Artikel 17 VO (EU) 2023/1543
Überprüfungsverfahren bei einander widersprechenden Verpflichtungen
(1) Ist ein Adressat der Ansicht, dass die Befolgung einer Europäischen Herausgabeanordnung im Widerspruch zu einer Verpflichtung stehen würde, die sich aus dem anwendbaren Recht eines Drittlands ergibt, so teilt er der Anordnungsbehörde und der Vollstreckungsbehörde gemäß dem in Artikel 10 Absätze 8 und 9 festgelegten Verfahren seine Gründe für die Nichtausführung der Europäischen Herausgabeanordnung mit, wobei das in Anhang III festgelegte Formular (im Folgenden „begründeter Einwand” ) zu verwenden ist.
(2) Der begründete Einwand muss alle erheblichen Einzelheiten zu den betreffenden Rechtsvorschriften des Drittlands, zu ihrer Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall und zur Art der einander widersprechenden Verpflichtungen enthalten. Der begründete Einwand darf sich nicht auf Folgendes stützen:
- a)
- die Tatsache, dass es in den geltenden Rechtsvorschriften des Drittlands keine vergleichbaren Bestimmungen über die Voraussetzungen, Formvorschriften und Verfahren für den Erlass einer Herausgabeanordnung gibt, oder
- b)
- allein die Tatsache, dass die Daten in einem Drittland gespeichert sind.
Der begründete Einwand muss spätestens zehn Tage nach Eingang des EPOC beim Adressaten erhoben werden.
(3) Die Anordnungsbehörde überprüft die Europäische Herausgabeanordnung auf der Grundlage des begründeten Einwands und der etwaigen Anmerkungen des Vollstreckungsstaats. Beabsichtigt die Anordnungsbehörde, die Europäische Herausgabeanordnung aufrechtzuerhalten, so beantragt sie eine Überprüfung durch das zuständige Gericht des Anordnungsstaats. Die Ausführung der Europäischen Herausgabeanordnung wird bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens ausgesetzt.
(4) Das zuständige Gericht beurteilt zunächst, ob eine Kollision von Verpflichtungen vorliegt, und prüft dazu, ob
- a)
- das Recht des Drittlands aufgrund der spezifischen Umstände des betreffenden Falls anwendbar ist und
- b)
- die Rechtsvorschriften des Drittlands – sofern sie gemäß Buchstabe a anwendbar sind – die Offenlegung der betreffenden Daten verbieten, wenn sie auf die spezifischen Umstände des betreffenden Falls angewandt werden.
(5) Stellt das zuständige Gericht fest, dass keine relevante Kollision mit Verpflichtungen im Sinne der Absätze 1 und 4 vorliegt, so erhält es die Europäische Herausgabeanordnung aufrecht.
(6) Stellt das zuständige Gericht auf der Grundlage der Beurteilung gemäß Absatz 4 Buchstabe b fest, dass die Rechtsvorschriften des Drittlands die Offenlegung der betreffenden Daten verbieten, so entscheidet es, ob die Europäische Herausgabeanordnung aufrechtzuerhalten oder aufzuheben ist. Diese Beurteilung stützt sich insbesondere auf folgende Faktoren, wobei den in den Buchstaben a und b genannten Faktoren besondere Bedeutung beizumessen ist:
- a)
- das nach den einschlägigen Rechtsvorschriften des Drittlands geschützte Interesse, einschließlich der Grundrechte und sonstiger grundlegender Interessen, die eine Offenlegung der Daten verhindern, insbesondere die nationalen Sicherheitsinteressen des Drittlands;
- b)
-
den Grad der Verbindung zwischen der Strafsache, derentwegen die Europäische Herausgabeanordnung erlassen wurde, und einem der beiden Rechtssysteme; hierfür maßgeblich sind unter anderem:
- i)
- der Aufenthaltsort, die Staatsangehörigkeit und der Wohnsitz der Person, deren Daten angefordert werden, oder des Opfers bzw. der Opfer der betreffenden Straftat,
- ii)
- der Ort, an dem die betreffende Straftat begangen wurde;
- c)
- den Grad der Verbindung zwischen dem Diensteanbieter und dem betreffenden Drittstaat; in diesem Zusammenhang genügt der Datenspeicherort allein nicht zur Feststellung eines wesentlichen Verbindungsgrads;
- d)
- das Interesse des ermittelnden Staates an der Einholung der betreffenden Beweismittel aufgrund der Schwere der Straftat und der Wichtigkeit einer zügigen Beweiserhebung;
- e)
- die möglichen Konsequenzen der Befolgung der Europäischen Herausgabeanordnung für den Adressaten oder den Diensteanbieter, einschließlich der potenziellen Sanktionen.
(7) Das zuständige Gericht kann bei der zuständigen Behörde des Drittlands unter Berücksichtigung der Richtlinie (EU) 2016/680, insbesondere des Kapitels V, Informationen anfordern, soweit das betreffende Strafverfahren dadurch nicht behindert wird. Der Anordnungsstaat fordert bei der zuständigen Behörde des Drittlands insbesondere dann Informationen an, wenn der Konflikt der Verpflichtungen die Grundrechte oder sonstige grundlegende Interessen des Drittlands im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit und Verteidigung betrifft.
(8) Beschließt das zuständige Gericht, die Europäische Herausgabeanordnung aufzuheben, so teilt es dies der Anordnungsbehörde und dem Adressaten mit. Stellt das zuständige Gericht fest, dass die Europäische Herausgabeanordnung aufrechtzuerhalten ist, so teilt es dies der Anordnungsbehörde und dem Adressaten mit, und der Adressat hat die Europäische Herausgabeanordnung auszuführen.
(9) Für die Zwecke der Verfahren nach diesem Artikel werden die Fristen gemäß dem nationalen Recht der Anordnungsbehörde berechnet.
(10) Die Anordnungsbehörde unterrichtet die Vollstreckungsbehörde über das Ergebnis des Überprüfungsverfahrens.
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