Artikel 5 VO (EU) 2023/1543
Voraussetzungen für den Erlass einer Europäischen Herausgabeanordnung
(1) Eine Anordnungsbehörde darf nur dann eine Europäische Herausgabeanordnung erlassen, wenn die in diesem Artikel genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Eine Europäische Herausgabeanordnung muss für die Zwecke eines in Artikel 2 Absatz 3 genannten Verfahrens notwendig und verhältnismäßig sein, wobei den Rechten des Verdächtigen oder des Beschuldigten Rechnung zu tragen ist, und darf nur erlassen werden, wenn in einem vergleichbaren nationalen Fall unter denselben Voraussetzungen eine ähnliche Anordnung hätte erlassen werden können.
(3) Eine Europäische Herausgabeanordnung zur Erlangung von Teilnehmerdaten oder zur Erlangung von ausschließlich zum Zweck der Identifizierung des Nutzers angeforderten Daten im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 kann für alle Straftaten und zur Vollstreckung von in Strafverfahren ergangenen, mindestens viermonatigen Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Sicherung erlassen werden, sofern diese in dem Fall, dass sich der Verurteilte der Justiz entzogen hat, nicht in Abwesenheit ergangen sind.
(4) Eine Europäische Herausgabeanordnung zur Erlangung von Verkehrsdaten mit Ausnahme von ausschließlich zum Zweck der Identifizierung des Nutzers angeforderten Daten im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 der vorliegenden Verordnung oder zur Erlangung von Inhaltsdaten darf nur erlassen werden
- a)
- bei Straftaten, die im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren geahndet werden, oder
- b)
-
bei den folgenden Straftaten, wenn sie ganz oder teilweise mittels eines Informationssystems begangen werden:
- i)
- Straftaten im Sinne der Artikel 3 bis 8 der Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates(1);
- ii)
- Straftaten im Sinne der Artikel 3 bis 7 der Richtlinie 2011/93/EU;
- iii)
- Straftaten im Sinne der Artikel 3 bis 8 der Richtlinie 2013/40/EU;
- c)
- bei Straftaten im Sinne der Artikel 3 bis 12 und 14 der Richtlinie (EU) 2017/541;
- d)
- bei unter den Buchstaben a, b und c genannten Straftaten zur Vollstreckung von in Strafverfahren ergangenen, mindestens viermonatigen Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Sicherung, sofern sie in dem Fall, dass sich der Verurteilte der Justiz entzogen hat, nicht in Abwesenheit ergangen sind.
(5) Eine Europäische Herausgabeanordnung enthält folgende Angaben:
- a)
- die Anordnungsbehörde und die etwaige validierende Behörde;
- b)
- den Adressaten der Europäischen Herausgabeanordnung gemäß Artikel 7;
- c)
- den Nutzer, es sei denn, der einzige Zweck der Anordnung besteht darin, den Nutzer zu identifizieren, oder andere eindeutige Kennungen wie Nutzername, Anmeldekennung oder Kontobezeichnung zur Bestimmung der angeforderten Daten;
- d)
- die Kategorie der angeforderten Daten im Sinne des Artikels 3 Nummern 9 bis 12;
- e)
- erforderlichenfalls die Zeitspanne der Daten, für die deren Herausgabe angefordert wird;
- f)
- die anwendbaren Bestimmungen des Strafrechts des Anordnungsstaats;
- g)
- in Notfällen im Sinne des Artikels 3 Nummer 18 die hinreichend dargelegten Gründe für den Notfall;
- h)
- wenn die Europäische Herausgabeanordnung unmittelbar an den Diensteanbieter, der die Daten im Auftrag des Verantwortlichen speichert oder auf sonstige Weise verarbeitet, gerichtet ist, eine Bestätigung, dass die in Absatz 6 des vorliegenden Artikels enthaltenen Bedingungen erfüllt sind;
- i)
- die Gründe für die Feststellung, dass die Europäische Herausgabeanordnung die Voraussetzungen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit gemäß Absatz 2 des vorliegenden Artikels erfüllt;
- j)
- eine zusammenfassende Beschreibung des Falls.
(6) Eine Europäische Herausgabeanordnung ist an den Diensteanbieter zu richten, der als Verantwortliche im Sinne der Verordnung (EU) 2016/679 handelt.
