maßnahme und gibt die Gründe für die Abweichung an.

(5) Wird in einem benachbarten Mitgliedstaat die Notfallstufe ausgerufen, so stellt der Fernleitungsnetzbetreiber sicher, dass die Kapazität an Netzkopplungspunkten zu diesem Mitgliedstaat unabhängig davon, ob es sich um eine feste oder unterbrechbare Kapazität handelt und ob diese Kapazität vor dem Notfall oder während des Notfalls gebucht wurde, Vorrang vor konkurrierenden Kapazitäten an Ausspeisepunkten zu Speicheranlagen hat. Der Netznutzer der vorrangigen Kapazität leistet unverzüglich eine angemessene Entschädigung an den Netznutzer der festen Kapazität, um die infolge des eingeräumten Vorrangs entstandenen finanziellen Verluste auszugleichen, einschließlich einer anteiligen Erstattung der Kosten, die durch die Unterbrechung der festen Kapazität entstanden sind. Festlegung und Leistung der Entschädigung wirken sich nicht auf die Vorrangregel aus.

(6) Die Mitgliedstaaten und insbesondere die zuständigen Behörden gewährleisten, dass

a)
keine Maßnahmen ergriffen werden, durch die zu irgendeinem Zeitpunkt die Gasflüsse innerhalb des Binnenmarkts unangemessen eingeschränkt werden,
b)
keine Maßnahmen ergriffen werden, durch die wahrscheinlich die Gasversorgung in einem anderen Mitgliedstaat ernsthaft gefährdet wird, und
c)
der grenzüberschreitende Zugang zu den Infrastrukturen nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 715/2009 gemäß dem Notfallplan soweit technisch und sicherheitstechnisch möglich aufrechterhalten wird.

(7) In Notfällen und aus hinreichenden Gründen kann ein Mitgliedstaat auf Ersuchen des betreffenden Stromübertragungs- oder Gasfernleitungsnetzbetreibers beschließen, dass die Gasversorgung bestimmter kritischer Gaskraftwerke gegenüber der Gasversorgung bestimmter Kategorien geschützter Kunden Vorrang hat, wenn der Ausfall der Gasversorgung dieser kritischen Gaskraftwerke entweder:

a)
dem Stromnetz schweren Schaden zufügen könnte oder
b)
die Erzeugung und/oder Verbringung von Gas beeinträchtigen würde.

Die Mitgliedstaaten stützen diese Maßnahmen auf die Risikobewertung.

Die in Unterabsatz 1 genannten kritischen Gaskraftwerke und die möglichen Gasmengen, die Teil einer solchen Maßnahme wären, werden eindeutig identifiziert und in den regionalen Kapiteln der Präventionspläne und der Notfallpläne aufgeführt. Ihre Identifizierung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den Stromübertragungs- und Gasfernleitungsnetzbetreibern des betreffenden Mitgliedstaats.

(8) Die Kommission prüft so bald wie möglich, auf jeden Fall jedoch innerhalb von fünf Tagen ab Erhalt der in Absatz 2 genannten Informationen von der zuständigen Behörde, ob die Ausrufung des Notfalls gemäß Absatz 1 Buchstabe c gerechtfertigt ist und ob die ergriffenen Maßnahmen sich möglichst genau an den im Notfallplan aufgeführten Maßnahmen ausrichten, die Erdgasunternehmen nicht unangemessen belasten und mit Absatz 6 vereinbar sind. Die Kommission kann auf Antrag einer anderen zuständigen Behörde bzw. von Erdgasunternehmen oder aus eigener Veranlassung die zuständige Behörde auffordern, die Maßnahmen zu ändern, wenn sie den Bedingungen des Satzes 1 zuwiderlaufen. Die Kommission kann die zuständige Behörde auch auffordern, das Ende des Notfalls ausruft, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die Ausrufung eines Notfalls nicht oder nicht mehr gemäß Absatz 1 Buchstabe c gerechtfertigt ist.

Innerhalb von drei Tagen, nachdem sie von der Kommission hierzu aufgefordert wurde, ändert die zuständige Behörde die Maßnahme und teilt das der Kommission mit oder unterrichtet die Kommission, warum sie mit der Aufforderung nicht einverstanden ist. In letztgenanntem Fall kann die Kommission innerhalb von drei Tagen nach ihrer Unterrichtung ihre Aufforderung ändern oder zurückziehen oder die zuständige Behörde bzw. gegebenenfalls die betreffenden zuständigen Behörden und, wenn sie es für notwendig erachtet, die Koordinierungsgruppe „Gas” einberufen, um die Angelegenheit zu prüfen. Die Kommission begründet ihre Aufforderung zur Änderung der Maßnahmen ausführlich. Die zuständige Behörde berücksichtigt den Standpunkt der Kommission umfassend. Weicht die endgültige Entscheidung der zuständigen Behörde vom Standpunkt der Kommission ab, so legt die zuständige Behörde eine Begründung für diese Entscheidung vor.

(9) Nimmt die zuständige Behörde das Ende einer Krisenstufe gemäß Absatz 1 ausruft zurück, so unterrichtet sie darüber die Kommission und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, mit denen der Mitgliedstaat dieser zuständigen Behörde direkt verbunden ist.

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