Artikel 2 VO (EU) 2022/1426
Begriffsbestimmungen
Zusätzlich zu den Begriffsbestimmungen in der Verordnung (EU) 2018/858 und der Verordnung (EU) 2019/2144 gelten für die Zwecke dieser Verordnung die folgenden Begriffsbestimmungen:
- 1.
- „Automatisiertes Fahrsystem” (Automated Driving System, ADS) bezeichnet die Hardware und Software, die in ihrer Kombination in der Lage sind, die gesamte DDT dauerhaft in einer bestimmten zulässigen Betriebsdomäne (Operational Design Domain, ODD) durchzuführen.
- 2.
- „ADS-Merkmal” bezeichnet eine Anwendung von Hardware und Software des ADS, die für einen speziellen Einsatz innerhalb einer ODD entwickelt wurde.
- 3.
- „ADS-Funktion” bezeichnet eine Anwendung von Hardware und Software des ADS, die speziell für die Durchführung eines bestimmten Teils der DDT entwickelt wurde.
- 4.
-
„DDT” (Dynamic Driving Task, Dynamische Fahraufgabe) bezeichnet alle operativen Funktionen und taktischen Funktionen in Echtzeit, die für den Betrieb des Fahrzeugs erforderlich sind, mit Ausnahme strategischer Funktionen wie Fahrtenplanung und Auswahl von Zielen und Wegpunkten, und die ohne Einschränkung die folgenden Teilaufgaben einschließen:
- a)
- seitliche Bewegungssteuerung des Fahrzeugs durch Lenken (operativ);
- b)
- Längsbewegungssteuerung des Fahrzeugs durch Beschleunigung und Verzögerung (operativ);
- c)
- Überwachung der Fahrumgebung durch Objekt- und Ereigniserkennung, Einstufung und Reaktionsvorbereitung (operationell und taktisch);
- d)
- Durchführung der Reaktion in Bezug auf Objekt und Ereignis (operativ und taktisch);
- e)
- Fahrmanöverplanung (taktisch);
- f)
- Verbesserung der Erkennbarkeit durch Beleuchtung, Aktivierung der Hupe, Signale, Handzeichen usw. (taktisch).
- 5.
- „operative Funktionen” der DDT bezeichnet Funktionen, die über eine Zeitkonstante von Millisekunden ausgeführt werden und Aufgaben wie Lenkeingaben zum Einhalten der Fahrspur oder Bremsen zur Vermeidung einer aufkommenden Gefahr umfassen.
- 6.
- „taktische Funktionen” der DDT bezeichnet Funktionen, die über eine Zeitkonstante von Sekunden ausgeführt werden und Aufgaben wie Fahrspurwahl, das Abwarten von Lücken sowie das Überholen umfassen.
- 7.
- „Fehler” bezeichnet einen abweichenden Zustand, der eine Störung verursachen kann. Dies kann sowohl Hardware als auch Software betreffen.
- 8.
- „Störung” bezeichnet die Beendigung eines beabsichtigten Verhaltens einer Komponente oder eines Systems des ADS aufgrund des Auftretens eines Fehlers.
- 9.
- „Überwachung während des Betriebs” bezeichnet für vom Hersteller gesammelte Daten und Daten aus anderen Quellen, um Nachweise über die Sicherheitsleistung des ADS im praktischen Einsatz zu erhalten.
- 10.
- „Berichterstattung während des Betriebs” bezeichnet Daten, die der Hersteller zum Nachweis der Sicherheitsleistung des ADS im praktischen Einsatz übermittelt.
- 11.
- „Betriebslebensdauer des ADS” bezeichnet den Zeitraum, während dessen das ADS-System im Fahrzeug zur Verfügung steht.
- 12.
- „Lebenszyklus des ADS” bezeichnet den Zeitraum, der aus den Phasen Entwurf, Entwicklung, Produktion, praktischer Einsatz, Wartung und Stilllegung besteht.
- 13.
- „Fehlverhalten” bezeichnet eine Störung oder ein unbeabsichtigtes Verhalten eines Bauteils oder eines Systems des ADS in Bezug auf seine Entwurfsabsicht.
- 14.
- „risikominimierendes Manöver” (minimal risk manoeuvre, MRM) bezeichnet ein Manöver, das darauf abzielt, die Risiken im Verkehr zu minimieren, indem das Fahrzeug in einem sicheren Zustand (d. h. bei minimalem Risikozustand) angehalten wird.
- 15.
- „minimaler Risikozustand” (minimal risk condition, MRC) bezeichnet einen stabilen und angehaltenen Zustand des Fahrzeugs, der das Risiko eines Unfalls verringert.
- 16.