Ausnahmsweise kann die Europäische Herausgabeanordnung unmittelbar an den Diensteanbieter gerichtet werden, der die Daten im Auftrag des Verantwortlichen speichert oder auf sonstige Weise verarbeitet, sofern
- a)
- der Verantwortliche trotz angemessener Bemühungen der Anordnungsbehörde nicht ermittelt werden kann oder
- b)
- es die Ermittlungen gefährden könnte, wenn die Anordnung an den Verantwortlichen gerichtet würde.
(7) Im Einklang mit der Verordnung (EU) 2016/679 informiert der Auftragsverarbeiter, der die Daten für den Verantwortlichen speichert oder anderweitig verarbeitet, den Verantwortlichen über die Herausgabe der Daten, es sei denn, die Anordnungsbehörde hat den Diensteanbieter aufgefordert, diese Information so lange wie notwendig und verhältnismäßig nicht vorzunehmen, um das einschlägige Strafverfahren nicht zu behindern. In diesem Fall hat die Anordnungsbehörde in der Verfahrensakte die Gründe für den Aufschub der Information des Verantwortlichen anzugeben. Zudem ist dem EPOC eine kurze Begründung beizufügen.
(8) Wenn die Daten im Rahmen einer Infrastruktur, die ein Diensteanbieter einer Behörde bereitstellt, gespeichert oder anderweitig verarbeitet werden, darf eine Europäische Herausgabeanordnung nur dann erlassen werden, wenn sich die Behörde, für die die Daten gespeichert oder anderweitig verarbeitet werden, im Anordnungsstaat befindet.
(9) In Fällen, in denen gemäß dem Recht des Anordnungsstaats vom Berufsgeheimnis geschützte Daten von einem Diensteanbieter im Rahmen einer Infrastruktur gespeichert oder anderweitig verarbeitet werden, die Geschäftspersonen in ihrer Geschäftstätigkeit bereitgestellt wird, die dem Berufsgeheimnis unterliegen (im Folgenden „Berufsgeheimnisträger” ), darf eine Europäische Herausgabeanordnung nur zur Erlangung von Verkehrsdaten, mit Ausnahme von Daten, die ausschließlich zum Zweck der Identifizierung des Nutzers im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 angefordert werden, oder zur Erlangung von Inhaltsdaten erlassen werden,
- a)
- sofern der Berufsgeheimnisträger im Anordnungsstaat wohnhaft ist,
- b)
- sofern es die Ermittlungen gefährden könnte, wenn die Anordnung an den Berufsgeheimnisträger gerichtet wird, oder
- c)
- sofern das Berufsgeheimnis im Einklang mit dem anwendbaren Recht aufgehoben wurde.
(10) Wenn die Anordnungsbehörde Grund zu der Annahme hat, dass die Verkehrsdaten – mit Ausnahme von Daten, die ausschließlich zum Zweck der Identifizierung des Nutzers im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 angefordert werden – oder die Inhaltsdaten, die mit der Europäischen Herausgabeanordnung angefordert werden, durch Immunitäten oder Vorrechte geschützt sind, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaats gewährt werden, oder dass diese Daten in diesem Staat Vorschriften zur Bestimmung und Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Freiheit der Presse und das Recht auf freie Meinungsäußerung in anderen Medien unterliegen, kann die Anordnungsbehörde vor dem Erlass der Europäischen Herausgabeanordnung den Sachverhalt klären, unter anderem indem sie die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats entweder unmittelbar oder über Eurojust oder das Europäische Justizielle Netz konsultiert.
Stellt die Anordnungsbehörde fest, dass die angeforderten Verkehrsdaten – mit Ausnahme von Daten, die ausschließlich zum Zweck der Identifizierung des Nutzers im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 angefordert werden – oder die angeforderten Inhaltsdaten durch Immunitäten oder Vorrechte geschützt sind, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaats gewährt werden, oder dass diese Daten in diesem Staat Vorschriften zur Bestimmung und Beschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Freiheit der Presse und das Recht auf freie Meinungsäußerung in anderen Medien unterliegen, so erlässt sie die Europäische Herausgabeanordnung nicht.
Fußnote(n):
- (1)
Richtlinie (EU) 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates (ABl. L 123 vom 10.5.2019, S. 18).
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