Artikel 27 VO (EU) 2017/1939

Evokationsrecht

(1) Nach Erhalt aller einschlägigen Informationen gemäß Artikel 24 Absatz 2 entscheidet die EUStA so bald wie möglich, spätestens jedoch fünf Tage nachdem sie die Informationen von den nationalen Behörden erhalten hat, ob sie ihr Evokationsrecht ausüben wird, und setzt die nationalen Behörden von dieser Entscheidung in Kenntnis. Der Europäische Generalstaatsanwalt kann im Einzelfall die mit einer Begründung versehene Entscheidung treffen, die Frist um höchstens fünf Tage zu verlängern, und setzt die nationalen Behörden entsprechend davon in Kenntnis.

(2) Während der in Absatz 1 genannten Fristen sehen die nationalen Behörden davon ab, eine Entscheidung nach nationalem Recht zu treffen, die möglicherweise zur Folge hat, dass die EUStA daran gehindert wird, ihr Evokationsrecht auszuüben.

Die nationalen Behörden treffen nach nationalem Recht alle Maßnahmen, die dringend erforderlich sind, um effektive Ermittlungen und eine effektive Strafverfolgung sicherzustellen.

(3) Erhält die EUStA auf anderem Wege als die in Artikel 24 Absatz 2genannte Unterrichtung davon Kenntnis, dass von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bereits Ermittlungen in Bezug auf eine Straftat, für die sie zuständig sein könnte, durchgeführt werden, so setzt sie diese Behörden unverzüglich davon in Kenntnis. Nachdem die EUStA ordnungsgemäß nach Artikel 24 Absatz 2 unterrichtet wurde, entscheidet sie, ob sie ihr Evokationsrecht ausüben wird. Diese Entscheidung ist innerhalb der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Fristen zu treffen.

(4) Die EUStA konsultiert gegebenenfalls die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, bevor sie entscheidet, ob sie ihr Evokationsrecht ausübt.

(5) Wenn die EUStA ihr Evokationsrecht ausübt, geben ihr die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats unverzüglich die Akte ab und führen keine weiteren Ermittlungstätigkeiten in Bezug auf dieselbe Straftat durch.

(6) Das in diesem Artikel genannte Evokationsrecht kann ein Delegierter Europäischer Staatsanwalt jedes Mitgliedstaats ausüben, dessen zuständige Behörden ein Ermittlungsverfahren in Bezug auf eine Straftat eingeleitet haben, die in den Anwendungsbereich der Artikel 22 und 23 fällt.

Erwägt ein Delegierter Europäischer Staatsanwalt, der die Informationen nach Artikel 24 Absatz 2 erhalten hat, sein Evokationsrecht nicht auszuüben, so unterrichtet er über den Europäischen Staatsanwalt seines Mitgliedstaats die zuständige Ständige Kammer, damit die Ständige Kammer in der Lage ist, eine Entscheidung nach Artikel 10 Absatz 4 zu treffen.

(7) Hat die EUStA auf die Ausübung ihrer Zuständigkeit verzichtet, so setzt sie die zuständigen nationalen Behörden unverzüglich davon in Kenntnis. Zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens unterrichten die zuständigen nationalen Behörden die EUStA über alle neuen Sachverhalte, die diese dazu veranlassen könnten, ihre Entscheidung, ihre Zuständigkeit nicht auszuüben, zu überprüfen.

Die EUStA kann nach Erhalt derartiger Informationen ihr Evokationsrecht ausüben, sofern die nationalen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen worden sind und noch keine Anklage bei einem Gericht eingebracht wurde. Diese Entscheidung ist innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist zu treffen.

(8) Vertritt das Kollegium in Bezug auf Straftaten, die einen Schaden von weniger als 100000 EUR zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verursacht haben oder verursachen könnten, die Auffassung, dass mit Bezug auf die Schwere der Straftat oder die Komplexität des Verfahrens im Einzelfall kein Ermittlungs- oder Strafverfolgungsverfahren auf Unionsebene erforderlich ist, so erlässt es nach Artikel 9 Absatz 2 allgemeine Leitlinien, die es den Delegierten Europäischen Staatsanwälten gestatten, unabhängig und unverzüglich zu entscheiden, das Verfahren nicht an sich zu ziehen.

In diesen Leitlinien wird mit allen erforderlichen Einzelheiten angegeben, unter welchen Umständen sie anzuwenden sind, indem eindeutige Kriterien festgelegt werden, die insbesondere der Art der Straftat, der Dringlichkeit der Situation sowie der Bereitschaft der zuständigen nationalen Behörden Rechnung tragen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen vollständigen Ausgleich des Schadens, der den finanziellen Interessen der Union entstanden ist, zu erreichen.

(9) Damit eine kohärente Anwendung der Leitlinien gewährleistet wird, unterrichtet ein Delegierter Europäischer Staatsanwalt die zuständige Ständige Kammer von jeder Entscheidung nach Absatz 8 und erstattet jede Ständige Kammer dem Kollegium jährlich über die Anwendung der Leitlinien Bericht.

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