- „ODD” (Operational Design Domain, zulässige Betriebsdomäne) bezeichnet Betriebsbedingungen, für die ein bestimmtes ADS speziell ausgelegt ist, insbesondere umweltbedingte, geografische und tageszeitliche Einschränkungen und/oder das erforderliche Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter Verkehrs- oder Fahrbahnmerkmale.
- 17.
- „Objekt- und Ereigniserkennung und Reaktion” (object and event detection and response, OEDR) sind Teilaufgaben der dynamischen Fahraufgabe, die die Überwachung der Fahrumgebung und die Durchführung einer angemessenen Reaktion umfassen. Dazu gehören die Erkennung und Klassifizierung von Objekten und Ereignissen sowie die Vorbereitung und Durchführung von Reaktionen bei Bedarf.
- 18.
- „Szenario” bezeichnet eine Abfolge oder eine Kombination von Situationen, die zur Bewertung der Sicherheitsanforderungen an ein ADS verwendet werden.
- 19.
- „Standardverkehrsszenarien” bezeichnet begründet vorhersehbare Situationen, denen das ADS beim Betrieb innerhalb seiner ODD begegnet. Diese Szenarien stellen die unkritischen Interaktionen des ADS mit anderen Verkehrsteilnehmern dar und führen zum Normalbetrieb des ADS.
- 20.
- „kritische Szenarien” bezeichnet Szenarien im Zusammenhang mit Grenzfällen (z. B. unerwartete Bedingungen mit einer außergewöhnlich geringen Eintrittswahrscheinlichkeit) und operativen Unzulänglichkeiten, die nicht auf Verkehrsbedingungen beschränkt sind, sondern auch Umweltbedingungen (z. B. starker Regen oder schwaches Sonnenlicht, das die Kameras blendet), menschliche Faktoren, Konnektivität und Fehlkommunikation einschließen, und schließlich zu einem Notbetrieb des ADS führen.
- 21.
- „Fehlerszenarien” bezeichnet Szenarien im Zusammenhang mit Störungen von ADS- und/oder Fahrzeugkomponenten, die zu einem Normal- oder Notbetrieb des ADS führen können, je nachdem, ob das Mindestsicherheitsniveau aufrechterhalten wird oder nicht.
- 22.
- „Normalbetrieb” bezeichnet den ADS-Betrieb innerhalb der festgelegten Betriebsgrenzen und -bedingungen zur Durchführung der vorgesehenen Aktivität.
- 23.
- „Notbetrieb” bezeichnet den ADS-Betrieb nach Ereignissen, für die ein sofortiges Handeln erforderlich ist, um nachteilige Folgen für die menschliche Gesundheit oder Sachschäden zu begrenzen.
- 24.
-
„Bediener im Fahrzeug” bezeichnet, sofern für das ADS-Sicherheitskonzept zutreffend, eine Person, die sich innerhalb des vollautomatisierten Fahrzeugs befindet und folgende Tätigkeiten durchführen kann:
- a)
- das ADS aktivieren, neuinitialisieren, deaktivieren,
- b)
- das ADS auffordern, ein MRM zu starten,
- c)
- ein vom ADS vorgeschlagenes Manöver bestätigen, während sich das Fahrzeug im Stillstand befindet,
- d)
- nach einem MRM, während sich das vollautomatisierte Fahrzeug im Stillstand befindet, das ADS auffordern, sicher ein auf 6 km/h beschränktes Fahrmanöver mit niedriger Geschwindigkeit durchzuführen und das vollautomatisierte Fahrzeug an einen in der Nähe gelegenen bevorzugten Ort zu fahren,
- e)
- eine Fahrtroute oder Haltepunkte für die Nutzer auswählen oder die diesbezügliche Planung verändern oder
- f)
- den Fahrzeuginsassen des vollautomatisierten Fahrzeugs in ordnungsgemäß identifizierten Notsituationen Unterstützung leisten.
In den oben genannten Situationen darf der Bediener im Fahrzeug das vollautomatisierte Fahrzeug nicht fernbedienen, und das ADS muss weiterhin die Dynamische Fahraufgabe (DDT) wahrnehmen.
- 25.
-
„Bediener für den Ferneingriff” bezeichnet, sofern für das ADS-Sicherheitskonzept zutreffend, eine/mehrere Person/en, die sich außerhalb des vollautomatisierten Fahrzeugs befindet/en und die Aufgaben des Bedieners im Fahrzeug aus der Ferne wahrnehmen kann/können, wenn dies gefahrlos möglich ist.
Der Bediener für den Ferneingriff darf das vollautomatisierte Fahrzeug nicht fahren und das ADS muss weiterhin die Dynamische Fahraufgabe (DDT) wahrnehmen.
- 26.
- „Fernfunktionen” bezichnet Funktionen, die speziell für die Unterstützung des Ferneingriffs entworfen wurden.
- 27.
- „R2022/1426 Software-Identifikationsnummer (R2022/1426 SWIN)” bezeichnet einen vom Hersteller festgelegten speziellen Identifikator, der Informationen über die für die Typgenehmigung relevante Software des ADS darstellt, die zu den für die Typgenehmigung relevanten Merkmalen des ADS beitragen.
- 28.
- „unverhältnismäßiges Risiko” bezeichnet das Gesamtrisikoniveau für die Fahrzeuginsassen und andere Verkehrsteilnehmer, das im Vergleich zu einem manuell gesteuerten Fahrzeug bei vergleichbaren Transportdiensten und in vergleichbaren Situationen innerhalb der ODD erhöht ist.
- 29.
- „Funktionssicherheit” bezeichnet die Abwesenheit unangemessener Risiken bei Auftreten von Gefahren aufgrund einer Fehlfunktion.
- 30.
- „Betriebssicherheit” bezeichnet die Abwesenheit unangemessener Risiken bei Auftreten von Gefahren aufgrund funktionaler Beeinträchtigungen der vorgesehenen Funktion (z. B. falsche/versäumte Erkennung), aufgrund von betriebsbedingten Beeinträchtigungen (z. B. durch Umgebungsbedingungen wie Nebel, Regen, Schatten, Sonnenlicht, Infrastruktur) oder aufgrund von vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendungen/Fehlern durch die Fahrzeuginsassen und andere Verkehrsteilnehmer (d. h. Sicherheitsrisiken — ohne Systemfehler).
- 31.
- „Kontrollstrategie” bezeichnet eine Strategie zur Gewährleistung eines robusten und sicheren Betriebs des ADS als Reaktion auf bestimmte Umgebungs- und/oder Betriebsbedingungen (z. B. Straßenzustand, andere Verkehrsteilnehmer, ungünstige Witterungsbedingungen, drohende Kollisionsgefahr, Störungen, Erreichen von ODD-Grenzen usw.). Dies kann vorübergehende Leistungseinschränkungen (z. B. eine Verringerung der Höchstgeschwindigkeit), MRM-Manöver, Kollisionsvermeidung oder -minderung, Ferneingriffe usw. umfassen.
- 32.
-
„TTC” (Time to Collision, Zeit bis zum Zusammenstoß) bezeichnet die Zeit bis zu einem Zusammenstoß zwischen beteiligten Fahrzeugen/Objekten/Personen, wenn sich deren Geschwindigkeiten unter Berücksichtigung ihrer Bewegungswege nicht ändern würden.
Bei reinen Längssituationen mit konstanten Geschwindigkeiten wird der TTC-Wert, sofern im Text nicht anders angegeben, durch Division des Längsabstands (in Fahrtrichtung des betreffenden Fahrzeugs) zwischen dem betreffenden Fahrzeug und den anderen Fahrzeugen/Objekten/Personen durch die relative Längsgeschwindigkeit des betreffenden Fahrzeugs und der anderen Fahrzeuge/Objekte/Personen ermittelt.
Bei reinen Kreuzungssituationen mit konstanten Geschwindigkeiten wird dieser Wert, sofern im Text nicht anders angegeben, durch Division des Längsabstands zwischen dem betreffenden Fahrzeug und der seitlichen Bewegungslinie der anderen Fahrzeuge/Objekte/Personen durch die Längsgeschwindigkeit des betreffenden Fahrzeugs ermittelt.
- 33.
-
„Fahrzeugtyp im Hinblick auf das ADS” bezeichnet vollautomatisierte Fahrzeuge, die sich in wesentlichen Aspekten wie den folgenden nicht unterscheiden:
- a)
- Fahrzeugmerkmalen, die die Leistung des ADS wesentlich beeinflussen;
- b)
- den Systemeigenschaften und dem Entwurf des ADS.
- 34.
-
„Fahrzeuge mit dualem Fahrmodus” bezeichnet vollautomatisierte Fahrzeuge, für die ein Fahrersitz entworfen und gebaut wurde:
- a)
- um vom Fahrer im „manuellen Fahrmodus” gefahren zu werden, und
- b)
- um vom ADS ohne Überwachung durch einen Fahrer im „vollautomatisierten Fahrmodus” gefahren zu werden.
Bei Fahrzeugen mit dualem Fahrmodus darf der Übergang zwischen dem manuellen Fahrmodus und dem vollautomatischen Modus sowie der Übergang zwischen dem vollautomatischen Modus und dem manuellen Modus nur bei Stillstand des Fahrzeugs und nicht während der Fahrt des Fahrzeugs erfolgen.
- 35.
- „Betreiber eines Transportdienstes” bezeichnet die Einheit, die einen Transportdienst mit einem oder mehreren vollautomatisierten Fahrzeugen erbringt.
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